Ich kam auf das Thema, als ich Solomon Burke interviewte. Wer hätte gedacht, dass diese Soul-Legende jeden Morgen Countrymusik zum Aufstehen hört? Er erzählte mir, dass er Countrymusik liebt, dass Countrymusik schwarze Musik ist. Er hat sogar vor dem Ku Klux Klan gesungen. Weil er eine „weiße“ Stimme hatte, hatten sie ihn in den Südstaaten gebucht. Als er ankam, sagte ihm der Veranstalter: „Oh, das ist jetzt großer Mist. Weißt du was? Wir sagen einfach, du hast einen Verkehrsunfall gehabt, und bandagieren dich von oben bis unten ein.“ Und dann trat der Veranstalter vor das Redneck-Publikum und sagte, er habe eine schlechte Nachricht: Der Sänger hatte einen Unfall, und es gäbe auch eine gute: Er wird trotzdem für uns singen. Ehrlich gesagt, man kann’s nicht glauben, aber ich habe immer wieder Leute getroffen, die sagten: „Doch, das ist wahr, ich war dabei.“
(Jonathan Fischer, in: Christof Meueler mit Franz Dobler, Die Trikont-Story, 2017)
Seele haben beide nicht zu knapp, Country und Soul, insofern stellt der DJ, Künstler, Journalist und Amateurboxer Jonathan Fischer als Herausgeber der beiden Trikont-Sampler „Dirty Laundry – The Soul Of Black Country“ (2004) und „More Dirty Laundry“ (2008) die berechtigte Frage, ob eine Trennung von „schwarzer“ und „weißer“ Musik in den Medien, Charts und Plattenläden überhaupt Sinn macht.
Schwarze Musiker waren bereits seit den ersten Aufnahmen Teil der Country-Musik-Szene, die aus der europäischen Folklore der weißen Einwanderer entstandene Hillbilly-Musik wurde maßgebend vom Blues und Gospel der afroamerikanischen Arbeiter und Sklaven-Nachkommen hinsichtlich Stil, Songmaterial und thematischer Inhalte beeinflusst und nachhaltig geprägt.
In den amerikanischen Südstaaten setzten sich schwarze und weiße Musiker über die gängigen Rassenschranken hinweg, vermischten und entwickelten so gemeinsame Ansätze in der Instrumentierung wie im Interpretieren von Songs des jeweils anderen Genres.
Die Süddeutsche Zeitung brachte es seinerzeit in einer Besprechung zu den Fischer-Sammlungen des Münchner Indie-Labels treffend auf den Punkt: „Erst als clevere Musiker wie Jimmie Rogers, Bill Monroe und Hank Williams mit schwarzen Kollegen Stile und Songs austauschten, wurden aus den Hinterwäldlersongs echte Hits. Die schaurigschönen vertonten Geschichten über Verlierer, Trinker und Habenichtse plärrten aus den Radiolautsprechern und Grammophontrichtern – und alle, die mit den Härten des Lebens kämpften, sangen mit, natürlich auch Afroamerikaner“.
Jonathan Fischer legt in den von ihm kompilierten Samplern neben den offensichtlichen Wurzeln des Soul im Gospel und Blues auch die weniger augenscheinlichen im Country und Bluegrass offen und dokumentiert im beigelegten Text die Fallstricke, die den schwarzen Musikern von der weißen Country-Industrie ausgelegt wurden.
Zum Einstieg der Opener zu „Dirty Laundry“ von der ehemaligen Southern-Soul-Sängerin und heutigen Pastorin Ella Washington, die Jonathan Fischer bereits auf seinem wunderbaren „Down & Out“-Sampler vorstellte, hier mit ihrem 1969er-Hit „He Called Me Baby“, einer Nummer aus der Feder von Songwriter Harlan Howard, die auch Country-Stars wie Patsy Kline und Charlie Rich aufnahmen.
Bobby Womack, der im übrigen auch das Cover des ersten Trikont-Soul/Country-Samplers mit Stetson, cooler Sonnenbrille und Pfeife ziert, hat sich 1976 eingehend mit der Country-Musik auseinandergesetzt. Sein Album „BW Goes C&W“ wurde von der Kritik schwer verrissen und floppte kommerziell auf ganzer Linie, darüber hinaus zerbrach seine Geschäftsbeziehung zum Label United Artists aufgrund der schlechten Verkaufszahlen, der Ritt auf dem weißen Pferd endete für den renommierten Soul-Songwriter und Produzenten als desaströses Rodeo. Trotzdem finden sich auf dem Album etliche Perlen, das auf der ersten Trikont-Sammlung enthaltene „Bouquet Of Roses“ etwa oder die hier vorgestellte Sam-Cooke-Komposition „Tired Of Living In The Country“:
Der aus Ferguson/Missouri stammende Soul-Sänger Brian Owens bringt das Thema mit der aktuellen Eigenkomposition „Soul In My Country“ auf den Punkt, ansonsten widmet er sich auf seinem im Oktober erschienenen neuen Album ausschließlich einigen der Greatest Hits der Country-Ikone Johnny Cash, auf „Soul Of Cash“ mag nicht jede Interpretation gleichermaßen überzeugen, bei nahezu totgespielten und obligatorischen Titeln wie „Ring Of Fire“ oder „I Walk The Line“ springt der Funke im Black-Music-Gewand nicht recht über, Etliches plätschert allzu beliebig im gefälligen Mainstream, bei einer Handvoll Titel ist der Weg zum völlig belanglosen Soft Soul nicht mehr weit, es finden sich aber auch mindestens zwei rühmliche Ausnahmen auf dem Tonträger, die Moritat über einen unschuldigen Mörder in „Long Black Veil“ und vor allem die zusammen mit dem Nashville-Musiker Austin Grimm Smith eingesungene Kris-Kristofferson-Komposition „Sunday Morning Coming Down“ klingen, als hätten sie schon lange nach einer Soul-Version in dieser Form verlangt.
Der Americana-Songwriter, Produzent und Musiker Buddy Miller hat sich 2006 um den schwergewichtigen R&B-/Blues- und Soul-Prediger Solomon Burke angenommen und mit ihm das Country-Album „Nashville“ eingespielt. Burke hatte erst einige Jahre zuvor ein Comeback mit dem erfolgreichen und hochgelobten 2002er-Coverversionen-Album „Don’t Give Up On Me“, für das er seinen ersten Grammy erntete. Die Soul-Legende hat sich bereits in früheren Jahren mit Country-Musik beschäftigt, auf „Nashville“ interpretiert er mehrheitlich wieder Fremdmaterial aus der Feder von Größen wie Bruce Springsteen, Dolly Parton, Patty Griffin oder Jim Lauderdale, mit der Nashville-Songwriterin Gillian Welch nahm er deren Nummer „Valley Of Tears“ für das Album auf, hier eine Live-Version der Ballade, zusammen mit dem Welch-Weggefährten David Rawlings:
Andersrum geht es auch, darum zum Schluss etwas Country-Weißbrot vom bereits eingangs erwähnten Alt-Crooner Charlie Rich mit einer Einspielung der weit über 100 Jahre alten, weltbekannten Gospel-/Spiritual-Nummer „Down By The Riverside“. Black-Friday-Contributor Stefan vom Freiraum-Blog verabschiedet sich an der Stelle immer mit seinem „Peace and Soul“-Gruß, analog hierzu heute ein passendes „Study War no more“…