Freier Feiertags-Donnerstag, Christi Himmelfahrt, nicht nur und lange vor Rechtspopulisten-MP Markus im schönen Bayernland, so auch in Belgien: Mittlerweile seit Jahren traditionell der Tag, an dem es ernst wird für die europäische, wenn nicht weltweite Postrock-Gemeinde – Die Veranstalter des dunk!Festivals Luc und Wout Lievens haben einmal mehr geladen nach Ostflandern zum Gipfeltreffen der Szene am Vereinsgelände des Basketball-Clubs Helios Zottegem im herrlich im Grünen gelegenen Ortsteil Velzeke, die, die bereits des Öfteren das feine Musikfestival genossen, sind dem Ruf gerne gefolgt, und die Novizen sollten ihr erstmaliges Erscheinen sicher auch nicht bereuen.
Den größten Teil der Anreise bereits am Vortag bewältigt und en passant die herrliche Stadt Gent in diversen Facetten genossen, war die Anfahrt am ersten Konzert-Marathon-Tag mit kaum 30 Kilometern ein entspanntes Unterfangen, entsprechend frühzeitig und ohne Termindruck konnten die Zeltheringe in den Boden gepfählt, das Organisatorische erledigt und das erste Festival-Bier weggepichelt werden, bevor wie im Jahr zuvor mit chilenischem Postrock der Kick-Off für die 2018er-dunk!-Ausgabe anstand, heuer gar im Doppelpack. Den Anfang machten La Bestia de Gevaudan, die Combo aus Santiago, die sich nach einem Mythen-umrankten Raubtier benannte, das im 18. Jahrhundert in Südfrankreich sein Unwesen trieb, bespielte die Hauptbühne im Kick-Off der eigenen Band-Benamsung verpflichtet entsprechend vehement mit treibendem, intensivem Postrock, der gerne und oft in Richtung Metal-Härte der Spielart driftete, leidenschaftlich und gegen Ende gar hymnisch vor allem von Gitarrist und Sänger Diego Yañez Aguilera zur Entfaltung gebracht. „Der Chilene an sich is a hoada Schbüller“, merkte vor 20 Jahren ein ORF-Fußball-Kommentator lakonisch zu einer Brachial-Attacke eines kickenden Landsmanns am südamerikanischen Gegenspieler in der WM-Partie seiner Nationalmannschaft gegen Chile an, nachdem der Krankenhaus-reif gefoulte Chilene wundersamer Weise ohne großes Sterbender-Schwan-spielen sich kurz abschüttelnd offenbar schmerzfrei sein Tagwerk fortsetzen konnte, ähnlich robust gestaltete sich der Auftritt der „Bestie“, die damit einen mehr als passablen Eindruck hinterließ.
Die Landsmänner von Tortuganónima, wie La Bestia de Gevaudan in Santiago de Chile beheimatet, pflegten einen deutlich filigranere Spielart der instrumentalen Gitarrenmusik, neben klassischen Postrock-Themen waren Einflüsse aus Djent, Math- und Jazz-Rock im Klangbild der jungen Südamerikaner erkennbar, selbst Andeutungen verfremdeter Flamenco-Zitate wurden im Geiste des Crossover angestimmt, die verspielten wie gefälligen Kompositionen zeugten von technischer Brillanz, denen mitunter Druck, Seele und der Mut zum ganz großen Wurf fehlte.
Nach dem Chilenen- folgte der Belgier-Block mit zwei feinen Postrock-Konzerten auf der Open-Air-„Forest“-Stage in wie im Vorjahr entspannt-idyllischer Waldatmosphäre und ein großes Postmetal-Fragezeichen auf der Zelt-Bühne. Die jungen Leute von I Am Wolves aus Antwerpen spielten atmosphärisch schönen, extrem gut ins Ohr gehenden klassischen Postrock im cineastischen Laut-versus-Leise-/Soundwand-versus-Ambient-Modus, der den Werken großer Vorbilder zwar kaum Neues hinzufügen konnte, das Bekannte aber formvollendet und einschmeichelnd präsentierte, womit es an der Wald-Premiere am ersten Festival-Tag nichts zu mäkeln gab. Gleiches und ein Stück mehr galt für das in Brüssel ansässige Sextett Astodan, die Band spielte ein überwältigendes Postrock-Set, das mit Verve und Gespür für effektives Bereichern und Dehnen der tradierten Spielarten den Drive des Postmetal nutzte wie den dezenten und gleichsam gewinnbringenden Einsatz diverser Electronica-Loops und Samples, die der tonalen Glanztat die besondere Note verliehen und den Auftritt der Belgier vornehmlich mit Nummern ihres jüngst bei dunk!Records erschienenen Tonträgers „Ameretat“ zu einem ersten Festival-Highlight gelingen ließen.
Die große Zelt-Stage bestürmten zuvor Hemelbestormer, für den Himmel oder die Achttausender-Gipfel des Postmetal hat es zwar nicht gereicht, immerhin bot die schwerst intensiv dräuende Soundwand der Combo aus Diepenbeek einen differenzierten, komplexen Ansatz gepaart aus Postrock-Eleganz und Black-/Doom-Metaller-Wucht, der eingangs zu überzeugen wusste, im weiteren Verlauf aber austauchbar blieb, in Postmetal-Standards versank und somit dem Präsentierten bald kaum mehr Neues hinzuzufügen wusste.
Der Auftritt der US-Amerikaner von Cloakroom fiel dem individuellen Hunger-getriebenen Essenfassen zum Opfer, nicht weiter bedauerlich, die Combo wurde bereits im Vorjahr in München als Russian-Circles-Opener vorstellig. Was mehr oder weniger klassischer Indie-/Psychedelic-Grunge auf einem Postrock-Festival verloren hat, darf darüberhinaus durchaus als Frage in den Raum geworfen werden, aber nachdem die Band permanent im Schlepptau von erwähnten Postmetal-Heroen oder PR-Vorzeige-Kapellen wie den an dem Tag noch anstehenden Headlinern von Caspian unterwegs ist, wird irgendjemand aus der dunk!-Organisation sicher eine Antwort darauf haben.
Der Wald hatte im weiteren Festival-Stundenplan das Duisburger Trio [ B O L T ] zu Gast, die Band aus dem Ruhrpott überzeugte mit einer im Grundtenor entschleunigten, Trance-artigen, hypnotischen Drone-Doom-Meditation, in der sich im 40-minütigen Space-Flow sporadisch wiederholt die brachiale Härte experimenteller Sludge-Erruptionen Bahn brach. Laut-Leise kann auch so gehen und das ist auch gut so. Ein erstes experimentelles Ausrufezeichen an einem Tag, der ansonsten hinsichtlich Klang-erforschender, avantgardistischer Ansätze wenig zu bieten hatte und damit keine Spitzenplätze unter den bis dahin erlebten dunk!-Runden belegte.
Es mag dem auffällig mangelnden Zuschauer/-hörer-Interesse bei den Vorjahres-Headlinern Earth und den grandiosen Swans nebst einigen weiteren Perlen in diesem Kontext geschuldet gewesen sein, dass die Veranstalter in diesem Jahr tendenziell auf Nummer sicher gingen und sich im Line-Up weit mehr dem Postrock-Mainstream verschrieben, etwas mehr Mut zum Risiko wäre nichtsdestotrotz wünschenswert gewesen. Dahingehend passte dann der Auftritt der US-Band Ranges aus Bozeman/Montana perfekt ins donnerstägliche Gesamtbild, bereits die begleitenden Lobeshymnen zum Release des letztjährigen Tonträgers „The Ascensionist“ mochten latent fragendes Stirnrunzeln auslösen, auch konzertant geht der instrumentale Postrock der Amerikaner kaum über bereits zigfach gehörte State-of-the-Art-Crescendi und Soundflows hinaus – atmosphärische, gefällig dahinplätschernde Standard-Beschallung, nicht weniger, aber beileibe auch nicht mehr.
Nonsun aus dem ukrainischen Lemberg beschallten den Waldhügel mit gedehnter Drone- und Dessert-Psychedelic, eine experimentelle Stoner-Nummer, die dezente Reminiszenzen an den letztjährigen Earth-Auftritt wachrief und zu der es sich genehm abhängen ließ, die dazu passenden visuellen Farbexplosionen mussten der eigenen Phantasie entspringen, aber mit den Abstufungen des satten Unterholz-Grüns war durchaus Alternative zur optischen Begleitung im meditativen Versenken geboten. „Music from behind the Wall of Sleep“ benennt die Band selbst ihre Klangergüsse, womit eine sich unterschwellig aufdrängende Affinität zum Black-Sabbath-Frühwerk geklärt wäre.
Die schwedische Postrock-Band EF präsentierte zu bester Abendstunde einen herrlichen, elegischen Auftritt in formvollendeter Eleganz, mit minimalistischen, ätherischen, oft wortlos-lautmalerischen Vokal-Hymnen, ergreifenden Shoegazer-Passagen, inwendiger Indie-Rock-Geschmeidigkeit und einem erhebenden, entschleunigten und trotzdem wiederholte Male höchst dramatischen Klangbild, das hart an der Bugwelle zum Kitsch segelte und doch einfach nur wunderschön war. Man kann es natürlich auch weitaus weniger ergriffen und unprätentiöser auf den Punkt bringen, so wie es ein verwandter und treuer Konzertbegleiter zu der Gelegenheit äußerte: „Ist wie Sigur Rós immer dann gut, wenn sie die Klappe halten“. Das Bad in der Menge von Drummer Niklas Åström zwecks Melodica-Spiel fern der großen Bühne wurde vom Publikum selbstredend auch vortrefflich gefeiert.
Der Auftritt der belgischen Band Thot hätte vermutlich eine ausgedehntere Würdigung verdient, zumal bedingt durch kurze letzte Stippvisite der Wald-Lokalität der integrierte Auftritt der exotischen Fakir-/Feuerspucker-Frau durch die Lappen ging, aber die Vorfreude auf den Caspian-Auftritt einerseits und die spürbare musikalische Übersättigung andererseits forderten ihren Tribut, womit die Aufführung der Damen und Herren, die ihre Tonal-Kunst selbst als „Vegetal Noise Music“ betiteln, hier eine kurze Randnotiz bleibt, dabei war die überdehnte Darbietung aus Trash, Bombast, experimentellem Noise-Rock und White-Stripes-auf-Droge-Durchknallen alles andere als unspannend. Klassischer Fall von Right Place, Wrong Time, was soll man machen, vielleicht ein andermal…
Grande Finale am ersten Tag mit Caspian, die Institution aus dem US-Bundesstaat Massachusetts stellte in runderneuerter Band-Besetzung wie erwartet den gekonnten Mix aus Oberliga-Postrock-Brillanz gepaart mit geballter Postmetal-Energie auf die Bretter der großen dunk!-Bühne, das vollbesetzte Zelt weidete sich leidlich an einer ungebremsten, entfesselten Klangorgie, die optisch entsprechend mit viel Gelichter, Stroboskop-Geblitze und Trockeneis-Verwehungen begleitet wurde – Mindblowing nennt der Anglist sowas gemeinhin. Die Band hatte sichtlich Spaß an ihrer Headliner-Rolle und lebte diese entsprechend enthusiastisch aus, Caspian-Vorturner Philip Jamieson ließ in seiner Dankesrede etwas in Richtung „Greatest Festival in the whole f***in‘ World“ fallen, mindestens seine Truppe warf an dem Abend zu fortgeschrittener Stunde kurz vor Mitternacht nochmal alles an Können und inspirierter Spielfreude in die Waagschale und tat damit das ihrige, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Da war es dann auch verschmerzbar, dass die wunderbare britische Cellistin Jo Quail mit ihrer neoklassischen Kunst, die bereits vor zwei Jahren mit der Band tourte und den Zugabenblock am Donnerstag begleitete, im bombastischen, von lärmenden Gitarren und wuchtigen Drums dominierten Sound völlig unterging, der Solo-Vortrag der englischen Ausnahme-Musikerin stand bereits für den kommenden Festival-Tag an…