Schriftsteller

Eine Kerze für Umberto Eco

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„Um es mit Chesterton zu sagen: Wenn die Menschen aufhören, an Gott zu glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche.“
(Umberto Eco im Gespräch mit Giovanni Di Lorenzo, Die Zeit, 24. September 2015)

Der Medienwissenschaftler, Philosoph, Semiotiker und weltbekannte italienische Schriftsteller Umberto Eco ist gestern in Mailand im Alter von 84 Jahren gestorben. Mit ihm verliert Europa einen seiner größten zeitgenössischen Schriftsteller und Intellektuellen.
Seinen ersten Roman, „Der Name der Rose“ (1980), verfasste er, weil er „Lust dazu hatte. Ich halte das für einen hinreichenden Grund.“ Mit dem weltweit erfolgreichen Buch schrieb er ein Universalkunstwerk, wie es in der Literatur oder in anderen Kunstformen nur alle heiligen Zeiten gelingt. Auf literarisch höchstem Niveau vereinte er die vermeintliche Trivialität des Kriminal- und des klassischen Schauer-Romans mit historischer Dokumentation und philosophischen Fragen der Moral, der Aufklärung, der katholischen Dogmen des Mittelalters und der Häresie.
Die Pariser Tageszeitung Le Monde listete „Der Name der Rose“ unter den 100 besten Büchern des 20. Jahrhunderts. 1986 wurde das Werk von Jean-Jacques Annaud mit Sean Connery verfilmt, auch wenn der Film in vielen Belangen weit hinter dem Niveau der literarischen Vorlage blieb, enthielt er doch die letzte Filmrolle des großen österreichischen Schauspielers, Kabarettisten und Rezitators Helmut Qualtinger.
Die folgenden Roman-Werke Ecos waren größtenteils nicht minder gewichtig, der geneigten Leserschaft empfohlen seien vor allem „Das Foucaultsche Pendel“ (1988) mit den thematischen Zutaten Okkultismus, Esoterik, Weltverschwörung und „Der Friedhof in Prag“ (2010), in dem er sich erneut mit Verschwörungstheorien und dem gefälschten, antisemitischen Pamphlet der „Protokolle der Weisen von Zion“ auseinandersetzt.
Als Kolumnist, Autor und politisch engagierter Intellektueller war Eco ein vehementer Gegner und scharfer Kritiker des populistischen und korrupten italienischen Ministerpräsidenten und Unternehmers Silvio Berlusconi.

Das letzte große ‚Zeit‘-Interview vom September 2015: „Italien ist immer ein rechtes Land gewesen.“

Lesenswerter Nachruf von Gerhard Mersmann auf Form7: Umberto Eco.

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Eine Kerze für Henning Mankell

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Der schwedische Schriftsteller und Theater-Regisseur Henning Mankell ist heute in Göteborg im Alter von 67 Jahren seinem langjährigen Krebsleiden erlegen.
Neben seinen herausragenden Kriminal-Romanen ist Henning Mankell durch seine gesellschaftskritischen, durch lange Aufenthalte in Afrika beeinflussten Arbeiten bekannt geworden. In Maputo, Mosambik, baute er ab Mitte der achtziger Jahre eine Theatergruppe auf und leitete später das Teatro Avenida.
Politisch engagierte sich Mankell unter anderem für die Autonomie der Palästinenser und gegen das Apartheid-Regime in Südafrika.
Einem breiteren Publikum dürfte er vor allem durch seine Krimi-Serie um den südschwedischen Kommissar Kurt Wallander vertraut sein, die sozialkritische, literarisch anspruchsvolle, thematisch breit gefächerte und eminent spannende Reihe ist für meine Begriffe neben dem LA-Quartett von James Ellroy, der Yorkshire-Ripper-/Red-Riding-Tetralogie von David Peace, der Romane von Jerome Charyn um den jüdischen Cop Isaac Sidel und den John-Rebus-Krimis des Schotten Ian Rankin mit das Ambitionierteste an Serie, was in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Kriminal-Literatur publiziert wurde.
Mit einem Kloß im Hals bleibt mir festzustellen: Nicht nur die Krimi-Szene verliert mit Henning Mankell einen großen Humanisten und Schriftsteller.

Foto (c) Dr. Jost Hindersmann / Wikipedia

Eine Kerze für Ellis Kaut

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Die 1920 in Stuttgart geborene Kinderbuchautorin Ellis Kaut ist am vergangenen Donnerstag im Alter von 94 Jahren nach langer Krankheit in einem Pflegeheim in Fürstenfeldbruck gestorben. Seit ihrem zweiten Lebensjahr lebte Ellis Kaut in München, 1962 hat sie mit dem Kobold Pumuckl eine beliebte Kinderhörspiel-Figur ins Leben gerufen, später folgten Bücher, Kino-Verfilmungen und eine erfolgreiche Fernsehserie über den rothaarigen Nachfahren der Klabautermänner, der in der Münchner Schreinerei des Meister Eder sein Unwesen trieb.
Damit wiederholte die vielfach ausgezeichnete Autorin das Kunststück, dass zuvor bereits ihrer schwedischen Kollegin Astrid Lindgren in deren skandinavischer Heimat mittels der literarischen Prä-Punk-Figur Pippi Langstrumpf gelang: Sie hat mit dem freigeistigen Fabelwesen die Anarchie in deutsche Kinderstuben getragen.

Foto: Pumucklbrunnen Luitpoldpark München / (c) Oliver Raupach / Wikipedia

Eine Kerze für E. L. Doctorow

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Hätte ich nicht vor ein paar Tagen die Besprechung seines letzten Romans „In Andrews Kopf“ (2015, Kiepenheuer & Witsch) in der Wochenpresse gelesen, die Nachricht wäre an mir vorbeigegangen: Bereits am 21. Juli 2015 ist der US-amerikanische Schriftsteller Edgar Lawrence „E. L.“ Doctorow in seiner Geburtsstadt New York City im Alter von 84 Jahren gestorben. Wäre er kein derart starker Raucher gewesen, hätte er längst das 100. Lebensjahr erreicht, wie es über die den Rauchwaren stark Zugeneigten gemeinhin im Volksmund heißt.

Doctorow war einer der profiliertesten amerikanischen Autoren der zeitgenössischen Literatur. Aufgewachsen ist er als Sohn russisch-jüdischer Emigranten in der New Yorker Bronx. Nach seinem Studium unterrichtete er an diversen amerikanischen Universitäten, seit 1982 hatte er an der New York University den Lehrstuhl für englische und amerikanische Literatur inne.
Sein Werk wurde mit diversen wichtigen Auszeichnungen geehrt, unter anderem zweimal mit dem renommierten PEN/Faulkner Award.

Zu seinen Hauptwerken zählt der Roman „Ragtime“ aus dem Jahr 1975, einem der wichtigsten amerikanischen Romane des 20. Jahrhunderts, der die Rassenproblematik der USA in den Jahren 1900 bis 1917 thematisiert. Obwohl im Roman jegliche wörtliche Rede fehlt, ist das Buch hinsichtlich Spannungbogen außerordentlich gelungen und flüssig zu lesen.
Der Roman wurde 1981 von Miloš Forman höchst ansprechend mit James Cagney in der Hauptrolle verfilmt, den Soundtrack steuerte seinerzeit der großartige Randy Newman bei.

Ein weiteres Werk Doctorows möchte ich dem geneigten Leser in dem Zusammenhang ans Herz legen, mit dem Roman „Homer & Langley“ gelang ihm 2009 ein wunderbares Außenseiter-Portrait mit der Geschichte über ein über die Maßen verschrobenes Geschwister-Paar, dessen Biografie eng an die historisch verbürgten Gebrüder Collyer gleichen Namens angelehnt ist, die – wie im Roman – zwar nicht an der Ostseite des Central Park an der Fifth Avenue, vielmehr, die Straße hoch, etwas nördlicher in Manhattan gelegen in Harlem residierten, ansonsten aber tatsächlich über viele Jahrzehnte das im Roman beschriebene Sonderling-Verhalten hinsichtlich gesellschaftlicher Verweigerung, Messie-artiger Anhäufung von Gegenständen und zwangsneurotischer Abschottung von der Realität praktizierten.
Doctorow hat dem bizarren Brüder-Paar, das im März 1947 im völlig vermüllten Stadthaus verhungerte beziehungsweise durch eine eigenkonstruierte Falle getötet wurde, mit dieser unterhaltsamen und gleichwohl literarisch ansprechenden Novelle ein würdiges Denkmal gesetzt.

Eine Kerze für Harry Rowohlt

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Der Hamburger Schriftsteller, Kolumnist, Übersetzer, Rezitator und Schauspieler Harry Rowohlt ist gestern im Alter von 70 Jahren in seiner Heimatstadt Hamburg nach längerer, schwerer Krankheit gestorben. Das hanseatische Multitalent, Spross der Verlegerfamilie Rowohlt, war neben seiner langjährigen Nebenrolle als Obdachloser Harry in der wöchentlichen ARD-Fernsehsoap „Lindenstraße“ vor allem als kongenialer Übersetzter gewichtiger englischsprachiger – und hier im speziellen irischer – Autoren bekannt. Neben Arbeiten der irischen Kult-Autoren Flann O’Brien, Ken Bruen (die hochgeschätzte Jack-Taylor-Krimireihe!) und Frank McCourt („Die Asche meiner Mutter“) übersetzte Rowohlt unter anderem Arbeiten von Leonard Cohen, Robert Crumb, Philip Ardagh, Anthony Burgess, William Kotzwinkle, David Sedaris und Kurt Vonnegut.
Zu seinen wichtigsten Übertragungen ins Deutsche zählen „Puh der Bär“ von A. A. Milne sowie „In-Schwimmen-zwei-Vögel“ vom genialen irischen Suffkopf Flann O’Brien, welches kein Geringerer als Graham Greene in einer Linie mit „Ulysses“ sah und von dem Rowohlt selbst sagte, dass James Joyce „so geschrieben hätte, wäre er nicht bescheuert gewesen.“
Geglänzt hat Harry Rowohlt zudem lange Jahre in der Wochenzeitung „Die Zeit“ als Schreiber der exzellenten, extrem witzigen Kolumne „Pooh’s Corner“ und als kongenialer, über die Maßen humoriger Rezitator seiner Übersetzungen.
Ich habe Harry Rowohlt vor allem die Entdeckung des bereits erwähnten, genialen Flann O’Brien zu verdanken, ein ellenlanger Artikel Rowohlts über den irischen Autor vor Jahrzehnten in der „Zeit“ konnte nur zu exzessiver Lektüre des Gesamtwerks des Mannes aus Strabane, County Tyrone, Nordirland, führen. Alleine dafür meine immerwährende Verehrung, und darauf ein frisches Guinness – Slainte! Rest In Peace, alter Brummbär.