Denn Länder, in denen man sorglos gelebt / verlässt man ohne Betrüben
Doch das Land, mit dem wir gehofft und gebebt / das werden wir ewig, ewig lieben
(Hanns Eisler)
A sort of homecoming oder: Helden-Gedenktag am vergangenen Donnerstag-Abend im Münchner Feierwerk. Die australische Indie-Legende Robert Forster war mit neuer Band zur Präsentation des aktuellen Albums „Inferno“ inklusive eingehender Würdigung der eigenen musikalischen Vergangenheit in der Stadt zu Gast, die altgediente Gefolgschaft dankte es gebührend mit einem ausverkauften Hansa39-Saal.
Nach der Veröffentlichung seines wunderbaren Solo-Werks „The Evangelist“ im Jahr 2008 war in Europa lange Zeit nichts mehr zu vernehmen von Robert Forster, der Songwriter aus Brisbane/Queensland verdingte sich in den folgenden Jahren journalistisch vor allem als Musik-Kritiker bei diversen australischen Magazinen, in jüngster Vergangenheit wie aktuell ist er dankenswerter Weise wieder präsenter in der Öffentlichkeit, mit neuen Aufnahmen, der lesenswerten Autobiografie „Grant & Ich“ über seine Zeit mit den Go-Betweens und dem 2006 verstorbenen Freund und Band-Mitbegründer Grant McLennan, mit einhergehenden Veranstaltungen zur Buch-Präsentation und feinen Solo-Konzerten.
Am Donnerstag dann Robert Forster nach über zehn Jahren wieder im vollen Band-Ornat in München, es sollte ein erinnerungswürdiger Abend werden. Begleitet von einer international besetzten und vor allem exzellent eingespielten Formation – eine grundsolide schwedische Rhythmus-Abteilung, der grandiose Lead-Gitarrist wie der Meister selbst aus Australien, mit Karin Bäumler aus dem bayerischen Regensburg die eigene Ehefrau als Klangbild abrundende Violinistin, so funktioniert Landes- und Kontinente-übergreifende Kooperation. Forster selbst gab als Frontmann wie stets den charmanten, bestens aufgelegten Conférencier, die Band zauberte zum Ohrwurm-artigen, ureigenen Indie-Pop- und Folk-Sound des profilierten Songwriters dezente Surf- und Alternative-Country-Zitate, die den Nummern keine neuen Wendungen, aber doch die ein oder andere zusätzliche ungeahnte Nuance angedeihen ließen. Selbst die fünf präsentierten Stücke aus dem eine Spur zu gefällig und austauschbar geratenen aktuellen Album „Inferno“ atmeten im Live-Vortrag einen anderen Geist, bekamen durch den unbehandelten Bühnen-Sound mehr Tiefgang, Ecken, Kanten und einen ansprechenderen Charakter verpasst, zweifelnde Bedenken hinsichtlich des jüngsten Outputs zerstreuten sich damit in Windeseile. Das vorangegangene Werk „Songs To Play“ aus 2015 war mit einer Auswahl auf der Setlist vertreten, daneben die nachdenkliche Ballade „Demon Days“ vom „Evangelist“-Album, sein solistisches Früh-Werk sparte Forster hingegen komplett aus. Dafür gab es zur großen Freude der an den Lippen des Sängers hängenden Getreuen einen pointierten Überblick über die komplette Schaffens-Phase der Go-Betweens, bei flott scheppernden Klassikern wie „Spring Rain“ oder „Man O’Sand To Girl O’Sea“, den emotional schwerst anrührenden Balladen „Finding You“ und „Dive For Your Memory“ oder der herrlich erhabenen Ode an die „Clarke Sisters“ ließ es sich angenehmst in Erinnerungen an große, lange zurückliegende Auftritte und Tonträger-Meilensteine der Indie-Pop-Institution von Down Under schwelgen, die ein oder andere Träne der Freude zerdrücken oder den großen Zeiten der alternativen Szenen in den Achtzigern gedenken, in denen die Australier neben Bands wie den Smiths, Felt, den Television Personalities oder den verehrten neuseeländischen Flying-Nun-Combos die Herzen der Melodie-verliebten Hörerschaft verzauberten.
Mit „Learn To Burn“ gab Forster gegen Ende als semi-scharfer Crooner den anheizenden Bühnen-Entertainer, und bei der heute noch ohne Abstriche schwerst schmissigen Indie-Perle „Don’t Let Him Come Back“ mochte man die Tatsache nicht fassen, dass seit Veröffentlichung des Songs als B-Seite der zweiten Go-Betweens-Single sage und schreibe vierzig Jahre ins Land gegangen sind. Wenn das Prädikat „Zeitlos“ zu vergeben ist, darf nach wie vor so ziemlich jeder jemals aufgenommene Song der australischen Indie-Ikonen unwidersprochen laut „Hier“ schreien.
Dem Münchner Publikum wird gerne und ab und an auch völlig zurecht eine gewisse Reserviertheit in der Reaktion auf großartigste konzertante Darbietungen nachgesagt, nichts davon am Donnerstag bei Forster und Co im Hansa39: Minutenlange, euphorische Dankbarkeit über diesen Auftritt mittels stürmischem Applaus zum Ende hin, und wenn das hiesige Volk mal aus sich herausgeht, dann bleibt es auch draußen aus dem Rahmen der eigenen Beschränkungen, egal ob beim alljährlichen Theresienwiesen-Massenbesäufnis, beim 1860-Aufstieg oder aktuell hier im ausgiebigen Mitsingen und Schunkeln zur finalen Nummer „Surfing Magazines“, zu der Robert Forster spontan im lokalen Bezug auch noch den Eisbach im Englischen Garten ins Spiel brachte.
Erhebende, herzergreifende Indie- und Folk-Rock-Auftritte wie diese völlig unaufgeregte, über jeden Zweifel erhabene 100-Minuten-Show vom vergangenen Donnerstag-Abend sind konzertante Sternstunden, die Songs des Robert Forster sind seit den Tagen der längst vergangenen Jugend, seit mittlerweile einem halben Menschenleben treue Begleiter, unvermindert Labsal für Seele wie Gemüt und musikalischer Anker in stürmischen Zeiten. Heimat in dem Sinn, dass Heimat immer dort ist, wo das Herz weh tut, und nachdem solche heiligen Momente des Sentiments langsam Seltenheitswert bekommen, ist die Deklaration des Werks vom Grandseigneur des australischen Indie-Pops zum immateriellen Weltkulturerbe längst überfällig.