„There’s a realization, a moment of perfect clarity that comes from meditating on these ideas, and that is, at the end of it all, we are perfectly and utterly alone.“
(J. R. Robinson)
Wrekmeister Harmonies – The Alone Rush (2018, Thrill Jockey)
Hinsichtlich konzertanter Erbauung meinen es J. R. Robinson und Esther Shaw speziell mit dem Münchner Publikum nach wie vor nicht gut, die aktuell anstehende Europa-Tour ab 21. April macht bedauerlicherweise wieder einmal einen weiten Bogen um Bavarias Musikbühnen-Lokalitäten, mit dem brandneuen Tonträger hingegen bleibt die experimentelle Postrock-Formation aus Chicago einmal mehr eine absolut verlässliche Größe, das am vergangenen Freitag beim US-Indie-Label Thrill Jockey Records erschienene Album „The Alone Rush“ begeistert ohne Abstriche wie die völlig zu Recht allerorts hoch gepriesenen Vorgänger-Arbeiten.
Wo beim letzten Werk „Light Falls“ mit einem illustren All-Star-Ensemble an Gastmusikern aus der Indie-/Postrock-Szene aufgewartet wurde, halten Robinson und Shaw die Liste der Mitwirkenden beim neuen Großwurf überschaubar, gleichwohl prominent besetzt mit dem durch seine Zusammenarbeit mit Sonic Youth, Lydia Lunch, Bill Laswell oder John Zorn weithin bekannten New Yorker No-Wave-Produzenten Martin Bisi sowie Donnergott Thor Harris, der in jüngster Vergangenheit die Tourneen und Tonträger der leider dahingegangenen Lärm-Heroen Swans mit seinem Schlagwerk veredelte und auf dem zum letzten Jahreswechsel erschienenen Solo-Tonträger „The Subversive Nature Of Kindness“ vor kurzem nachhaltig unterstrich, dass er auch die differenzierten, mitunter getragenen und entschleunigten Klänge exzellent zu intonieren vermag, eine Kunst, die er auch bereichernd im neuen Wrekmeister-Harmonies-Werk einbringt.
„The Alone Rush“ präsentiert sich als Requiem für das derzeit ziemlich finstere 21. Jahrhundert, eine würdevolle und eindringliche pastorale Klangreise in die seelischen und mentalen Befindlichkeiten, der meditative Soundtrack für die Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten zu den Themen Einsamkeit, Isolation, Krankheit, Vergänglichkeit, Tod. Die Bandmitglieder haben dazu selbst bedingt durch private Tragödien etliches an individueller Aufarbeitung und Wundheilung beizutragen, was dem Werk fraglos zusätzlich Tiefgang und Glaubwürdigkeit verleiht. Neben der Würdigung persönlicher Verluste flossen einmal mehr Impulse aus der Welt der Literatur in die Symphony of sorrowful Songs ein, die Musiker setzten sich während des Entstehungsprozesses mit Werken wie dem Essay „The Age of Loneliness is Killing Us“ von George Monbiot, der experimentellen Novelle „Lincoln in the Bardo“ von George Saunders und den auch hierzulande hochgelobten Schilderungen über das Leben und Sterben in Jamaika in den Siebzigern in „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ von Marlon James auseinander.
Songtitel wie „Covered In Blood From Invisible Wounds“ oder „Behold! The Final Scream“ weisen die Richtung für die emotionalen Befindlichkeiten, J. R. Robertson gibt in den Song-orientierteren Passagen in abgeklärter Entrücktheit den desillusionierten Neo-Desert-Blues-Crooner als letzter Rufer in der von Rauchschwaden und Pesthauch entvölkerten Wüste und platziert sich damit in der dunklen Stimm(ungs)-Lage etwa mittig zwischen einem von inneren Dämonen geplagten Mark Lanegan und dem über allem schwebenden Michael Gira, der seines eigenen Berserkerns müde geworden ist.
Neben klassischem Songwriting ergehen sich Wrekmeister Harmonies – wie selbstredend von altgedienten Verehrer_Innen nicht anders erwartet – ausgiebigst in intensivsten wie dunkel funkelnden, gespenstischen, schwergewichtigen klanglichen Neudefinitionen ihrer Spielart des Post-Rock und -Metal, eingebettet in neoklassiche, orchestrale Ambient-, Drone- und Trance-Kompositionen, denen eine formvollendete Balance zwischen erhabener Melodik und der dissonanten Atonalität des Doom-Metal gelingt, welche die Band einmal mehr aus dem Gros der artverwandten Künstler_Innen in dunklen Farben herausleuchten lässt. Dabei macht sich auch beim wiederholten Hören neben einnehmender, mitunter beängstigender Ergriffenheit ein verwundertes Staunen breit, wie derart überwältigende Musik ohne jeglichen Bombast und Pathos auskommt.
Wrekmeister Harmonies nähern sich von Album zu Album mehr im schwerköstlichen Breitband-Format dem ureigenen, ausdefinierten Referenzwerk/Idealbild im Crossover von Post-/Doom-Metal/Ambient/Neo-Klassik, der Peak ist noch nicht erreicht, aber er scheint bereits in greifbarer Nähe. Nur beim Tour-Planen, da hapert es wie eingangs erwähnt nach wie vor gewaltig, dahingehend sollte das Duo bei Reiseplanungen für künftiges Hinausschwärmen in die Welt grundlegend in sich gehen…
(***** ½)