Am vergangenen Freitagabend schütteten die Münchner Konzertveranstalter vom Clubzwei ein fulminantes Doppelpack an psychedelischen Kubikmetern ins konzertante Sommerloch der Stadt und präsentierten mit dem kalifornischen Hauptact Oh Sees eine der wandlungsfähigsten Combos des US-Indierock im Münchner Strom. Die Band aus San Francisco hat in den vergangenen zwei Dekaden zahlreiche Umbenennungen, Umbesetzungen und stilistische Umorientierungen hinter sich, einzige personelle Konstante über die Jahre ist Multiinstumentalist, Sänger und Label-Betreiber John Dwyer, der im ausverkauften Münchner Indie-Club von den beiden Schlagzeugern Paul Quattrone und Dan Rincon, Basser Tim Hellman und Keyboarder Tomas Dolas begleitet wurde.
Unter Sauna-ähnlichen Bedingungen groovte sich die Band aus dem Soundcheck heraus direkt, ohne Umstände und intensiv aus der Hüfte geschossen in ihren Gig, die erste Druckwelle schwappte postwendend aus dem Auditorium mittels heftigstem Pogo-Eintanzen, Schuhe- und Bierbecher-Schmeißen, Stage-Diven und ausgelassenem Gerempel zurück auf die Bühne. Den hochsommerlichen August-Temperaturen mochte im Saal offensichtlich kaum jemand Tribut zollen, und so gaben sich große Teile des Publikum dem Transpirieren im enthemmten Bewegungsdrang hin, einerlei, ob passend zu schmissigen Garagen-Trash/Punk-Hauern, flott durchgeknallten, melodischen Indie-Psychedelic-Perlen oder weithin deplatzierter zu angejazzten Kraut-Passagen oder den gedehnt ausladenden, von frei fließender Space-Orgel und entrücktem Grateful-Dead-Doppelgetrommel geprägten Progressive- und Sixties-Psychedelia-Jams. Die Combo um den durchtätowierten Bandleader mit der hochgehängten Gitarre stand dem intensiv berstenden Geschehen vor der Bühne in nichts nach und hielt das Energie-Level über neunzig Minuten konstant am oberen Limit. Die Oh Sees erfinden in ihrem von den US-Underground- und Indie-Spielarten der Spät-Sechziger, Mitt-Siebziger und achtziger Jahre stark beeinflussten Stil-Mix das Rad gewiss nicht grundlegend neu, vor allem im minutenlangen Endlosschleifen-Flow findet sich etliches an improvisierten Instrumental-Ergüssen, was woanders schon x-fach in gleicher oder ähnlicher Form zum Vortrag kam, mitunter in spannungsgeladener Diversität, der Reiz der Oh-Sees-Auftritte liegt vor allem im wilden Ritt durch eine Vielfalt an stilistischen Mitteln, in unvermittelten Tempi-Wechseln und dem Aufeinanderprallen von früher unvereinbaren Elementen wie der direkten Energie und dem knappen Format des Punk-Rock mit den ausufernden Improvisations-Auswüchsen der kosmischen Progressive-Sternenfahrt. Die Band zelebrierte den Tanz zwischen den Extremen im Dauer-Rausch ohne Verschnaufpause, und so mochte man es dem Quintett nach schweißtreibenden eineinhalb Stunden nicht verdenken, dass dem lauthals vorgetragenen Begehr nach Zugabe kein Gehör geschenkt wurde.
Gibt Bands, die ziehen auf der permanenten Suche nach entsprechenden Ausdrucksformen zum Freisetzen der überbordenden Ideen und überschüssigen Energie in the spirit of rock’n’roll ihr Ding durch und fertig ist die Laube, siehe oben. Der Großteil im populär-musikalischen Zirkus eben, die einen mit einem Schuss mehr Sendungsbewusstsein, die anderen einfach mit ungebändigtem Spaß am eigenen Tun.
Und daneben gibt’s die, die ihr Gewerk bedeutungsschwanger und konzeptionell mit mystischem Überbau versehen, die Experimental-Metaller Sunn O))) in ihren Mönchskutten oder die rituellen Beschwörungs-Postmetaller von Amenra als herausragende Vertreter der Zunft – in die selbe Kerbe schlugen am Freitagabend die drei Franzosen der Abend-eröffnenden Band Aluk Todolo. Der Name der Formation aus Grenoble ist einer uralten ethnischen Religion aus den Bergregionen Indonesiens entlehnt, das instrumentale Lärmen des klassischen Powertrios versehen die Musiker selbst mit dem Label „Occult Rock“. Unter dem Logo des Buchstabens „Un“ aus dem henochischen Alphabet, das für eine magische Kunst-Sprache im Mittelalter vom englischen Alchemisten und Hofastrologen John Dee entwickelt wurde, loten die drei dunkel Gewandeten die Kräfte ihres finster dröhnenden Trance-Flows aus. Lässt man den mythologischen Firlefanz, die theatralische Lichtbeschwörung von Gitarrist Shantidas Riedacker oder die 2011er-Kollaboration mit der musikalisch ohne Zweifel exzellenten, politisch gleichwohl fragwürdigen österreichischen Kraut-Formation Der Blutharsch And The Infinite Church Of The Leading Hand außen vor, bleibt als bedrohlicher, naturgewaltiger Sound ein erschöpfend in dunklen Gefilden mäanderndes, minimalistisches wie hypnotisches Instrumental-Gebräu aus Black-, Experimental- und Post-Metal, schwerst psychedelischem Kraut-Noise und der von Magma-Drummer Christian Vander definierten Spielart Zeuhl, die sich vor allem im freien, schleppend bis fieberhaft nervös die Becken malträtierenden, obsessiven Spiel vom entrückten Perkussionisten Antoine Hadjioannou offenbart. Der Auftritt von Aluk Todolo wird traditionell nur von einer zentral über der Bühne hängenden Lampe durchflutet, deren flackerndes Leuchten mit der Intensität der verzerrten, mitunter radikal dissonanten, lange nachhallenden Gitarren-Riffs und den einhergehenden Feedback-Erschütterungen der Metal-Drones korrespondiert. Finsterwald-Beschallung für neblige November-Tage und die Filmmusik für jegliche Ausprägungen an seelischen Abgründen, die durch diese Art von Schamanen-Kult kaum Aussicht auf Heilung erfahren, dargereicht in den letzten Tagen des Sonnen-durchfluteten Augusts – gewagte Nummer, für den geneigten Postmetal-Freund nichtsdestotrotz für eine halbe Stunde Erbauung und damit mit dem verdienten Applaus bedacht.