Robert Wyatt

Reingehört (112)

Ampere 2015-02-18 - Alexander Hacke & Danielle de Picciotto (13)
 

Danielle de Picciotto – Tacoma (2015, Moabit)
Nach dem Geburtsort der Künstlerin im US-Bundesstaat Washington betitelte Experimental-Folk-Sammlung. Danielle de Picciotto hat ja schon einiges erlebt/mitgemacht: In West-Berlin die kulturelle Sozialisierung erfahren, seit 2006 mit Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten verheiratet, mit Dr. Motte die erste Berliner Love Parade in Gang gebracht, mit Anita Lane und Nick Cave bei der deutschen Post-Punk-Band Die Haut musiziert, ebenso beim letzten ‚Crime & The City Solution‘-Outfit, da kommt was zusammen an Einflüssen, die sich alle ihren Weg bahnen in den aktuellen Tonträger, der düsteren Experimental-Ambient ebenso bietet wie opulenten Folk-Wohlklang, Wüsten-Drone, Spoken-Word-Poetry inklusive elektronischem Sampling und mit „Es gibt kein Zurück“ tatsächlich so etwas wie die kleine Schwester zum literarisch wertvollen Neubauten-Opus ‚Haus der Lüge‘.
(****)

 

The Unthanks – Archive Treasures (2005-2015) (2015, Dadiz Music / Soulfood)
76 Minuten Rares/Unveröffentlichtes/Konzertmitschnitte/Demos zum zehnjährigen Bandjubiläum als Geschenk an die Fans der nordenglischen Folk-Institution um die singenden Schwestern Becky und Rachel Unthank, erwartet getragen-erhaben und mitunter auch ungewohnt experimentell. Mit „2000 Miles“ erklingt zum Einstieg die aktuelle Weihnachts-Single der Unthanks, daneben jede Menge live eingespielte Titel aus den Archiven der BBC und diversen Konzerten, unter anderem eine neoklassische, fast 10-minütige Interpretation von “ Alifib/Alifie“ vom Robert-Wyatt-Meisterwerk ‚Rock Bottom‘ (1974, Virgin), das seinerzeit beim 2011er-Projekt ‚Diversions, Vol. 1: The Songs of Robert Wyatt and Antony & the Johnsons – Live from the Union Chapel, London‘ (Rough Trade) keine Beachtung fand, sowie als feine Rarität die grandiose Version von „Sexy Sadie“ von der ‚White-Album‘-Tribute-Veröffentlichung des MOJO-Magazins, hier gelingt es den Schwestern mit ihrer sinnlichen Interpretation vorzüglich, dem Songtitel gerecht zu werden, ein Umstand, der dem Original seinerzeit komplett verwehrt blieb.
(**** ½)

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Abgerechnet wird zum Schluss: Platten des Jahres

„The First Shall Be The Last
And The Last Shall Be The First
Until Next Time“

(Robert Pollard, Until Next Time)

Mono

Der „Kulturk(r)ampf des Jahres“ in Gold geht für 2014 in der Kategorie Tonträger – Trara! – nach Tokio an das japanische Postrock-Quartett Mono für ihre beiden herausragenden CDs
Mono – Rays Of Darkness (2014, Pelagic) und
Mono – The Last Dawn (2014, Pelagic),
die nur im Verbund Sinn machen, die die Grenzen des Genres erweitern und die kongenial in Szene gesetzt wurden während der jüngst stattgefundenen Konzertreise der Band. Große Kunst, die die Jahre überdauern wird, da bin ich mir sicher.


 

Den zweiten Platz teilen sich unterschiedliche Werke wie die folgenden, ich mag keine durch-nummerierten Listen, auf die ein oder andere Art haben die Scheiben alle ihren Stellenwert für mich und sind mir über das Jahr entsprechend ans Herz gewachsen, insofern: Tusch! – und los geht’s:

Guided By Voices – Motivational Jumpsuit (2014, Fire Records)
Ich behaupte: Keine Band kommt schneller, energischer und melodienreicher auf den Punkt als Guided by Voices. Dank Robert Pollard und seinen Kameraden hat Indie-Rock nach wie vor einen guten Namen.


 
The Brian Jonestown Massacre – Revelation (2014, a Recordings)
Toller Indie-Psychedelic-Pop des kalifornischen Musiker-Kollektivs.


 
Archie Bronson Outfit – Wild Crush (2014, Domino Records)
Prog-Rock funktioniert auch 2014 dank des Londoner Trios.

Protomartyr – Under Color Of Official Right (2014, Hardly Art / Cargo Records)
Treibender Postpunk aus Detroit. Die Konzerte im August wurden leider abgesagt.

Sleaford Mods – Divide And Exit (2014, Harbinger Sound / Cargo Records)
Da hab ich eine Weile gebraucht, bis ich es richtig zu schätzen wusste: Englischer Punkrock mit elektronischen Spielereien, rotzfrech, respektlos und energiegeladen, wie Punkrock eben sein soll.

The Vaselines – V For Vaselines (2014, Rosary Music)
Ramones treffen Shop Assistants – ab geht die Post!

Officer! – Dead Unique (2014, Blackest Ever)
Erinnert an die Zeit, als in der Popmusik kurzfristig alles möglich war: Pere Ubu, Half Japanese, Blurt, Residents, Red Crayola und und und…. Zusammengehalten von einer starken Dub-Klammer.

Bill Callahan – Have Fun With God (2014, 99999 / Rough Trade)
Weil wir gerade beim Dub sind: Bill Callahan hat seine 2013er-Scheibe „Dream River“ mit viel tranceartigem Hall bearbeitet und als Dubversion nochmal auf den Markt gebracht. Super!

Wovenhand – Refractury Obdurate (2014, Glitterhouse)
Keiner beherrscht die großen Southern-Gothic-Dramen besser als der getriebene Wanderprediger David Eugen Edwards. Amen.

Wrekmeister Harmonies – Then It All Came Down (2014, Thrill Jockey)
Ambient-Metal, faszinierend wie bereits im Vorjahr auf „You’ve Always Ment So Much To Me“.

Rhyton – Kykeon (2014, Thrill Jockey)
Die Psychedelic-/Prog- und Post-Rock-Pioniere aus Brooklyn verbinden ihre Endsechziger-Pink-Floyd-Klangteppiche dieses Mal mit Sounds aus Griechenland und dem Mittleren Osten. Gelungen wie immer.

Kerretta – Pirohia (2014, Golden Antenna / Broken Silence)
Instrumentale Aufnahmen der drei Neuseeländer aus dem Grenzbereich Prog- und Post-Rock, zwischen epischen Hymnen und brachialen Gitarrenausbrüchen.

Swans – To Be Kind (2014, Young God / Mute)
Wer dachte, nach dem 2012er Meisterwerk „The Seer“ wäre keine Steigerung mehr möglich, wird hier von Michael Gira und seinen Swans eines Besseren belehrt. Ein Stahlbad in Musik-Form, konzertant noch intensiver.

Einstürzende Neubauten – Lament (2014, Mute Records)
Die Neubauten liefern mit einer Auftragsarbeit über den ersten Weltkrieg das Comeback des Jahres – spannend wie zu besten „1/2-Mensch“-Zeiten.

Thurston Moore – The Best Day (2014, Matador)
Der ex-Sonic-Youth-Mann mit seiner bis dato ausgereiftesten Platte.

thurston

The Marble Man – Haidhausen (2014, Redwinetunes / Rough Trade)
Tolle Progressive-Indie-Rock-/-Pop-Scheibe des Quintetts aus Traunstein. Melodisch, stilsicher, spannend. Muss keine internationalen Vergleiche scheuen, zumal die Jungs auch konzertant eine gute Figur machen.

The Moonband – Atlantis (2014, Rockville Music)
Exzellente Alternative-Country- und Folk-Scheibe der Band aus München, die mit diesen herausragenden Songs auch in Seattle, Brooklyn, Nashville, Athens, London oder sonstwo gegen die international renommierte „Konkurrenz“ bestehen könnten, I am pretty sure!

 
Hanna Fearns – Sentimental Bones (2014, Songs & Whispers / Broken Silence)
Warum in die Ferne schweifen – das Gute liegt so nah! Was für die 2014er-Platte der Moonband gilt, trifft auch uneingeschränkt auf „Sentimental Bones“ der Konstanzer Songwriterin Hanna Fearns zu: formidabler Songwriter-Folk von internationalem Format. Ich freue mich auf das nächste München-Konzert!


 
Bonnie ‚Prince‘ Billy – Singer’s Grave A Sea Of Tongues (2014, Domino)
Seine Beste seit „Ease Down The Road“, und das will was heißen!

bonnie

Mirel Wagner – When The Cellar Children See The Light Of Day (2014, Sub Pop)
Spartanische, wunderschöne Folkscheibe der Ähtiopierin.

Tweedy – Sukierae (2014, dBpm Records)
Wilco-Chef und Sohnemann mit einer wunderbaren Experimental-Folk-Scheibe, die das Warten auf die nächste Wilco-Platte auf’s Angenehmste verkürzt.

Dragging An Ox Through Water – Panic Sentry (2014, Party Damage)
Experimental-LoFi-Folk-Field-Recordings von Brian Mumford aus Oregon. Sehr eigen und sehr hörenswert.

dragging

Angel Olsen – Burn Your Fire For No Witness (2014, Jagjaguwar)
Angel Olsen changiert zwischen flottem Indie-/Folk-Rock und gespenstischem , streckenweise hochdramatischem Alternative Country mit viel Hall – eine abwechslungsreiche, aber stets homogene Scheibe, bei deren wiederholtem Hören ich mich zunehmend gräme, da ich meinen faulen Kadaver im vergangenen Jahr nicht zum Konzert in die Kranhalle geschleppt habe.

angelolsen

Musée Mécanique – From Shores Of Sleep (2014, Glitterhouse)
Wunderschöner Folk in Breitband-Cinemascope aus Portland, Oregon.

Malawi Mouse Boys – Dirt Is Good (2014, Irl / Rough Trade)
Afrikaner-Gospel. So macht Ethno Spass.

Alte Meister:

Marianne Faithfull – Give My Love To London (2014, Naive)
Dieser Stadt gebe ich meine Liebe gerne – und dieser Platte auch. Marianne Faithfull mit dem ihr eigenen Gespür für große Dramen und gesegnet mit einer Stimme, mit der es ihr ein Leichtes ist, diese umzusetzen. Unter Mithilfe von musikalischen Schwergewichten wie Steve Earle, Nick Cave, Anna Calvi, Roger Waters und Leonard Cohen. Großartig und erhaben wie ihre Vorgänger-Alben „Before The Poison“ und „Easy Come, Easy Go“.

m faithfull

Neil Young – Storytone (2014, Reprise)
Immer wieder für ein Überraschung gut, der alte Young ;-)) Nachdenkliche, Balladen-lastige Platte, wie sie nur Neil Young hinkriegt. Spartanisch und auf den Punkt gebracht. Die Deluxe-Ausgabe enthält die Songs auf einer zweiten CD in Orchester-, Chor-, Big-Band-und-sonstige-Grausamkeiten-Gewand. Kann man getrost vergessen, die Einfachausgabe reicht in dem Fall völlig.

Robert Plant And The Sensational Space Shifters – Lullaby And… The Ceaseless Roar (2014, Nonesuch)
Der Zeppelin-Vorturner mit einer seiner besten Soloplatten. Ethno trifft Folk und Blues.

Aus den Archiven:

Wilco – Alpha Mike Foxtrott: Rare Tracks 1994 – 2014 (2014, Nonesuch)
Tolle Outtakes-/Live-/Sonstwas-Sammlung, die das Warten auf die neue Wilco…Ihr wisst schon…

Old & In The Way – Live At The Boarding House (2014, Acoustic Disc)
Zwei komplette Konzerte der Bluegrass-Supergroup um den Grateful-Dead-Gitarristen Jerry Garcia und seinen Spezi David Grisman, aufgenommen im Oktober 1973, hervorragend wie alles, was die beiden Rauschebärte in dieser Richtung unternahmen.

The Grateful Dead – Houston, Texas 11-18-1972 (2014, Rhino)
Ein beseeltes Konzert aus der Live-Hochphase der Band. Inklusive 26-Minuten-Killerversion von „Playing In The Band“.

Grateful Dead - Houston, TX 11-18-1972

Big Star – Live In Memphis (2014, Omnivore)
Live im Oktober 1994 – eine späte Verbeugung vor dem großen Alex Chilton.

The 13th Floor Elevators – Live Evolution Lost (2014, Charly Records)
Das komplette Konzert der Psychedelic-/Garagen-Rock-Pioniere um Roky Erickson im Houston Music Theatre vom 18. Februar 1967. Die Band ist in bestechender Spiellaune, die Setlist der ersten CD besteht aus den Band-Klassikern dieser Zeit, CD 2 dokumentiert eine ausgedehnte Jam-Session der Combo.

Terakaft – The Tapsit Years (2014, Reaktion)
Treibender Tuareg-Blues aus Mali aus den Jahren 2007 – 2011.

Robert Wyatt – Different Every Time – Ex Machina / Benign Dictatorships (2014, Domino Records)
Best-Of- und Seltene-Duette-Sammlung des britischen Progressive-Altmeisters.

Möge das Musikjahr 2015 ein ähnlich gutes werden !

Reingehört (24)

The-Peoples-Record-full1
 
JEFF The Brotherhood – Dig The Classics EP (2014, Warner Brothers)
Neue 70er-Jahre-lastige Hard-/Prog-/Psychedelic-Rock-Scheibe des Duos aus Nashville, Tennessee. Inklusive Pixies-Cover „Gouge Away“ (von der „Doolittle“-Scheibe), das in der Hardrock-Fassung der Brüderschaft wesentlich direkter und zupackender daherkommt als das Original.
(****)

Robert Wyatt – Different Every Time – Ex Machina / Benign Dictatorships (2014, Domino Records)
Karriereumfassende Doppel-CD-Werkschau des Altkommunisten und Prog-Rock-/Canterbury-Sound-Giganten, die erste CD mit einem chronologischen Überblick seiner Werke, ein Soft-Machine-Stück (die monumentale 19-Minuten-Nummer „Moon In June“ von der „Third“-LP), zwei Matching-Mole-Aufnahmen und zehn repräsentative Songs aus seinen Solo-Platten, darunter die Chris-Andrews-Coverversion „Yesterday Man“, „At Last I’m Free“ von „Nothing Can Stop Us“ und die wunderschöne Ballade „Just As You Are“ von der 2007er-Platte „Comicopera“. Vom Magnum Opus „Rock Bottom“ (1974) ist nur das Stück „A Last Straw“ vertreten, was diesem epochalen Progressive-/Avantgarde-Werk natürlich in keinster Weise gerecht wird.
CD 2 enthält rare und unveröffentlichte Kollaborationen und Gastauftritte des Meisters, zusammen mit so unterschiedlichen Musikern und Bands wie Epic Soundtracks, Hot Chip, Working Week und John Cage. Das Duett mit Björk hätte man sich schenken können, aber das ist nur meine subjektive Meinung, mit dem Werk der Isländerin konnte ich noch nie was anfangen.
Alles in allem eine schöne Werkübersicht für Einsteiger sowie eine brauchbare Raritätensammlung für den altgedienten Wyatt-Fan.
(**** ½)