
#dnk19, Tag 2: Kick-Off auf großer Bühne mit der belgischen Formation Mantis, die gefälligen Postrock mit viel Druck, Postpunk-Drive und einem ausgeprägten Gespür für das dramatische Momentum präsentierte, unterlegt mit synthetischen Keyboard-Wallungen, irgendwo eingependelt zwischen einschmeichelnder Melodie und geschliffener Härte, und damit sicher nicht die schlechteste Wahl für eine schwungvolle Auftakt-Veranstaltung. Hätten sie mit dem von ihnen selbst postulierten „PogoJazz“ ernst gemacht, wären sie aus der Masse der aufwartenden, klassischen PR-Bands weit heraus gestochen. Auf der Main Stage folgten später Baulta aus Finnland, die solide Postrock-Kost nach allen Regeln der Kunst lieferten, Laut-Leise-Emotionen, melodische Dramen, wummernde Bässe und sphärischen Flow, was eben so die gängigen Muster dieses Genres vorgeben. Für sich betrachtet völlig respektabel, aber eben auch hier das Problem der latenten Beliebigkeit, wie tags zuvor beim Auftritt der US-Band Coastlands. Und das sollte sich an diesem Nachmittag beim Gig der amerikanischen Landsmänner von Pillars aus Indianapolis nicht viel anders verhalten: dichte Soundwände, sphärische Klanglandschaften und heftige Wallungen, oft in der oder ähnlicher Form gehört und damit in der Falle der Austauschbarkeit gelandet.
Den Reigen im Wald eröffnete zwischenzeitlich die Formation Wanheda aus Leuven, die ihrer Spielart des Postrock neben unvermittelten Tempi-Wechseln, geschliffener Postmetal-Härte und einem Reichtum an Melodien vor allem durch unkonventionelle Elemente wie sporadische Indie-/Prog-Rock- und moderne Blues-Phrasierungen eine individuelle Note angedeihen ließen, da waren speziell mit den Gitarristen geübte Könner am Werk, die getragen von einer soliden Rhythmus-Abteilung und eingewebten Keyboard-Klängen die Varianz aller möglichen Soli und Riffs aus dem Effeff beherrschten. Wanheda nutzen die Gelegenheit zur Vorstellung ihrer tonalen Kunst vor großem Publikum optimal und präsentierten sich als junge, aufstrebende Band mit viel Spielfreude und Engagement für das eigene Gewerk, so, wie die bis dato weithin unbekannten, exzellenten Bands wie Black Narcissus und Am Fost La Munte și Mi-a Plăcut tags zuvor, die später folgende Formationen Statue oder Summit in der finalen Festival-Runde. Das dunk! wird mit diesen Acts nach wie vor dem Ruf gerecht, neben prominenten Musikern den lokalen belgischen und internationalen Newcomern der Szene reichlich Raum und Zeit zur Vorstellung ihrer Werke zu geben, weit davon entfernt, die Bands der neuen Generation als füllendes Vorprogramm zu verheizen, und damit wiederholt für angenehmste Überraschungen zu sorgen.
Mit entspanntem Rumlümmeln vor der Waldbühne und Berieseln-lassen vom entrückten Postrock-Wall-Of-Sound war es vorbei mit dem Auftritt des deutsch-belgischen Trios Go March aus Antwerpen. Die Band veröffentlichte 2018 ihr aktuelles Album „II“ und tourte bereits mit Postrock-Größen wie Maserati oder Trans Am, ihre instrumentale Vollbedienung wird andernorts als „Mogwai meets Kraftwerk“ beschrieben, und damit lässt sich ungefähr auf den Punkt bringen, was den Sound der drei Klangtüftler ausmacht: Erbauliche Krautrock-Melodien treffen auf exzellent fließende Space-Electronica, Uptempo-Trance und Ambient, selbst die Welt der Siebziger-Disco ist Go March nicht gänzlich fremd, wie ein Giorgio-Moroder-Tribute in den Streaming-Diensten zeigt. Massiv getrieben und befeuert wird dieser instrumentale, experimentelle Progressive-Crossover vom analog erzeugten 120bpm-Techno-Beat von Drummer Antoni Foscez, der mit seinem stoischen wie intensiven Anschlag jede maschinelle Beatbox in ihre Einzelteile zerlegt und somit obsolet macht. Damit war der Aufforderung zum Tanz unmissverständlich Ausdruck gegeben, der die jungen Hüpfer in vorderster Bühnenfront postwendend gerne abzappelnd nachkamen und damit die alten Säcke zum gefälligen Mitnicken in die hinteren Hügelregionen der Forest Stage verwiesen. Großer Trance- und Tanz-Sport und damit ein absolutes Festival-Highlight.
Repetitiven Trance-Flow ließen auch die sechs belgischen Musiker von Statue durch das Harz-verklebte Geäst des Open-Air-Areals vor der Waldbühne schallen, mit vier Gitarren, Bass und Schlagzeug erging sich die Band in ausladenden, ineinander greifenden Soli, rhythmisch angeschlagenen Riffs und stoischem Beat, im selbstredend schwer Gitarren-dominierten Sound fanden sich psychedelische Krautrock-Elemente, lärmende, abstrakte Post- und Noise-Rock-Drones wie der für die Siebziger urtypisch krachende, latent dissonant knarzende, scharfe Anschlag des Glamrock und Protopunk, die Combo verstand es meisterhaft, das Publikum mit diesem schier endlos vor sich hin mäandernden Konglomerat hypnotisch in ihren Bann zu ziehen. No-Wave-Altmeister wie Glenn Branca oder Rhys Chatham wären wohl vor Freude durch den Baumbestand getanzt, und ausgewiesene Gitarristen-Granaten dieser Preisklasse wie Lee Ranaldo, Thurston Moore oder Tom Verlaine in Polonaise wahrscheinlich gleich hinterher…

Mit Wang Wen 惘闻 aus der chinesischen Hafenstadt Dalian präsentierte das Festival am späten Freitag-Nachmittag alte Bekannte der asiatischen Postrock-Szene. Die Stars aus dem Reich der Mitte brachten frischen Schwung in das Zelt und untermauerten einmal mehr die These, dass in China in größeren Dimensionen gedacht wird, sei es geopolitisch, historisch oder eben in der reichhaltigen Komposition der instrumentalen Postrock-Epen. Die Band verwebte melancholische Gitarren- und Keyboard-Schichten zu einem voluminösen Klangteppich, der durch Bläsersätze und Glockenspiel bereichert wurde, sich zuweilen zu einer wuchtigen Tsunami-Front auswuchs und in den entschleunigten Momenten nicht selten von einer entspannten Jazz-Lounge-Eleganz dominiert wurde. Die Musiker waren bei ihrem Vortrag völlig bei sich, die sprichwörtliche Ruhe im Auge des Hurrikans. Eine ähnlich facettenreiche, weit über die Grenzen des Genres hinaus denkende Spielart des Postrock sollten nur noch die chinesischen Landsmänner von Zhaoze 沼泽 am folgenden Tag zuwege bringen. Wang Wen 惘闻 veredelten das dunk!-Festival mit einem herausragenden, individuellen und unkonventionellen Ansatz, wie sie das vergangene Konzertjahr mit ihrer München-Premiere in weitaus kleinerem Rahmen bereicherten.
Die Spanier von Malämmar bezeichnen ihr lärmendes Gewerk selbst als „instrumental doom/metal by 3 assholes“ – sympathisches Understatement, dabei gehört kaum eine andere Band so zwingend zu diesem Festival wie die drei Rabauken aus Barcelona, Gitarrist Xavi Forne ist neben seinem Engagement in der Band der kreative Kopf hinter dem Studio Error! Design, das für die Entwürfe der Festival-Poster und LP-Cover des dunk!-Unternehmens wie für viele andere kunstvolle, surrealistische Konzert-Plakate und T-Shirt-Logos von renommierten Postrock- und Indie-Bands verantwortlich zeichnet.
Beim diesjährigen Auftritt gaben Malämmar wie bereits in der 2017er-Auflage von der ersten Sekunde an mächtig Druck auf den Kessel, mit energetischem Punk-Rock-Gebaren und einer überbordenden Leidenschaft für das vorgetragene Gelärme preschten die Katalanen kompromisslos durch ihre Doom-Sludge-Instrumentals, die Grundfeste und das Wurzelwerk im Wald erschütternd, bebend und mit radikaler Wucht, wie die experimentellen Kuttenbrunzer von Sunn O))) in ihren dröhnendsten Momenten, dabei mit weit mehr kompositorischer Struktur und Uptempo-Drive unterwegs. Nach derartig dissonanter und platt wälzender Schwarzmetall-Breitseite konnten die Auftritte von A Swarm Of the Sun und Jozef Van Wissem beim besten Willen nicht funktionieren…
Beim sich schier endlos hinziehenden Zeitlupen-Postrock der schwedischen Formation A Swarm Of The Sun war Essenfassen und Biertrinken als genehmere Alternative angezeigt, man kann nur hoffen, dass bei diesem nahezu ereignislosen, in Selbstmitleid und abgrundtiefer Melancholie ertrinkenden Depressiv-Schub im großen Zelt niemand Hand an sich legte und zur finalen Selbstvernichtung schritt. Ein bunter Strauß an musikalischer Vielfalt wurde auch beim Auftritt von Jozef Van Wissem auf der Waldbühne nicht präsentiert, der niederländische Komponist brachte sein barockes Lautenspiel solistisch in meditativem Gleichklang ruhig dahinfließend zu Gehör, nachdem in den ersten zehn Minuten der Funken auf dem trockenen Tannennadel-Teppich partout nicht zünden wollte, war die Messe zu der Nummer schnell gelesen.

Für die Duisburger Zebras hätte es in der vergangenen Saison nicht schlimmer kommen können, Platz 18 in der Schlusstabelle im Unterhaus der Fußball-Bundesliga und damit ab in die Niederungen der 3. Liga mit dem Meidericher Spielverein, bei den Nachbarn von Kokomo muss man sich dagegen kaum mit Abstiegs-Ängsten plagen, die Auftritte der einzigen deutschen dunk!-Delegation zählen nach wie vor zum Top-Format der internationalen Speerspitze. Nach einigen Jahren der Abstinenz kehrte die Postrock-Institution aus dem Ruhrpott auf das Festival zurück, zu dem das Quintett zuletzt 2016 gleich zwei Gigs beisteuerte, neben dem regulären Zelt-Auftritt eine weitere spontan anberaumte, sensationell durch die Baumkronen gehende Show im Grünen, die vermutlich nicht unwesentlich zum Konzept und zur Etablierung der Waldbühne in den kommenden Jahren beigetragen hat. Der aktuelle Gig zu bester Sendezeit im Abendprogramm lässt sich mit den Worten „satte Wucht, schwere Geschütze, eine Handvoll neue Nummern“ auf den Punkt bringen, Kokomo verstehen es nach wie vor blendend, die oft ausgetretenen Pfade des Gitarren-dominierten Postrock weiträumig und breitflächig zu umgehen, mit drei Gitarren haben die Soundwände neben brachialen Erschütterungen auch immer die ein oder andere filigrane Nuance oder den sonst woanders nicht gehörten Riff im dunkel schimmernden Klangbild parat. Neben der charakteristischen, hymnischen Dramatik ihrer Nummern überzeugte die Band mit einem Indierock-artigen Song inklusive Gast-Gesangspart, ein löblicher, Genre-Grenzen-sprengender Ansatz, der spätestens mit dem finalen Abfeiern des grandiosen Live-Klassikers „Kaputt Finker“ zur reinen Lehre des instrumentalen Emotionsausbruchs zurückkehrte.
Mit dem letzten Wald-Auftritt des Freitags ging ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung: Nachdem JR Robinson und Esther Shaw die Münchner Gestade auf Konzertreisen mit ihrem US-Experimental-Projekt Wrekmeister Harmonies konsequent weiträumig umschiffen, musste der Berg wohl zum Propheten nach Flandern reisen, um endlich dieser pastoralen Postmetal-Pracht im Live-Vortrag beizuwohnen. Der dunkle und fortgeschrittener Nachtzeit kühle und klamme dunk!-Wald bot die perfekte Atmosphäre für die tonale Reise ins Herz der Finsternis, zu der das Duo vor allem das grandiose Material des aktuellen 2018er-Albums „The Alone Rush“ präsentierte – schwermütige, erhabene Songs über persönliche Verluste, Einsamkeit und die Konfrontation mit dem unausweichlichen eigenen Verschwinden, in der Hoffnung auf das erlösende Licht, von Gitarrist Robinson abgeklärt als düsterer Desert-Blues-Prediger in tiefer, klagender Tonlage vorgetragen, begleitet vom ureigenen Postrock-Drone-Crossover, von geheimnisvollen Melodien und atonaler Doom-Dringlichkeit bipolar durchwirkt, mit tief ins Bewusstsein schneidenden, nachhallenden, schwarzen Metal-Gitarrenriffs, in Trance-artiger Versenkung und einer nahezu sakralen, ernsthaften Größe, zu der Esther Shaw mit ihrem musizierenden Gewerk maßgeblich beitrug – die zierliche Frau erdet mit melancholischen Keyboard-Klängen und einem exzellenten, getragenen Violinen-Spiel die resignierte Entrücktheit der Wrekmeister-Harmonies-Kompositionen, reduziert die Schärfe und lindert den Schmerz. Dabei ließ JR Robinson selbst in einer kurzen Ansage sowas wie Humor aufblitzen, mit der Anmerkung, dass die meisten Leute meinten, es tummelten sich nur reiche weiße Menschen im New Yorker Central Park, ihm wären die dort lebenden Kojoten jedoch bei weitem näher – eine nachvollziehbare Einschätzung. Die Waschbären im nächtlichen Stadtpark des Big Apple sind auch nicht zu verachten, by the way. Selten ist bei einem dunk!-Auftritt die Zeit schneller wie im Flug vergangen als beim ergreifenden Gig des kongenial agierenden, gemischten Doppels aus Chicago, ein untrügliches Zeichen für die exzellente Güte dieses tonalen Wandelns durch die dunklen Abgründe der inneren Befindlichkeiten. Zur Nachbearbeitung sei das herausragende Gesamtwerk von Wrekmeister Harmonies dringlich ans Herz gelegt, wie ergänzend auch die Roman-Lektüre der lesenswerten Inspirationsquellen zu „The Alone Rush“, „Lincoln im Bardo“ von George Saunders und „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ von Marlon James – schwere Kost zuweilen, gewiss, aber die exzeptionelle Klangwelt von Robinson und Shaw ist ja auch nicht zur Beschallung für den nächsten Kindergeburtstag gedacht…
Wie die Headliner-Ankündigung von Ufomammut führte auch die Bekanntgabe des Auftritts von Efrim Manuel Menuck als Main-Act bei Teilen der dunk!-Fans im Vorfeld zu kontroversen Diskussionen, das äußerte sich letztlich leider auch im spärlichen Besuch vor großer Bühne zur finalen Veranstaltung der zweiten Festival-Runde. Wie in vergangenen Jahren bei den Tages-beschließenden Sets der großartigen Noise-Götter Swans um Zeremonienmeister Michael Gira und Dylan Carsons zäh dröhnendem Drone-Doom-Trio Earth zeigte sich der Großteil des Publikums obstinat und blieb der Aufführung fern, nach dem Motto „Wenn’s keine Gitarrenwände zu bestaunen gibt, dann kann es nix taugen“, dabei hätte der Auftritt des kanadischen GY!BE/Silver-Mt.-Zion-Masterminds Efrim Menuck und seines US-amerikanischen Kollaborateurs Kevin Doria mit dem gemeinsamen „are SING SINCK, SING“-Duo-Projekt soviel mehr an Aufmerksamkeit und Zuwendung verdient, mit dem Material des jüngst bei Constellation Records veröffentlichten, gleichnamigen Tonträgers wussten die Musiker von Beginn an für ihre experimentellen Klangforschungen zu begeistern, Doria hochkonzentriert an den elektronischen Gerätschaften schraubend, Menuck lässig mit der Selbstgedrehten im Mundwinkel sporadisch die Regler am eigenen Synthie-Apparat justierend. Abstrakte, in warmen Klangfarben mäandernde Electronica-Drones, synthetischer Trance und Ambient-Loops, maschinelle Samples und Outer-Space-Soundlayer steckten den tonalen Rahmen ab für die imaginäre, irgendwo in der jüdischen Mystik verhafteten Klagemauer, die Efrim Menuck mit seinen Sangeseinlagen errichtete. Mit dem ihm eigenen, unverwechselbaren Lamentieren, in Endlos-Schleifen den Statements zum Leiden an den Machtverhältnissen, an den Verwerfungen der westlichen Zivilisation freien Lauf lassend, wie vorwärts gewandt in der Hoffnung auf Veränderung und die Wendung zum Besseren dem Aufruf zum Widerstand Ausdruck gebend. Speziell die Nummer „Fight The Good Fight“ ragt bereits auf der Tonkonserve in kaum fassbarer Schönheit aus dem Electronica-Drone-Geflecht heraus, konzertant gerät das Stück zur schwerst anrührenden Ballade, umlichtert von diffuser Elektronik, irgendwo zwischen herzergreifender Wehmut und entrückter Hymne, Efrim Menuck zog hier alle Register seines Sermon-artigen Vortrags. Wer mit dem Werk seiner beiden Post/Experimental-Rock-Institutionen aus Montreal vertraut ist, wird im Electronica-Flow der kanadisch-amerikanischen Kooperation nur unschwer erkennen, dass Menuck zusammen mit Kevin Doria das Konzept seiner Stammformationen bereichert und vor allem weiterentwickelt, auf eine andere Ebene hebt und damit dem eigenen kreativen wie dem Stillstand des Postrock-Genres an sich Gewichtiges entgegensetzt. „What We Loved Was Not Enough“ oder „Slow Riot for New Zero Kanada“ mit anderen, neuen Mitteln, wenn man so will. Ein mehr als würdiges Finale für einen exzellenten Festival-Tag. Diejenigen, die das ewig gleiche Gitarren-Laut-Leise vorziehen, waren in dem Fall dann tatsächlich woanders besser aufgehoben…
Gefällt mir:
Like Wird geladen …