The Old Firm

Reingelesen (76): Dietrich Schulze-Marmeling – Celtic

„‚Hibs‘-Sekretär John McFadden macht seinen Glasgower Gastgebern den Vorschlag, dem Edinburgher Beispiel zu folgen und auch in ihrer Stadt einen „irisch-katholischen“ Klub zu gründen. Der Vorschlag wird zum größten Eigentor der schottischen Fußball-Geschichte.“
(Dietrich Schulze-Marmeling, Celtic, Kapitel 2, Der Club der Einwanderer)

Dietrich Schulze-Marmeling – Celtic. Ein „irischer“ Klub in Glasgow
(2018, Verlag Die Werkstatt)

Fußball-Schauen konnte in den vergangenen Wochen dank der laut FIFA-Boss Infantino „besten Weltmeisterschaft aller Zeiten“ inklusive des in deutschen Landen auftretenden Nachbebens aufgrund unterirdischer Turnierleistung „der Unseren“ (aka „Die Mannschaft“), unsäglichem Funktionärs-Nachtreten und unfassbaren Steuerhinterzieher-Auswürfen in der Causa Özil mitunter von hohem Unterhaltungs- und Erkenntnis-Wert sein, die Lektüre zu ausgewählten Themen aus der weiten Welt des runden Leders erfüllt diesen Zweck ab und an nicht weniger, wie der renommierte Fachbuch-Autor Dietrich Schulze-Marmeling mit seinem jüngst erschienenen Werk über The Celtic Football Club eindrucksvoll unterstreicht. Und politisch wie sozial-historisch spannender sind die 288 Seiten zwischen den Buchdeckeln von „Celtic. Ein ‚irischer‘ Verein in Glasgow“ allemal mehr als die kürzlich über die Bühne gegangene Putin-WM – das ist nahe liegend bei einem katholischen, weit über die schottischen Landesgrenzen hinaus verehrten wie gleichsam verhassten Verein im protestantisch geprägten Kaledonien, wie auch bei einem Autor, der in seiner beschriebenen Celtic-Historie neben der chronologischen Abhandlung der sportlichen und Vereins-politischen Entwicklung seit Club-Gründung durch den irisch-stämmigen Ordensbruder Andrew Kerins/Brother Walfried im Jahr 1887, der Dokumentation der nationalen und internationalen Erfolge und der Würdigung einzelner, verdienter Spieler-Ikonen vom „Lord Of The Wing“ Jimmy Johnstone bis zum schwedischen Top-Stürmer Henrik Larsson ausführlich den komplexen inner-irischen Konflikt behandelt, der über die grüne Insel hinaus seit Dekaden das Handeln der mehrheitlich von katholisch-irischen Auswanderern abstammenden Vereinsführung wie die anti-royalistischen/anti-unionistischen Schlachtgesänge und Fan-Aktionen der Celtic-FC-Anhängerschaft durchdringt und vor allem immer wiederkehrend im „Old Firm“ seine ganze politische, religiöse und soziale Brisanz in der schottischen Liga, in der Medien-Landschaft und letztendlich der gesamten Zivil-Gesellschaft entfaltet, jenem legendären, vor 130 Jahren erstmals ausgetragenen Lokalderby zwischen Celtic und dem protestantisch-sektiererischen Stadtrivalen Rangers.

„Die Mauer zwischen dem Shankill- und dem Falls-Gebiet ist so hoch, dass diese Leute niemals Menschen in Celtic-Trikots gesehen hatten. Obwohl nur zwei Meilen entfernt, wussten sie nichts von einer Welt wie Ardoyne, wo die irische Trikolore weht und Kinder mit Hurling-Schlägern und in GAA-Trikots herumlaufen. Auf der Shankill Road hätten sie jeden, der ihnen in einem Celtic-Trikot begegnet wäre, ermordet.“
(Peter Shirlow, University of Ulster)

„You can shove your Royal wedding up your arse!“ schmetterten die Celtic-Fans im vergangenen Mai zum Boulevard-Presse- und Mainstream-Medien-gehypten, royalen Markle/Windsor-Vermählungs-Event beim selben Tags stattfindenden schottischen Pokalfinale, der Schmäh-Gesang bringt die Haltung der irisch-katholisch verwurzelten Anhängerschaft zu den Repräsentanten des längst verblassten britischen Empires und zum Establishment des United Kingdom treffend auf den Punkt. Schulze-Marmeling holt weit aus in seinem Buch und dokumentiert sorgfältig wie differenziert die Wurzeln, historischen Stränge und Gründe der exponierten Outsider-Stellung des Clubs in der britischen Gesellschaft wie das politisch-soziale Fundament seiner Verehrung durch die katholische Fan-Basis aus der nordirischen Konflikt-Region und der irischen Republik, ausgehend von den zur Massen-Migration zwingenden Hungersnöten im Irland des 19. Jahrhunderts, der Club-Gründung als ursprünglich karitative Wohlfahrtsorganisation zur finanziellen Unterstützung der katholischen Unterschicht und Arbeiterklasse Glasgows, dem Dubliner Osteraufstand und dem irischen Unabhängigkeitskrieg, sozialrevolutionären Ideen innerhalb der Vereinsführung wie die mitunter nicht abschließend geklärte Haltung zur IRA und ihrer terroristischen Aktionen gegen die britischen Institutionen. Gerade zu diesen Themen regt die Lektüre zu weiteren, ausführlicheren Studien an, vor allem auch durch den zweiten Teil des Buches, „Celtic, Irland und die ‚Troubles'“, in dem der Autor profund aufzeigt, dass eine rein aus sportlicher Sicht erzählte Celtic-Vereinsgeschichte kaum Sinn macht, da sie sich in den seltensten Fällen von der sozio-politischen Komponente des Themen-Komplexes trennen lässt. Bereits in der Fußball-Historie durch die sich zwingend aufdrängende Auseinandersetzung mit der unionistischen, sektiererischen Vereinspolitik des Lokalrivalen Rangers und den zahlreichen Querverbindungen der protestantischen Anhängerschaft zu loyalistischen Vereinigungen wie dem Oranier-Orden und zu den paramilitärischen Terror-Organisationen Ulster Defence Association und Ulster Volunteer Force untermauert Schulze-Marmeling diesen Ansatz eindrücklich, im speziell der irischen Komponente der Thematik gewidmeten zweiten Teil ist die Bedeutung des Clubs und seines protestantischen Stadtrivalen zu Zeiten der nordirischen „Troubles“ als Projektionsfläche separatistischer/unionistischer Standpunkte zentraler Dreh- und Angel-Punkt, ob in der Geschichte des 1949 aufgelösten Vereins-Pendants Belfast Celtic FC, in Reflexionen zur nordirischen Fußball-Verbands-Politik, Berichten über No-Go-Areas in der durch Mauern geteilten Hauptstadt Belfast, über persönliche Verbindungen von kickenden Rangers-Stars zu paramilitärischen, protestantisch-unionistischen Serien-Killern oder den Geschichten über die Morde an jugendlichen Celtic-Fans, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, Geschichten über kranke Parallel-Welten und fanatischen Irrsinn, die den Sport zur schaurigen Nebensache und zum Aufhänger für massive politische und soziale Verwerfungen degradieren.

„Die Italiener sahen aus wie Filmstars – und wir sparten für die dritten Zähne.“
(Bill McNeill, Celtic-Kapitän der „Lisbon Lions“)

Ein zentraler Abschnitt jeder Vereins-Chronik des Celtic FC – so hier nicht anders – gehört der ausführlichen Würdigung der „Lisbon Lions“, jener hinsichtlich Kult-Status in der internationalen Welt des Vereinsfußballs den „Busby Babes“ von Manchester United, der Mannschaft von Nottingham Forest unter Brian Clough in den Endsiebzigern oder den 78er-Double-Gewinnern des 1. FC Köln vergleichbaren Celtic-Jahrhundert-Elf um Wunderstürmer Jimmy Johnstone und ihren Trainer Jock Stein, einem heute über die Vereinsgrenzen hinaus legendären, über 13 Jahre die sportlichen Geschicke der „Bhoys“ lenkenden ehemaligen Celtic-Spieler, Sozialisten und – paradoxerweise – Protestanten, der mit religiösem Sektierertum nichts am Hut hatte, der den Menschen vor Nationalität und Glauben stellte, mit seiner offensiven Fußball-Philosophie die Kunst des holländischen Totaalvoetbal vorwegnahm und damit den Celtic FC bis dato zu seinen größten Erfolgen führte. Der Triumph der ersten britischen und nordeuropäischen Mannschaft überhaupt in einem Europapokal-Finale im Landesmeister-Wettbewerb 1967 in Lissabon gegen den berüchtigten Catenaccio-Riegel von Favorit Inter Mailand war seinerzeit ein nicht erwarteter Sieg gegen südländische Defensiv-Künste wie Krönung einer ganzen Reihe von nationalen Meisterschafts- und Pokal-Titeln unter der Ägide des Ausnahme-Trainers, der von Fußball-Historikern in einer Reihe mit schottischen Koryphäen wie Matt Busby, Bill Shankly und Alex Ferguson genannt wird, der bis heute der letzte der Jahrzehnte-lang engagierten Celtic-Trainer bleibt – neben dem ersten Coach Willie Maley (43 Jahre) und Jimmy McGrory (20 Jahre von 1945 bis 1965) – und der – tragisch wie stilsicher als Vollblut-Coach – im September 1985 als schottischer Nationaltrainer während eines WM-Qualifikationsspiels gegen Wales im Stadion in Cardiff einem Herzinfarkt erlag.

Dass die seit 1890 ausgespielte Scottish League Championship für Außenstehende und keinem der beiden Glasgow-Clubs Zugewandten bis zur Rangers-Insolvenz im Jahr 2012 kaum Spannendes zu bieten hatte, belegt der Blick in die Statistik, von den bis dahin ausgespielten 116 Titeln gingen 43 an Celtic und 54 an den (Noch-)Rekordmeister Rangers, der FC Aberdeen war 1985 der letzte schottische Meister außerhalb „The Old Firm“, seit dem zwischenzeitlichen Zwangsabstieg des Lokalrivalen in die vierte Liga als Folge der Vereins-Pleite der Rangers kann die alljährliche Dauer-Meisterschaft der Grün-Weißen hinsichtlich Langeweile mittlerweile mit dem Bundesliga-Monopol des Münchner Steuerhinterzieher-Vereins konkurrieren. Das Verblassen des Celtic-Sterns trotz nationaler Dominanz auf internationaler Bühne vor allem mangels konkurrenzfähiger finanzieller Mittel und die Folgen für den Verein dokumentiert Schulze-Marmeling ausführlich wie die bisher gescheiterten Bemühungen einer Anbindung an die englische Premier League.

Der mehrseitige „Einwurf“ – eines von mehreren ergänzenden, eigenen Kapiteln zu expliziten Themen – über die Fan-Freundschaft zwischen Celtic- und Hamburger St.-Pauli-Supportern dürfte unter den deutschen Lesern über die Anhängerschaft des norddeutschen Kiez-Clubs hinaus kaum auf gesteigertes Interesse stoßen, die unterm Strich sehr oberflächlich umrissenen Reise-Eindrücke des ehemaligen Pauli-Fanbeauftragten Sven Brux aus der geteilten Stadt Belfast zu Zeiten des Nordirland-Konflikts vor dem Karfreitags-Abkommen dann wahrscheinlich im Zweifel nur noch bei einer Handvoll politischer Wichtigtuer unter den Totenkopf-Shirt-Trägern, und den komplett abgedruckten, an Banalität kaum mehr zu unterbietenden Songtext von „The Celtic and St. Pauli Song“ hätte man sich getrost komplett sparen können, wegen der zwölf Seiten der ansonsten sehr lesenswerten Vereinshistorie muss man selbstredend nicht päpstlicher als der Papst sofort die gelbe Karte zücken, aber ohne eine kurze Ermahnung geht es an der Stelle dann auch nicht ab.

Mit vernachlässigbaren Abstrichen ist das Buch somit eine äußerst lohnende Lektüre für Freunde des internationalen Fußballs und seiner in den vergangenen Jahren zusehends aus dem Fokus geratenen schottischen Spielart, die einst in mittlerweile längst vergangenen Zeiten mit zur Weltspitze zählte, die Doku ist guter Lesestoff und idealer Einstieg für Interessierte an irischer, schottischer und britischer Geschichte, Kultur und Politik, und natürlich nicht zuletzt für die auch hierzulande zahlreichen Freunde und Sympathisanten des faszinierenden grün-weißen Kult-Vereins aus Glasgow – fundiert, flüssig lesbar und der komplexen Thematik gerecht werdend beschrieben von einem ausgewiesenen Kenner der Szene. Darüber hinaus dürfte die im Mai beim Verlag Die Werkstatt erschienene Vereins-Doku derzeit die einzige verfügbare deutsche Publikation zum Thema sein.

Autor Dietrich Schulze-Marmeling wurde 1956 in der nordrhein-westfälischen Hansestadt Kamen geboren, im Göttinger Verlag Die Werkstatt sind zahlreiche weitere seiner Publikationen über die Entwicklung des Profi-Fußballs, über Vereins-Historien von Borussia Dortmund, Preußen Münster, Manchester United, die FCBs aus Barcelona und München und einzelne Biografien herausragender Spieler-Persönlichkeiten wie Lew Jaschin, George Best oder Johan Cruyff veröffentlicht worden. 2011 erschien von ihm die von der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur als „Fußballbuch des Jahres“ ausgezeichnete Dokumentation „Der FC Bayern und seine Juden“, die Thesen des Buches, die den Club als rühmliche Ausnahme hinsichtlich antisemitischer NS-Vereinspolitik stilisieren, werden mittlerweile aufgrund neuerer Forschungsergebnisse mindestens angezweifelt, wenn nicht widerlegt.
Neben zahlreichen Büchern zum Thema Fußball hat Dietrich Schulze-Marmeling eine Reihe von Sachbüchern über die Geschichte, Kultur und Landschaft Nordirlands veröffentlicht, über politische Theorien und Praxis im nordirischen Konflikt und die britische Politik in der Region in den Siebziger und Achtziger Jahren. Sein immenses und fundiertes Wissen zum Thema fließt nahe liegend in die aktuelle Dokumentation über Celtic Glasgow und die gesellschaftliche, politische und kulturell-soziale Relevanz des Vereins ein. Ende der Achtziger lebte der Autor selbst für ein Jahr in Nordirland.

Der Blog-Platzwart bedankt sich herzlich beim Verlag für das Rezensionsexemplar.

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