Rocket From The Tombs

Reingehört (369): Pere Ubu

„The new album is The James Gang teaming up with Tangerine Dream. The Chinese Whispers methodology we worked on the last two albums has been replaced by the Dark Room. Put musicians in a lightless room and by feeling one small section of an unknown object have them figure what it must be.“
(David Thomas)

Pere Ubu – 20 Years In A Montana Missile Silo (2017, Cherry Red Records)

Long May You Run: US-Avantgarde-Punk-Urgestein David Thomas ist fast 40 Jahre nach dem Debüt-Meilenstein „The Modern Dance“ unvermindert präsent mit seiner Outsider-Institution Pere Ubu, auf „20 Years In A Montana Missile Silo“ lässt er all das in gebrochenem Licht strahlen, was seit jeher ein gutes Werk der Ausnahme-Band aus Cleveland/Ohio ausmachte: Der stoische Ground-Zero-/Proto-Punk seiner ersten, kurzlebigen und seit 2003 wieder sporadisch aktiven wie allseits für den Punk-Underground eminent wichtig gewerteten Formation Rocket From The Tombs gleich vorneweg als massiv schneidender Brecher und Wegweiser im Album-Opener, der mehr als nur leicht angeschrägte Experimental-Postpunk und treibende Indie-Rock der folgenden Jahre, inklusive verquerer Rhythmik und dem Band-typischen Synthie-Pfeifen, -Knistern und -Funkensprühen, die apokalyptischen Klang-Kollagen, Misstöne und Störgeräusche in dichter, knapper, zupackender wie forcierter Gangart, weirde Tiraden im surrealen Garagen-Punk-Outfit – nur im Sangesvortrag des gewichtigen Vorstehers, da fordert der ein oder andere Schluck zuviel vom Hochprozentigen seinen Tribut von den Stimmbändern, wo früher das charakteristische Quäken und Nölen in den höheren Stimmlagen zu vernehmen war, dominiert heute oft ein dunkles, raues Grollen und zittriges, heiseres Schwadronieren den Lyrik-Teil, die Jahre sind dahingehend alles andere als spurlos an David Thomas vorübergegangen.
Erschreckend gut gehalten über die Zeit hat sich hingegen die Thematik, mit der sich Pere Ubu auch im Jahr 2017 neben anderem auseinandersetzen: Die ersten Singles der Band, der WW2-Atombomben-Song „30 Seconds Over Tokyo“ und die dunkle Endzeit-/Post-Cold-War-Phantasie „Heart Of Darkness“, sind Mitte der Siebziger inhaltlich auf die Bedrohung der nuklearen Zerstörung eingegangen, vier Dekaden später beschäftigen sich Pere Ubu im Schatten von Figuren wie Nordkoreas Nachwuchs-Diktator und dem erratischen Polit-Clown im Oval Office immer noch mit dem Droh-Potenzial der Atomsprengköpfe.
Auch hinsichtlich Klangbild sind Pere Ubu mit „20 Years In A Montana Missile Silo“ weit mehr an den ersten fünf Alben der frühen Jahre bis zum zwischenzeitlichen Band-Splitt angelehnt, aus deren Lineup einzig Vorsteher David Thomas bis heute die Stellung hält.
Für Sammler, Lücken-Schließer und Nachzügler ist im März die Pere-Ubu-LP-Box „Drive, He Said 1994-2002“ bei Fire Records erschienen, neben einer Extra-Outtakes-Scheibe bietet die Sammlung die drei für Ubu-Verhältnisse relativ leicht und schmerzfrei zu konsumierenden, gelungenen Alben „Raygun Suitcase“, „Pennsylvania“ und „St Arkansas“ aus der mittleren Phase der Band, in der partiell mit Scott Krauss und Tom Herman weitere Ur-Mitglieder zugange waren.
Demnächst-Ex-Swans-Slide-Gitarrist Kristof Hahn mischt im Übrigen inzwischen auch mit bei Pere Ubu, braucht auch einen neuen Heimathafen, nachdem die ausgedehnte Abschieds-Welttournee der hochverehrten New Yorker No-Wave-/Noise-Kapelle sich langsam dem Ende zuneigt, seufz.
(*****)

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Reingehört (109)

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The B-52’s – Live! 8-24-79 (2015, Rhino)
Tief in den Archiven gewühlt: Die Band aus Athens/Georgia mit dem unverwechselbaren New-Wave-/60er-Trash-Rock’n’Roll-Mix hat wenige Wochen nach Veröffentlichung ihres bahnbrechenden Debüt-Albums bei Island Records im August 1979 das Vorprogramm für ein Talking-Heads-Konzert im Berklee Center in Boston betritten, neben Hits wie „Rock Lobster“, „52 Girls“ oder „Dance This Mess Around“ vom Erstling fanden sich bereits die Stücke „Private Idaho“, „Running Around“, „Devil In My Car“ und „Strobe Light“ vom erst ein Jahr später erscheinenden Zweitwerk ‚Wild Planet‘ (1980, Island/Warner) auf der Setlist.
Der bizarr-nervöse Science-Fiction-Sound der Combo zeigt in der konzertanten Präsentation erstaunlich wenig Abweichung zu den Studio-Originalen, als Anregung taugt das Live-Dokument allemal, um die gelbe Debüt-Wundertüte mal wieder auf den Plattenteller zu legen.
(****)

Rocket From The Tombs – Black Record (2015, Fire Records)
Die Combo aus Cleveland/Ohio war Mitte der 70er Jahre sowas wie der Ground Zero des amerikanischen Punk-Rock, nach nur einem Jahr löste sich die Band Mitte 1975 auf, Sänger David Thomas und der 1977 im Alter von nur 24 Jahren verstorbene Gitarrist Peter Laughner gründeten im Anschluss die legendäre Experimental-/Post-Punk-Band Pere Ubu, während Cheetah Chrome und Johnny Madansky aka Johnny Blitz bei den Dead Boys die Flamme des Punk weitertrugen.
Seit 2003 ist die Formation in wechselnder Besetzung unter anderem mit dem ex-Television-Gitarristen Richard Lloyd wieder aktiv, in dieser Zeit wurde das historisch verfügbare Material aus den 70ern in ziemlich lausiger Ton-Qualität auf dem Album ‚The Day the Earth Met the Rocket from the Tombs‘ (2002, Glitterhouse/Fire Records) erstmals veröffentlicht, 2004 spielte die Band die Songs in vernünftigen Studio-Versionen neu ein, auf ‚Rocket Redux‘ (Glitterhouse/Smog Veil) finden sich Klassiker wie „Sonic Reducer“, „Muckracker“, „Frustration“ oder die später durch die Versionen von Pere Ubu bekannt gewordenen Stücke „Final Solution“ und „30 Seconds Over Tokyo“.
2011 gab es erstmals neues Material auf ‚Barfly‘ (Fire Records), die Band bot im Frühjahr 2012 im Vorprogramm von Mudhoney auch auf deutschen Bühnen beeindruckende Konzerte.
Auf ‚Black Record‘ geben die beiden neuen Gitarristen Buddy Akita und Gary Siperko ihren Einstand, die Personalmaßnahme tut dem Sound der Band hörbar gut, der auf Neuzeit getrimmte, Stooges-geprägte Garagen-Punk rockt härter und heftiger denn je, über allem schwebt Thomas‘ schneidende Stimme, man vermeint die druckvolle Kraft der frühen Pere-Ubu-Werke wie ‚The Modern Dance‘ oder der ‚Datapanic In The Year Zero EP‘ zu verspüren. Neben neun neuen RFTT-Krachern covert die Combo die Sonics-Nummer „Strychnine“ und bedient sich zum wiederholten Male bei „Sonic Reducer“ aus dem eigenen Fundus.
„Is RFTT alternative? No. It aspired to the mainstream.“
(****)