Soundtrack

Konzert-Vormerker: We Stood Like Kings

Zur Beschreibung gewisser Spielarten des instrumentalen Postrock wird gerne das Attribut „Cineastisch“ ins Feld geführt, bei kaum einer Musik passt diese Eigenschaft besser zur Charakterisierung als beim Werk des belgischen Quartetts We Stood Like Kings: Die Formation aus Brüssel um die klassisch geschulte Pianistin Judith Hoorens hat in den letzten Jahren neue Scores zum experimentellen Dokumentarfilm „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ aus dem Jahr 1927 von Walther Ruttmann und zum Stummfilm „Шестая часть мира / A Sixth Part Of The World“ (1926) des sowjetischen Dokumentarfilm-Pioniers Dziga Vertov komponiert, 2017 wagten sich We Stood Like Kings mit dem Projekt „USA 1982“ an die Neuvertonung des Dokufilm-Klassikers „Koyaanisqatsi“, ein durchaus riskantes Unterfangen, immerhin gibt es mit der gelungenen Minimal-Music-Arbeit von Philip Glass bereits einen exzellenten Soundtrack zu den rasanten, zivilisationskritischen Bildern über die westliche Lebensweise und die einhergehende Zerstörung der Natur.
Das Wagnis hat sich mehr als gelohnt, das im September des Vorjahrs bei Kapitän Platte veröffentlichte Album „USA 1982“ überzeugte über die Maßen als alternative Filmmusik zu „Koyaanisqatsi“, eingehende Würdigung seinerzeit hier an dieser Stelle.

Nun dürfen sich dank Veranstalter Andreas Greinsberger endlich auch die Ober- und Niederbayern über eine Filmvorführung von „Koyaanisqatsi“ mit der begleitenden konzertanten Musik von „USA 1982“ freuen, der 4NDREAS-facebook-Blogger, Postrock-Experte und Konzertveranstalter aus Dorfen präsentiert We Stood Like Kings als Live-Act wie es sich in diesem Fall ziemt stilgerecht in einem Kino – Neoklassik trifft Postrock trifft Movie Soundtrack, mit Popkorn-Tüte oder einem Bier in der Hand, im bequemen Kino-Sessel vor professioneller Großbild-Leinwand.

4NDREAS präsentiert: We Stood Like Kings – USA 1982. A New Live Soundtrack For The Movie Koyaanisqatsi. Kinocafe Taufkirchen (Vils), 7. Oktober 2018. 19.00 Uhr. Vorverkaufs-/Reservierungs-Infos: hier.

Weitere Konzert- und Film-Aufführungen von We Stood Like Kings im näheren Umland:

08.10.Regensburg – Ostentor
09.10.Salzburg – Das Kino
10.10.Winterthur – Gaswerk / Kino Nische

Reingehört (458): Rachel Grimes

„One of American independent music’s few truly inspired technicians.“
(WIRE Magazine)

Rachel Grimes – The Doctor From India: Original Motion Picture Soundtrack (2018, Mossgrove Music / Temporary Residence Limited)

Filmmusik, die auch hervorragend ohne die bewegten Bilder funktioniert: Die Komponistin/Pianistin Rachel Grimes aus Louisville/Kentucky ist in Sachen Neue Klassik ab Anfang der Neunziger mit dem ausdrücklich nicht nach ihr – vielmehr nach einem Auto – benannten Indie-Kammerensemble Rachel’s in Erscheinung getreten, hat mit zahlreichen Orchestern und Experimental-Größen wie – amongst othersHelen Money und Erik Friedlander zusammengearbeitet und in diesen Tagen den Soundtrack für einen Film veröffentlicht, der sich dem Leben und Schaffen des Arztes Dr. Vasant Lad widmet, einem Pionier der ganzheitlichen Medizin, der sich Ende der siebziger Jahre maßgeblich für die Verbreitung der indischen Heilkunst des Ayurveda in der westlichen Welt einsetzte. Über die cineastischen Qualitäten der Biografie lässt sich hier mangels Erfahrungswerten nichts berichten, die instrumentale Beschallung des Biopics ist hingegen ausdrücklich höchstlöblich ausdrücklich zu empfehlen.
Achtzehn ineinander greifende, elegante und erhabene Piano-Mediationen mittels neoklassischer Minimal-Music-Themen, geschult an Michael Nyman, Philip Glass und George Winston, bereichert durch entspannte Violinen-, Saxophon- und Flöten-Arrangements und völlig unspektakulär mit feinsten Elektronik-Behandlungen zwecks sanftem Ambient-Flow versehen. Unaufgeregt auch die gelegentliche Symbiose mit indischen Klassik-Traditionen, die nichts mit gezwungen passend gemachter Crossover-Kompatibilität verschiedener Weltmusiken am Hut hat. Die Liste an brauchbaren Film-Soundtracks, die auch ohne die zugehörigen Motion Pictures ihren ureigenen Zauber entfalten, ist überschaubar, „The Doctor From India“ darf seit Neuestem dazugezählt werden.
(*****)

Soundtrack des Tages (193): The Four Tops

Der grandiose Film „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ von Regisseur Martin McDonagh mit einer wieder einmal verehrungswürdigen Frances McDormand in der Hauptrolle reißt eine ganze Menge an Themen an und legt seine Finger in etliche offene Wunden der amerikanischen Gesellschaft (und letztendlich auch unserer), zu den angenehmeren Aspekten des Films zählt die Songauswahl für die Filmmusik, neben feinem Alternative-Country-Liedgut von Townes Van Zandt und den Felice Brothers und zu vernachlässigendem Joan-Baez-Geschmalze erklingt unter anderem der 1968er-Hit „Walk Away Renée“ der Four Tops zur Beschallung der bewegten wie bewegenden Bilder, und ruft in Erinnerung, welch tolle Gesangstruppe die Formation um Leadsänger Levi Stubbs einst war, lange vor einer Zeit, als sich die Combo zum Trällern von Phil-Collins-Liedgut hinreißen ließ und dafür Kommentare aus der Fachpresse mit dem Tenor „Wie tief kann Soul noch sinken?“ erntete. Ein Abgrund, der sich passend zu den zahlreichen Verwerfungen aus dem aktuellen McDonagh-Film gesellt, und damit schließt sich für heute der Kreis.
„Walk Away Renée“: Gänsehaut, noch immer, nach so vielen Jahren…

Reingehört (352): We Stood Like Kings

ko.yaa.nis.qatsi (from the Hopi language), n. 1. crazy life. 2. life in turmoil. 3. life disintegrating. 2. life out of balance. 5. a state of life that calls for another way of living.

We Stood Like Kings – USA 1982 (2017, Kapitän Platte)

„Chopin meets Pink Floyd meets Explosions In The Sky“ verkündet die Homepage von We Stood Like Kings über das musikalische Selbstverständnis des Quartetts aus Brüssel, das kann man getrost unwidersprochen so im Raum stehen lassen, die Band misst sich hier mit augenscheinlich gewichtiger wie prominenter Tonkunst, und das völlig zurecht, wohl fundiert und ohne falsche Bescheidenheit. Speziell mit ihrem neuen Projekt „USA 1982“ stapeln die jungen Belgier auch alles andere als tief, bei der Neuvertonung des Experimentalfilm-Klassikers „Koyaanisqatsi“ von Godfrey Reggio aus dem Jahr 1982 muss sich die Band immerhin mit dem Original-Score von Minimal-Music-Maestro Philip Glass als nahe liegende Referenzgröße und erwiesenermaßen bereits seit Jahrzehnten exzellent funktionierende Film-Beschallung messen lassen.
We Stood Like Kings haben sich seit 2011 auf das Komponieren von Filmmusik zu cineastischen Meisterwerken spezialisiert, in den vergangenen Jahren hat das Quartett die auch live zur Filmvorführung aufgeführten Arbeiten „Berlin 1927“ zu „Die Sinfonie der Großstadt“ von Walther Ruttmann und „USSR 1926“ als Stummfilm-Vertonung für Шестая часть мира / A Sixth Part Of The World“ des sowjetischen Dokumentarfilm-Pioniers Dziga Vertov konzipiert, nun als aktuelles Werk im opulenten Doppel-CD-Format ein neuer, alternativer Soundtrack für den auf einem Statement aus der indigenen Hopi-Sprache basierenden, zivilisationskritischen „Koyaanisqatsi“-Film über den Eingriff der Menschheit in die Abläufe der Natur und die dadurch ausgelöste Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts.
Wo der 1983 veröffentlichte Original-Soundtrack vor allem vom Orchester- und Chor-begleiteten, minimalistischen Keyboard-Spiel vom Philip-Glass-Experten und Dirigenten Michael Riesman dominiert wird, bietet die kompositorische Neuinterpretation von We Stood Like Kings einen vielschichtigeren Ansatz, zwar ist auch hier die Führung durch die Klanglandschaften durch Judith Hoorens‘ elegisches Pianospiel unzweideutig, neben der offensichtlich klassisch geschulten, Kammer-musikalischen Balladenkunst wie der moderneren Minimal-Music-Interpretation im Tastenanschlag der jungen Belgierin öffnen die Mannen der Band gerne, oft und in an- und abschwellenden Gezeiten den instrumental-experimentellen Horizont im bewährten Instrumental-Rock-Anschlag via Gitarre/Bass/Schlagwerk in Richtung gediegener, Ergriffenheit befeuernder, klassischer Prog-Rock englischer Prägung und hin zur Vehemenz der Post-Rock-affinen Soundwände und Klangwellen, die den begnadet-erhabenen Piano-Flow konterkarieren wie bereichern und in ihrer Eindringlichkeit den bewegten Bildern der Filmvorlage in nichts nachstehen.
Momente der Kontemplation gehen über in berauschende Sound-Klangfarben, meditative Versenkung gibt sich die Hand mit der jederzeit gut konsumierbaren Komplexität der als Einfluss tatsächlich erkennbaren mittleren Pink-Floyd-Ära, circa „Wish You Where Here“-Periode, die jahrhundertealte Kunst der Tondichtung für Piano in permanenter, neoklassischer Neuerfindung trifft den in der Hochphase der ausladenden Rockmusik verhafteten Progressive-Ansatz und die in die Zukunft gewandte, experimentellere Spielart des Postrock in einem spannenden wie stimmigen Crossover und generiert so ein Vielfaches seiner einzelnen Elemente.
„USA 1982“ erscheint am 22. September beim Bielefelder Kapitän-Platte-Label. Die feine ostwestfälische Plattenfirma für Post-, Indie-, Kraut-Rock und Experimental-Musik war in den vergangenen Jahren stets gut am Merchandising-Stand des dunk!-Festivals im belgischen Zottegem vertreten, für das dreitägige Hochamt des Postrock wären We Stood Like Kings die perfekt geschaffenen Kandidaten für die 2018er-Ausgabe, bitte dann mit begleitender Filmprojektion vor der Waldbühne, von Brüssel nach Velzeke/Zottegem/Ostflandern sind’s keine 50 Kilometer, da sollte doch was gehen…
(***** – ***** ½)