Soundscapes

Reingehört (497): B / CHVE / Syndrome

B / CHVE / Syndrome – Reworks (2018, Consouling Sounds)

B wie Beats Per Minute, B wie Belgien, B wie Bert: Der flämische Sound-Tüftler Bert Libeert in seiner Inkarnation als Live-Techno-DJ B hat sich zweier ausgedehnter Solo-Arbeiten aus dem Dunstkreis des Künstler/Musiker-Kollektivs Church Of Ra zum gepflegten Remix angenommen, unter dem Motto „One Man Versus Four Machines“ erweitert er die Sound-Dimensionen und verändert die Charakteristika der Werke mithilfe zweier Synthies bzw. Drum-Maschinen. Die im Original vom getragenen, gleichförmigen Drehleier-Spiel dominierte Folk-Drone-/Ambient-Nummer „Rasa“ vom Solo-Projekt CHVE des Sängers Colin H. Van Eeckhout der Postmetal-Institution Amenra aus dem westflämischen Kortrijk und der gespenstische, diffuse Crossover-Flow aus artifiziellem Desert Blues, Postrock-Drones und dezent-dunkler Ambient-Electronica in „Forever And A Day“ aus dem Syndrome-Fundus seines Bandkollegen Mathieu Vandekerckhove, beides im Original jeweils ausgedehnte Kompositionen mit einer Länge um eine halbe Stunde, erfahren in der Libeert-Transformation eine mehrschichtige Bereicherung an Electronica-Samplings und synthetischer Rhythmik. Wo das ursprüngliche Material in seiner jeweils individuellen Ausgestaltung in düsterer, meditativer, mystischer Grundstimmung mit bezeichnender Church-Of-Ra-Schwergewichtigkeit seine Wirkung bis hinein in die hintersten, tiefsinnigsten Winkel des Gemüts entfaltet, verstärkt Klangforscher Libeert zum einen mit dunklen Basslinien den kontemplativen Flow und trimmt die Stücke darüber hinaus mit Variationen in der monotonen Taktgebung in Richtung Club-taugliche Tanzbarkeit. Der Trance- und Drone-lastige Ambient wird dank komplexer Maschinen-Samplings mit fundamentalem Industrial-Pochen und frei lichternden Darkwave- und EBM-Elementen verwoben und lässt die finsteren Impressionen damit zuweilen in freundlicheren, optimistisch gestimmteren Klangfarben leuchten.
Die „Reworks“ von B bringen die spirituellen, emotionalen Grenzerfahrungen der CHVE- und Syndrome-Soundscapes mit dem präzisen Pulsschlag des Old School Techno in Einklang, mehr Aufforderung zum Tanz und Nightclubbing-Spuk dürfte es bis dato nicht gegeben haben in den heiligen Hallen der Church Of Ra.
„Reworks“ ist Anfang November beim verehrungswürdigen Postrock/Postmetal/Experimental-Label Consouling Sounds im belgischen Gent erschienen.
(*****)

Werbung

VLMV @ Maj Musical Monday #89, Glockenbachwerkstatt, München, 2018-10-15

Freundinnen und Freunde des gepflegten Postrock-Entertainments hatten am vergangenen Montagabend die Qual der Wahl, zur Auswahl standen vierfach geballte Vollbedienung der lauteren Gangart des Genres im Import/Export mit den amerikanischen Postmetallern von Shy,Low und den bajuwarischen Vertretern Pictures From Nadira, Noise Raid und MarrowVoltage, oder alternativ das entspanntere Driften in die konzertante Woche, im Rahmen der 89. Ausgabe des Maj Musical Monday in der Münchner Glockenbachwerkstatt mit dem Londoner Duo VLMV (früher/sprich „Alma“) – da war Grübeln angesagt ob des momentan voll bepackten Münchner Konzert-Kalenders, Letzteres sollte es sein, da Zweiteilen unmöglich, der faire Münzwurf in dem Fall auch nicht weiterhalf und im Zweifel der inneren Stimme stets Gehör zu schenken ist.
„An Almost Silent Life“ betitelte die nordenglische Indie-Formation Dakota Suite um Weltschmerz-Verinnerlicher Chris Hooson ihr 2012er Glitterhouse-Album, ein Motto, das sich auch für das Münchner VLMV-Konzert mit einem Set größtenteils aus den Nummern des im vergangenen Frühjahr erschienenen Longplayers „Stranded, Not Lost“ und die weitern veröffentlichten Arbeiten der Formation als thematischer Aufhänger anbieten würde, im stilistischen Ansatz sind die beiden jungen Soundkünstler Pete Lambrou und Ciaran Morahan mit ihrem nach innen gekehrten musikalischen Grundverständnis sowieso kaum weiter als in Steinwurf-Distanz von der Slowcore-Band aus Leeds entfernt. Wo sich Hooson und Co im völlig entschleunigten Songwriter-Indierock weiden, zelebrieren die beiden Londoner eine Postrock- und Dark-Ambient-affinere Spielart der leisen Töne, nicht zuletzt wohl in prägender Anlehnung an den eigenen Background, neben ihrem separaten Duo-Projekt sind beide Musiker bei der südenglischen Instrumental-Postrock-Band Codes In The Clouds engagiert. Gemeinsam entwerfen Lambrou und Morahan mittels wunderbar eleganter, reiner und einschmeichelnder Moll-Gitarren-Töne, getragener, gesampelter Violinen- und Piano-Neoklassik und live geloopter Melodien-Bögen anrührende und in ihrer nahezu unfassbaren Schönheit fast schon schmerzhafte Songs und erhabene Soundlandschaften. An der Grenze zur Zerbrechlichkeit besingt Gitarrist Pete Lambrou mit filigranem, leisem Intonieren die Downtempo-Shoegazer-Preziosen, die Duett-Partner Ciaran Morahan durch experimentelles Bespielen der Gitarre mit einem Drum-Stick als Geigenbogen- und Bottleneck-Ersatz, dem Effekte-generierenden Einsatz der Pedals und Bedienen der elektronischen Gerätschaften zu großartig erhebenden, atmosphärischen Hymnen und Song-Epen verdichtet. VLMV liefern mit ihrer introvertierten Melancholie, dem dezent nachhallenden, zu der Gelegenheit exzellent abgemischten Kammermusik-Sound und dem nachdenklichen, meditativen, zu Teilen in andere Welten entrückten Grundton ihrer Songs die musikalische Untermalung für Nebel-verhangene Herbsttage, für die innere Einkehr und den tönenden Rückzugsraum im hektischen Treiben unserer Zeit, schade eigentlich, dass dieser Sonnen-durchflutete Jahrhundertsommer scheints kein Ende nehmen will… Aber wie heißt es immer prophetisch in einer Blockbuster-TV-Serie: „Winter is coming“, und damit wird auch die Zeit für diese leise tönende Klang-Wunderwelt kommen.
Postrock muss nicht ausschließlich mit auftürmenden Gitarrenwänden und wuchtigem Getrommel durch das Tor stürmen, im An- und Abschwellen der Intensität reicht mitunter auch der leise Teil, ohne der innewohnenden Dramatik Abbruch zu tun, VLMV haben das am Montagabend mehr als eindrucksvoll in der gebührenden Ernsthaftigkeit mit ihrem verletzlichen Kompositionen unter Beweis gestellt. Ganz ohne Gelärme ging’s aber dann auch beim Londoner Duo nicht über die Bühne, ihre traumwandlerisch schwebenden Slowcore-Perlen ließen die beiden Musiker durch Geräte-schraubende Verzerrung der geloopten Samplings in einem diffusen Drone-Fadeout final verrauschen.
Das Bauchgefühl täusche sich nicht mit seinem Rat zum Besuch der MMM-Oktober-Ausgabe in der „Glocke“, einziger Wermutstropfen zu dieser beseelten Veranstaltung war der schwache Besucherzuspruch, die ätherische konzertante Schönheit der beiden Briten hätte soviel mehr an zugewandtem Zulauf verdient, die eingangs erwähnte Parallel-Veranstaltung zog da wohl etliches an interessiertem Publikum in den anderen Saal.

Die von den Münchner Musikern Josip Pavlov und Chaspa Chaspo aus dem Umfeld der Postrock-Band Majmoon organisierte Do-It-Yourself-Serie Maj Musical Monday für Indie-, Post-, Experimental-, Noise-Rock, Artverwandtes und Multimedia-Installationen präsentiert am 19. November in der 90. Auflage der Reihe die US-amerikanische Minimal-/Artrock-Formation Facs mit ehemaligen Bandmitgliedern der Chicagoer Alternative-Combo Disappears sowie das Münchner Post-Dub/Postrock-Duo WhåZho aus dem hiesigen Gutfeeling-Stall, Glockenbachwerkstatt, Blumenstraße 7, München, 21.00 Uhr.

Reingehört (475): Dan Caine

Dan Caine – Cascades / Remastered (2018, Fluttery Records)

Das Album „Cascades“ des Experimental-Musikers Dan Caine aus Liverpool/UK hat im ersten Wurf vor drei Jahren das Licht der Kulturwelt erblickt, jetzt ist vor kurzem eine Remastered-Version der instrumentalen Wohlklang-Arbeit erschienen.
Der junge Engländer macht seit seinem fünfzehnten Lebensjahr Musik, inspiriert von Indie- und Alternative-Artisten wie im Elternhaus vom eigenen Altvorderen durch dessen klassisches Gitarren-Spiel. Seit 2013 sind zahlreiche Veröffentlichungen aus den Sparten Ambient/Shoegaze/Postrock/New Age zu vermelden.
„Cascades“ bietet einen Soundscape-Zyklus mit acht feinen, bewegenden, längeren Nummern zwischen Dur und Moll, Licht und Schatten, luftiger Leichtigkeit und unter der Oberfläche lauernder dunkler Geheimnisse. Wunderbar einschmeichelnde, inneren Frieden stiftende, nahezu meditative Gitarren-Klänge, mit Nachhall im steten Improvisations-Fluss als atmosphärische Klang-Collagen zwischen Ambient-Transzendenz und einer Art Postrock im Ruhepuls, der in seinem lockeren, freigeistigen Schweben denkbar weit vom vehementen Klangwellen-Hereinbrechen und der handelsüblichen Gitarrenwände-Architektur des Genres entfernt ist und somit perfekt zur derzeit herrschenden sommerlichen Witterung passt, deren Sonnen-durchflutete Tage zum entschleunigten Leben einladen und in ihrer schweißtreibenden, drückenden Hitze doch bereits das nächste anstehende, finstere Gewitter erahnen lassen.
„Cascades“ ist erstmals auf CD und neu abgemischt seit einigen Tagen über das kalifornische Indie-Label Fluttery Records erhältlich.
(*****)