The Beasts Of Bourbon

Spitzenprodukte der Popularmusik (9): Der Scheitel

KULTURFORUM Attwenger @ Herzkasperlzelt, Oktoberfest München, 2014-09-21 www.gerhardemmerkunst.wordpress.com (21)

“Diese Band ist nicht respektlos sondern gnadenlos… Eine Beschwörung der radikalen Traurigkeit im Schlager.”
(Die Presse, Wien)

“Links und rechts sind die Haare, aber der Scheitel selbst ist nichts. Eine Demarkationslinie zwischen Kläglichkeit und dem Erhabenen, dem Pathos.”
(Fritz Ostermayer)

Der Scheitel – …in einem Haus das Liebe heißt (1994, Guardian Angel)

Guter Vorsatz für’s neue Jahr: Wiederbelebung dieser Reihe zur Vorstellung popularmusikalischer Glanzleistungen, die Schätze längst vergangener Zeiten kommen im hektischen Alltags-Betrieb mit permanent reindrückender, frischer Ware oft viel zu kurz.

Im Jahr 1994 haben sich Geistesmenschen wie der begnadete österreichische Musik-Journalist und Radio-DJ Fritz Ostermayer, sein Journalisten-Spezi Christian Schachinger, der Wiener Künstler Michael Krupica oder der auch heute noch bei den Buben im Pelz und zwischenzeitlich bei der Combo Neigungsgruppe Sex, Gewalt und Gute Laune aktive Christian Fuchs zum einmalig auf Tonträger dokumentierten Projekt Der Scheitel zusammengetan, um unter Mithilfe namhafter Gaststars eine einzigartige Songsammlung aus Traditionals, gut abgehangenen Schlagern und ausgewählten Preziosen aus der weiten Welt der Pop-Musik im Geiste von Trash-Kitsch, Freddy Quinn, Johnny Cash und dem unvergleichlichen Helmut Qualtinger unters Volk zu bringen.
Es gibt Musiker, deren Kunst ist einfach Abgrund-tief schlecht, Stichwort/Beispiele George oder Jackson Michael, da ist kein Platz für Komplizen-haftes Augenzwinkern, keine satirisch-ironisch angedachte Fußnote, kein „Das ist so schlecht, dass es schon wieder gut ist“, einfach nur synthetischer Sondermüll, und es gibt auf der anderen Seite jene Musiker, die haben im Vortrag des Banalen, des Billigen, des Schlager-haften diesen aus dem Erreichen des Bodensatzes mitgenommenen Aufschwung – der ab dem durchwanderten Tiefpunkt nur noch steil nach oben zeigt – implizit in ihrer Interpretation verankert, eben jenes Geniale im an sich Befremdlichen, Abgeschmackten, Sentimental-Geschmacklosen, und in genau diese Kategorie fallen die fünfzehn Interpretationsansätze auf „…in einem Haus das Liebe heißt“, die Scheitel-Band covert sich in einer unnachahmlichen Mixtur aus rumpelndem Schlager-Kitsch, Alternative-Country-Schräglage inklusive maximal ausgereiztem Pedal-Steel-Schmelz, Tanzcombo-Hammondorgel-Beschallung, latent angesoffenem Bierzelt-Combo-Gepolter und einer gehörigen Portion Wiener Schmäh durch Schlager-/Traditional-Allgemeingut wie „Carrickfergus“, dem Roy-Black-Schmachtfetzen „Wahnsinn“ oder „Follow Me“ mit der Münchner Künstlerin und F.S.K.-Musikerin Michaela Melián in einer Gastrolle als Amanda Lear. In der Udo-Jürgens-Glanznummer „Es war ein Sommertraum“ kommt Tav Falco als Special Guest am Gesang zu seinem großen Auftritt (nicht der naheliegende Hansi-Hölzel-Falco, sondern tatsächlich Granate Gustavo, der zusammen mit seiner Combo Panther Burns 1982 mit „Behind the Magnolia Curtain“ seinen großen Trash-Blues-Moment hatte und der mit „Like Flies On Sherbert“ Alex Chilton’s Genre-Meisterwerk den Titel gab, im Übrigen auch ein paar Kandidaten für diese Rubrik).
„The Hate Inside“ vom australischen Beasts-Of-Bourbon-Meisterwerk „Sour Mash“ (1988, Red Eye Records) wird mit „Da Hoß in mia“ eingewienert, eine Steigerung hinsichtlich fatalistisch herausgerotztem Nihilismus in der Textzeile „Wenn da Hoß in mia moi aussekummt, dann gehst in Oasch, du gschissene Wööd“ ist schwer denkbar, weitaus mehr positiv besetzter Humor macht sich in der lässig-schrägen Country-Interpretation der Bowie-Nummer „Helden“ breit, und die Attwenger-Ballade „Summa“ bleibt auch in der Scheitel-Bearbeitung eine ergreifende Angelegenheit mit viel Akkordeon und Schmalz, die Musikanten Hans-Peter Falkner und Markus Binder von dene Attwenger revanchieren und bedanken sich postwendend durch Beitrag zum Traditional „Mariana“.
„Selten war traurig so lustig“ hat mal ein schlauer Mensch über die Musik der Dad Horse Experience verlautbaren lassen, für das erste und einzige Scheitel-Album trifft diese Einschätzung nicht minder zu. Alle, die früher regelmäßig die Ö3-Musicbox gehört haben, heute noch bei „Willkommen Österreich“ von Stermann & Grissemann vor der Glotze hängenbleiben, den „Herrn Karl“ auswendig runterbeten können, den deutschen Schlager der fünfziger bis siebziger Jahre in ihrer wahren Pracht erkennen oder einfach nur einen Funken Zuneigung für den abseitig-morbiden Humor der notorisch schlecht gelaunten Hälfte der Bevölkerung der schönen Stadt Wien haben, sollten mindestens einmal im Leben dem Scheitel ihr Gehör leihen, eh klar.
Das lange vergriffene Wunderwerk ist dankenswerterweise 2007 beim Münchner Trikont-Label wiederveröffentlicht worden, ein Hoch auf die Giesinger Independent-Bastion des guten Musikgeschmacks.
(******)

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Reingehört (76)

Reingehört September 2015 05

Tex Perkins & The Dark Horses – Tunnel At The End Of The Light (2015, Dark Horses Records)
Hier ist einer in Würde gealtert: Tex Perkins, Vorsteher der australischen Indie-Band The Cruel Sea, die vor allem in den späten Achtzigern mit ihrem Blues-lastigen Surf-Sound begeistern konnten, im Nebenerwerb ebenso in dieser Zeit mit der heftigen Hardblues-Punk-Combo The Butcher Shop zugange und vor allem einem breiteren Publikum als Frontman der hochverehrten 80er-Jahre-Hardblues-Supergroup The Beasts Of Bourbon bekannt, läßt es auf diesem neuen Werk zusammen mit den Dark Horses wesentlich entspannter angehen als in vergangenen Tagen, als er bei Konzerten wie ein waidwundes Raubtier an den Bühnenrändern dieser Welt in vorderster Front entlangtigerte, an den Panther aus Rilkes Gedicht gemahnend, allzeit den Sprung ins Publikum androhend.
Auf dieser Songwriter-Perle präsentiert Perkins sehr relaxten Crooner-Slow-Blues/-Country, und damit die Spannung auf hohem Level gehalten wird, unterfüttert die Band den Sound mit subtilen Psychedelic-Elementen, die das Abhängen zu vorgerückter Stunde inklusive harter Alkoholika-Einnahme sowie exzessivem Kippen-Konsum geradezu kongenial akustisch abbilden.
Der Mann ist schlichtweg schon zu lange im Profi-Geschäft, als dass auf dieser höchst angenehm hörbaren Platte groß was anbrennen könnte, im dunkel-düsteren Grübeln und Grummeln macht dem Tex keiner was vor…
Allzeit-Weggefährte Charlie Owen (Beasts Of Bourbon, Louis Tillett, New Christs) bedient im Übrigen die Gitarren auf diesem tiefenentspannten Output from Down Under.
(**** ½)

Langhorne Slim & The Law – The Spirit Moves (2015, Dualtone)
Der Songwriter Sean Scolnick alias Langhorne Slim aus Langhorne/Pennsylvania veröffentlicht seit 10 Jahren Tonträger, das vorliegende ist sein bereits siebentes Werk, aufgrund des qualitativen Kraftakts, den der junge Mann hier mit seiner Combo The Law unternimmt, sollte es mit dem Teufel zugehen, wenn dieser beseelte Alternative Country nicht bei einem breiteren Publikum auf Gegenliebe treffen sollte.
Die Band wandert geschickt zwischen den Wohlklang-Welten, entspannte Folk-Balladen geben Hand in Hand mit teilweise recht opulent orchestriertem, phasenweise Bläser-lastigem, emotional groovendem Liedgut, neben beherzter Americana sind gewisse Sixties-Soul- und Gospel-Einflüsse nicht zu überhören, Freunde von Werken der US-Senkrechtstarter Houndmouth dürften an diesem Werk ihre helle Freude haben.
Leidenschaftlicher Gesang und ein grundsolides Gitarrenspiel sind der prägende musikalische Rahmen für Slims Gedanken um Liebe, Leben und die Welt drumherum, die in der wunderbaren Ballade „Airplane“ als unangefochtenem Album-Highlight gipfeln.
Empfehle beherztes Zugreifen bei diesem reichhaltigen akustischen Füllhorn.
(**** ½ – *****)