Trash

Fred Raspail & Rosario Baeza @ Café Schau Ma Moi, München, 2019-04-04

Rosario Baeza: „People don’t talk that much, cause they’re permanently drinking…“
Fred Raspail: „You got it, that’s how things go here!“

Wenn sich beim Café Schau Ma Moi das Leben an der Tegernseer Landtraße weit mehr vor dem Lokal am Gehsteig als im Gastraum selbst abspielt, ist sehr wahrscheinlich Drittliga-Spieltag und Heerscharen von Sechzig-Fans umzingeln das beloved Giesinger Wohnzimmer, um die nächsten eingefahrenen Punkte gegen den Abstieg zu feiern oder den Frust über eine schwache Partie der „Löwen“ mit dem Kellerbier der nahe gelegenen, ortsansässigen Brauerei wegzuspülen. Drängeln sich dagegen die Gäste dicht gestaffelt im kleinen Cafe, ist derzeit entweder Lesung oder Vortrag zum hundertjährigen Jubiläum der Bayerischen Revolution und Räte-Republik angezeigt oder die Obergiesinger „Ordnungszelle“ wird kurzerhand zum „Telasoul Ballroom“ ausgerufen, zwecks musikalischer Beschallung der vermutlich kleinsten – und ganz sicher neben dem KAP37 und dem Club-Keller der Polka-Bar schönsten – Münchner Konzert-Lokalität. So geschehen once again am vergangenen Donnerstag-Abend zur Präsentation des kürzlich erschienenen Albums „Radio Primitivo“ (Gutfeeling Records) vom französischen Trashblues-Folker und Los-Gatillos-Musikanten Fred Raspail, der hier bereits bestens bekannte und beleumundete Barde aus Lyon stellte sein bewährtes One-Man-Band-Konzept hintenan, Raspail und sein mysteriöses Primitive Ghost Orchestra durften sich an dem Abend alles andere als primitiv und äußerst charmant von der argentinischen Musikerin Rosario Baeza begleiten lassen.
Nicht nur optisch ein fesches Paar, harmonierten die beiden auch im gemeinsamen Aufspielen prächtig. Die junge Musikerin aus Buenos Aires demonstrierte ihr Multitalent an Violine, Bluesharp, Gitarre wie Keyboards und verlieh damit der scheppernden Chanson-Folklore, dem ungestüm lärmenden Rock and Roll, dem Trash in Moll von Fred Raspail geschmeidige Eleganz und die zusätzlichen Facetten an Gypsy-Swing, Balkan-Melancholie und Americana-Roots. Nicht nur an diversem Instrumentarium, auch als Duett-Partnerin im Gesang wie im gelegentlichen Lead wusste die Argentinierin zu gefallen, das unverstellt Verruchte und Schmutzige in ihrer betörenden Blues-Stimmlage begeisterte wie ihr Talent als schmalzende Balladen-Croonerin im südamerikanischen Herz-Schmerz-Drama, das die Hörerschaft im gesteckt vollen Café ergriffen die Luft anhalten ließ.
Eingangs bot das Duo eine feine Auswahl an amerikanischen Blues- und Folk-Standards im schrammeligen Gewand, die erwartet grandios vorgetragene, tieftraurige Gospel-Ballade „Wayfaring Stranger“, der rohe, schmissig polternde „Folsom Prison Blues“ als Verneigung vor dem großen Cash und eine durch die Violine Rosa Baezas zum Country-Blues mit Irish-Folk-Einschlag veredelte Interpretation des Leadbelly-Klassikers „In The Pines“, zu der sich die ehemalige Giesinger Bahnwärter-Station für einige Minuten in die Nachbarschaft von windschiefen Holzschuppen und illegalen Schnapsbrennereien irgendwo am Rande der Baumwollfelder des US-amerikanischen Südens teleportierte.
Den unterhaltenden Conferencier und launigen Anekdoten-Erzähler zwischen den einzelnen Nummern hielt Fred Raspail dieses Mal im Zaum, zuviel an neuen Songs vom aktuellen Tonträger stand auf der Setlist zum konzertanten Vortrag, als dass die Zeit zum ausladenden Parlieren gereicht hätte, vielleicht mochte er sich im Duo-Verbund auch nicht als großer Geschichten-Zampano hervortun und gab sich darum galant bedeckt. In einem babylonischen Sprachgewirr an französischen, spanischen, englischen und deutschen Lyrics trashte, jaulte und schepperte sich das gemischte Doppel durch das Primitiv-Radio-Programm für Kirmes-Veranstaltungen, Blues-Garagen und verrauchte Kaschemmen, wo der biblische Turmbau am gegenseitigen Unverständnis der beteiligten Parteien scheiterte, gelang das Konzert der europäisch-lateinamerikanischen Connection im transkontinentalen Schulterschluss zu einem höchst gelungenen Kunststück der abendlichen Unterhaltung, die Entertainment-Qualitäten der gebotenen Aufführung waren allein schon am rasenden Verfliegen der Zeit festzumachen, die eineinhalb Stunden im Schau Ma Moi hatten sich am Donnerstagabend scheint’s zu einem kurzweiligen, vor allem gefühlt viel zu kurz geratenen Konzentrat verdichtet. Wegen der Giesinger Nachbarschaft muss halt irgendwann notgedrungen Schluss sein, dabei wäre man Fred Raspail und Rosario Baeza gerne noch weiter bis tief in die Nacht hinein bei ihren beseelten Exkursionen durch die bunte und schräge Welt der Folk- und Blues-Abseitigkeiten gefolgt.

Fred & Rosa Powerduo-Supertrash-Folklore-Blues erfreulicherweise demnächst bald wieder in München, am 22. Mai im Rahmen der regelmäßigen Fish’n’Blues-Veranstaltung der Glockenbachwerkstatt, Blumenstraße 7, 20.00 Uhr. Bei entsprechender Witterung im heimeligen Biergarten. Have a Fischgräte, have a few Unertl Weißbier, have some delicious Primitive Folk Chansons…

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The Sonics + The Glücks @ Backstage, München, 2018-10-17

Generationen-übergreifendes Familientreffen in der Trash-Garage am Mittwochabend im Club-Saal des Münchner Backstage, keine Geringeren als The Sonics, die legendären Sixties-Wegbereiter des Punk und Grunge, waren für eine launige Sause angekündigt, bevor es historisch weit zurück in die Ursuppe der lärmenden Rockmusik ging, durfte der Nachwuchs ran und das Feld bereiten für die verehrten Ahnherren.
Bei einem Bandnamen wie The Glücks kommt aufs Erste nicht unbedingt große Phantasie hinsichtlich vernünftiger Support-Act-Bespaßung auf, so kann man sich täuschen, don’t judge a book by its cover, wie der Anglist im allgemeinen wie auch die Sonics in einem ihrer Songs anmerken – was Drummerin Tina und Gitarrist Alek aus der belgischen Küstenstadt Oostende an diesem (und vermutlich jedem anderen) Abend an krachendem Feuerwerk abbrannten, war durchaus mehr als nur ein anerkennendes Zungen-schnalzen wert. Von der ersten Sekunde weg zum Punkt kommend, zog das vehement abrockende Paar die Zügel an in Sachen Trash-Rock, Garagen-Punk, Uptempo-Surf- und Fifites-R’n’R, garniert mit einem hochprozentigen Schuss Psychedelic und verschärft mit ordentlich Fuzz-Feedback und dem atmosphärischen Nachhallen der dröhnenden Gitarre.
The Cramps, die Ramones und die Stooges, Dead Moon, Trash-Granaten aus dem Crypt-Records-Fundus wie Oblivians, The Gories, die New Bomb Turks und selbstverständlich nicht zuletzt The Sonics themselves dürften Pate gestanden haben bei der musikalischen Sozialisation des wilden Bonny-and-Clyde-Pärchens aus Westflandern, diese Einflüsse durch den Mixer rotiert, zu einem explosiven Trash-Punk-Cocktail geschüttelt, im Tempo ein paar Umdrehungen nach oben geschraubt, dazu ungestüme Bühnenpräsenz mittels beherztem Geschrei, strammem, treibendem Trommeln und dem energischen Beackern der Rhythmus-Gitarre, das zu diesem Sound jedes Solo verschmäht und anderweitigen Sound-erweiternden Flitter und Tand für obsolet erklärt, mehr braucht’s nicht zum konzertanten-Vollbedienungs-Glück mit den Glücks.
Das unverstellte Duo zelebriert den Rock’n’Roll, wie er im Idealfall immer durch die Lautsprecher schallen sollte: lärmend, roh, unverbraucht, direkt zupackend, mit einer jugendlichen Unbeschwertheit in die Welt hinausposaunt. Die Sonics haben The Glücks bereits zum zweiten Mal als Gäste in ihrer Konzertreise-Entourage mit an Bord, und das hat seinen guten Grund, die alten Hasen beweisen damit stilsicheres Gespür für das eigene kulturelle Erbe.
Das war super, das war elegant – Tina bangs the skins whilst Alek trashes the strings… So you can move!… Sexbeat!!… Go!!!

Dem historisch bewanderten Rock’n’Roller-Volk noch groß etwas Neues über The Sonics zu erzählen, bedeutet wohl schwer vermutlich die sprichwörtlichen Eulen-Viecher zur Akropolis tragen, im Olymp sind die Godfathers of Punk, Trash, Grunge & Hard Rock aus Tacoma im US-Bundesstaat Washington mit ihren ikonischen LoFi-Produktionen und energischen Protopunk-Sixties-Hits mittlerweile längst angekommen, die Liste ihrer Jünger ist heute kaum mehr zu überblicken und reicht von den Sex Pistols, die einst ihre Version des Eddie-Cochran-Hauers „C’mon Everybody“ coverten, über ihrerseits Stil-prägende Kultfiguren der Pop-Historie wie Lux Interior, Kurt Cobain, Jack White, Mark E. Smith, die Happy Family der Ramones bis hin zu Indie-Größen vom Schlage der Flaming Lips und Mainstream-Großverdiener wie Robert Plant oder Bruce Springsteen und seinen Haus- und Hof-Gitarristen Steve Van Zandt.
Im 58. Jahr ihrer Bandhistorie sind die Sonics als eine der weltweit dienstältesten Krach-Combos im Rahmen ihrer ausgedehnten Europa-Tour auch in München angelandet und präsentierten im vollbepackten Backstage-Club für eine gute Stunde ein klingendes Potpourri ihrer bekanntesten Hits. Für etliche der alten Haudegen aus dem Original-Line-Up ist der Reisestress inzwischen nicht mehr zu bewältigen, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass von der klassischen Besetzung nur noch Saxophonist, Blues-Harp-Spieler und Sänger Rob Lind mit von der Partie ist, dem damit als altgedienten Sonics-Kämpen die Rolle des launigen Moderators und Anheizers zukam.
Die fehlenden Altvorderen werden im Rahmen der Sonics-Comeback-Konzerte würdig vertreten, Gitarrist Evan Foster von den Boss Martians besorgte die messerscharfen Riffs mit seiner Fender Telecaster, Drummer Dusty Watson bringt mit seinen früheren Punk- und Garagen-Combo-Engagements unter anderem bei Agent Orange, den Supersuckers und Surf-Rock-Gott Dick Dale über die Maßen Tour-Erfahrung mit für diesen Job, Bassist Don Wilhelm mischt seit über zehn Jahren bei den Sonics mit, und Organist Jake Cavaliere als Frontmann seiner eigenen Psychedelic-Kapelle The Lords Of Altamont ist nicht nur in seiner optischen Erscheinung inklusive üppigsten Old-School-Tattoos und Ramones-Widergänger-Topffrisur zu der Gelegenheit über jeden Zweifel erhaben.
Die Band schrammte sich laut und deftig mit einer rohen Spielart des Rock’n’Roll-Urmeters durch eine Auswahl ihrer bekannten Hits, die erwähnte Cochran-Nummer „C’mon Everybody“ als Party-eröffnender Kracher, das unvermeidliche und tausendfach gecoverte „Louie Louie“, mit „Have Love, Will Travel“ eine weitere Richard-Berry-Komposition, „Cinderella“, „Boss Hoss“, die alten Little-Richard-Kracher „Lucille“ und „Keep A Knockin“, zum Ende des wilden, energischen Ritts ihre Generationen-prägenden, einflussreichen und stilbildenden Klassiker „Strychnine“, „Psycho“ und das finale, von den Glücks als Background-Sänger unterstützte „The Witch“.
Auch wenn dem hinlänglich bekannten Song-Material trotz ruppiger und entschlackter Präsentation die Patina der Herkunft aus längst vergangenen Zeiten des Rock-musikalischen Aufbruchs anhaftet, für ordentliches Club-Show-Entertainment, eine geschichtsträchtige Werkschau und flottes Schuhsohlen-Beheizen des tanzlustigen Volkes im Moshpit reichte das kurze und intensive Set der gesetzten Herrschaften allemal, ohne jede Altersmüdigkeit und ohne gelangweiltes Standardprogramm-Abspulen.
Nachdem hierzulande das Anheben des Renteneintrittsalters thematischer Dauerbrenner im politischen Tagesgeschäft ist und eine Rolling-Stones-Walking-Dead-Show, die die Grenzen der Peinlichkeit längst kilometerweit hinter sich gelassen hat, nach wie vor ganze Stadien nach Strich und Faden abzockt, dürfen The Sonics mit einem weitaus genehmeren Arbeitsethos und beherzteren Brennen für das eigene Lebenswerk noch gerne ein paar Jahre durch die Lande krakeelen und die Bühnenbretter dieser Welt rocken, wie brüllen wir Münchner „Löwen“ immer zu solchen Gelegenheiten: Sechzge, Oida! – das sechzigjährige Jubiläum der Band ist ja nicht mehr fern…

Die restlichen Deutschland- und Schweiz-Termine der This Is The Sonics 2018-Tour, präsentiert von der Konzertagentur Hotellounge:

23.10.Zürich – Ziegel Oh Lac
25.10.Etagnières – Croc‘ The Rock Festival
27.10.Bern – Dachstock / Reitschulfest
28.10.Karlsruhe – Jubez

Konzert-Vormerker: Mucha

Erstmals auf kurzer Deutschland-Tour, dank den Betreibern der Münchner Polka Bar demnächst auch an den Gestaden der Isar-Metropole zugange: das tschechische Quartett Mucha aus Brno, big in Böhmen und Mähren, hierzulande (noch) ein Geheimtipp.
Frontfrau Nikola Muchová und ihre drei Jungs etikettieren ihre Spielart des slawischen Underground-Rabaukens als Femipunk, eine überaus gelungene Mixtur aus schnörkellosem Punkrock, Elementen des Chanson und flottem, angeschrägtem Indie-LoFi-Lärmpop, die sich mittlerweile auf drei veröffentlichten Longplayern der Combo findet und zu der Frau Muchová ihre alles andere als konventionellen Geschichten von unterdrückten Minderheiten, männlicher Inkompetenz, dem Leben in Brünn, Alkohol-bedingten Total-Ausfällen und dem Schweinebraten-Rezept ihrer Oma zum Besten gibt.
Wenn das Konzert in der Polka nächste Woche nur halb so gut wird wie tschechische Braten-Gerichte (schwer vermutlich auch das von der Großmutter) und die zwingend dazugehörigen Schwarzbiere gemeinhin munden, dann wird’s wohl richtig gut. Die Bühnenpräsenz der Band soll dem Vernehmen nach atemberaubend sein und energetisch frontal schwerst nach vorne abgehen, tschechisches Craft-Bier von Pivovar Hangár wird an dem Abend zusätzlich durch den Zapfhahn am Tresen im Gewölbe der Polka Bar fließen, was will frau/man mehr: In diesem Sinne Prost, na zdraví und fröhliches FeministInnen-Abpogen!

Mucha, Polka Bar, Pariser Straße 38, Eingang Gravelottestraße, München, 4. Oktober 2018. 20.00 Uhr.

Pabst + The Lumes @ Orangehouse, München, 2018-09-06

Bass, Gitarre, Schlagzeug, mit der klassischen Trio-Besetzung geht man selten fehl in der konzertanten Rockmusik-Bespaßung, und so sollte es sich auch am vergangenen Donnerstagabend fügen im Münchner Orangehouse, das Berliner Label Crazysane Records präsentierte in der Feierwerks-Halle ein heftiges Doppelpack aus seinem noch überschaubaren Fundus bisher vorgestellter und veröffentlichter Bands. Klasse statt Masse scheint das Motto bis dato bei der kleinen aber feinen Indie-Plattenfirma von HEADS./ex-The-Ocean-Bassist Chris Breuer, keine Frage.

Bevor die Jungspunde von Pabst die Bühne der heimeligen Club-Lokalität enterten, durften sich die Labelmates von The Lumes eingangs für eine gute halbe Stunde mit ihrer Spielart der lärmenden Beschallung austoben. Bei der Würdigung der im Vorjahr erschienenen EP „Envy“ wurde an dieser Stelle dem Wunsch Ausdruck gegeben, dass die Combo beizeiten mal im Isar-Großdorf vorbeischneien möge, das Begehr hat sich hiermit erfüllt. Ein ordentlich gefülltes Auditorium wurde Zeuge eines intensiven und lauten Auftritts der drei jungen Musikanten aus Rotterdam, die holländische Band bringt alles mit an kompositorischen Fähigkeiten und druckvoller Präsentation, was im emotional durchwirkten Klangbild des Postpunk seit jeher von herausragender Relevanz ist. Das Rhythmus-Duo Lennard van der Voort und Mitchell Quitz an Bass und Drums steckten mit ihrer permanent nach vorne drängenden, stoischen und direkt auf den Punkt gespielten wie effektiven Taktgebung das Feld ab für die Ausbrüche von Sänger/Gitarrist Maxime Prins, der als schlacksiger, nervöser Zappler das elektrische Saiteninstrument mit schroffen Akkorden bearbeitete und seinen verzweifelten Gefühlsausbrüchen freien Lauf ließ, unverstellt und ungeschminkt, direkt in der Konfrontation, die Seelenpein als Therapie herausschreiend. Da war einer am werkeln, der für seine Vorführung kein Konzept, keine einstudierte Effekthascherei und keine geplanten Bewegungsabläufe braucht, das kam frei von der Leber, spontan und unvermittelt in die Welt hinausposaunt.
Der schneidende Gitarrenklang, hart angeschlagen und doch mit einer durchschimmernden Shoegazer-/Postrock-Melodik und erhebenden Atmosphäre bereichert, mitunter wie Luftschutz-Sirenen in einer von Krisen geschüttelten Endzeit-Welt aufheulend, lieferte den düsteren, verzweifelten Soundtrack für die kalten und anonymen Nächte in der Betonwüste der Großstadt, wobei sich natürlich in dem Fall die Frage stellt, ob da ein Konzert in München überhaupt den passenden Rahmen liefert, mit großstädtischem Flair ist es in Sachen Subkultur mitunter in der bajuwarischen Landeshauptstadt nicht allzu weit her, aber das wäre dann ein anderes, separates Thema.
Mit einer Handvoll Songs war der Auftritt der Holländer viel zu kurz bemessen, gerne hätte man sich den Wind dieser schmerzlich schönen Druckbetankung in einer Balance zwischen tonaler Hymnik und atonaler Dämonen-Befreiung noch länger ins Antlitz blasen lassen.

Das Berliner Trio Pabst zieht derzeit im Rahmen der durch die Republik lärmenden „Chlorine“-Tour ihre Kreise, die Konzertreise zur Präsentation des jüngst veröffentlichten gleichnamigen Band-Debüts offenbarte auch in München die vermuteten Live-Qualitäten der Band, die bereits auf Tonträger dokumentierte Uptempo-Vehemenz, die unbeschwerte Frische der Songs und der offensive Druck des Pabst-Sounds potenzierten sich in der hochtourigen Darbietung der jungen Musikanten aus der Spree-Metropole zu einem Party-tauglichen Destillat. Bereits der leiernde Glam-Gesang von Gitarrist Erik Heise atmet mit jeder Silbe großen Pop und das Verlangen nach dem großen Wurf, die Melodien der Nummern haben nicht selten Ohrwurm-Charakter, die Refrains das Zeug zum Saal-umfassenden Mitsing-Chor. Pabst sind jedoch schlau genug, ihre Indie-Songs nicht im beliebigen Mainstream versumpfen zu lassen, die verzerrte, übersteuerte, Garagen-tauglich heulende Fuzz-Gitarre ist dafür mit zu vielen ausgeprägten Noise-Qualitäten gesegnet, der weitaus direktere Anschlag der Rhythmik wartet im Vergleich zur Tonkonserve immer noch mit genügend vertrackten Tempi-Wechsel auf, und der extrovertierte, intensiv abrockende, keinen Stillstand erkennen lassende Bühnen-Habitus der Bewegungsdrang-Fanatiker hat sowieso nicht zu knapp an Punk- und Grunge-Appeal.
Wie auch die Kollegen von den Lumes drückten Frontmann Heise mit Unterstützung seiner Mitmusiker Tilman Kettner und Tore Knipping ordentlich Energie von der Bühnenrampe in den Zuhörerraum, vor allem der erste Teil der gut einstündigen Lärmrock-Sause bot ein Feuerwerk an schmissigen Pabst-Krachern, zu dem die Band bereits eingangs in die Vollen ging und Smash-Hits wie „Perfume“ oder „Waterslide“ abfeierte.
„Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk, und werden es auch niemals sein“ sangen einst die Kameraden vom Hamburger-Schule-Trio Tocotronic auf ihrem Debütalbum im Jahr 1995, in einer Zeit, in der die Combo noch ernst zu nehmende deutsche Rockmusik fabrizierte, im Fall von Pabst bleibt hinsichtlich dieser Textzeile eigentlich nur Bedauern: Schade eigentlich, in jenen Jahren wäre die junge Berliner Combo hinsichtlich Verkaufszahlen an der amerikanischen Ostküste in der Hauptstadt des Grunge wohl schwer durch die Decke gegangen mit ihrer harten wie melodiösen, einnehmend euphorisierenden Spielart der Krachmusik, aber man kann sich den richtigen Ort und die richtige Zeit für das eigene Tun halt leider nur selten aussuchen. Andererseits, in heimischen Gefilden braucht es dieser Tage auch noch ein paar Kapellen, die die Fahne der kreischenden Stromgitarre hochzuhalten wissen, Pabst sind dafür beileibe nicht die schlechtesten Kandidaten.
By the way, Anekdote am Rande: Mit der gelben, zur jugendlichen Freibad-Thematik des Debüt-Albums passenden Badehose hatte der Pabst-Merchandising-Stand ein nicht alltägliches Unikat an Fan-Devotionalie im Angebot, not bad. Leider ist der Sommer fast vorbei, und nächstes Jahr passt das Teil aufgrund der angegrasten Oktoberfest- und Weihnachts-Pfunde dann wahrscheins nicht mehr, ansonsten hätte man glatt schwach werden können…

Konzert-Vormerker: The Sonics

Die Godfathers des Grunge wollen es nochmal wissen: The Sonics, Paten des Alternative Rock, Pioniere, Urgesteine und Kult-Helden des Garagen-/Proto-Punk und des Rock’n’Roll-Trashs, schlagen im Oktober im alten Europa für eine ausgedehnte Tournee auf, auch im schönen München werden sie ihre Visitenkarte im Backstage abgeben, jeweilige Termine für die Schweiz und Deutschland guckst Du unten.

Die US-Trash-Institution aus Tacoma/Washington ist seit den frühen Sechzigern aktiv und war mit legendären Kollegen wie den Kinks oder den Byrds auf gemeinsamer Konzertreise, das halbe Jahrhundert Rock-and-Roll-Krakeelen hat sie längst auf dem Buckel und nähert sich zielstrebig der sechsten Dekade ihrer Bandgeschichte.

Die Sonics haben bereits auf ihrem Debüt-Album „!!!Here Are The Sonics!!!“ stilbildende Klassiker wie „Strychnine“, „Psycho“ und „The Witch“ veröffentlicht, die später von unzähligen Interpreten in eigenen Versionen aufgenommen oder live präsentiert wurden, ihre rohe Energie und den harten, direkten Sound ihrer Songs haben Legionen von Bands und Musiker wie die Sex Pistols, die Ramones, Nirvana, The Cramps, The-Fall-Grantler Mark E. Smith, die White Stripes oder die Fuzztones als maßgeblichen Einfluss ihrer eigenen Arbeiten benannt, selbst Pathos-Schmalzer Springsteen covert ab und an die Richard-Berry-Adaption „Have Love, Will Travel“ in seinen Shows, E-Street-Band-Gitarrero, Garagenband-Fan und Wicked-Cool-Records-Chef Steven Van Zandt wird’s wohl zu schätzen wissen…

2014 waren die Sonics als Headliner bei der US-Originalausgabe des Muddy Roots Festivals in Cookeville/Tennessee am Start, kurz darauf ist mit „This Is The Sonics“ das erste neue Album seit 35 Jahren erschienen. Der Song „Bad Betty“ ist bereits vorab als Split-Single zusammen mit einer Nummer der Seattle-Grunger von Mudhoney zum Record Store Day 2014 veröffentlicht worden.

Am 30. September wird der Dokumentar-Film „Boom“ über die Sonics beim Raindance Film Festival in London uraufgeführt: „For the first time ever, all five original members of the band tell the true story of how it all went down, beginning to end“.

Die Konzertagentur Hotellounge präsentiert die Deutschland- und Schweiz-Termine der Sonics:

THE SONICS – „This Is The Sonics“ 2018

11.10.Hamburg – Molotow
12.10.Bonn – Harmonie / WDR Rockpalast Crossroads
13.10.Aachen – Musikbunker
14.10.Frankfurt – Das Bett
16.10.Essen – Zeche Carl
17.10.München – Backstage
23.10.Zürich – Ziegel Oh Lac
25.10.Etagnières – Croc‘ The Rock Festival
27.10.Bern – Dachstock / Reitschulfest
28.10.Karlsruhe – Jubez