Serge Gainsbourg

Reingehört (423): The Dead Brothers

„Seid dankbar für die Musik, Prinz, die meisten von uns sterben in Stille.“
(Peter Greenaway)

„Im besten Fall ist eine Beerdigung balkanisch: hysterisch saufen, weinen und lachen.“
(Fritz Ostermayer)

„Wer Angst hat, verliert.“
(Werner Lorant)

The Dead Brothers – Angst (2018, Voodoo Rhythm Records)

Ja verreck, die Dead Brothers haben was Neues am Start. Muss selbstredend mindestens achtmal das Wort „morbide“ im Text einer halbwegs vernünftigen Würdigung des Werks vorkommen, sonst ist sie quasi von vornherein zum Scheitern verurteilt, die Besprechung des tonalen Leichenzugs.
Auf „Angst“ glänzen die in Genf ansässigen Musikanten, Film- und Theater-Beschaller um den Schauspieler und M.A.Littler/Slowboat-Filmstar Alain Croubalian einmal mehr als Begräbniskapelle mit 13 neuen Moritaten – und sei es nur zur Beerdigung der eigenen Ängste – in einem grau-dunklen Panoptikum aus gedämpfter Balkan-Folklore, gespenstischem Desert-Blues, der in seiner staubtrockenen Spielart die abgenagten Gerippe verdursteter Rindviecher im heißen Wüstensand vor dem inneren Auge vorbeiziehen lässt und in seinen ergreifendsten Ausprägungen selbst jeder Cave-/Bad-Seeds-Scheibe gut zu Gesicht stehen würde, schepperndem Calypso/Rumba-Gepolter, das trotz der bierernsten Thematik durchaus das Tanzbein zum Mitschwingen animiert, Chanson-Balladen aus den Tiefen der trostlosesten Kaschemmen und Absturz-Kneipen, Anklängen an polternde New-Orleans-Funeralband-Märsche, okkultem Voodoo-Trash und saumseliger alpenländische Volksmusik-Melancholie, darunter unter anderem die Fremdkomposition „Les Papillons Noirs“ vom längst verstorbenen Franzmann-Bruder und Seelenverwandten Serge Gainsbourg, die eigenen klanglichen Schauergeschichten nebst selbst verfasster Dichtungen mit Texten vom Schweizer Schriftsteller Robert Walser und vom großen Filmmacher und aufrechten Kämpfer wider den cineastischen Volksverblödungs-Mainstream Marcus Aurelius Littler bereichert, letztgenannter führte auch Regie beim Video zum Song „Everything’s Dead“, guckst Du unten.
Zum Sterben schöne Songs als Soundtrack für den sprichwörtlich letzten Gang, stilgerecht in Szene gesetzt und mittels passendem schwarzen Anzug aufgezäumt durch wohlfeile wie würdevolle Banjo-, Tuba-, Stahlsaiten-Gitarren- und Violinen-Orchestrierung und für die Himmelfahrt und das Jüngste Gericht in Szene gesetzt durch ergreifende Getragenheit aus der singenden Säge, dem Harmonium und der Marching Drum. Da zu jeder Tages- und Nachtzeit auf der ganzen Welt weggestorben wird, kommen die Gesangseinlagen zum Requiem kosmopolitisch auf Englisch, Französisch und (Schweizer-)Deutsch, insofern: für jede Trauerhilfe was dabei.
Das mit dem mehrfachen Einflechten des Adjektivs „morbide“ hat jetzt nicht hingehauen, irgendwie, wie halt so vieles im Leben. Egal, wäre nicht die erste Endabrechnung, die nicht aufgeht. Beerdigen wir das Thema an der Stelle. Klappe zu, Affe tot.
Und nicht vergessen: „Death Is Not The End“, wie einst der fragwürdigste, wenn auch nicht morbideste (einer geht noch, haha) aller Literatur-Nobelpreisträger einst so tröstlich formulierte…
(*****)

Am 15. März ist für München die Night Of The Living Dead angezeigt, die Brüder werden ein konzertantes Gastspiel im Import/Export geben, Dachauer Straße 114, präsentiert vom Clubzwei, Leichenschmaus ab schätzungsweise 20.00 Uhr.

Weitere Konzert-Termine der Dead Brothers:

16.02.2018Luzern – Schüür
17.02.2018Zürich – El Lokal
08.03.2018Lausanne – Zelig
09.03.2018Biel – Le Singe
10.03.2018Thun – Mokka
16.03.2018Stuttgart – Goldmarks
19.03.2018Münster – LWL Museum
20.03.2018Frankfurt – Zoom
21.03.2018Köln – Museum
22.03.2018 – Haarlem – Patronaat
23.03.2018Middelburg – De Spot
24.03.2018Utrecht – DB’s
29.03.2018Schaffhausen – Taptab
31.03.2018Winterthur – Gaswerk
01.04.2018Wädenswil – Theater Ticino / Pâqu’son Festival
06.04.2018St.Gallen – Grabenhalle

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Reingehört (273): Sleater-Kinney, Mick Harvey

KULTURFORUM Grab Serge Gainsbourg Cimetière Montparnasse Paris (2)

Mick Harvey – Intoxicated Women (2017, Mute)

1995 hat der langjährige Nick-Cave- und PJ-Harvey-Weggefährte mit „Intoxicated Man“ erstmals der Songschreiber-Kunst des Franzosen Serge Gainsbourg Tribut gezollt, 1997 fand die Obsession mit „Pink Elephants“ ihre Fortsetzung, im vergangenen Jahr folgte Teil 3 mit „Delirium Tremens“, in der 2017er-Ausgabe vergiftet Mick Harvey die Frauen und bringt mit „Intoxicated Women“ eine Sammlung an Liedgut, die der Pariser Chansonnier für Vertreterinnen des schönen Geschlechts wie Juliette Greco, Brigitte Bardot oder Jane Birkin komponierte, folgerichtig illuster ist die Ansammlung an Sängerinnen, die dem australischen Multiinstrumentalisten als Duett-Partnerinnen auf dem neuen Album zur Hand gehen.
Der unvermeidliche Kopulations-Soundtrack „Je T’aime…Moi Non Plus“ kommt als „Ich Liebe Dich…Ich Dich Auch Nicht“ in deutscher Version zum Einstieg, die Berliner Glitterhouse-Chanteuse Andrea Schroeder gibt mit ihrem beigesteuerten Gestöhne die Rolle der Porno-Synchronisations-Queen, ist man mit dieser unsäglichen, totgerittenen Peep-Show-Nummer durch, geht’s auf dem Longplayer um einiges anspruchsvoller über die weitere Distanz, Harvey und seine Duett-Begleiterinnen wie Channthy Kak vom Cambodian Space Project, Xanthe Waite von der australischen Band Terry und die Jazz-Musikerin Sophia Brous betten das Potpourri aus fröhlichem Songwriter-Pop, bedeutungsschwangerem Bar-Blues und verraucht-verruchten Chansons in verschwurbelt-angestaubte Plüsch-Kitsch- und Sixties-Atmosphäre mit viel Congas, Georgel und Gitarren-Hall, stimmlich hätte den männlichen Gesangspart ein Nick Cave in vielen Passagen selbstredend weitaus voluminös-morbider bedient, ansonsten gibt es nicht viel auszusetzen an der Sammlung, außer dass mit Gainsbourg-Aufwasch Nummer Vier mit Verneigung vor dem französischen Schwerenöter jetzt langsam auch mal gut ist…
(**** – **** ½)

Sleater-Kinney – Live In Paris (2017, Sub Pop)

Die Ladies Tucker, Brownstein und Weiss outen sich nicht gerade als variantenreiche Kreativbolzen auf ihrem ersten Live-Album, auf dem im März 2015 konzertant in der Franzosen-Metropole mitgeschnittenen Werk der drei Riot Grrrls dominiert die Monotonie des limitierten Gitarrenspiels und des permanent im gleichen Tempo nach vorne polternden Beats, „I Wanna Be Your Joey Ramone“ als Ansage vom „Call The Doctor“-Album mag zwar als nettes Namedropping durchgehen, zieht aber hinsichtlich musikalischer Referenz an die großen New Yorker Brüder in dem Fall null, Joey und die Seinen hatten mit einer schnellen, harten Punk- und einer entspannteren Pop-Nummer wenigstens zwei Varianten des Rotzlöffel-Geschrammels im Musterkatalog, Sleater-Kinney kriegen selbst diese überschaubare Vielfalt in ihren dreizehn Live-Versionen nicht hin, ab dem gefühlt dreihundertachtundzwanzigsten Kiekser im Vortrag der Sangeskünste von Frau Tucker und Frau Brownstein während der ersten fünf Minuten des Tonträgers beginnt der Kampf gegen das große Gähnen, und der sich zusehends verkrampfende Zeigefinger verspürt verstärkten Drang und Streben in Richtung Vorspul-Taste. Klassischer Fall von „Rum ums Eck“…
(** ½ – ***)

Allerheiligen / All Saints‘ Day

Pancho Needs Your Prayers It’s True
But Save A Few For Lefty Too

(Townes Van Zandt, Pancho And Lefty)