Texas

Reingehört (379): Jarrod Dickenson

Jarrod Dickenson – Ready The Horses (2017, Decca)

Nashville-Texaner Jarrod Dickenson mit feiner Americana-Arbeit zwischen Alternative Country und Soul. Mit „Faint Of Heart“ eröffnet das Album in einer Gospel-verhafteten, nahezu sakralen Ernsthaftigkeit, in der der Sänger seine stimmlichen Fertigkeiten optimal wie beeindruckend zur Geltung bringt, der hier tief im Southern Soul verwurzelte Ansatz des weißen Songwriters findet seine Fortsetzung in der von New-Orleans-Orgel, Chor und Bläsersätzen bereicherten Swamp-Blues/R&B-Nummer „Take It From Me“, die in ihrer schweißtreibenden Schwere und Erdung jedem besseren Album von JJ Grey und seiner Southern-Rock-Formation Mofro zur Ehre gereicht hätte, im weiteren Verlauf lässt es Dickenson weniger opulent in der Instrumentierung, weitaus intimer im Klangbild und zurückgenommener im Sanges-Vortrag angehen und driftet in Richtung Geschichten-erzählender Balladen-Melancholie, Akustik-Blues und entspanntem Country-Crooning. Stimmiges wie abwechslungsreiches Werk, live im Studio während einer UK-Konzertreise eingespielt. Grundsolides Album, bei dem vermutlich keinerlei Gedanken an wie auch immer geartete Innovationen verschwendet wurden, das aber einige der besten amerikanischen Musiktraditionen beseelt und vor allem versiert herauskehrt.
The sad soul of the black south, mit Cowboy-Hut.
(**** ½ – *****)

Soundtrack des Tages (183): John Wesley Coleman III

Mit dem Anfang des Jahres bei Super Secret Records erschienenen Album „Microwave Dreams“ hat Songwriter John Wesley Coleman III aus Austin/Texas ein leidlich passables Indie-Rock-/Alternative-Country-Teil auf den Markt gebracht, beileibe nichts, worüber man über die volle Distanz permanent vor Begeisterung durchdreht, aber der von Byrds-Harmonien, Uptempo-Indie-/Punk-Rock und Synthie-Gezirpe durchwehte Opener „Shovel“ ist auf alle Fälle eine mehr als nur lobende Erwähnung wert – Lautstärkenregler hoch, „Dance with me Moterhfucker!“

Soul Family Tree (28): Delbert McClinton

„Es gehen viele Wege hinein, aber nur einer heraus, und ich bin mir verdammt sicher, wovon ich spreche.“
(Delbert McClinton)

„White Man Can’t Sing The Blues“, ein Statement, das der texanische Musiker Delbert McClinton in seiner langen Karriere permanent ad absurdum führte. Der bei Roots-Rock-Fans hochverehrte Mann aus Forth Worth versteht es mit seinen Auftritten und Solo-Alben seit weit über 40 Jahren wie kaum ein zweiter, die Grenzen zwischen Blues, Soul und Country-Rock zu verwischen und mit diesem uramerikanischen Stilmix das geneigte Publikum, die Kritiker und das Grammy-Vergabe-Komitee zu überzeugen, nicht zuletzt auch musizierende KollegInnen wie Emmylou Harris, Etta James und die Blues Brothers, die seine Songs neu interpretierten.

McClinton war nie ein Mann des musikalischen Mainstreams, geschweige denn der große Publikumsmagnet, gleichwohl ist sein Name aus der US-amerikanischen Musikszene nicht wegzudenken. Seine frühe Liebe gehörte der Mundharmonika, Anfang der sechziger Jahre war er in der Hausband eines Clubs als Bluesharp-Spieler engagiert, in dem Rahmen durfte er Größen wie Howlin‘ Wolf, Jimmy Reed und Bobby ‚Blue‘ Bland begleiten.
1962 war er auf der No.1-Hit-Single „Hey! Baby“ des amerikanischen Songwriters Bruce Chanell zu hören, eine gemeinsame Tour führte die beiden jungen Männer aus Texas in dieser Zeit auch nach England, wo sie mit den damals noch unbekannten Beatles zusammenspielten. Delbert McClinton soll der Legende nach John Lennon das Harmonika-Spiel beigebracht haben, es könnte aber auch einer der anderen Pilzköpfe gewesen sein, McClinton sagt selbst: „Es war, ehe sie wichtig genug waren, um wissen zu müssen, wer wer war“. Der Harmonika-Part von „Hey! Baby“ inspirierte Lennon zum Beatles-Hit „Love Me Do“ und der Song selber den unsäglichen DJ Ötzi zu einer (selbstredend nicht minder unsäglichen) Neuinterpretation der Nummer im Jahr 2001.

Zurück in den Staaten, gründete McClinton die Band The Rondells (aka The Ron-Dels), der größere Erfolge verwehrt bleiben. 1972 zog es den Texaner nach Los Angeles, wo er mit dem Songwriter Glen Clark zwei Countryrock-Alben einspielte, 1974 kehrte er in die Heimat zurück, unterschrieb einen Deal mit ABC-Records und veröffentlichte ab dem Jahr in regelmäßigen Abständen seine Solo-Arbeiten. Obwohl Teil der Country-Rock-Bewegung, war McClintons musikalischer Ansatz viel zu sehr im Blues, R&B und Soul verhaftet, um dort eine zentrale Rolle zu spielen.

Zu seinen bekanntesten Aufnahmen dürfte die Soul-Nummer „Giving It Up For Your Love“ aus der Feder seines texanischen Landsmanns Jerry Lynn Williams zählen, die Single-Auskopplung aus dem Album „The Jealous Kid“ landete 1980 auf Platz 8 der Billboard Hot 100 Charts:

Ab Anfang der 2000er veröffentlichte Delbert McClinton seine Alben beim renommierten Americana-Label New West, neben Longplayer-Highlights wie „Nothing Personal“ oder „Cost Of Living“ auch seine im Rahmen eines Konzerts beim „Bergen Musicfest/Ole Blues“ im Jahr 2003 mitgeschnittene, exzellente „Live“-Doppel-CD, zu der Zeit wurden seine Platten zwischenzeitlich in unseren Breitengraden vom deutschen Roots-Rock-Indie-Label Blue Rose Records vertrieben und so der hiesigen Musikkonsumenten-Schar näher gebracht.

Delbert McClinton ist mir einmal live über den Weg gelaufen, 2010 in B. B. King’s Blues Club & Grill am New Yorker Times Square, einem Music-Club für Tribute-Shows, bekannte Altrocker und Blueser, die oft bessere Tage gesehen haben, ein gut laufender Nostalgie-Schuppen in prominenter Lage in Midtown Manhattan mit afroamerikanischem Service-Personal und weißen Gästen, mit dem für New Yorker Clubs dieser Größenordnung oft üblichen Konsumzwang, was für einen Oberbayern bei einem Minimum von zwei Bieren eine der leichtesten Übungen darstellte.
Eine leichte Übung war es offensichtlich auch für den damals 70-jährigen Delbert McClinton und seine gut eingespielte Band, das Musik-interessierte Publikum im ausverkauften Laden zwischen Steak-Verzehr und Cocktail-Süffeln mit seinem zupackenden Mix aus Blues, Soul und angefunktem Country-Rock innerhalb kürzester Zeit zum beschwingten Mitgrooven zu bewegen.
Konzertanter Höhepunkt an diesem Abend war die herzergreifende Blues-Ballade „You Were Never Mine“, im Original auf dem 1997er-Album „One Of The Fortunate Few“ zu finden:

2013 hat Delbert McClinton zusammen mit seinem langjährigen Weggefährten Glen Clark das altersmilde Album „Blind, Crippled And Crazy“ beim Americana-Indie-Label New West Records veröffentlicht, aktuell ist Anfang diesen Jahres sein Longplayer „Prick Of The Litter“ mit seiner neuen Band Self-Made Men erschienen, still going strong mit 76 Lebensjahren auf dem Buckel…

Reingehört (287): Knife In the Water

Knife In The Water – Reproduction (2017, Keeled Scales)

Das Quintett Knife In the Water aus Austin/Texas hat sich nach dem ersten Roman-Polanski-Spielfilm benannt und von 1998 bis 2003 mit „Plays One Sound And Others“, „Red River“ und „Cut The Cord“ drei respektable Alben unters Volk gebracht, die in unseren Breitengraden sämtlich vom Beverunger Glitterhouse-Label angepriesen und vertrieben wurden, die Schreiber des Fachblattes Spex merkten seinerzeit an, dass die Auftritte von Velvet Underground in den späten Sechziger Jahren in Texas offenbar Früchte getragen haben, hinsichtlich erkennbarer Einflüsse von gedehnten Morbid-Folk-Pop-Nummern wie „Pale Blue Eyes“ oder „I’m Set Free“ vom dritten Album der Reed/Cale-Combo im Klangbild von Knife In the Water ist der Verdacht nicht gänzlich von der Hand zu weisen.
Nach 2003 gab’s aufgrund überschaubarer kommerzieller Erfolge keine neuen Tonträger der Band und 2007 haben sie den Konzert-Betrieb selbst im heimischen Austin für die nächsten zehn Jahre eingestellt, ohne sich je offiziell aufzulösen, Anfang März ist vierzehn Jahre nach „Cut The Cord“ überraschend ein neuer Longplayer der Sadcore-Kapelle erschienen, die Combo um Sänger/Gitarrist Aaron Blount schwelgt unverändert in einer ureigenen Mixtur aus dunkler, erhabener, melancholischer Slowcore-Indie-Schönheit, schräg-psychedelischem Americana-Sound und tiefenentspanntem Ambient-Folkrock, vorgetragen wie eh und je mit diesem ins Mürrisch-Depressive neigenden Zungenschlag, filigraner Gitarrenarbeit, einem völlig entschleunigten Rhythmusgerüst und punktuellem, maximal in die Länge gezogenem Pedal-Steel-Schmelz.
Irgendwie hat das Verschwinden der Band aus der Öffentlichkeit Mitte der Nuller-Jahre nicht groß für Aufsehen gesorgt, aber wenn man dann den mit „Reproduction“ perfekt betitelten neuen Tonträger in diesen Tagen hört, drängt sich der Verdacht auf, dass doch was gefehlt hat in den zurückliegenden Monaten und Jahren…
(**** ½ – *****)