Vor dem Leseraum im 1. Untergeschoss des neuen Münchner NS-Dokumentationszentrums ist eine Sonderanfertigung der „Todesmarsch“-Skulpturen des Pullacher Künstlers Hubertus von Pilgrim ausgestellt, über das Grünwalder Denkmal habe ich vor Kurzem berichtet.
Die Version der Skulptur im Dokumentationszentrum unterscheidet sich von den restlichen, 22 identischen Versionen in Größe, Material und Darstellung.
Die zusätzliche Abbildung des gestürzten KZ-Häftlings gibt dem Kunstwerk einen noch intensiveren, beklemmenderen Ausdruck.
Die neue, 2001 gefertigte Version der Skulptur wurde vom Verleger-Ehepaar Irene und Rolf Becker für das NS-Dokumentationszentrum gestiftet.
Im Lesesaal selbst findet sich eine umfangreiche Literatur-Sammlung zur NS-Zeit im Allgemeinen und zum Nationalsozialismus in München im Besonderen sowie zahlreiche Bildschirme für Film-Dokumentationen.
Im Saal befinden sich auch die einzigen Originalstücke, die das Museum zeigt: Die Seiten der „Moabiter Sonette“, die der in München geborene Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer während seiner Gestapo-Haft in Berlin verfasste.
Haushofer war Vierteljude, erhielt aber auf Geheiß von Rudolf Heß, der mit Haushofers Vater befreundet war, nach seinem Geografie- und Geschichtsstudium eine Dozentenstelle an der Berliner Hochschule für Politik. Ab 1934 war er freier Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop, die er in außenpolitischen Missionen unterstützte.
Albrecht Haushofer hatte Kontakt zu Regimekritikern und war als Angehöriger des Popitz-Kreises ab Anfang der vierziger Jahre an Aktionen gegen das NS-Regime beteiligt. Nach Rudolf Heß‘ Englandflug stand er unter Aufsicht der Gestapo, in der Folge des Stauffenberg-Attentats vom 20. Juli 1944 wurde er im Dezember 1944 im Gefängnis Berlin-Moabit inhaftiert. Am 23. April 1945, kurz vor der Befreiung Berlins durch die Rote Armee, wurde Albrecht Haushofer von einem SS-Kommando ermordet.
„Ein Todesdrängen, aus dem Hass geboren,
in Rachetrotz und Übermut gezeugt –
nun wird vertilgt, gebrochen und gebeugt,
und auch das Beste geht im Sturz verloren.
Dass dieses Volk die Siege nicht ertrug –
die Mühlen Gottes haben schnell gemahlen.
Wie furchtbar muss es nun den Rausch bezahlen.
Es war so hart, als es die andern schlug,
so taub für seiner Opfer Todesklagen –
Wie mag es nun das Opfer-Sein ertragen
Der Wahn allein war Herr in diesem Land.
In Leichenfeldern schließt sein stolzer Lauf,
und Elend, unermessbar, steigt herauf.“
(Albrecht Haushofer, Moabiter Sonette, Auszüge)
Neben der Literatursammlung zeitgenössischer Dokumentationen ist im Leseraum als Dauerleihgabe der Universität Augsburg die „Bibliothek der verbrannten Bücher“ ausgestellt. Die Bibliothek wurde vom Sammler Georg P. Salzmann seit den siebziger Jahren zusammengetragen, sein Ziel war, die Erinnerung an Werke der während der NS-Diktatur verfolgten und verbotenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller aufrecht zu erhalten. Salzmann trug das Gesamtwerk von circa 70 Autorinnen und Autoren in Erstausgaben zusammen und ergänzte die Sammlung um Einzelwerke von 30 weiteren Schriftstellern.
Die Bücherverbrennung der damals verbotenen Literatur „wider den undeutschen Geist“ fand in München am 10. Mai 1933 auf dem Königsplatz, in unmittelbarer Nähe des heutigen Standorts des NS-Dokumentationszentrums, statt.
“ (…) Die schönste Überraschung aber ist mir erst jetzt zuteil geworden: Laut „Berliner Börsencourier“ stehe ich auf der „weißen Autorenliste“ des neuen Deutschlands, und alle meine Bücher, mit Ausnahme meines Hauptwerkes „Wir sind Gefangene“, werden empfohlen: Ich bin also dazu berufen, einer der Exponenten des „neuen“ deutschen Geistes zu sein!
Vergebens frage ich mich: Womit habe ich diese Schmach verdient?
Das „Dritte Reich“ hat fast das ganze deutsche Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirklichen deutschen Dichtung, hat die größte Zahl seiner wesentlichsten Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht.
(…)
Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus, der mit Deutschsein nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat, unterstehen sich, mich als einen ihrer „Geistigen“ zu beanspruchen, mich auf ihre so genannte „weiße Liste“ zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann!
Diese Unehre habe ich nicht verdient!
Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach! (…) „
(Oskar Maria Graf, Verbrennt mich!, Auszüge)