Von den japanischen Postrock-Göttern Mono gibt es knapp zweieinhalb Jahre nach dem exzellenten 2016er „Requiem From Hell“-Album und der seinerzeit begleitenden Promotion-Tour etliches an Neuigkeiten zu vermelden: Mit dem New Yorker Multi-Instrumentalisten Dahm Majuri Cipolla als Ersatz-Drummer ist der erste Nicht-Asiate in der Band am Start, nachdem Gründungsmitglied Yasunori Takada Ende 2017 aus persönlichen Gründen die Segel strich, und damit nicht genug an Updates, auf der jüngst erschienen Single „Breathe“ debütiert die liebreizende Bassistin Tamaki Kunishi mit ihren Sangeskünsten in Reminiszenz an die deutsche Underground-Ikone Nico, der Song ist die Vorabveröffentlichung aus dem demnächst erscheinenden neuen Longplayer „Nowhere Now Here“, dem mittlerweile zehnten Studio-Album in der zwanzigjährigen Bandgeschichte. Und eine weitere Konzertreise steht auch an, Termine unten im Anschluss an Blabla, vor Sound und Video.
Takaakira ‚Taka‘ Goto hat die ein oder andere Idee an Electronica-Verzierungen aus der Zusammenarbeit mit John McEntire im Rahmen seines Solo-Projekts Behind The Shadow Drops für das jüngste Mono-Epos entlehnt, daneben findet sich nicht wenig an Erwartungs-Befriedigendem in den zehn neuen, weit ausholenden Kompositionen der Instrumental-Institution aus Tokio: Der orchestrale, sinfonische Ansatz der opulent mit Streichern arrangierten Glanztat „Hymn To The Immortal Wind“ aus dem Jahr 2009, die meditativen, melancholischen, im Extrem resignativen, dieser Welt entrückten Passagen aus früheren Werken wie die sich zu ungeahnten Höhen aufschwingenden, euphorischen Gitarren-Crescendi in ihrer ganzen Soundwand-Pracht, wie sie im Postrock neben Mono nur wenige zur prunkvollen Ausgestaltung bringen. Einmal mehr ein emotionales Wechselbad in seiner kompletten Intensitäts-Palette im fortwährenden Spiel von Licht und Schatten, von zutiefst betrübt bis himmelhoch jauchzend alles dabei an instrumentaler Befindlichkeits-Interpretation, was das Herz des Mono-Fans begehrt, zuweilen mit noch mehr Saiten-Kreischen der vehement traktierten Gitarren, dezent atonaler Verzerrung und Filtern des komplexen Sounds durch nebulös rauschende Hall-Schleier versehen als auf den Vorgänger-Arbeiten.
Stagnation im Austesten stilistischer Möglichkeiten, streng genommen? Mag sein, jedoch bei Mono auf unverändert hohem Niveau, das im Postrock allenfalls von einer Handvoll weiterer auserwählter Begnadeter erreicht wird. „Nowhere Now Here“ erscheint am 25. Januar in Europa beim Berliner Indie-Label Pelagic Records und für den US-Markt und die mit Strafzöllen belegte Restwelt in Brooklyn bei Temporary Residence Limited.
(*****)
Mono sind im Frühjahr auf ausgedehnter Europa-Tournee unterwegs, zusammen mit der wunderbaren Experimental-Klassik-CellistinJo Quail und der norwegischen Noise/Metal-Band Årabrot. In München gibt die heilige Dreifaltigkeit am 29. April im Strom ihr Gastspiel. Weitere Termine im deutschsprachigen Raum:
14.04. – Bochum – Rotunde 15.04. – Berlin – BiNuu 20.04. – Wien – Szene 28.04. – Zürich – Bogen F 30.04. – Karlsruhe – Jubez 02.05. – Leipzig – UT Connewitz
Behind The Shadow Drops – H a r m o n i c (2017, Temporary Residence)
Hinter dem Solo-Projekt Behind The Shadow Drops verbirgt sich kein Geringerer als Takaakira ‚Taka‘ Goto, hauptamtlich Lead-Gitarren-Berseker, Gründer und Komponist der japanischen Postrock-Giganten Mono, beim Ausleben seiner Trip-Hop-, Industrial- und Neoklassik-Phantasien hat er hinsichtlich technischer Unterstützung personell auch alles andere als gekleckert, der ebenfalls sehr großartige John McEntire (Tortoise, The Sea And Cake) hat perkussiv mit synthetischer Drum-Computer-Programmierung und generell beim Mixen und Produzieren der betörenden Instrumental-Übungen mit Hand angelegt. Für Streicher-Sätze zeichnet die nicht minder erwähnenswerte kalifornische Experimental-Cellistin Helen Money verantwortlich, man kennt und schätzt sich von ausgedehnten gemeinsamen Konzertreisen.
In der Präsentation weitaus artifizieller und vor allem Sampling- und Synthie-dominierter als die bekannte, organische Mono-Gitarrenwucht und austarierte Donner-Rhythmik des Quartetts, ist „H a r m o n i c“ ein komplexes, heterogenes Werk geworden, das seine Fühler in unterschiedlichste musikalische Genres ausstreckt, gespenstischer Ambient von ausgesucht atmosphärischer Dichte, minimalistische Klassik und dynamische Electronica-Symphonik dominieren über weite Strecken das Klangspektrum, Spannungs-fördernd ergänzt durch dunkle Noise-Loops und abstrakte Drone-Nebel.
Hinsichtlich stilistischer Diversifikation ragt die annähernd zehn-minütige Komposition „Trace Of Snow Waltz“ heraus, stringent durchkomponierte Neo-Klassik im erhabenen Cello-/Klavier-Vortrag, entrückter Weltschmerz in Reminiszenz an Górecki in klare Strukturen gegossen, der kongeniale Soundtrack zur melancholischen Herbst-Meditation, im später folgenden, wesentlich kürzeren „Sonata“ erfährt dieser Ansatz dann nochmals Ergänzung hinsichtlich Stimmungs-drückender Schwermut und Tiefgang.
Schaurig-schöne Hinwendung zur entschleunigten, getragenen, ruhigeren Ausprägung der Mono-Klangwelt, herausgelöst aus dem dort vertrauten Postrock-Kontext, neue Abgründe und Horizonte erforschend.
(**** ½ – *****)
Sannhet – So Numb (2017, Profound Lore Records)
Man könnte auch rummotzen, hat man alles schon zig-fach irgendwo gehört, Genre stößt an seine Grenzen, immer diese Sound-Wände, immer wieder dieses Gewese über den Gitarren-Flow und die treibenden Trommeln, ist halt der typische, handelsübliche Instrumental-Sound irgendwo an der Schweißnaht Postrock/Postmetal, Caspian, Pelican, Explosions, you name it, blablabla. Könnte man bei entsprechend grundlegend ablehnender Haltung oder im situationsbedingten Schlechte-Laune-Modus, keine Frage. Man kann sich aber auch einfach reinfallen lassen, in die bezwingende Wucht des vehementen Vortrags des Trios Sannhet aus Brooklyn. Und man darf auch den Weg fort vom Black Metal der Vorgänger-Werke der Band hin zu einem breiteren, harmonischeren Klangspektrum durchaus begrüssen. Referenzieren auf Postrock-Hergebrachtes wie ideenreiches Ausbauen und intensives Ausloten mit schneidigen Gitarren, wummernden Bässen und massiv angeschlagenen Drums, mehr braucht’s halt nicht für die Glückseligkeit im PR-/PM-Himmel, erst mal drin, mag man nicht mehr raus, und im konzertanten Vortrag soll es dem Vernehmen nach eh nochmal eine ganz andere Liga sein. Mindestens beim Titelstück ist die Verzückung trotz aller Einwände keine geringe, insofern: Winken wir jetzt einfach mal aufgrund der wiederholt überbordenden Gefühlsregungen und des mit wenigen Ausnahmen ganz weit oben gehaltenen Energie-Levels durch, gleichwohl wird für das nächste Mal dann wieder eine Spur mehr eigene Handschrift eingefordert.
(**** – **** ½)
thisquietarmy – Democracy Of Dust (2017, Midira Records)
thisquietarmy ist das Projekt des Ambient-/Drone-/Noise-Gitarristen Eric Quach aus Montreal/Kanada. In der Vergangenheit hat der Sound-Tüftler neben der Veröffentlichung seiner zahlreichen, stilistisch weit divergierenden Solo-Arbeiten bereits mit unterschiedlichsten Künstlern wie der italienischen Postrock-Band Thank U For Smoking, dem belgischen Drone-Metal-/Ambient-Projekt Syndrome von Amenra-Gitarrist Mathieu Vandekerckhove, dem kanadischen Experimental-Musiker Aidan Baker oder der New Yorker Noise-Gitarristin Noveller (live am 11. Oktober beim Münchner frameless14, MUG im Einstein, Einsteinstraße 42, Eintritt frei, vormerken) zusammengearbeitet und gemeinsame Kompositionen/Klangskulpturen auf den Weg gebracht. Auf „Democracy Of Dust“ lotet er geschickt die Grenzen zwischen abstraktem White-Noise-Drone-Rauschen, sphärischen Kraut-/Space-Meditationen, repetitiven Electronica-/Synth-Pop-Schleifen und dunklem Industrial-Fräsen aus, unter Zuhilfenahme des gesamten Behandlungs-Instrumentariums von Loops, Samples, über Field Recordings bis hin zu Gitarren-verzerrender Pedal-Technik, irgendwo im weiten Raum vorangegangenen Pionieren wie Hans-Joachim Roedelius und Richard H. Kirk nachspürend und dabei oft erstaunlich Anregendes wie Unkonventionelles zu Tage fördernd. Traumlandschaften treffen auf Nerven-anspannenden Abstrakt-Metal-Noise, eine sich gegenseitig befruchtende Balance zwischen Wohlklang und pochendem Krach haltend.
(****)
„When I said you’re strange It was a compliment, you know“ (Langhorne Slim & The Law, Airplane)
Irgendwie ein typisches „Es-war-schon-alles-da-in-der-Musik-darum-schon-wieder-kein-neues-‚Astral-Weeks‘-‚Zen-Arcade‘-‚Exile-On-Main-St‘-Wunderwerk“-Jahr, dafür aber ein Musik-Jahr mit überraschenden Comebacks, würdigen Alterswerken, spannenden Mixturen, ein paar erwarteten und etlichen unerwarteten Highlights, einigen gewichtigen Ausgrabungen aus den Archiven und einem ersten Platz, der das in der Gesamtheit nicht sonderlich rosige Jahr 2015 in seiner Grundstimmung einfängt.
(01) Steve Von Till – A Life Unto Itself (2015, Neurot)
Das düstere Songwriting des Neurosis-Sängers/-Gitarristen: die Platte des Jahres 2015 im Kulturforum. Der passende Soundtrack für ein Jahr, von dem Bilder/Eindrücke unter anderem von gekenterten Flüchtlings-Booten, dem Terror-Anschlag auf einen Live-Club und allerhand politischen Verwerfungen bleiben werden, leider.
(02) Pops Staples – Don’t Lose This (2015, Anti)
Würdiges Alterswerk der Gospel-/Soul-Ikone, aus Rohfassungen von Tochter Mavis Staples und Wilco-Vorturner Jeff Tweedy behutsam zu einem guten Ende gebracht.
(11) Die Buben im Pelz & Freundinnen – Die Buben im Pelz & Freundinnen (2015, Konkord)
Den Violinen-Drone aus „The Black Angel’s Death Song“ haben sie nicht hingekriegt, sowas bleibt natürlich nur Musikern wie dem Gott-ähnlichen John Cale vorbehalten, ansonsten haben sie wirklich alles richtig gemacht, die Buben im Pelz und ihre Schicksen, mit ihrer Wiener Adaption eines der wichtigsten Alben der Pop-Historie. Total leiwand, eh kloa…
(17) Waves – Stargazer (2015, Waves)
Mit das Interessanteste in Sachen Post-Rock kam heuer aus München. Meine Hardcopy fange ich mir beim Konzert am 14. Januar im Backstage ein und dann folgt auch eine ausführliche Besprechung. Versprochen.
Das soll’s gewesen sein von meiner Seite für 2015. Rutscht gut rüber ins neue Jahr, ich wünsche Euch alles Gute, Glück und vor allem Gesundheit für 2016, uns wird es vermutlich auch im neuen Jahr im Großen und Ganzen wieder besser ergehen als 99% vom Rest der Welt, in diesem Sinne, weil Sylvester ist und weil gleich die Böller und Sektkorken knallen, soll das letzte Wort im alten Jahr an dieser Stelle Nathaniel Rateliff gehören: „Son of a Bitch, give me a Drink !!!!“ ;-)
Tamikrest – Taksera (2015, Glitterhouse / Glitterbeat Records)
Limitierte LP-Veröffentlichung zum heurigen Record-Store-Day. Toller Live-Mitschnitt eines Auftritts der Touareg-Blueser beim letztjährigen Burg-Herzberg-Festival. Großes Improvisationstheater der Band aus Mali, wie immer stehen die treibenden Gitarren im Zentrum des Vortrags, die hypnotischen Grooves tun ihr Übriges, um den Hörer innerhalb kürzester Zeit in einen beglückenden Wüsten-Blues-Flow zu versetzen. Acht von den Studio-Alben der Band bekannte Stücke, die hier oft in beschleunigten, mehr in Richtung Rock getrimmten und ausgedehnteren Fassungen auf die Bühne gebracht wurden.
(**** ½)
Takaakira ‚Taka‘ Goto – Classical Punk And Echoes Under The Beauty (2015, Pelagic / Cargo Records)
“It didn’t sound like Mono, so I left it as a trail to my envisioned world, as my personal collection.” sagt Mono-Gitarrist Takaakira Goto über sein aktuelles Solo-Album, dessen Material er bereits 2003 komponierte und einspielte. Am ehesten noch mit dem Mono-Klassiker „Hymn To The Immortal Wind“ (2009, Temporary Residence Limited) vergleichbar, beschreitet Goto hier Neo-klassizistische Pfade, die nur partiell mit Post-Rock-Versatzstücken versehen sind und in ihrer getragenen Erhabenheit musikalisch weit mehr beim zeitgenössischen Klassik-Komponisten Henryk Górecki als im japanischen Post-Rock-Heimathafen Mono zu verorten sind. Und doch: ähnlich wie die beiden jüngsten Mono-Wunderwerke „The Last Dawn/Rays Of Darkness“ (2014, Temporary Residence Limited) ein akustischer Rausch von betörender Schönheit.
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Valentina Lisitsa – Plays Philip Glass (2015, Decca)
Gelungene Doppel-CD-Sammlung mit werkübergreifenden Interpretationen repräsentativer Stücke des New Yorker Minimal-Meisters Philip Glass, eingespielt von der ukrainischen Klassik-Pianistin Valentina Lisitsa, die kurioserweise durch ihre hochgeladenen Videos auf youtube zum Star in der Szene avancierte.
Die Stücke „Mad Rush“, „Wichita Sutra Vortex“ und den „Methamorphosis“-Zyklus hat Glass himself bereits auf seiner CD „Solo Piano“ (1989, Sony) eingespielt, des weiteren werden Klavier-Bearbeitungen von Stücken aus den Soundtracks zu „Mishima“, „The Truman Show“ und „The Hours“ sowie Interpretationen aus „Glassworks“ und „How Now“ zu Gehör gebracht, welche diese Minimal-Music-Perlen in völlig neuem Licht erscheinen lassen. Wo Philip Glass die Originale mit seinem Ensemble opulent und durch elektronische Keyboards dominiert einspielte, glänzen die Neubearbeitungen mit weitaus puristischeren Ton-Deutungen. Eine schöne Platte, die dem Werk von Philip Glass durchaus neue Facetten hinzufügt.
(**** ½)
Catherine Feeny & Chris Johnedis – Catherine Feeny & Chris Johnedis (2015, Fluff & Gravy Record)
Die aus Portland, Oregon stammende Folk-Songwriterin Catherine Feeny, die sich bereits ihre Tour-Meriten im Vorprogramm von Größen wie Suzanne Vega, Dr. John und John Prine erworben hat, ging für diese Produktion eine Kollaboration mit dem Jazz-Drummer Chris Johnedis ein, die am ehesten an Free-Folk-Werke Fiona Apples erinnert, mir jedoch an vielen Stellen hinsichtlich Jazz-Einfluss des Guten dann doch zuviel ist. Grundsätzlich für jedes Experiment offen, geht mir die Nummer gehörig auf den Zeiger. Als Einfluss nennt Catherine Feeny unter anderem Joni Mitchell, und damit habe ich für mich einen hinlänglich ausreichenden Erklärungsansatz gefunden, warum ich gegen die vorliegende Scheibe eine derartige Aversion hege…
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Van Halen – Tokyo Dome Live In Concert (2015, Warner)
Hätte hier wahrscheinlich keiner erwartet, schon klar. In die Nummer hat mich die Neugier in Reminiszenz an meine verpfriemelte Hard-Rock-Jugend reingetrieben.
Erste Live-Scheibe mit David Lee Roth, dem Ur-Sänger von Van Halen, der seit 2006 wieder in der Band mitmischt. Das Material besteht dementsprechend zu großen Anteilen aus Stücken der Frühphase der Combo, vereinzelte Hauer wie „Dance The Night Away“, „Unchained“ oder das Kinks-Cover „You Really Got Me“ grooven nach wie vor recht putzig und Eddie Van Halen ist unter technischen Gesichtspunkten weiterhin Gitarren-Weltmeister, aber ganz ehrlich: die Zeiten des Griffbrett-Onanierens sind irgendwie doch lange vorbei, wie meine Jugend halt auch… ;-)))
(** ½)