The Dead Brothers

The Dead Brothers @ Import/Export, München, 2018-03-15

„In the long run we are all dead.“
(John Maynard Keynes, Tract on Monetary Reform)

Totentanz mit den Dead Brothers am vergangenen Donnerstag-Abend im Münchner Import/Export, zum pietätvollen Leichenschmaus haben die rührigen und wie immer stilsicheren Veranstalter vom Clubzwei in die Kantine im Zwischennutzungs-Quartier an der Dachauer Straße geladen, die ortsansässige Trauergemeinde folgte dem Aufruf zur Ehrerbietung zahlreich und ließ die Messe zu einer sehr gut besuchten gelingen.
Schauspieler (u.a. of M.A.Littler-Movies-Fame), Sänger und Gitarrist Alain Croubalian und seine höchst lebendigen Genfer Schwestern Andrea und Jane resp. Brüder Leon und Tobi starteten ihr Leichenbegängnis aus dem Off im hinteren Bereich des Zuschauerraums mit einer getragenen alpenländischen Volksweise und ergingen sich sodann auf der Bühne angekommen in den Totengesängen ihres reichhaltigen Schaffens, die Schweizer Funeral Band hat es seit der Jahrtausendwende auf inzwischen respektable acht Tonträger gebracht, Liedgut wie „Ghost Train“, „Baron Samedi“, das nahe liegende „Everything’s Dead“, der beschwingte Soul im „Did We Fail?“-Blues oder die paranoide Robert-Walser-Rezitation im Titelstück des jüngst erschienenen, exzellenten Dead-Brothers-Albums „Angst“ erklangen am offen Grab nebst älteren ergreifenden Weisen wie „Heart Of Stone“„Black Moose“, „Dark Night“ und dem Folk-Standard-Abschiedsgruß „Fare Thee Well“.
Das Quintett schaute gründlich, eindringlich und vor allem im musikalischen Vortrag höchst ansprechend hinter den schwarzen Spiegel und widmete sich in gebührendem Respekt in Form und Inhalt den letzten Dingen und dem sprichwörtlich letzten Hemd, das bekanntlich keine Taschen hat. Croubalian gab als ausgewiesen erfahrener und mit entsprechenden Talenten gesegneter Bühnenmensch den angeschrägten, geheimnisvollen Jahrmarkts-Conferencier, das melancholische wie virtuose Violinen-Spiel gab Trauer-Hilfe, die Pauken, Trommeln, Becken, das Banjo und die Gitarre schepperten mächtig wie das Knochen-Klappern in der Gruft, die Tuba grollte dem Jüngsten Gericht gleich und erdete im dunklen Brummen den Bass ersetzend die beschwörenden Gesänge.
Stilistisch lässt sich die Schweizer Kapelle seit jeher nicht final kategorisieren, das verleiht dem Tanz auf den Gräbern nach wie vor den spannungsgeladenen Nachdruck und die einzigartige Note. Den Grundtenor stimmt selbstredend der Trauermarsch an, übergreifend erweitert zum düsteren Südstaaten-Swamp-Blues und zur Bühnenbeschallung in Anlehnung an Kurt Weill, geschmückt mit sinisteren Anklängen an die Variete-Kunst des Vaudeville, an morbiden französischen Chanson, experimentierend mit der rohen, wilden Energie des Punk wie mit traurig-schönen, Ohren-schmeichelnden Elementen aller möglichen Folklore vom Alpenland bis in den Balkan, mit Jazz-artiger, leiernder Beschwingtheit, kammermusikalischer Erhabenheit und dem unheimlichen Cajun- und Zydeco-Gesumpfe aus den Feuchtgebieten Louisianas. A schöne Leich‘, Dead & Gone, ins Transglobal-Crossover-Grabtuch gehüllt.
Kein Leichenschmaus ohne ordentliches Besäufnis: Den Trauerzug beschloss die Combo mit einem letzten Gruß von der Bühne herunter durch die Publikums-Scharen in Richtung Tresen ziehend, auf dem die fünf Musikanten sich dann auch prompt prominent exponierten und den Zugabenteil auf der Theke des Import/Export stehend nebst ein paar schwungvollen Gospelnummern aus dem amerikanischen Süden mit einer intensiven „Ramblin‘ Man“-Interpretation beschlossen, einer würdigen Verneigung vor dem großen Melancholiker und Gottvater der amerikanischen Country-Musik Hank Williams, Soul-Brother der Dead Brothers (and Sisters) im Geiste, ein über die Maßen passender Abgesang, wusste doch auch der viel zu früh im zarten Alter von 29 Lenzen dahingeschiedene Hiram aus Butler County/Alabama, dass er aus dieser Welt niemals lebend rauskommen wird…
(*****)

Das Totenlieder-Anstimmen der Dead Brothers macht ab heute an folgenden Stations of the Cross Halt, Teilnahme und Erscheinen im Trauerflor ist angezeigt:

19.03.2018Münster – LWL Museum
20.03.2018Frankfurt – Zoom
21.03.2018Köln – Museum
22.03.2018Haarlem – Patronaat
23.03.2018Middelburg – De Spot
24.03.2018Utrecht – DB’s
29.03.2018Schaffhausen – Taptab
31.03.2018Winterthur – Gaswerk
01.04.2018Wädenswil – Theater Ticino / Pâqu’son Festival
06.04.2018St.Gallen – Grabenhalle

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Reingehört (423): The Dead Brothers

„Seid dankbar für die Musik, Prinz, die meisten von uns sterben in Stille.“
(Peter Greenaway)

„Im besten Fall ist eine Beerdigung balkanisch: hysterisch saufen, weinen und lachen.“
(Fritz Ostermayer)

„Wer Angst hat, verliert.“
(Werner Lorant)

The Dead Brothers – Angst (2018, Voodoo Rhythm Records)

Ja verreck, die Dead Brothers haben was Neues am Start. Muss selbstredend mindestens achtmal das Wort „morbide“ im Text einer halbwegs vernünftigen Würdigung des Werks vorkommen, sonst ist sie quasi von vornherein zum Scheitern verurteilt, die Besprechung des tonalen Leichenzugs.
Auf „Angst“ glänzen die in Genf ansässigen Musikanten, Film- und Theater-Beschaller um den Schauspieler und M.A.Littler/Slowboat-Filmstar Alain Croubalian einmal mehr als Begräbniskapelle mit 13 neuen Moritaten – und sei es nur zur Beerdigung der eigenen Ängste – in einem grau-dunklen Panoptikum aus gedämpfter Balkan-Folklore, gespenstischem Desert-Blues, der in seiner staubtrockenen Spielart die abgenagten Gerippe verdursteter Rindviecher im heißen Wüstensand vor dem inneren Auge vorbeiziehen lässt und in seinen ergreifendsten Ausprägungen selbst jeder Cave-/Bad-Seeds-Scheibe gut zu Gesicht stehen würde, schepperndem Calypso/Rumba-Gepolter, das trotz der bierernsten Thematik durchaus das Tanzbein zum Mitschwingen animiert, Chanson-Balladen aus den Tiefen der trostlosesten Kaschemmen und Absturz-Kneipen, Anklängen an polternde New-Orleans-Funeralband-Märsche, okkultem Voodoo-Trash und saumseliger alpenländische Volksmusik-Melancholie, darunter unter anderem die Fremdkomposition „Les Papillons Noirs“ vom längst verstorbenen Franzmann-Bruder und Seelenverwandten Serge Gainsbourg, die eigenen klanglichen Schauergeschichten nebst selbst verfasster Dichtungen mit Texten vom Schweizer Schriftsteller Robert Walser und vom großen Filmmacher und aufrechten Kämpfer wider den cineastischen Volksverblödungs-Mainstream Marcus Aurelius Littler bereichert, letztgenannter führte auch Regie beim Video zum Song „Everything’s Dead“, guckst Du unten.
Zum Sterben schöne Songs als Soundtrack für den sprichwörtlich letzten Gang, stilgerecht in Szene gesetzt und mittels passendem schwarzen Anzug aufgezäumt durch wohlfeile wie würdevolle Banjo-, Tuba-, Stahlsaiten-Gitarren- und Violinen-Orchestrierung und für die Himmelfahrt und das Jüngste Gericht in Szene gesetzt durch ergreifende Getragenheit aus der singenden Säge, dem Harmonium und der Marching Drum. Da zu jeder Tages- und Nachtzeit auf der ganzen Welt weggestorben wird, kommen die Gesangseinlagen zum Requiem kosmopolitisch auf Englisch, Französisch und (Schweizer-)Deutsch, insofern: für jede Trauerhilfe was dabei.
Das mit dem mehrfachen Einflechten des Adjektivs „morbide“ hat jetzt nicht hingehauen, irgendwie, wie halt so vieles im Leben. Egal, wäre nicht die erste Endabrechnung, die nicht aufgeht. Beerdigen wir das Thema an der Stelle. Klappe zu, Affe tot.
Und nicht vergessen: „Death Is Not The End“, wie einst der fragwürdigste, wenn auch nicht morbideste (einer geht noch, haha) aller Literatur-Nobelpreisträger einst so tröstlich formulierte…
(*****)

Am 15. März ist für München die Night Of The Living Dead angezeigt, die Brüder werden ein konzertantes Gastspiel im Import/Export geben, Dachauer Straße 114, präsentiert vom Clubzwei, Leichenschmaus ab schätzungsweise 20.00 Uhr.

Weitere Konzert-Termine der Dead Brothers:

16.02.2018Luzern – Schüür
17.02.2018Zürich – El Lokal
08.03.2018Lausanne – Zelig
09.03.2018Biel – Le Singe
10.03.2018Thun – Mokka
16.03.2018Stuttgart – Goldmarks
19.03.2018Münster – LWL Museum
20.03.2018Frankfurt – Zoom
21.03.2018Köln – Museum
22.03.2018 – Haarlem – Patronaat
23.03.2018Middelburg – De Spot
24.03.2018Utrecht – DB’s
29.03.2018Schaffhausen – Taptab
31.03.2018Winterthur – Gaswerk
01.04.2018Wädenswil – Theater Ticino / Pâqu’son Festival
06.04.2018St.Gallen – Grabenhalle

Armenia

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„Je älter ich werde, desto weniger bin ich an ausschließlich biografischen Geschichten interessiert. Vielmehr interessieren mich Geschichten die eine universelle, archetypische Bedeutung haben. Ich denke, dass nur im Archetypischen eine Geschichte zu erzählen ist, die losgelöst von kultureller, nationaler und biografischer Prägung überall verstanden wird.“
(M.A. Littler)

„Ich fühle keine Trauer. Ich fühle keine Wut. Ich fühle eine Benommenheit, eine Ablösung von mir selbst und der Welt.“
(Haig Boghos)

Im August 2004 lernt der Autor und Independent-Filmemacher M.A. Littler den Musiker Alain Croubalian kennen, es folgen drei gemeinsame Filmprojekte, unter anderem „Death Is Not The End“ über The Dead Brothers, die in der Schweiz ansässige Gypsy-, Folk-, und Swamp-Blues-Band Croubalians, im neuen Film schlüpft der Sänger und Gitarrist in die Rolle des Haig Boghos, dessen Vorfahren aus Armenien stammen.
Der Protagonist begibt sich am Tag nach seinem 50. Geburtstag von seinem Wohnort Bern aus über die Zwischenstationen Frankfurt und Marseille auf eine gleichsam persönlich-psychologische wie historische Reise zu den Gräbern und Wurzeln seiner Vorfahren im Kaukasus, vor dem Hintergrund des Völkermords an den Armeniern während des 1. Weltkriegs in den Jahren 1915 und 1916 wird die Suche nach der Herkunft nicht nur zu einer Auseinandersetzung mit dem Genozid und den Folgen der Entwurzelung für die überlebenden Vorfahren, Boghos setzt sich zuforderst auch mit sich selbst, seiner eigenen Vergänglichkeit und dem Dahinschwinden der Zeit auseinander, er findet Antworten, die mitunter in ihrer Unausweichlichkeit schmerzen mögen, an deren Gültigkeit jedoch letztendlich schwer zu rütteln ist, das Bewusstsein vom Stumpfwerden der eigenen Ambitionen, vom Verblassen der eigenen Wut und der persönlichen Passionen geben der dokumentarischen Erzählung eine melancholische Wucht, ohne je in aufgesetztes Sentiment abzudriften.

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Mit einem Film, der geschickt die Waage hält zwischen einem sorgfältig dokumentierten, in ruhigen und gleichzeitig eindringlichen Bildern erzählten Roadmovie und einer Meditation über den Verlust, die Zeit und das Verschwinden des Individuums gelingt es Littler und Croubalian mit Hilfe dieser völlig entschleunigten Bildsprache, die Grundfeste des Filmpublikums nachhaltig hinsichtlich Sinnfragen zu erschüttern, starke Worte, zugegeben, man muss sich nur darauf einlassen.
Die stimmige Kameraführung von Philip Koepsell tut ihr Übriges, geschickt wechselt die Perspektive von riesigen Panoramabildern in atmosphärischer Schönheit zu extremen Nahaufnahmen, die in ihrer Direktheit latent erschreckend und absolut intim zugleich wirken.
Der Film transportiert seine Aussage auch ohne die über weite Passagen fehlenden Dialoge und Texte, besonders eindringlich sind Einstellungen wie der Besuch im Genozid-Museum der armenischen Hauptstadt Jerewan oder die Aufnahmen von der Gedenkfeier zum hundertsten Jahrestag des Völkermords im April 2015, eine halbe Million Armenier waren auf dem Platz der Republik zugegen, dennoch herrschte eine fast gespenstische Ruhe, eine erhabene Szenerie, wie geschaffen für diesen Film.

„Der Horror des Genozids […] übersteigt jegliche Sprache. Also haben wir entschieden, dass mit Schweigen in diesem Fall mehr gesagt werden kann als mit dem ständigen Jonglieren von Worten und Phrasen.“
(M.A. Littler)

Musikalisch werden die Bilder sporadisch vom St. Narekatsi Drone Orchestra unterlegt, herausragend gelingt die Interpretation des Gospel-Traditionals „Satan Your Kingdom Must Come Down“, der Soundtrack unterstreicht die Thematik der Globalisierung und der Entwurzelung, der Blues erklingt in Jerewan, während armenisch-orientalische Folklore und Choräle die in Westeuropa entstandenen Filmaufnahmen beschallen.

Mit „Armenia“ hat M.A. Littler seinem Kanon an hervorragenden Arbeiten wie etwa seinen Musikdokumentationen über den „Muddy Roots“-Underground-Blues und „The Folksinger“, seinem Portrait über den amerikanischen Alternative-Country-Musiker Konrad Wert/Possessed By Paul James oder dem Roadmovie „Kingdom Of Survival“ über alternative Gesellschaftsmodelle und radikale Denker in den USA ein weiteres sehenswertes Essay des unabhängigen Kinos hinzugefügt.
„Armenia“ läuft derzeit in ausgewählten Programm-Lichtspieltheatern der Republik. Ausreden für Fernbleiben darf es keine geben, nur der direkte Download bei Slowboat Film, der auch nicht wesentlich mehr kostet als eine Kinokarte, den kann man gelten lassen.

Armenia. Drama/Spielfilm. Deutschland/Armenien/Frankreich 2016. 84 Min.
Buch & Regie: M.A. Littler. Kamera: Philip Koepsell. Schnitt: M.A. Littler, Philip Koepsell. Art Director: Sinead Gallagher. Musik: Alain Croubalian, Friedrich Paravicini, Digger Barnes. Produktion: Mirko Belbez, Eduardo Saroyan, Christoph Nuehlen. Darsteller: Alain Croubalian, Beatrice Barbara, Anna Bottomley, Astghik Beglaryan, Aren Emirze, Eva Karobath.