The Physics House Band

The Physics House Band + Spacepilot @ Import/Export, München, 2019-05-08

Geballtes Doppelpack an Progressive-, Kraut- und Jazz-Rock-Power am vergangenen Mittwoch-Abend im Münchner Import/Export: Die Physics House Band aus UK und das international besetzte Trio Spacepilot auf großer Sternenfahrt im Zwischennutzungs-Projekt an der Dachauer Straße, eine ordentliche Agenda, zu der die Freunde des gepflegten Crossover ihren Besuch gewiss nicht bereuen sollten.

Die erste Runde bespielten über gut 70 Minuten die drei Musiker von Spacepilot, weitaus mehr Co-Headliner als anheizende Vorband, und das war aufgrund der gebotenen Aufführung auch schwerst genehm. Die Band gibt New York als Stammsitz an, der deutsch-stämmige Drummer Joe Hertenstein hat dort seine Wahlheimat in Brooklyn gefunden, an Rhodes-Keyboards, Synthesizer und nachgelagerten Lärm-Gerätschaften ist der Argentinier Leo Genovese zugange, der dritte im Bunde ist der gebürtige Münchner Elias Meister, der Gitarrist und Klang-Experimentierer hat gleichsam seit 2007 seine Zelte im Big Apple aufgeschlagen. Wie die amerikanische Welthauptstadt ist der Spacepilot-Sound ein Schmelztiegel aus zahlreichen, unterschiedlichsten Provenienzen, die Musiker haben in der Vergangenheit bereits mit renommierten Jazz-Größen wie Wayne Shorter, Jack DeJohnette oder Ravi Coltrane zusammengearbeitet, neben der formlosen Improvisation finden sich im überbordenden Klangbild des Trios Einflüsse aus Psychedelic-, Progressive-, Kraut- und Space-Rock, Funk und Trance. Hier waren drei Individualisten zugange, die ihr freies Spiel der Kräfte zu einem entfesselten Instrumental-Klangrausch formten, in dem sich im permanent wandelnden Endlos-Flow in zig-fachen Breaks und Tempi-Wechseln aus abstraktem Space-Drone urplötzlich wunderschöne Gitarren-Melodien über das explosive Gebräu erhoben, um nach ausgedehnter Erbauung in einen tanzbaren, funky Groove zu driften. Das versierte Können der drei Musiker ist exorbitant ausgeprägt, in technischer wie inspirierter Hinsicht, wie auch ihre Fähigkeiten, die jeweilige Improvisations-Kunst kollektiv zu einem derart überwältigenden Höhenflug zu bündeln. Das feine, Facetten-reiche Saiten-Spiel von Gitarrist Meister ist ein Fest für alle Liebhaber der progressiven und psychedelischen Rockmusik, durchwirkt von ausladenden, erhebenden Soli und scharfen Rhythmus-Riffs. Drummer Hertenstein zelebrierte an diesem Abend die komplette Bandbreite seiner Profession von experimentellem, freigeistigem Jazz- und Experimental-Getrommel über angedeutetes Reggae- und Funk-Tempo bis hin zu treibender Hardrock- und Prog-Wucht, eine scheinbar lässigst aus dem Handgelenk geschüttelte und doch hoch komplexe Taktgebung. In Sachen Virtuosität stand Keyboarder Genovese den beiden Mitmusikern in nichts nach, aus den Kraut-Siebzigern bekanntes Weltraum-Georgel auf der Rhodes-Tastatur folgte auf schmissige Jazzrock-Tunes, abstraktes Ambient- und Psychedelia-Gezirpe aus dem analogen Synthesizer ging mit allerlei Noise-Gelichter durch entsprechende Behandlung der Sound-verzerrenden Effekt-Geräte einher.
Es hätte ewig so weiterfließen dürfen, in den faszinierenden Sphären der unendlichen Klang-Möglichkeiten und tonalen Interaktionen, wäre nicht noch ein zweiter Akt für den Abend angestanden, und auch die Space-Piloten selbst zog es fort in andere Galaxien, in den nächsten Tagen in die Umlaufbahn folgender Planeten, hiermit dringendste Empfehlung zum Einklinken in den kosmischen Trip:

11.05.Offenbach – Akademie für interdisziplinäre Prozesse
13.05.Moers – Altes Landratsamt
14.05.Horn-Bad Meinberg – Red Horn District
15.05.Essen – Goethebunker

Die Physics House Band aus dem südenglischen Brighton ist seit 2012 am Start, mit Veröffentlichungen glänzte die Band bis dato nicht an Übereifer, eine Extended-Play-Scheibe aus 2013, die Debüt-LP „Mercury Fountain“ vor zwei Jahren, das war’s bis vor einigen Tagen, immerhin gibt es mit der jüngst veröffentlichten „Death Sequence EP“ aktuell knapp 17 Minuten an neuem Stoff. Die Stärken der Combo liegen weit mehr in der Live-Präsentation als im mühseligen Studio-Gefrickel, die Münchner Konzert-Gänger konnten sich bereits im Oktober 2017 von den exzellenten Bühnen-Qualitäten der Briten überzeugen, das sollte sich am Mittwochabend erneut nicht anders ausnehmen.
Die Band ist zum Quartett gewachsen, als vierter Mann im Bunde ist mittlerweile der Saxophonist und Keyboarder Miles Spilsbury mit an Bord. Damit ist vom ursprünglichen Postrock-Fundament der Physics House Band nicht mehr allzu viel übrig, das laute, opulente Gesamt-Kunstwerk als massive instrumentale Sound-Wand, das soll’s dahingehend gewesen sein, die Band widmet sich im erweiterten Outfit aktuell weit mehr kosmischen Jazz-Fusion- und psychedelischen Prog-/Math-Rock-Experimenten. Mit den ruhigen Trance/Space-Tönen und Ambient-verwandter Gelassenheit hält sich das Quartett nicht lange auf, das Tempo und der Energie-Schub waren für die gute Stunde des Konzerts überwiegend im oberen Level angezeigt. Der an diesem Abend euphorisch überdrehte Conferencier Adam Hutchison ließ die Saiten seines Basses massiv wummern, der dröhende Drive wurde von Trommler Dave Morgan kongenial wie kompromisslos mitbefeuert, dazu würzte Samuel Organ scharf mit jaulenden Heavy-Gitarren, irrlichternden Synthie-Drones und sphärisch-minimalistischen Keyboard-Klängen (naheliegend, bei dem Nachnamen ;-)). Neuzugang Spilsbury verpasst speziell mit seinem Sax-Gebläse den infernalischen Progressive-/Jazzrock-Attacken in Reminiszenz an den großen David Jackson einen unverkennbaren Van-Der-Graaf-Generator-Touch, der damit die Wurzeln des Band-Sounds im englischen Art- und Experimental-Rock und in der stilistisch verwandten Canterbury Scene offen legt.
Konzerte der Physics House Band gleichen dieser Tage mehr den je wunderbar lärmenden Sound-Orkanen, die fulminant auf die geneigte Hörerschaft einstürmen, und am Ende ist es herzlich egal, ob das nun in der Jazzrock-, Prog- oder Postrock-Spielart einzuordnen ist, großartiges, massiv und mit beherztem Engagement vorgetragenes Live-Entertainment ist es in jedem Fall.
The Physics House Band ist in der Republik derzeit noch zu folgenden Terminen zu genießen, do yourself a favour:

11.05.Leipzig – Recycling Museum
12.05.Köln – Blue Shell

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sleepmakeswaves, The Physics House Band, Vasudeva @ Backstage Club, München, 2017-10-15

Interkontinentales Postrock-Dreierpack zum Wochenend-Ausklang am vergangenen Sonntagabend im leidlich gut besuchten Club des Backstage, einige potentielle Konzertgänger_Innen dürften sich vermutlich zwecks Retro-Schuheglotzen in die Theaterfabrik zum parallel stattfindenden Konzert der aufgewärmten Jesus And Mary Chain verirrt haben.

Das straffe Programm eröffneten drei junge Männer aus New Jersey mit ihrer Formation Vasudeva und beschallten den Saal mit Laune machendem Instrumental-Gitarrenrock an der Schnittstelle Post-/Math-Rock und Djent, der sich ohne Bass präsentierte, dementsprechend beschwingt, luftig und ohne die für den Postrock oft typische, schwere Bodenhaftung durch die Rhythmus-Abteilung auskam (davon sollte es im weiteren Verlauf des Abends noch satt geben) – das Klangbild von Vasudeva lebt vor allem vom Spannungsfeld, dass die mit- und gegeneinander spielende Lead- und Rhythmusgitarre abstecken, eine mit locker wirkender Dynamik vorgetragene Tonkunst, der es trotz leichtfüßigem Elan und Leichtsinn nicht an Substanz mangelt und die Kopf wie Tanzbein gleichermaßen anzuregen weiß.
Gelungener halbstündiger Einstieg in das dreiteilige Instrumental-Hochamt, ob der musikalische Ansatz von Vasudeva das Spannungslevel über die volle Konzert-Distanz aufrecht zu halten vermag, wird vermutlich die Zukunft zeigen, für Sonntagabend im Backstage war’s genau die richtige Portionierung.
Der Bandname kommt im Übrigen aus dem Sanskrit und benennt in den indischen Bhagavatapurana-/Bhagavatapurana-Epen den Vater des hinduistischen Gottes Krishna. In diesem Sinne: Rāma Rāma Hare Hare …
(**** 1/2)

Das britische Sechziger-Jahre-Double von Rainer Langhans schnappt sich eine Bassgitarre, treibt die technischen wie solistischen Fertigkeiten eines Jack Bruce, eines John Entwistle oder eines Noel Redding auf die Spitze, sucht sich einen Ginger-Baker-Epigonen, der dessen Kunst des freien Schlagzeugspiels hinsichtlich Tempo, improvisierter Inspiration und Wucht um ein Vielfaches verschärft, und komplettiert das Trio um einen versierten Gitarristen, dem Robert Fripp wie Tony Iommi keine fremden Götter sind, fertig ist das Bild, das die jungen Briten der Physics House Band im konzertanten Prog-Rock-Vortrag vermitteln. Wo auf dem aktuellen Longplayer „Mercury Fountain“ der Combo aus Brighton der Synthie, die Bläser und der modernere Post-/Mathrock vermehrt zu ihrem Recht kommen, dominiert im Live-Vortrag in klassischer Power-Trio-Besetzung mit einigen dezenten Keyboard-Beigaben die Reminiszenz an experimentierfreudige Space-, Kraut- und Progressive-Rock-Hochzeiten, in „Dark Star“-artigen, diffusen Drones in freier Klangform hält die Band immer wieder inne zum Sammeln, Fahrt-aufnehmen und Abdriften in den hypnotischen Sphären-Rausch, den Black-Sabbath’sche Riffs genau so befeuern wie die Wucht des treibenden, virtuosen Bass-Spiels und der freie Fluss der ekstatisch geschwungenen und über die Klangkörper tanzenden Trommelstöcke – eine zu keiner Sekunde abgestanden wirkende Zeitreise zu den Ursprüngen der experimentellen Rockmusik, in der die anberaumten 30 Minuten dann wie im Flug vergingen und letztendlich nach einer ausgedehnten Verlängerung verlangt hätten. Immer ein Fest, wenn Bands vom Konzept ihrer Tonträger-Konserven abweichen und den konzertanten Vortrag zu einer eigenen, organischen Form weiterentwickeln, verändern und ausbauen. Großer Prog-Sport, keine Frage, die Bande nähme man auch als Headliner gern mit Kusshand.
(*****)

Die Kernkompetenz des Quartetts sleepmakeswaves aus Sydney liegt im klassischen Postrock, der sich in dem Fall wenig bis nichts um die tradierten, gedehnten, leisen Meditativ-Passagen schert – ihre Sporen als ausgewiesene wie energetische Live-Performer hat sich die Band in der Vergangenheit durch Touren in der australischen Heimat mit Genre-Größen wie Mono, Pelican oder Russian Circles, ausgedehnte US- und Europatourneen und Festival-Auftritte wie wiederholt beim belgischen Dunk! erspielt, vor etlichen Jahren waren sie bereits im Vorprogramm zur Math-/Ambient-/Postrock-Electronica der Sheffield-Formation 65daysofstatic der weitaus genehmere Part im damaligen Münchener Feierwerk-Doppelpack. Auf der ausgedehnten 2017er-Konzertreise sind sleepmakeswaves nun als Headliner zur Promotion ihres aktuellen Tonträgers „Made Of Breath Only“ im alten Europa unterwegs, das ab und an als reserviert geltende Münchener Konzertpublikum goutierte überschwänglich mit dem gebührenden Applaus die sich permanent am oberen Energie-Level abspielende Instrumental-Explosion, die hart wie schneidend angeschlagenen Gitarren-Attacken und vertrackten Tempi-Wechsel wurden nur sporadisch und dezent mit lieblicherer Keyboard- und gesampelter Electronica-Melodik abgemildert, stets aber kongenial von Drummer Tim Adderley zu Hochform getrieben und vor allem vom im Zentrum des Sturm stehenden Ur-Mitglied Alex Wilson und seinem wuchtigen, an polternder Vehemenz kaum zu übertreffenden Bass-Spiel geerdet. Die sympathische Band fühlte sich im Backstage-Umfeld sichtlich wohl wie – bedingt durch hochsommerliche Herbst-Temperaturen – an heimische Gefilde down under erinnert und war somit willens, über die vorgesehene Setlist hinaus noch eine Handvoll ungeplante Sonderrunden draufzupacken.
Die muffigen wie maulfaulen Reid-Brüder von den Jesus-und-Maria-Schotten haben einem an dem Abend jedenfalls nicht gefehlt…
(**** ½ – *****)

Die Deutschland-Konzerte der Tour endeten mit dem München-Gig, weitere Europa-Termine: hier.

Herzlichen Dank an Mel vom Konzert-präsentierenden curt-Magazin für den Gästelisten-Platz.

Reingehört (337): The Physics House Band

The Physics House Band – Mercury Fountain (2017, Small Pond Recordings)

Sehen auf den Bandfotos tatsächlich aus wie versprengte Naturwissenschafts-Studenten, das Verkopfte im Sound der Physiker-Haus-Kapelle ist auch kaum wegzuleugnen, und doch hat das zweite Album des Trios aus Brighton/UK genügend Prog- und Postrock-Drive und -Intensität, um den intellektuellen Finger-Übungen und abstrakten Ambient-/Drone-Beimischungen bei ihrem Flug durch die Galaxien die nötige Erdung und Spontaneität zu verleihen.
Die junge Instrumental-Formation ergeht sich auf dem aktuellen Longplayer in einem halbstündigen Feuerwerk in bunten Klangbildern zwischen sphärischem, Synthie-verliebtem SiFi-Space-/Kraut-Flow und schweren, energiegeladenen Progrock-Geschützen, die sich im steten Rhythmuswechsel spannend im Geiste des Djent/Math-Rock die konzeptionelle Klinke in die Hand geben.
In den finalen drei Stücken „Impolex“, „The Astral Wave“ und „Mobius Strip II“ erweitern die Musiker das Spektrum des Instrumentariums in Richtung Saxophon und Flöte und driften damit endgültig in Richtung moderne Van Der Graaf Generator, eine gelungene Hommage an einen schwer vermutlichen Einfluss der Band und würdige Verneigung vor den britischen Ahnherren des Progressive Rock.
The Physics House Band werden im Herbst im Rahmen der „Made Of Breath Only“-Europa-Tournee im Vorprogramm der australischen Postrocker sleepmakeswaves zu sehen und zu hören sein, unter anderem am 15. Oktober im Münchner Backstage.
(**** ½)