Anfang/Mitte der Neunziger trieb in München mal eine Artcore-Band mit dem genialen Namen Schwermut Forest ihr Unwesen, das kaum genießbare Gedöns musste man seinerzeit das ein oder andere Mal im Vorprogramm von großen Indie-Nummern wie etwa Fugazi hinter sich bringen, aber wie gesagt, der Band-Name: sensationell.
In derart düsteres Gehölz führte uns auch ohne Umschweife am vergangenen Mittwoch die bezaubernde Songwriterin Emma Ruth Rundle aus L.A./California im Vorfeld zum anstehenden Wovenhand-Orkan, und aus diesen Wäldern sollten wir für den Rest des Abends nicht mehr so richtig herausfinden.
Neben ihren solistischen Arbeiten ist Rundle bei der amerikanischen Postrock-Institution Red Sparowes, der Experimental-Band Marriages und der Slowcore-Combo Nocturnes aktiv, die Gute kommt rum…
Die junge Frau von der amerikanischen Westcoast hat beim Verfassen ihrer Werke offensichtlich alles andere als Sonnenschein im Herzen, ihre Folksongs künden von der dunklen Seite des Lebens, spartanisch, hart und zupackend im Gitarrenanschlag, im weiteren Verlauf des Konzerts begleitet und bereichert durch die schwere Melancholie des Violinenspiels, verzweifelt, klagend, hypnotisch, mit dem Schicksal hadernd ist der Gesang der Amerikanerin, der irgendwo zwischen hoffnungsloser Entrücktheit, der intimen, mitternächtlichen, stimmlich-dunklen Erotik von Hope Sandoval/Mazzy Star und halluzinierender Pop-Psychedelic wandert.
Mit ihrem halbstündigen Vortrag sorgte Emma Ruth Rundle für eine der angenehmsten Überraschungen in jüngster Zeit hinsichtlich Konzert-Vorprogramm, der düstere Folk hätte auch über eine längere Distanz getragen, das begeisterte Publikum wäre mit Andacht dabeigewesen.
(**** ½ – *****)
Das Herantasten und Heranführen des Publikums an den Kern des eigenen musikalischen Kosmos war auch das Ding von David Eugene Edwards und seiner Southern-Gothic-Combo Wovenhand am Mittwochabend nicht, mit der geballten Wucht der jüngsten Aufnahmen wie etwa dem aktuell erschienenen Album „Star Treatment“ eröffnete die Band, die im Lineup hinsichtlich des letzten München-Konzerts um einen Keyboarder erweitert wurde.
Mit indianischen Beschwörungs-Riten und schweren Gitarren-Gewittern entfesselten Edwards und seine Mannen bereits zu Beginn einen Orkan, der die Zuhörer hineinzog in die Welt der Mythen der amerikanischen Ureinwohner, der religiösen Visionen und der staubtrockenen, düsteren, schweren Romantik des amerikanischen Südens. Vorbei sind die Zeiten, in denen der charismatische Edwards in der Frühphase von Wovenhand den dunkel funkelnden Appalachen-Alternative-Country-Geist seiner Vorgängerband 16 Horsepower in das Klangbild seines neuen Outfits herüberrettete und seine getragenen, beschwörenden Weisen zur halbakustischen Gitarre vortrug, Wovenhand sind konzertant endgültig in der finsteren, kochenden, bezwingenden, geradezu manischen „Tribal Psycho-Blues“-Welt des Gun Club angekommen, auch der treibende Underground-Blues der australischen Kult-Band Crime & The City Solution dient als Referenz zu den schneidenden Gitarren, Edwards selbst mischte beim Wiederaufleben der Combo um Simon Bonney im Jahr 2012 mit und dürfte einiges an Einflüssen aus dieser gedeihlichen Zusammenarbeit mitgenommen haben.
Bevor das Konzert mit „El-Bow“ vom „Refractory Obdurate“-Album und „King O King“ als einzige Zugabe den Schlusspunkt und furiosen Höhepunkt erreichte, zu dem vor allem Drummer Ordy Garrison wie bereits vor zwei Jahren im selben Saal mit virtuosem Schlagwerk-Donnern zu Hochform auflief, irritierte die Band im Mittelteil mit erratischen Ausflügen in psychedelischen Alternative-/Progressive-Rock, in diesen Passagen stand für Edwards vor allem das Predigen und Beschwören der Dämonen im Vordergrund, das begleitende Moog- und Wurlitzer-Georgel mochte nicht ungeteilt Wohlgefallen finden im vollgefüllten Ampere. Wird aber vermutlich niemanden vom Besuch abhalten, wenn Wovenhand beim nächsten Schamanen-Ritual ihren imaginären Totem-Pfahl in der Münchner Konzert-Landschaft aufstellen.
(**** ½)
Der Konzertbetrieb am zweiten Tag der belgischen Post-Rock-Vollversammlung startete direktemang mit einem absoluten Festival-Highlight, die junge Formation Illuminine aus dem belgischen Leuven (Löwen !!!), die vor kurzem ihr aktuelles Album in Island im Studio von Sigur Rós einspielten, begeisterten mit ihrem getragen-meditativen Wechselspiel aus zeitgenössischer Klassik und Ambient, das Zusammenwirken von Piano, dezentem Gitarrenanschlag und der exzellenten Streicher-Sektion war bereits ein ganz hervorragendes, in den Momenten, in denen Dirk Timmermans zu seinem glasklaren und beseelten Trompetenspiel ansetzte, machte sich schwere Ergriffenheit im gut besuchten Zelt breit.
Auf Dauer etwas eindimensional angelegten, instrumentalen „Heavy Post-Rock“ boten die Mannen von Sounds Like The End Of The World aus Danzig, eine gute Gelegenheit zum Essenfassen…
Die Experimental-Reihe im kleinen Zelt eröffnete am 2. Tag ein unter dem Pseudonym Monnik auftretender junger Belgier, der Mönch verbreitete mit seinem meditativen Gitarren-Ambient-Drone tatsächlich eine nahezu religiös anmutende Grundstimmung, in der Klangkunst inklusive Saiteninstrument-Bearbeitung mit E-Bow, Geigenbogen und Schraubenzieher lies es sich gedanklich entspannt abtauchen, bevor sich die Zuhörerschaft in allzu viel Kontemplation verlor, löste der Gitarrist via Rückkopplungs-Effekten und Geräteschrauben das Klangbild final am Boden kniend in brachialer Atonalität im Stil der großen Krachkünstler Michael Gira und Ben Frost auf. Begeisterung pur.
Auch in Lateinamerika wird der instrumentale Post-Rock in Ehren gehalten, die fünf Compañeros von Baikonur aus Santiago de Chile stellten es eindrucksvoll unter Beweis. Die gepflegte und beseelte Gitarre erklang zu Videoinstallationen, in denen unter anderem in Schwarz-Weiß-Aufnahmen General Pinochet im Autokorso über das Bild fuhr, die Chilenen erinnerten so mit ihrem textfreien Vortrag an die dunkelste Ära des südamerikanischen Landes.
Henry Rollins für Arme, würden böse Zungen behaupten: Eleanora haben just an dem Tag ihr erstes Album ‚Allure‘ veröffentlicht, die Release-Show der Belgier aus dem nahe gelegenen Gent glich einem Massaker – treibender Post-Hardcore und brachialer Sludge-Metal, gepaart mit den permanenten Schrei-Attacken und dem eruptiven Bühnengebaren des Sängers Mathieu Joyeux, sorgten für ein intensives Konzert-Erlebnis, das, egal ob Daumen rauf oder runter, bei keinem Anwesenden schnell in Vergessenheit geraten dürfte.
Die Dame vom „Rode Kruis“ war erstmals im Stargazer-Zelt zur fürsorglichen Kontrolle, hätte ja sein können, dass der junge Mann ausschließlich wegen körperlicher Pein derartig markerschütternd brüllt…
Sodann altgediente Festival-Veteranen mit Kokomo aus Duisburg auf der großen Bühne – im Pott wissen sie, wie man Gitarrenwände aufbaut: strammer, energetischer Instrumental-Post-Rock sondergleichen, in eine Richtung nach vorne treibend, zu keiner Sekunde langatmig. Haben aktuell ihr viertes Album ‚Monochrome Noise Love‘ auf dem Festival-eigenen Label dunk!records veröffentlicht, die Veranstaltung weiß offensichtlich auch, was sie an der Combo hat. War großer Sport und dankenswerter (dunk!enswerter) Weise noch nicht das letzte Wort zu dieser herausragenden Band, more to come…
Das Trio Barst aus dem belgischen Halle hat das kleine Stargazer-Zelt mit hypnotischem Ambient/Drone und treibender, arabisch anmutender Rhythmik fasziniert, vor allem beim Gitarristen Bart Desmet war nicht zu übersehen, wie er für seine Musik lebt und in ihr aufgeht, derartige Ergriffenheit und intensives, auch in der Körpersprache angedeutetes Hineinarbeiten in den eigenen Sound sieht man selten bei einem Musiker. Absoluter Respekt für eine Darbietung, die das Programmheft mit den Worten „transcendental atmospheric black shoegaze math noise drone orchestra“ beschrieb.
Aus der Stadt des diesjährigen Premier-League-Überraschungssiegers Leicester City F.C. kamen die jungen Engländer von Her Name Is Calla, mit dem Violinen-Vortrag von Sophie Green fand sich neben klassischen auch Folk-Elemente im Sound der Band, mit den gesanglich von Tom Morris dick aufgetragenen Balladen besetzt die Band eine Ausnahmestellung im Post-Rock, wer sich hinsichtlich Stimm-Bild und der Nähe zum Indie-Folkrock an die Norweger von Midnight Choir und deren charismatischen Sänger Pål Flåta erinnerte, lag keineswegs falsch, „Muddy River Of Loneliness“, eh klar…
Das Projekt YODOK III um den aus Antwerpen stammenden belgischen Komponisten Dirk Serries, den wir Tags darauf erneut in einer weiteren Aufführen genießen durften, wurde unter dem Label „Post-Jazz“ als „study in ambient drone, with elements of jazz, rock and classical“ angekündigt, im Zusammenspiel des Gitarristen mit seinen beiden norwegischen Mitmusikanten im Stargazer-Zelt, das an dem Tag komplett den Künstlern des Consouling-Sounds-Label gewidmet wurde, entfalltete sich schwerster, repetitiver Kontemplations-Drone, der sich wiederholte Male, einem reinigenden Gewitter gleich, in spannendem Free-Jazz-Getrommel entlud. Hörgewohnheiten-erweiternd, ohne Zweifel.
Am frühen Abend machten sich dann My Sleeping Karma aus Aschaffenburg auf der großen Bühne für ihren Auftritt in Sachen Psychedelic-Stoner-Rock bereit, der durch Tempi-Wechsel und hypnotische wie explosive Gitarrengewitter bestimmte Prog-Vortrag wäre ganz sicher ein sehens- und hörenswerter gewesen, irgendwann schreit der vom stundenlangen Festival-Rumstehen geplagte Körper jedoch nach Bier, Fritten, Toilette, entspanntem Rumsitzen vorm Musik-Zelt und Konversation…
Eine mit Spannung erwartete Aufführung folgte im kleinen Rahmen mit dem Elektronik-Solo-Projekt IIVII von Red-Sparowes-Urgestein Josh Graham, der an dem Abend mit düster-abstrakten Science-Fiction-Drone-Klängen und einer tollen, zu den Soundscapes stimmig passenden Video-Installation vollends überzeugen konnte.
„This is your head banging moment“ schrieb The Stargazer Magazine zum angekündigten Auftritt der US-Post-Metal-Pioniere Pelican aus Des Plaines/Illinois, das war nicht zuviel versprochen, die Band hat auch KonzertbesucherInnen geschüttelt, die mit dem Genre nicht vertraut waren, ein zupackender, stringent strukturierter Instrumental-Metal-Vortrag aus einem Guss, dunkel, einnehmend, machtvoll vorgetragen und begeisternd. Bei den Festival-Highlights ganz vorne dabei. Da sagt auch der Post-Metal-Laie: „Gerne und jederzeit wieder.“
Der hier kommt originär ebenfalls aus dem Post-Metal: Colin H. Van Eeckhout, etatmäßiger Sänger und Gründungsmitglied von Amenra aus Kortrijk/Westflandern, beschloss den Abend im kleinen Zelt mit seinem Ambient-/Drone-Solo-Projekt CHVE, getragene Soundlandschaften via Drehleier-Spiel und Anschlag auf der großen Trommel und minimalistisch-klagender, spirituell angelehnter Falsett-Gesang sorgten für einen zutiefst entspannten Ausklang im Auditorium vor der Experimental-Bühne und ließen noch einmal tief durchatmen und zur Ruhe kommen vor dem großen Finale am 2. Festivaltag im großen Zelt.
Ihren dritten dunk!Festival-Auftritt als Headliner spielten zum Abschluss des Freitags die Texaner von This Will Destroy You, die Post-Rock-Band aus San Marcos, die hinsichtlich getragener, gedehnter Eröffnungssequenzen und eruptiver, komplexer Härte in ihren groß angelegten Instrumental-Epen mit den Landsleuten von Explosions In The Sky und den kanadischen Kollegen von Godspeed You! Black Emperor qualitativ absolut auf Augenhöhe steht, wehrt sich nichtsdestotrotz mit den Worten von Bandmitglied Donovan Jones vehement gegen kategorisierendes Schubladendenken: “Fuck post-rock, and fuck being called post-rock.”
Wie auch immer, der getragene Ambient und die sich urplötzlich-unvermittelt auftürmenden Gitarrenwände in der Live-Präsentation der Band wussten schwer zu begeistern – dem in völliger Dunkelheit gespielten Konzert, welche nur durch die Stirnlampen von Basser/Keyboarder Jones und dem Gitarristen Christopher Royal King durchbrochen wurde, zollten die mitternächtlichen Konzertgänger den verdienten, langanhaltenden Applaus.
This Will Destroy You, St. Vitus, Brooklyn/NY, 2015-02-27 @ nyctaper.com