Rickie Lee Jones

Reingehört (133)

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Sioux Falls – Rot Forever (2016, Broken World Media)
Kommen aus Portland, haben ihre Band vermutlich nach der größten Stadt in South Dakota benannt, die Herren Isaac Eiger, Fred Nixon und Ben Scott, und bringen nach der inzwischen vergriffenen 2014er-LP ‚Lights Off For Danger‘ und einer folgenden Split-EP nun im neuen Jahr ein opulentes Paket in Form eines 72-Minuten-Doppelalbums unter die Leute. Lässt sich gut hören, der euphorische Indie-Rock-Ansatz, der recht angenehm an diesen beherzten Springsteen-/Clash-Geist der ersten beiden Gaslight-Anthem-Alben denken lässt, die oft sechs- bis acht-minütigen Songs sprühen vor Ideen, die Melodien sind griffig, der Gitarrenanschlag ist auf respektablem Built-To-Spill-Niveau, allzu viel Alternative-Rock-Wohlklang wird sporadisch mit brachialem Hardcore-Gebrüll durchpflügt – ein ambitioniertes, in seinen besten Momenten hypnotisierendes und aufwühlendes Album, welches das Rad sicher nicht neu erfindet, aber auch ohne diesen Anspruch ganz munter vor sich hinrollt.
(****)

V.A. – God Don’t Never Change: The Songs Of Blind Willie Johnson (2016, Alligator / in-akustik)
Eine illustere Schar von Tonkünstlern hat sich versammelt, um dem 1945 in Texas im Alter von 48 Jahren dahingeschiedenen musikalischen Ahnherrn Blind Willie Johnson Tribut zu zollen. Der bibelfeste und tiefreligiöse Johnson war im Blues wie in der Gospelmusik gleichermaßen bewandert, in den Jahren 1927 bis 1930 hat er für Columbia Records eine Handvoll Singles eingespielt, die fester Bestandteil des 20er-Jahre-Spirituals-/Country-Blues-Kanons sind, „Dark Was The Night, Cold Was The Ground“ wurde später von Ry Cooder als Vorlage für seinen „Paris,Texas“-Soundtrack verwendet, „John The Revelator“ erfuhr zahlreiche Interpretationen, versierte Musiker wie Nick Cave, Frank Black, Hugo Race oder A. A. Bondy zollten dem Stück auch in jüngster Vergangenheit Tribut.
Auf ‚God Don’t Never Change‘ ist das Niveau der Neueinspielungen auf erfreulich hohem Niveau, die verzichtbaren Anstrengungen von Skinhead O’Connor und der arg zum Soul-Mainstream tendierende Wurf der Blind Boys Of Alabama sind lässliche Sünden, ein gestandener Blues-Gröhler und Erweckungsprediger wie Tom Waits und Alternative-Country-Queen Lucinda Williams dürfen jeweils zweimal ran, beide liefern erwartet solide Klangkunst, Frau Williams hat bereits 2003 auf ihrem Beitrag zum Vanguard-Tribute ‚Avalon Blues‘ für den großartigen Mississippi John Hurt eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass ihr das Material der großen Vorbilder vertraut ist, im vorliegenden Album hinterlässt sie vor allem bei der bekannten Johnson-Nummer „Nobody’s Fault But Mine“ einen exzellenten Eindruck.
Maria McKee und North-Mississippi-Allstar Luther Dickinson liefern solide Kost in Sachen Johnson-Reminiszenz, für die Highlights des Albums sorgen die jeweiligen Interpretation von Susan Tedeschi im Verbund mit ihrem Slide-Gitarren-Göttergatten Derek Trucks, die hier absolut würdevoll und stilistisch formvollendet ein tief empfundenes „Keep Your Lamp Trimmed And Burning“ singt, Rickie Lee Jones mit einer düsteren „Dark Was The Night…“-Version, mit ihrer für den Blues wie geschaffenen, ureigenen Lässigkeit, und die Cowboy Junkies mit einer in Punkto intensiv-brachialem Vortrag völlig positiv-überraschenden Margo Timmins beim Vortrag des Spirituals „Jesus Is Coming Soon“. Produziert hat ein gewisser Jeffrey Gaskill, der hat sich in Sachen Tribute schon mal bei ‚Gotta Serve Somebody: The Gospel Songs Of Bob Dylan‘ (2003, Sony / Columbia) verdient gemacht. Bye And Bye I’m Going To See The King…
(**** ½)

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Reingehört (64)

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Steph Cameron – Sad-Eyed Lonesome Lady (2014, Pheromone Recordings / Fontana North)
Bereits 2014 erschienenes Debüt-Album einer jungen Kanadierin aus British Columbia, deren toller Akustik-Country-Folk mit einer leichten Prise Blues auf das Angenehmste an die ‚Texas Campfire Tapes‘ von Michelle Shocked erinnert. Ohne dem dort dauerpräsenten Grillenzirpen und Lagerfeuer-Knacken im letzten Sommer im Revolution Recording Studio in Toronto eingespielt, wollte Steph Cameron, so geht die Geschichte, nur testweise ihren Song “Goodbye Molly” aufnehmen und hatte völlig ungeplant nach 3 Studiotagen ein komplettes Album im Kasten, das sich sehen und vor allem hören lässt, nachdenkliche Weisen mit Wandergitarre und Bluesharp umgesetzt, völlig aus der Zeit gefallen und darum umso wertvoller. Kerouac-On-The-Road-Feeling-vermittelnder Appalachen-Soundtrack in Moll. Dicker Tipp!
(*****)

Rhett Miller – The Traveler (2015, ATO Records)
Der Sänger und Gitarrist der texanischen Alternative-Countryrock-Band Old 97’s veröffentlichte Mitte Mai sein mittlerweile siebtes Solo-Album – und was für eines! Bereits der Einstieg mit der Nummer „Wanderlust“, einem exzellenten Alternative-Country-Uptempo-Kracher, gelingt ganz formidabel, im weitern Verlauf zeichnet sich das Werk durch erstklassiges Songwriting und eine unglaubliche Vielfalt an griffigen Melodien aus (ich nenn’s jetzt nicht „catchy“, sonst haut mir die Sätze-Birgit wieder was von wegen Anglizismen-verseuchte Musikleute-Deppen-Sprache um die Ohren ;-))).
Balladen, Pop und flotteres Musizieren in den Bereich Indie und Alternative Country halten sich auf dieser hochmelodischen und vor allem höchst befriedigenden Wundertüte wohlausgewogen die Balance. Ex-R.E.M.-Gitarrist Peter Buck und Scott McCaughey von The Minus 5 musizieren auf einigen Stücken mit. Immer noch mit Tränen der Freude in den Augen sage ich auch hier: Ein dicker Tipp! ;-)))
(*****)

Neil Young + Promise Of The Real – The Monsanto Years (2015, Reprise)
Old Neil Young hat zusammen mit den Willie-Nelson-Söhnen Lukas, Micah und Lukas und deren Band Promise Of The Real ein Konzeptalbum abgeliefert, mit welchem er die Machenschaften des multinationalen Biotechnologie-Konzerns Monsanto und dessen Genmanipulation- und Herbizid-Firmenpolitik anprangert. Andreas Borcholte gab in der Spiegel-Online-Rubrik „Abgehört“ aufgrund der doof-banalen Texte zum Thema lausige 5.0 Punkte, bezüglich der bescheidenen Qualität der Protest-Texte gehe ich da durchaus chloroform, wie der alte Helmut Schön sagen würde, eine bessere Bewertung hätte die Scheibe bezüglich diverser hochanständiger, Neil-Young-typischer Gitarrenkracher dennoch verdient. Klar ist die Platte kein neues Meisterwerk vom Schlage einer „Psychedelic Pill“, aber mit „Americana“ (2012) oder „Storytone“ (2014) hat Young seinen Fans in jüngster Vergangenheit musikalisch bei weitem Belangloseres zugemutet.
(****)

Rickie Lee Jones – The Other Side Of Desire (2015, The Other Side Of Desire Music / Alive)
Muss gestehen, seit „The Sermon On Exposition Boulevard“, ihrem herrlichen Blue-Rose-/New-West-Folkrock-Album aus dem Jahr 2007 war ich bei der Chicagoer Songwriterin nicht mehr auf dem Laufenden, die beiden Folge-Alben „Balm In Gilead“ (2009) und „The Devil You Know“ (2012) sind völlig ungehört an mir vorübergegangen, wohl ein schwerer Fehler aufgrund der Tatsache, dass auch das neue Werk der ehemaligen Tom-Waits-Muse eine höchst erfreuliche, gekonnte Mixtur aus Blues, Folk, Pop, Balladen und – wohl ihrem Umzug in die Musik-Metropole Louisianas geschuldet – gewichtigem New-Orleans-Sound bietet, mit dem Rickie Lee Jones eindrucksvoll die Lücke schließt, die der 2009 verstorbene und seitdem schmerzlich vermisste Willy DeVille hinterließ.
“I want to listen more than I want to be listened to. This is my moment to sing, and I will sing to you all that I have heard. Here are my feelings carved through the images and sounds of trains and rivers, how they speak to one another all night long when we who live near them can hear them clearly. The crow and the mockingbird, hard to tell that mockingbird sounds like the crow, the light through my old windows, my determination, my despair, my love of humans.”
Kurze Anmerkung: wer sich einen Überblick über das sehr lohnende Frühwerk Rickie Lee Jones‘ verschaffen will, kann dies seit 2005 höchst angenehm mit der überaus gelungenen 3CD-Anthologie „Duchess Of Coolsville“ (Rhino / Warner) durchexerzieren.
(**** ½)

Robin Williamson – Trusting in the Rising Light (2015, ECM)
Der Harfenspieler Robin Williamson, Gründungsmitglied der legendären schottischen Psychedelic-Folk-Combo The Incredible String Band, ist mir erstmals solo 2006 mit seinem hervorragenden, ebenfalls beim Münchner Experimental-Klassik/Jazz-Nobellabel ECM erschienenen Album „The Iron Stone“ über den Weg gelaufen, in der Folge hat Williamson eine Reihe von CDs mit Vertonungen von Dylan-Thomas- und William-Blake-Gedichten für Manfred Eichers Plattenfirma abgeliefert, auf dem neuen Werk glänzt er mit Eigenkompositionen an der Celtic Harp und diversen Gitarren, Geigen und Flöten und schafft mit diesem Instrumentarium einen höchst hörenswerten, betörenden keltisch-mystischen Experimental-Folk-Kosmos, der viel Raum lässt für freie Interpretationen, bei seiner einzigartigen Free-Folk-Mixtur wird der Mann aus Edinburgh von seinem langjährigen musikalischen Begleiter Mat Maneri an der Viola und vom Perkussionisten Ches Smith an Vibes, Gongs, Drums und anderweitigem Geklöppel auf das Einfühlsamste begleitet. Dicke Empfehlung nochmal, zum Abschluss der heutigen Neuerscheinungs-Sause… ;-)))
(*****)