Soul Jazz Records

Reingehört (463): Konkere Beats

Various Artists – Konkere Beats – YORUBA! – Songs And Rhythms For The Yoruba Gods In Nigeria (2018, Soul Jazz Records / Indigo)

Nigerianische Talking Drums und Gesänge zu Ehren von Yemoja, Obatala, Ogun und Sango: Vielleicht nützt die Beschwörung ja auch den „Super Eagles“ bei der anstehenden Fußball-WM in Russland, etwa gegen das Isländer-„Huh!“ oder die Zauberkünste argentinischer Super-Techniker? Wer weiß. Die Musikanten der jüngst bei Soul Jazz Records erschienenen Konkere-Beats-Sammlung sollte man jedenfalls nicht verantwortlich machen, sollte es für die nigerianische National-Elf erneut nicht weiter als bis zum Achtelfinale reichen, die Sängerinnen und Perkussionisten hängten sich mächtig ins Zeug bei der gottgefälligen Neueinspielung von sakralen Folk-Songs aus dem Kulturkreis des westafrikanischen Yoruba-Volkes zum Lobpreis der angerufenen höheren Mächte.
Soul-Jazz-Labelchef Stuart Baker und Afro-Rock-Veteran Laolu Akins haben in Lagos eine Auswahl an ortsansässigen Meister-Trommlern ins Studio geladen, die unter Führung von Olatunji Samson Sotimirin ihre Talking Drums, Dundun- und Bata-Instrumente in virtuoser und hoch komplexer Rhythmik zur instrumentalen Begleitung spiritueller Songs erklingen ließen und damit einen organischen und ausgeprägt hypnotischen Trance-Flow entfalten. Die zentralen religiösen Call-and-Response-Chöre werden von Lead-Sängerin Janet Olufanmilayo Abe initiiert, dirigiert und inhaltlich getragen, die geneigte Hörerschaft wird in dieser Jahrhunderte alten Volksmusik-Tradition unschwer den Musik-historischen Ursprung amerikanischer Südstaaten-Gospels erkennen.
Eminent essenzieller Stoff, der seine Spuren mittels Sklaven-Verschiffung in die Neue Welt bei regionalen Religionen wie dem Voodoo-Kult auf Haiti oder im kubanischen Santería-Glauben hinterlassen hat und neben dem Gospel der schwarzen US-Kirchengemeinden vor allem Welt-musikalisch prägend wirkte bei Jazz-Größen wie Dizzy Gillespie und Drummer/Bandleader Art Blakey, beim Latin-Soul/Funk der Sechziger Jahre, später beim vor sich hin schwadronierenden Rap-Vortrag und im Hip Hop der Achtziger/Neunziger oder nicht zuletzt – in dem Fall weitaus naheliegender – mit ihrem Einfluss in die Gitarren-dominierte Jùjú Music von King Sunny Adé und seinen African Beats, Chief Commander Ebenezer Obey und vielen anderen nigerianischen Afropop-Stars.
(**** ½ – *****)

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Soul Family Tree (34): Can You Dig It? – The Music And Politics Of Black Action Films 1968-75

„After we go to the movies, ok?“ – Die 14-tägige Black-Friday-Serie geht heute Filme schauen:

Vor 1968 waren Afro-Amerikaner im US-Kino vornehmlich in Nebenrollen als Butler, Haushalts-Hilfen, Farm-Arbeiter oder Gärtner zu sehen, in zentralen Rollen war das schwarze Amerika kaum mehr als in Auftritten bekannter Stars wie Louis Armstrong oder Sammy Davis Jr und vor allem mit Oskar-Preisträger Sidney Potier auf den Leinwänden der Lichtspieltheater präsent. Ab Ende der sechziger Jahre spielte Black America in Hollywood erstmals eine gewichtigere Rolle, das unter dem Begriff „Blaxploitation“ bekannt gewordene Actionfilm-Genre war geprägt von schwarzen Regisseuren, Drehbuchschreibern, Kameraleuten und Schauspieler_Innen wie der herausragenden Charakter-Darstellerin Pam Grier, dem Musiker Isaac Hayes, Karate-Champion und Martial-Arts-Star Jim Kelly oder den ehemaligen American-Football-Profis Jim Brown und Fred Williamson – und nicht zuletzt durch Black-Music-dominierte Soundtracks, die zum Teil eigens für diese Filme von Motown- und Stax-Stars wie Martha Reeves, Marvin Gaye, Quincy Jones und Solomon Burke komponiert und aufgenommen wurden.
Letztendlich dürfte der Aufstieg des afro-amerikanischen Kino weniger den gesellschaftlichen Strömungen in den USA wie dem Civil Rights Movement der fünfziger und sechziger Jahre oder dem Agitieren radikalerer Bewegungen wie der Black Panther Party zu verdanken sein als vielmehr knallharten wirtschaftlichen Überlegungen der Filmindustrie, die in der schwarzen Bevölkerung der US-Großstädte schlichtweg ein Riesen-Potential an zahlungswilligen Kinogängern sah.

Die 2009 beim Londoner Label Soul Jazz Records erschienene Sammlung „Can You Dig It? The Music And Politics Of Black Action Films 1968-75“ dokumentiert auf zwei CDs ausführlich die wichtigsten Film-Songs dieser Kino-Ära und gibt in einem beigelegten, fein aufgemachten 98-Seiten-Taschenbuch einen reich bebilderten Überblick über die relevanten Filme, thematischen Schwerpunkte, wichtigsten Schauspieler und Regisseure sowie die Rolle der führenden Black-Music-Plattenfirmen dieser Black-Cinema-Hochphase.

Eine der bekanntesten Nummern des Samplers ist das großartige „Across 110th Street“, der Titeltrack der NYPD-Krimi-Verfilmung von Barry Shear aus dem Jahr 1972 mit dem späteren „Homicide“-Serienstar Yaphet Kotto und Kalkleiste Anthony Quinn in den Hauptrollen. Der Song über die informelle Grenzlinie in Harlem stammt aus der Feder von Soul-Performer/Songwriter/Produzent Bobby Womack und Jazz-Posaunist J. J. Johnson, er kam später im Soundtrack von „Bobby Brown“ erneut zu cineastischen Ehren, die Tarantino-Verfilmung des Elmore-Leonard-Krimis „Rum Punch“ war 1997 eine gelungene Verneigung des Quent-Man vor dem Blaxploitation-Genre, formvollendet in Szene gesetzt mit der Black-Movie-Ikone Pam Grier in der Titelrolle.

Der Stax-Records-Songwriter und Soul-Musiker Isaac Hayes komponierte 1971 die Filmmusik zum Blaxploitation-Actionkrimi „Shaft“, für die berühmt gewordene Titelmelodie „Theme From Shaft“ erntete er im selben Jahr den Oscar für den besten Original-Song. 1974 stand er selbst zweimal in Hauptrollen vor der Kamera, im Kopfgeldjäger-Thriller „Truck Turner“, den die unter anderem auf „Black Action Films“ spezialisierte Produktionsfirma American International Pictures (AIP) im Double-Feature mit dem Pam-Grier-Streifen „Foxy Brown“ auf den Markt brachte, und in der Produktion „Three Tough Guys“, zusammen mit Lino Ventura und Fred Williamson, für beide Filme hat Isaac Hayes auch den Soundtrack geschrieben und eingespielt, aus „Truck Turner“ hier die neun-minütige Instrumental-Nummer „Pursuit Of The Pimpmobile“:

B-Movie-Autor Larry Cohen wollte sich mit „Black Caesar“ 1973 an den „Paten“-Erfolg von Francis Ford Coppola hängen und adaptierte den Stoff des Hollywood-Klassikers „Little Caesar“ aus dem Jahr 1931 für einen zeitgenössischen Harlem-Mafia-Thriller. Die Titelrolle spielte der ehemalige American-Football-Defense-Back Fred „The Hammer“ Williamson, der bis heute in aktuellen amerikanischen Filmen und Fernseh-Serien zu sehen ist, weithin bekannt ist unter anderem sein Auftritt als „Frost“ im Rodriguez-/Tarantino-Vampir-Trash-Streifen „From Dusk Till Dawn“.
Den Soundtrack für „Black Caesar“ arrangierte „The Godfather Of Soul“ James Brown unter maßgeblicher Mitarbeit seines Bandleaders Wesley Willis, daraus das opulente Stück „Down And Out In New York City“:

Weißbrot durfte beim Filmmusik-Produzieren für das Black-Movie-Kino auch ab und an mitmischen, so zum Beispiel R&B-Gitarrist Dennis Coffey, der als Studiomusiker auf zahlreichen Sixties-Motown-Aufnahmen zu hören ist, 1971 war er bei den Aufnahmen zum Nummer-1-Hit „War“ von Edwin Starr beteiligt, im gleichen Jahr landeten Coffey und seine Detroit Guitar Band mit der Instrumental-Nummer „Scorpio“ einen Billboard-Top-10-Hit. 1970 entdeckte er zusammen mit dem Musiker Mike Theodore den Folkrock-Songwriter Sixto Rodriguez, dem Regisseur Malik Bendjelloul mit dem Oscar-prämierten Dokumentarfilm „Searching For Sugar Man“ ein cineastisches Denkmal setzte.
1974 schrieb Dennis Coffey das Titelstück für den Karate-Film „Black Belt Jones“ mit Kampfsport-Champion Jim Kelly in der Hauptrolle. Hier eine Live-Version der Nummer, die der renommierte Gitarrist zusammen mit der Don Was Detroit All-Star Revue einspielte:

Der Horror-Film trieb in der Blaxploitation-Hochphase bunte oder vielmehr schwarze Blüten, neben Perlen wie „Blackenstein“ und „Dr Black, Mr Hyde“ finden sich mit „Blacula“ aus dem Jahr 1972 und der „Scream, Blacula, Scream“-Fortsetzung die afro-amerikanischen Anlehnungen an den klassischen Bram-Stoker-Stoff, der mit Größen wie den Four Tops, Marvin Gaye, Cher oder den Temptations arbeitende Komponist und Produzent Gene Page zeichnete für die Filmmusik zum schwarzen Vampir-Trash verantwortlich, der immerhin mit Top-Performern wie Shakespeare-Schauspieler William Marshall und der wunderbaren Pam Grier besetzt war. Die Original-LP zum „Blacula“-Score ist heute im Übrigen ein gesuchtes Sammlerobjekt unter Vinyl-Jägern.

„Can You Dig It? The Music And Politics Of Black Action Films 1969-75“ ist nach wie vor im gut sortierten Fachhandel erhältlich. Dig it, Soul Brothers and Sisters…

Reingehört (128)

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Jeb Loy Nichols – Long Time Traveller (2016, On-U Sound / Rough Trade)
Der Amerikaner ist bereits in den Neunzigern zusammen mit seiner Frau, der Britin Lorraine Morley, und ihrer gemeinsamen Folk-Dub-Band Fellow Travellers äußerst angenehm aufgefallen, vor allem das beim OKra-Label im Jahr 1992 veröffentlichte Zweitwerk ‚Just A Visitor‘ ist eine wunderbare Übung auf diesem Crossover-Gebiet, nach etlichen, zum größten Teil sehr ansprechenden Solo-Folk-Alben hat er 2010 zusammen mit Dub-Produzenten-Legende Adrian Sherwood das vorliegende ‚Long Time Traveller‘-Album aufgenommen, das seinerzeit nur als limitierte Auflage im japanischen Markt verfügbar war, nun ist dieses mit britischen Reggae-Musikern eingespielte Album auch in unseren Gefilden erhältlich.
Vom Country-Folk früher Tage ist wenig zu vernehmen, die seit damals vertraute Melodica kommt mitunter dezent zum Einsatz, ansonsten frönt Nichols auf ‚Long Time Traveller‘ dem Reggae der reinen Lehre, Gregory Issacs, Bunny Wailer, Burning Spear und UB40 aus der Prä-Mainstream-Phase mögen als Referenzgrößen dienen, der reduzierte, auf das Wesentliche reduzierte Dub-/Lovers-Rock-Sound bietet den perfekten Rahmen für die charismatische Stimme des musikalischen Grenzgängers.
(**** – **** ½)

V. A. – Studio One Showcase: The Sound Of Studio One In The 1970s (2016, Soul Jazz)
Wie vom Hause Soul Jazz gewohnt mustergültig zusammengestellter Sampler mit 18 Perlen zum Thema „Jamaikanischer Reggae der siebziger Jahre“, der dem geneigten Hörer aufzeigt, dass die karibische Volksmusik in dieser Dekade ein weitaus größeres Sound-Spektrum zu bieten hatte als das damals populäre, für Rockmusik-orientierte Gehörgänge von Island Records/Chris Blackwell gefällig produzierte Format von Dritte-Welt-Superstar Bob Marley und seinen Wailers, dessen Bedeutung und Substanz hier jedoch in keinster Weise geschmälert werden soll.
‚Showcase‘ dokumentiert so unterschiedliche Acts wie Cedric Brooks & Count Ossie, Freddy McGregor, Horace Andy, Johnny Osbourne, Sugar Minott, The Heptones oder den Lone Ranger, die sich in Kingston im legendären, von Clement „Coxsone“ Dodd gegründeten Studio One die Klinke in die Hand gaben. Die siebziger Jahre: hinsichtlich musikalischer Einflüsse, Weiterentwicklungen, neuer Trends und technischer Innovationen, aber auch hinsichtlich der politischen Situation in Jamaika das spannendste Kapitel bezüglich Reggae, Ska, Dub, Lovers Rock und Dancehall…
(**** ½)

Reingehört (84)

(c) Craig Berman - flickr commons - British Library

VA – Rastafari: The Dreads Enter Babylon – 1955-83: From Nyabinghi, Burro and Grounation to Roots and Revelation (2015, Soul Jazz Records)
Mustergültiger Sampler des Soul-Jazz-Labels, der die Bezüge der jamaikanischen Rastafari-Religion und ihre Verehrung des äthiopischen Kaisers Haile Selassie zur Reggae-Musik in ihren Ausprägungen von 1955 bis knapp Mitte der Achtziger Jahre dokumentiert.
Beginnend bei Klassikern des Bandleaders und Perkussionisten Count Ossie, der mit seiner Mystic Revelation Of Rastafari den wiedergeborenen Messias Selassie bereits in den fünfziger Jahren in einem Rastafari-Camp in den Bergen East Kingstons pries, bietet die Sammlung einen exzellenten Einblick in Jamaikas musikalische Vergangenheit, das beiliegende Begleitheft beschreibt den maßgebenden Einfluss des sogenannten Nyabinghi Drumming des Rastafarian Movement auf den in folgenden Jahrzehnten international beachteten Reggae, wie er spätestens seit den auch in der nördlichen Hemisphäre geschätzten Platten von Rastafari-Anhänger Bob Marley und seinen Wailers seine weltweite Verbreitung fand.
Die jamaikanische Roots-Musik entwickelte sich in unterschiedlichsten Reinkarnationen wie Dancehall oder Lover’s Rock weiter und verlor mehr und mehr den Bezug zur religiösen Basis, ohne den Rasta-Einfluss der frühen Jahre wäre diese Musik heute jedoch undenkbar.
Count Ossie ist auf dem Sampler mit mehreren Gruppierungen vertreten, Klassiker wie “Tales Of Mozambique” und “Narration” dürfen nicht fehlen, neben einigen mit Soul- und Jazz-Elementen experimentierenden Nummern wird mit “Ethiopia” von Lord Lebby der klassische Fünfziger-Jahre-Mento gewürdigt, 60er-Ska (Laurel Aitken, “Haile Selassie”) und 70er-Roots-Rock (“His Imperial Majesty” von Rod Taylor) kommen ebenso zu ihrem Recht wie der Dub-Poet Mutabaruka mit dem perkussiv unterlegten Gedicht „Say“.
An der Chronologie happert es etwas in der Abfolge der einzelnen Titel, zu sehr springt die Auswahl zwischen den einzelnen Jahrzehnten, ansonsten gibt es an der Übersicht zum Thema „The Dreads Enter Babylon“ wenig auszusetzen, hinsichtlich stilistischer Vielfalt in der Rasta-beeinflussten jamaikanischen Volksmusik bleibt keine Seite unerwähnt.
Zur Vertiefung der Thematik sei das nach wie vor gültige Standardwerk „Bass Culture“ von Lloyd Bradley (2003, Hannibal Verlag) empfohlen, das neben weiteren Aspekten und der historischen Entwicklung des Reggae auch dessen Bezug zur Rasta-Bewegung ausführlich durchleuchtet.
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Foto: (c) Craig Berman / Flickr Commons / British Library