Tonzonen Records

Reingehört (536): Psychic Lemon

Psychic Lemon – Live At The Smokehouse (2019, Tonzonen Records)

Wo die bunten Bilder (oder auch ganze Sonnen-Systeme) explodieren: Space Is The Place, in einem kleinen Übungs- und Aufnahme-Studio im Garten hinterm Haus in Cambridge/UK, fünf Minuten Fußweg von Syd Barretts ehemaliger Bleibe entfernt. Womit schon mal einer der Säulen-Heiligen des Trios Psychic Lemon genannt wäre, neben heavy Psychedelic-Granden wie den Landsmännern von Hawkwind oder der schwedischen Experimental-Fusion-Combo Goat. Der Weltenraum ist nicht weiter überraschend auch im Konzertsaal der Place To Be für die Engländer, wie sie mit ihrer jüngsten Veröffentlichung unterstreichen: Die fünf exzessiven Instrumental-Trips wurden während eines Auftritts der Formation im August 2018 im Smokehouse zu Ipswich mitgeschnitten, was in dem Haus geraucht wurde, kann man sich unschwer ausmalen beim Sound der drei „Krautfunk“-Musikanten. Mit dem ersten Teil der Live-LP – „The Past“ – widmen sich Psychic Lemon einem Teil der Werke vom 2018er Studio-Album „Frequency Rhythm Distortion Delay“, Seite 2 präsentiert unter der Überschrift „The Future“ zwei neue Nummern. In „Jonny Marvel At The Milky Way“ nimmt sich die Band weit über zehn Minuten Zeit zum ausgedehnten Reisen durch die Sternen-Nebel und Galaxien, das Tempo ist im Gegensatz zu allen weiteren Titeln mit waberndem Synthie-Georgel, allerlei Effekte-Meteoriten und Trance-haftem Getrommel gedrosselt, wo hier der entschleunigten und gründlichen Planeten-Erforschung im psychedelischen Prog/Space-Flow reichlich Raum gegeben wird, driften Martin Law, Andy Briston und Andy Hibbert in der finalen Nummer „White Light“ im Interstellar Overdrive wie im gesamten ersten Teil mit hartem Krautrock-Überschall hinein in die Herrlichkeiten laut jaulender, verzerrter, hallender Gitarren-Wah-Wahs, diffus-abstrakter Trance-Drones und explodierender Bass/Drums-Donner-Entladungen, ein rauschhaftes und hypnotisches Zusteuern auf das Schwarze Loch im Outer Space.
Das in bunten Farben gepresste Vinyl war Ende April im Pre-Order innerhalb 48 Stunden vergriffen, als CD und Download/Stream ist das Album nach wie vor über das deutsche Indie-Label Tonzonen Records oder den Online-Musikdienst Bandcamp erhältlich. Take Your Protein Pills And Put Your Helmet On: Nehmen Sie reichlich Platz für die Sternenfahrt und genießen Sie den Trip…
(*****)

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Reingehört (526): No Man’s Valley

No Man’s Valley – Outside The Dream (2019, Tonzonen Records)

Ein Sound, dessen Herkunft man spontan am Rand einer kalifornischen Wüsten-Region verortet, für die Nachwelt festgehalten in flimmernder Hitze, die Hirnwindungen der Musiker von bewusstseinserweiternden Substanzen angeregt, auf den Spuren der bunt bebilderten Acid-Höhenflüge längst vergangener Tage. Wenn irgendwo in Europa vermutet, dann allenfalls als tonale Halluzinationen am Pariser Totenacker Cimetière du Père-Lachaise, dort als Geistergesänge dem berühmten Grab Nr. 740 in der Division 6 entwichen, Mr. Mojo Rising out of the grave.
Weit gefehlt: Die Kleinstadt Horst aan de Maas in den südlichen Niederlanden beheimatet die jungen Musiker von No Man’s Valley, die auf „Outside The Dream“ das Erbe des Sechziger- und Siebziger-Psychedelic- und Blues-Rock verwalten und für das Hier und Jetzt in eine zeitlose, entstaubte Form bringen. Mit schneidigen, scharf lärmenden Fuzz-Gitarren, vehementen Grunge- und Stoner-Erruptionen, in einem diffus lichternden und nachhallenden Sound-Gebräu inklusive schwer durch das Gewerk dröhnender Orgel. Und nicht zuletzt durch einen Sänger, der mit seinem inbrünstigen, waidwunden Wolfsgeheul und seiner gefährlich einschmeichelnden Blues-Crooner-Düsternis dem vor langer Zeit dahingeschiedenen Morrison-Jim hinsichtlich Tonlage und Stimmvolumen in nichts nachsteht. The Lizard King is gone, but he’s not forgotten, hat ein anderer, ewig junger Meister der Psychedelic-Gitarre einst gesungen. Oder irgend sowas ähnliches.
Selbst die Desert-Mystik, die durch die dichten, halluzinogen mächtig lichternden Songs weht, fügt sich in dem Kontext perfekt ins Bild, Assoziationen damit auch hier zuhauf zum rauschhaften, traumwandlerischen Trip durch die Mojave-Wüste des großen Jimbo in seinem experimentellen Film „HWY: An American Pastoral“. Und in der Nummer „From Nowhere“ wäre es nicht weiter überraschend, wenn Sänger Jasper Hesselink vom eigenen Text abweicht und urplötzlich von „Weird Scenes Inside The Gold Mine“ singen oder ödipales Begehr nach Vatermord und Inzest zum Ausdruck bringen würde, näher kam den vermuteten Vorbildern aus L.A. in jüngster Zeit kaum jemand an poetisch-morbider Inbrunst.
Größtenteils live im Studio in gerade mal vier Tagen eingespielt, das haucht dieser stilistisch ursprünglich in vergangenen Dekaden verhafteten Spielart der harten Rockmusik zusätzliches Leben ein, das Ungebändigte, Ungewaschene ist dem Klangbild alles andere als abträglich.
Hat sich doch tatsächlich einiges an Doors-Querverweisen breit gemacht in diesem Geschreibsel, aber das verhält sich mit den Reminiszenzen auf dem neuesten Tonträger von No Man’s Valley nicht viel anders, insofern: Take it easy baby, take it as it comes!
„Outside The Dream“ ist seit Ende März über das Krefelder Indie-Label Tonzonen Records erhältlich.
(**** ½ – *****)

Reingehört (437): Mouth

Mouth – Floating (2018, Tonzonen Records / H’Art)

Alles im Fluss und vor allem in der Spur: Krautrock aus Köln, vom Trio Mouth, das mit „Floating“ in einigen Tagen ihr drittes Studio-Album an den Start bringen wird. Die Band ist seit der Jahrtausendwende in der kosmischen Umlaufbahn unterwegs und besticht mit einer fein ausgewogenen und vor allem mit Können vorgetragenen Mixtur aus der in den End-Sechzigern/Früh-Siebzigern entstandenen ureigenen deutschen Lesart der psychedelischen Rockmusik und Reminiszenzen an den Prog-Rock britischer Prägung aus der selben Ära, dann und wann garniert mit Fusion-artigem, angejazztem Easy-Listening-Gelichter und dem entrückten Geist der Space-Rock-Seligkeit.
Wabernde Keyboards, gedehnte, repetitive Gitarren-Riffs zur Förderung der kontemplativen Versenkung im Sound-Flow und der Einsatz entsprechender Wah-Wah-Verzerrer zum Saiten-Anschlag zwecks Dekaden-typischer Effekt-Aufbrezelung dominieren das Klangbild des rheinischen Trios Koller/Kirsch/Mavridis, das sich in der Form wunderbar in die derzeit wieder aufkeimende oder irgendwie auch Dauer-präsente Neo-Psychedelia-Strömung einreiht und dem Genre mit ihrem eigenen Ansatz ganz gewiss keine Schande bereitet.
In „Madbeth“ verpassen Mouth dem durchgeknallten Schotten-Tyrannen aus dem berühmten Shakespeare-Königsdrama den treffenden Spottnamen, und welcher anderen Kölner 70er-Kraut/Experimental/Psychedelic-Institution neben den fundierten, ausladenden Trance-via-Progressive-Rock-Jams „Sunrise“ und „Sunset“ speziell im neun-minütigen, zentralen Gusto-Instrumental-Stück „Homagotago“ die gebührende und gleichsam über die Maßen gelungene Ehrerbietung erwiesen wird, dürfte auf der Hand liegen.
Der exaltierte, sporadisch angestimmte Gesang passt over the top in die selbst gewählte musikalische Siebziger-Jahre-Verortung der Band und erweitert das Gesamtpaket in ergänzende Sound-Dimensionen wie Hard- und Glam-Rock, auch wenn es für das mitunter ins Axl-Rose-hafte kippende Gekreische ein paar Abzüge in der B-Note gibt, aber das tut der Stimmung und dem positiven Gesamteindruck des Tonträgers in keinster Weise Abbruch. „Picking up the spirit of the old days“, wie es im Presse-Beiblatt so schön heißt – hat geklappt mit dem aufpicken, durchaus.
„Floating“ erscheint am 23. März via H’art-Vertrieb beim Krefelder Kraut-/Indie-/Spacerock-Label Tonzonen Records in limitiertem Farb-Vinyl, als Digipack-CD und im Bandcamp-Download.
(**** ½ – *****)