Sascha Henkel

Sascha Henkel @ Galerie arToxin, München, 2019-03-29

Ende März 2018 wusste er mit seinem Solo-Konzert wie in der folgenden Trio-Premiere zusammen mit den Münchner Musikern Udo Schindler und Johannes Öllinger im Zwischennutzungs-Projekt Köşk nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, ein Jahr später gab sich Sascha Henkel erneut die Ehre im Umfeld der darstellenden Künste: der Ausnahmegitarrist vom Bodensee begeisterte am vergangenen Freitagabend eine illustere Runde in der Haidhausener Galerie arToxin mit seiner exzeptionellen Improvisations-Werken.
Sperrige Strukturen bestimmten eingangs Henkels Spiel auf der elektrischen Gitarre. Die halbstündige, spontan entstandene Komposition eröffnete mit schroffen, metallen klirrenden Saiten-Tönen, die Raum zum Nachhallen ließen, gleichsam dem Publikum in den kurzen Momenten der Stille Gelegenheit zum Einfinden in diesen experimentellen Klangkosmos gaben. Mit Fortdauer der freien Stegreif-Klangmalerei auf der selbst gebauten Gitarre erwies sich der akademisch ausgebildete Musiker zunehmend mehr als exzellenter Filigran-Techniker. Wo das Intro von einzelnen Tönen im Tempo nahe am Stillstand bestimmt war, spielte sich Henkel zum Ende hin in einen Speed-Rausch, in dem er seine virtuose Meisterschaft an den Saiten eindrücklich demonstrierte, stilistisch vielschichtig und kaum zu begreifen. Ob das nun Jazz-Rock in völlig losgelöster Form, Avantgarde-Klassik, Noise-/Math-Rock, No Wave auf einem höheren Level oder nichts von alledem war, letztlich einerlei, neben dem unbeschreiblichen Können des Musikers und seinem Forschungsdrang ist seine völlige Verweigerung hinsichtlich möglicher Kategorisierungen und Pressen in bekannte Schablonen ein weiteres herausragendes Charakteristikum seiner großartigen Spontan-Kunst.
Dieses Experiment bedient sich bei Henkel im ausgereiften DIY-Ethos bei unterschiedlichsten Klang-Gebern, neben selbstgebauten Resonanzkörpern aus analogen Telefonen oder verdrahteten Blechkästen, Megaphonen, Pedals, Loop-, Effekte- und Synthie-Gerätschaften aus allen möglichen Dekaden des technisierten Zeitalters setzt der Klangforscher selbst ein unscheinbares Requisit wie einen Speiseeis-Stiel effektiv in Szene: er klemmt das schmale Holzstück hinter die Gitarren-Saiten und manipuliert damit die Stimmung des Instruments. Später im Electronica-Part des Konzerts sollte das Utensil einen weiteren Auftritt als Störfaktor in einer gespannten Stahlfeder haben. Wo der Gitarren-Part noch Spurenelemente vertrauter Tondichtungs-Muster und eine Handvoll griffige Soli aus artverwandten Jazz/Rock-Kompositionen (oder verfremdetem Flamenco?) anklingen ließ, gestaltete Sascha Henkel seine zweite längere Improvisation in völliger Abstraktion jeglicher gängiger Soundstrukturen. Ohne die Gitarre, mit seinem imposanten Sammelsurium an zusammengetragenen Gerätschaften suchte Henkel Resonanzräume und erzeugte sequenzielles Electronica-Lärmen. Synthetischer Ambient, oszillierende Feedbacks und Industrial-verwandte Maschinen-Drones fluteten aus der Quelle des selbst zusammengeschraubten und mittels Verkabelung und Schwingungen in ungeahnte Allianzen gebrachten Instrumentariums. In völliger Reduktion referenzierte die Elektronik-Mutation zum seriellen Minimalismus ausgedehnter Kraut- und Space-Trips, der hier jeglichen Wohlklang hintanstellte und permanent zum Atonalen drängte.
Auf das Eingängige mag sich Sascha Henkel mit seinen individuellen Entwürfen nicht einlassen, seine Musik verlangt vom Publikum Aufmerksamkeit und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Gehörten. Dabei ist seine Tonal-Kunst keineswegs eine rein verkopft-akademische Angelegenheit, bei neugierigem Geist und offenen Ohren vermag sich körperliche Anspannung zu lösen und in Zustände angenehmster Zufriedenheit zu versetzen, somit entfaltet die Musik ihre erbauende Wirkung auf völlig unkonventionelle Art – berieselnde Begleitmusik, den Sound zum wohlgefälligen Mitgrooven und Easy Listening muss die Hörerschaft nichtsdestotrotz woanders suchen.
Henkels Musik ist nicht selten einfach aufgebaut, noch in den erratischsten, spontansten Ausbrüchen bleiben Pausen und Raum zum Erfassen der künstlerischen Intention. So ist selbst das Lärmende in diesen permanent weiterentwickelten Experimental-Klangforschungen kaum verstörend, weit mehr bereichernd und Horizont-erweiternd.
Sascha Henkel ist ein Musiker, der mit sich reden lässt: eingangs vom Begehr des Publikums nach mehr wenig angetan, gewährte der Musiker abschließend eine weitere Demonstration seines Könnens an der Gitarre als Zugabe und schloss damit den Kreis mit einer kürzeren Nummer, die experimentelles, atonales und abgehacktes Noise-Lichtern eingangs austeste, im weiteren Flow weitaus eindeutiger in vertrautere Spielarten der freien Jazz-Gitarren-Improvisation driftete und damit final eine vertraute und in dem Kontext fast eingängige Ahnung von Swing und Blues durch den Raum schweben ließ.
Jedes Konzert von Sascha Henkel ist ein singuläres Ereignis, keine Aufführung gleicht der anderen, die live improvisierten Stücke nehmen in der folgenden Präsentation eine andere, unvorhersehbare Wendung. Somit darf man bereits jetzt gespannt sein auf weitere experimentelle Forschungsreisen, die den Ausnahmemusiker hoffentlich beizeiten wieder in München anlanden lassen.

Sascha Henkel, Udo Schindler & Johannes Öllinger @ Köşk, München, 2018-03-21

„Das sind Gefühle, wo man schwer beschreiben kann“ hat der kickende Buddha-Statuen-Aufsteller Jürgen Klinsmann 1996 nach dem EM-Gewinn in ein Reporter-Mikro geschwäbelt, hinsichtlich Musik-Beschreibung wäre der „Klinsi“ zu den improvisierten Klangentwürfen am vergangenen Mittwoch im Münchner Köşk vermutlich auch keinen Deut sprachfähiger gewesen.
„Drei internationale Klangabenteurer der Extraklasse loten die Verbindung von Elektronik und akustischen Klangerzeugern aus“, so war es auf der Homepage des Zwischennutzungs-Raums für Kunst- und Kulturprojekte im Münchner Westend zur Vorankündigung der innovativen Experimental-Veranstaltung zu lesen, damit hatte man in etwa eine ungefähre Vorstellung der dargebotenen Aufführungen, die da auf die offenen Ohren und forschenden Geister im Auditorium zukommen sollten.
Nach kurzen, einführenden Worten vom Münchner Organisator des Abends Udo Schindler eröffnete der am Bodensee ansässige Gitarrist Sascha Henkel solistisch mit zwei Instrumental-Improvisationen auf seinen selbst gebauten Gitarren. Henkel, der neben seinen eigenen Arbeiten und Auftritten auch bei Formationen wie Mermaids, Options/8 und Mock Grandeur als Komponist und Musiker involviert ist, erging sich vom Start weg unvermittelt in schroffem Saitenanschlag und abgehackten Riffs in einer faszinierenden wie fordernden Spontankomposition, die sich wie die weiteren, folgenden Avantgarde-Klänge jeglicher Kategorisierung verweigerten, Referenzen zum New Yorker No Wave mögen erlaubt sein, wie an artifiziellen, abstrahierten Blues oder sich frei entfaltenden, losgelösten Gitarren-Jazz-Flow, an den die intensive Saitenkunst des Gitarristen im weiteren Verlauf erinnerte, nachdem Henkel unterstrich, dass er auch in ruhigeren, wenn auch kaum weniger spannungsgeladenen Fahrwassern seine Ideen zur Entfaltung bringen kann.
Neben der exzellenten Arbeit an der Gitarre in einer Bandbreite von filigraner Miniatur bis hin zu brachialer Breitband-Noise-Attacke – und allen möglichen Ausprägungen dazwischen inklusive partieller Auflösen der Saiten-Stimmung während des Spiels – setzt der akademisch ausgebildete Musiker eine Vielzahl von Reglern, Loop-, Effekt-Geräten und Pedalen bis hin zu Blechkästen und einer am Flohmarkt erstandenen alten Zither als Resonanzkörper ein, und so mochte es nicht weiter verwundern, dass der zweite Solo-Klangrausch virtuos mit einem Stakkato-artigen, kaum Struktur erkennen lassenden Punk-Swing startete, der Assoziationen an nervöses Aufprallen von heftigen Regentropfen weckte, und nach etlichen Windungen zwischen angespanntem Ambient und latent verstörendem Postcore (um irgendwelche Hausnummern als Anhaltspunkte zu nennen) in einem Fade-Out aus Space-Electronica mündete, zu dem Henkel die entsprechenden Soundeffekte durch beherztes Drehen an den Reglern seiner Verzerrer-Geräte erzeugte.
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Nach kurzer Pause reihte sich Sascha Henkel ein in eine in der Form erstmals zusammen auftretende Trio-Formation, zu der sich der renommierte Architekt und seit Jahrzehnten umtriebige und international bekannte Improvisationsmusiker und Moderator der Veranstaltung Udo Schindler und der Münchner Gitarrist Johannes Öllinger gesellten, beides wie Henkel akademisch ausgebildete Musiker, Schindler vornehmlich im Avantgarde-Jazz und in Ad-hoc-Klangperformances beheimatet, Öllinger in einem weiten Spektrum von Alter, Kammer-, Volks-, moderner und experimenteller Musik in diversen Formationen, Ensembles und Orchestern zugange – da trafen Welten aufeinander, entsprechend vehement fiel die raumgreifende musikalische Wucht dieses profunden Gipfeltreffens der drei Klang-Pioniere aus.
Zentral positioniert setzte Udo Schindler Widerpart zum Spiel der Gitarren mit seinen unkonventionellen Saxophon- und Tuba-Exzessen, eine an Heroen des Free-Jazz wie Roscoe Mitchell, Ornette Coleman oder Albert Ayler erinnernde, völlig von jeglichen Grenzen und formalen Beschränkungen losgelöste wilde Bläserkunst, die atonale Töne statt Melodiebögen, erratisches Lärmen statt komponierte Strukturen einsetzte und mit Laut/Leise-Intervallen die Intensität variierte. Mit Kategorisierungen wie Free- oder Avantgarde-Jazz wäre die Beschreibung der improvisierten Klangentwürfe jedoch bei Weitem zu kurz gegriffen, dafür sorgte Schindler selbst mit artikulierten Lauten und dem Spiel mit Sprachfetzen neben seinem Holz- und Blechbläser-Vortrag, und dafür zeigten vor allem die beiden flankierenden Gitarristen ein zu großes Spektrum an Können, Ideen und spontaner Umsetzung in ihrem letztendlich Genre-freien Musizieren, wobei Sascha Henkel der weitaus lärmendere Part mittels Saiten-Instrument-Traktieren und Drehen an den Reglern zukam, während Johannes Öllinger mit ausgeprägt filigranem Spiel faszinierte, das gleichwohl das Experiment nicht zu kurz kommen ließ, etwa mittels Kratzen und Trommeln an der Gitarrenhals-Bespannung oder Schaben über die Saiten mit einem Topfreiniger, ein isoliert betrachtet diffuses, unterschwelliges, dezentes Psychedelic-Lichtern, das Kontrapunkt setzte zur Kakophonie der rabaukenden Mitreisenden dieser Forschungsreise zur Auslotung der klanglichen Möglichkeiten.
Ein anregender und ergiebiger, in seinen Extremen bereichernder Konzert-Abend für alle, die sich herauswagten aus der Komfortzone der eingefahrenen Hörgewohnheiten und gewillt waren, die ausgetretenen Pfade der gängigen Rhythmen, gefälligen Melodien und altbekannten Harmonien weitestmöglich hinter sich zu lassen – ein Abend mit Musik, welcher kaum eine Beschreibung gerecht wird, mit Tönen, die mit allen Sinnen selbst erfahren und ergründet werden wollen.
(**** ½ – *****)

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