The Grateful Dead

Soundtrack des Tages (178): Grateful Dead

Das Rhino-Label hat kürzlich aus den Tiefen des Archivs ein Sahnestück für alle Deadheads geborgen: Der komplette Konzert-Mitschnitt eines Auftritts der Grateful Dead, den die Band am 8. Mai 1977 in der Barton Hall der Cornell University in Ithaca/New York spielte, „Cornell 5/8/77“ ist auch in der zeitgleich erschienenen 11-CD-Box „May 1977: Get Shown The Light“ enthalten, die vier Ostküsten-Konzerte der Jam-/Cosmic-American-Music-Institution aus jenem Jahr dokumentiert. Der Cornell-Auftritt gilt unter GD-Fans neben dem im August 1972 aufgenommenen und von Ken Kesey moderierten 3-Stunden-Konzert auf den Old Renaissance Faire Grounds in Veneta/Oregon, unter dem Album-Titel „Sunshine Daydream“ 2013 veröffentlicht, als einer der besten der Band.
Die 1977er-Aufnahmen präsentieren die kalifornische Legende in einer unbändigen, beseelten Spielfreude, selbst Titel, die in unzähligen anderen Versionen gemächlich vor sich hin plätschern, entfalten einen gefangen nehmenden Zauber und schmeicheln sich angenehmst und nachhaltig ins Ohr. Eigentlich ist dieses schier endlose Archiv-Veröffentlichen der Dead sowie der solistischen Live-Aufnahmen ihres dahingeschiedenen Lead-Gitarristen, Sängers und Vorstandssprechers Jerry Garcia der totale Overkill, überschauen und vor allem mit der gebotenen Muse abhören können das vermutlich allenfalls noch im Ruhestand befindliche Alt-Hippies, aber bei derartig exzellenter Qualität wie in dem Fall nimmt man diesen Wahnsinn gerne und billigend in Kauf…

Das komplette Cornell-Konzert der Grateful Dead aus dem Jahr 1977 als Stream → archive.org.

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Soul Family Tree (12): David Murray, Xero Slingsby & The Works, Universal Congress Of

Black Friday, my dudes, heute mit einem eigenen Beitrag zum Thema „Spielarten des Free Jazz“, und damit ab ins verdiente Wochenende, keep your spirit free and clean…

„Dark Star“ is the highlight, as it usually is on any album that lists it. It’s all quite fun, lively, a bit confusing and – since Jerry was a Jazzhead, too – somewhat fitting for a diversionary listen to the Dead.“
(Captain Willard)

Der Kalifornier David Murray wurde als Saxophonist in seinem Free-Jazz-Ansatz maßgeblich vom Avantgarde-Pionier Albert Ayler beeinflusst, er hat in seiner langen Schaffensphase mit zahlreichen Blues- und Jazz-Größen wie Taj Mahal, Mal Weldron, James Blood Ulmer, Lester Bowie und Olu Dara zusammengearbeitet. 1996 hat er mit seinem Octet die US-amerikanische Jam-Rock-Institution The Grateful Dead mit dem Album „Dark Star: The Music Of The Grateful Dead“ (Astor Place) gewürdigt, der Dead-Gitarrist Bob Weir war partiell auch an den Aufnahmen beteiligt – daraus die Free-Jazz-Version des titelgebenden Space-Rock-Improvisations-Live-Klassikers der Hippie-Kult-Band:

Der 1957 in Yorkshire/UK als Matthew Coe geborene Xero Slingsby startete seine Karriere als Bassist, im Alter von zehn Jahren verletzte er sich schwer an der linken Hand, als Alternative zum therapeutischen Gummiball-Drücken erlernte er das Saitenspiel und verdingte sich in den folgenden Jahren in diversen Heavy-Rock-Bands. Nach einem musikalischen Erweckungserlebnis, ausgelöst durch einen Ornette-Coleman-Tonträger, besorgte er sich ein Alt-Saxophon und wechselte zum Jazz. Nach Lehrjahren in Sachen Free Jazz und Thelonious-Monk-Covern gründete er in den frühen Achtzigern mit dem Bassisten Louis Colan und dem Drummer Gene Velocette das Trio Xero Slingsby & The Works, mit ihrem sogenannten „Jump-Jazz“ war die Formation neben Acts wie Ted Milton’s Blurt und Rip, Rig & Panic eine feste Größe im britischen Punk/Jazz-Crossover. Dem Trio war nur die Produktion zweier Alben vergönnt, „Shove It“ 1985 und das Nachfolgewerk „Up Down“ im Jahr darauf, bereits Mitte der Achtziger ist Xero Slingsby schwer an einem Hirntumor erkrankt, dem er 1988 erlag.

„Es handelt sich um Mißtöne, die einzigartige neue Harmonien hervorbringen, also falsche Töne, die nicht einfach nur falsch bleiben, sondern plötzlich einen neuen Zusammenhang konstruieren, in dem sie richtig sind.“
(Joe Baiza)

Fusion aus Punk-Rock und Jazz gab’s in den Achtziger Jahren auch in the US of A, herausragende Vertreter dieser Spielart waren und sind bis heute Universal Congress Of, die Combo wurde 1986 vom kalifornischen Gitarristen Joe Baiza ins Leben gerufen und von Kritikern mit Free-Jazz-Größen wie Albert Ayler und Ornette Coleman verglichen, der „Mecolodics“-Ansatz der Band war eine Weiterentwicklung der „Harmolodics“-Philosophie Colemans, UCO-Drummer Jason Kahn merkte hierzu an: „Mecolodics ist Harmolodics mit bewussten Fehlern“. Joe Baiza hat sich bereits zuvor mit der SST-Punk-/Hardcore-Kapelle Saccharine Trust einen Namen im Indie-Sektor gemacht und auf Platten von Black Flag, den legendären Minutemen und zusammen mit Henry Rollins und Konsorten auf den beiden ziemlich ungenießbaren October-Faction-Alben mitgewirkt, die Indie-Postille Spex merkte hierzu 1988 an: „Mit October Faction verprellten er und ein paar andere Prominente haufenweise Black-Flag-Fans“.
Hier das Universal-Congress-Of-Stück „Hightime“ vom zweiten SST-Album „Prosperous And Qualified“ aus dem Jahr 1988:

Reingehört (226): Van der Graaf Generator, Bob Weir, Marianne Faithfull, Van Morrison

Abendrot im Hinterhof @ KAP37 München 2015-05-13

Van Der Graaf Generator – Do Not Disturb (2016, Esoteric Antenna)
Dreizehntes Studio-Album der nordenglischen Progressive-Institution, eingespielt in der verbleibenden Trio-Besetzung Hammill / Evans / Banton, nach Andeutungen von Gründungsmitglied, Songschreiber und Mastermind Peter Hammill könnte es das letzte Werk in der jahrzehntelangen Historie der Band sein.
Schwergewichtige, intensive Experimental-/Prog-Rock-Dramen, verspielt-virtuose Tempi-Wechsel, ambitionierte, Jazz-Rock-artige Improvisationen in einem stetigen Flow und nachdenkliche, Balladen-hafte Melancholie zum Ausklang, es ist alles enthalten, was eine gute und spannende VdGG-Platte seit jeher auszeichnet.
Hammills Stimme klingt bestimmt, erhaben, abgeklärt-wissend, für seine Verhältnisse jedoch geradezu altersmilde, die gewohnte, schneidende Schärfe des Anklägers bleibt weitestgehend außen vor.
In den Songtexten wird das Album beherrscht von Reflexionen über die Endgültigkeit, das Alter und das Vergehen der Zeit, in “Alfa Berlina” erinnert die Band an ihren frühen Erfolg in Italien, wo das 1971er-Album „Pawn Hearts“ (Charisma) seinerzeit tatsächlich die Album-Charts anführte.
Eine der letzten Bastionen des altgedienten Progressive Rock englischer Prägung und neben King Crimson die einzige auf Dauer gewichtige Band des Genres, nachdem Pink Floyd in der Post-Barrett-Phase zunehmend in Richtung Mainstream-Geldtöpfe schielten und viele andere Vertreter den Genannten ohnehin seltenst das Wasser reichen konnten.
Hammill und Co gelingt, was vielen Altersgenossen meist – wohl aufgrund der eigenen Hybris oder den pekuniären Verlockungen – verwehrt bleibt: Ein gewichtiges Spätwerk, und, sollte es tatsächlich der letzte Longplayer der Band sein, ein Abgang in Würde.
“More or less, all for the best, in the end it’s all behind you.”
(**** 1/2 – *****)

Bob Weir – Blue Mountain (2016, Legacy / Columbia)
Bei den Soloalben, in Sachen Nebenprojekte und hinsichtlich Songwriting war Grateful-Dead-Kumpel Jerry Garcia quantitativ und qualitativ mindestens immer eine Bartlänge voraus, das Solodebüt von Bob Weir war bis dato die rühmliche Ausnahme, auf „Ace“ (1972, Warner) finden sich etliche Klassiker wie „Looks Like Rain“, „Greatest Story Ever Told“ oder „One More Saturday Night“, die umgehend und verdientermaßen Eingang in das Dead-Live-Repertoire fanden, ansonsten war nicht viel los mit dem solistischen Output des Rhythmus-Gitarristen aus San Francisco, das Nachfolge-Album „Heaven Help The Fool“ (1978, Arista) oder seine Arbeiten mit der Combo Kingfish boten wenig Anlass zur Freude, das erste Album seines 80er-Jahre-Seiten-Projekts Bobby And The Midnites mag da noch am ehesten positive Erwähnung verdienen.
Umso mehr überrascht Weir mit seinem tatsächlich erst dritten Soloalbum unter eigenem Namen in seiner über fünfzigjährigen Karriere, unter Mithilfe von Dylan-Vorbild Ramblin‘ Jack Elliott, dem Songwriter Josh Ritter und der The National-Brüder Bryce und Aaron Dessner, mit denen er bereits auf dem Dead-Tribute-Sampler „Day Of The Dead“ zusammenarbeitete, spielte er mit „Blue Mountain“ ein entspanntes, homogenes Spätwerk ein, die zwölf neuen Arbeiten bieten relaxten Folk-Rock, getragene, nachdenkliche Balladen und dunklen Country-Blues, aus einem Guss, eine ureigene Atmosphäre erzeugend, den Geist des uralten Amerika atmend, ohne die ganz großen Aufreger, aber auch ohne Durchhänger. Willkommene Abwechslung zum Grateful-Dead-Live-Archiv-Veröffentlichungs-Marathon.
(****)

Marianne Faithfull – No Exit (2016, Ear Music)
2014 hat Lady Marianne zur Krönung ihrer fünfzigjährigen Bühnenkarriere mit „Give My Love To London“ eines ihrer schönsten Alben eingespielt, ausgewählte Arbeiten des Meisterwerks bilden den Kern der Live-Aufnahmen von der seinerzeit anstehenden Promotions-Konzertreise. Mit dieser von der Tragik des Lebens, von Krankheit und Sucht und unzähligen Zigaretten geprägten, charakteristisch-brüchigen, verwüsteten Stimme und unter der Ägide von Bandleader Rob Ellis zelebriert Marianne Faithfull ausgewählte Preziosen wie die schwermütige Nick-Cave-Ballade „Late Victorian Holocaust“, eine auch im Live-Vortrag packende Version von „Falling Back“, dem lakonisch vorgetragenen Everly-Brothers-Klassiker „The Price Of Love“ und der Roger-Waters-Komposition „Sparrows Will Sing“ nebst Karriere-Highlights wie ihrer unverwüstlichen Debüt-Single „As Tears Go By“, dem bedrohlichen Drogen-Abgesang „Sister Morphine“ oder ihren Endsiebziger-Jahre-Hit „The Ballad Of Lucy Jordan“, der in seiner grundsätzlichen eleganten Dramatik vermutlich selbst in der Interpretation der unfähigsten Bierzelt-Kapelle nicht totzukriegen wäre.
(**** – **** ½)

Van Morrison – Keep Me Singing (2016, Caroline)
Zumindest im Titelstück und in seiner Interpretation des Blues-Standards „Share Your Love With Me“ blitzt der alte Glanz auf, daneben bietet Van The Man auf seinem neuesten Output ein paar wenige, zusätzliche passable Stücke, die sich zwischen dem üblichen, perfekt produzierten und orchestrierten Bar-Soul-Gejazze tummeln, das in seiner Belanglosigkeit charakteristisch ist für den weitaus größten Teil der VM-Aufnahmen der letzten zwanzig Jahre. Hand auf’s Herz: kein Mensch braucht eine weitere durchschnittliche Morrison-Produktion, wenn man auf Meisterwerke wie „Astral Weeks“, „Moondance“ oder „Beautiful Vision“ zurückgreifen kann.
(***)