Tribute

Reingehört (389): Nona Hendryx & Gary Lucas

Nona Hendryx & Gary Lucas – The World Of Captain Beefheart (2017, Knitting Factory Records)

Sowas kann schwer schiefgehen, das Interpretieren der Werke von singulären Ausnahme-Genies wie etwa jene des Experimental-Blues-Exzentrikers und Zappa-Kumpels Don Van Vliet aka Captain Beefheart, zu einzigartig, Erfurcht gebietend und herausragend ist der musikalische Kosmos und das Schaffen des von Kollegen wie Kritikern gleichermaßen hochverehrten kalifornischen Multi-Instrumentalisten, Songwriters, Komponisten und Kunstmalers, als dass sich jeder x-beliebige Bettelmusikant daran versuchen sollte.
Anders verhält sich das selbstredend beim New Yorker Gitarren-Virtuosen Gary Lucas, der sich seine Meriten in jungen Jahren Anfang der 1980er als Mitglied der Magic Band erwarb mit seiner Beteiligung an den letzten beiden regulären Studio-Alben des Captain, „Doc At the Radar Station“ und dem finalen Meisterwerk „Ice Cream For Crow“.
Gary Lucas, seit der Zeit mit Beefheart in unzähligen Projekten und Kollaborationen mit prominenten Musikern von Jeff Buckley über John Cale, Lou Reed, Peter Hammill bis John Zorn zugange, spielt auf dem neuen Tribute-Werk noch genau so, wie es der Meister zu Zeiten der letzten Jahre seiner Stammcombo forderte, vertrackte Blues- und Progressive-Riffs, geerdet wie gleichzeitig hochgradig filigran und experimentell, die, laut Lucas, einen sechsten Finger an der Griffhand beim Gitarrenspiel erfordern würden. Damit baut er das tragfähige und dem Beefheart-Werk gerecht werdende Grundgerüst für die Sangeskünste von Nona Hendryx, die zwar dem Stimmumfang Van Vliets über mehrere Oktaven nicht die komplette Bandbreite entgegensetzen kann, mit ihrem charakteristischen Soul-Organ aber über genügend Volumen verfügt, um das Kind im eigenen Interpretations-Ansatz in Würde zu schaukeln. Der interessierten Hörerschaft dürfte die entfernte Jimi-Verwandte Nona Hendryx aus der Vergangenheit neben ihren solistischen Black-Music-Alben vor allem als Mitglied des Gesangstrios Labelle und durch ihre Background Vocals bei den Talking Heads in der „Remain In Light“-Hochphase bekannt sein.
Mit der Songauswahl spannt das Paar einen weiten Bogen von Blues-lastigeren Frühwerken aus dem „Safe As Milk“-Debüt und dem nahe liegenden, Soul-infizierten „Clear Spot“-Album bis hin zu experimentelleren Ausflügen in die „Shiny Beast“-Phase und macht auch vor „When Big Joan Sets Up“ und „Sugar ’n Spikes“ aus dem 1969er „Trout Mask Replica“-Superwichtig-Monolithen nicht halt, ein Wagnis, das als weitgehend gelungen bezeichnet werden darf.
In Sachen Tribut-Zollen für den legendären Captain in allen Belangen dem grandios gescheiterten, mit Pauken und Trompeten an die Wand gefahrenen Versuch „Fast ’n‘ Bulbous – A Tribute To Captain Beefheart“ des englischen Indie-Labels Imaginary Records aus dem Jahr 1988 vorzuziehen, auf dem sich seinerzeit renommierte Bands wie Sonic Youth, XTC, die Membranes oder die Scientists völlig vergebens abmühten, der Magie des abgedrehten Van-Vliet-Cosmic-Blues nahe zu kommen.
(**** ½ – *****)

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Lost & Found (8): Where The Pyramid Meets The Eye

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„About the album’s title, I’ll never forget the time all those years ago when I asked Roky what psychedelic music was. Ever the gentlemen, Erickson looked at me with shining eyes and said, „Don’t you know, man? That’s where the pyramid meets the eye.“ You’re right, Roky, and you’re the person who put it there.“
(Bill Bentley)

„…there are a several moments of very real beauty and power here, especially from the artists who share Erickson’s Texas heritage — Doug Sahm and ZZ Top rock out on their contributions, the Butthole Surfers‘ version of ‚Earthquake‘ is one of their finest moments on wax, and T-Bone Burnett’s take on ‚Nothing in Return‘ is a heart-tugging gem.“
(Mark Deming, allmusic.com)

„The Syd Barrett of Texas.“
(Joe Nick Patoski, No Depression)

Various Artists – Where The Pyramid Meets The Eye: A Tribute To Roky Erickson (1990, Sire)
Gab mal eine Welle Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger, in deren Flut wurden alle möglichen Größen und auch das ein oder andere kleinere Licht der Populären Musik mit Werkschau-artigen Tribute-Werken bedacht, Coverversionen der jeweiligen „Greatest Hits“, eingespielt von musizierenden Fans und Genre-verwandten Künstlern, Weggefährten und auch ein paar Verirrten, die man mit dem gewürdigten Star oder der Band im Einzelfall nie und nimmer in Zusammenhang gebracht hätte.
Schöne Sammlungen gab’s da, „The Bridge: A Tribute To Neil Young“ (1989, Caroline) etwa, mit dem die Creme der damaligen Indie-Szene auch gleich noch etwas Münzen für Pegi Young’s Bridge School für Kinder mit Behinderungen sammelte, oder „I’m Your Fan: The Songs of Leonard Cohen“ vom französischen Oscar-Label aus dem Jahr 1991 zur Würdigung des kürzlich verstorbenen kanadischen Songwriters. Einiges ging auch grob in die Binsen, Bands wie XTC, die Membranes oder That Patrol Emotion konnten nur scheitern an der singulären Genialität eines Don Van Vliet aka Captain Beefheart, hinsichtlich der drei Teile der „Heaven & Hell“-Serie als Verneigung vor den Werken der Velvet Underground herrschte auch nicht eitel Sonnenschein, zuviel Ausschuss tummelte sich zwischen wenig Gelungenem, wer aber uneingeschränkt mit erbaulichen bis begnadeten Fremd-Interpretationen des eigenen Werks in das Bewusstsein der Hörerschaft zurückgezerrt wurde, war Psychedelic-/Garagen-Rock-Gott Roky Erickson, „Where The Pyramid Meets The Eye“ ist bis dato eines der gelungensten und anrührendsten Exemplare dieser Tribute-Sampler-Gattung.
Produziert und zusammengestellt hat das gute Teil der Journalist, ZZ-Top-Spezi und „Music Industry Executive“ Bill Bentley, der wie Roky Erickson aus Texas stammende Geschäftsmann versammelte eine illustre Musikantenschar zur Neueinspielung der Erickson-Solo- und 13th-Floor-Elevators-Perlen des Psychedelic-Rock-Pioniers.
Wenn man mit den Rauschebärten persönlich so dicke ist, spricht nichts gegen eine Eröffnung des Reigens mit dem Elevators-Kracher „Reverberation (Doubt)“ durch ZZ Top im treibenden Bluesrock-Gewand, die Nummer taucht abschließend in selbstredend mutierter Form von den schottischen Noise-/Indie-Rockern Jesus & Mary Chain dargeboten noch einmal auf. Aus dem Fundus der 13th Floor Elevators bedienen sich unter anderem Dough Sahm mit „You’re Gonna Miss Me“, Primal Scream mit einer gelungenen Rave-Adaption von „Slip Inside This House“ und die geistesverwandten Weirdos von den Butthole Surfers mit der entfesselten, wie für sie geschriebenen „Earthquake“-Nummer.
Dass der in seinem Leben phasenweise von Schizophrenie geplagte Roky Erickson als Solokünstler verdienten Kult-Status erlangte, belegen Solo-Alben wie der mit dem Creeedence-Clearwater-Revival-Bassiten Stu Cook eingespielte 1980er Meilenstein „I Think Of Demons“ (CBS) oder seine „Halloween“-Live-Aufnahmen Ende der Siebziger mit den Explosives, bei der Neubearbeitung von Werken aus dieser Ära tun sich auf dem Tribute-Album vor allem Julian Cope mit einer treibenden Prog-/Rave-Version von „I Have Always Been Here Before“ und R.E.M. mit Byrds-artigem Gitarren-Geschrammel in „I Walked With A Zombie“ hervor, die Truppe um Michael Stipe nimmt der Nummer zwar jegliche Schärfe, arbeitet aber dafür nicht geahnte, große Pop-Momente heraus. T-Bone Burnett und Bongwater glänzen mit ureigener Balladen-Kunst in „Nothing In Return“ und „You Don’t Love Me Yet“, John Wesley Harding verbrät „If You Have Ghosts“ zu grundsolider Indie-Rock-Intensität. Mit „Red Temple Prayer (Two Headed Dog)“, „Don’t Slander Me“ und „Burn The Flames“ treiben Sister Double Happiness, Lou Ann Barton und die großartigen Thin White Rope ihr jeweils eigenes Spiel in Sachen Blues-infizierter Garagen-Trash, in allen drei Fällen mit individueller Note versehen und im Resultat mehr als hörenswert.
Die Vinyl-Ausgabe des Tonträgers enthielt drei zusätzliche Stücke von den Angry Samoans („White Faces“!), den Lyres und The Mighty Lemon Drops.
Eine formvollendete, gelungene und stimmige Verneigung vor einem der ganz Großen der amerikanischen Rockmusik, der in erster Linie von allem zuviel abbekommen hat, zuviel Irrsinn, zuviel bewusstseinserweiternde Drogen, zuviel Medikamenten-Missbrauch, zuviel Aufenthalte in Hospitälern, zu viele Horror-Filme auf zu vielen Bildschirmen gleichzeitig, bedauerlicherweise nicht zuviel vom Ruhm, der einem wie Roky Erickson im Musik-Business einer besseren Welt zuteilgeworden wäre.
(*****)

Reingehört (178)

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„Their music touches on ground that most other groups don’t even know exists.“
(Lenny Kaye)

V.A. – Day Of The Dead (2016, 4AD)

Nicht die erste, aber die bis dato spannendste und umfangreichste Benefiz-Grateful-Dead-Tribute-Sammlung: Bereits 1991, noch zu Lebzeiten der Band, haben sich gestandene Musiker wie unter anderem Warren Zevon, David Lindley, Dr. John, Suzanne Vega und Elvis Costello zwecks Regenwald-Support und finanzieller Unterstützung des Rainforest Action Network zum Dead-Covern auf dem Sampler „Deadicated: A Tribute To The Grateful Dead“ (Arista) versammelt und eine Auswahl an Perlen aus dem reichhaltigen Band-Fundus eingespielt, die sich in der Interpretation solide gebärdeten, aber kaum zu weit vom jeweiligen Original abweichten.
Weitaus experimenteller und mutiger geht es zu auf dem opulenten 5-CD-/59-Stücke-Paket „Day Of The Dead“ zur Unterstützung der Red Hot Organization in ihrem Engagement gegen den AIDS-Virus, das von den The-National-Zwillingen Aaron und Bryce Dessner initiiert wurde, bereits vor sieben Jahren haben sie mit dem exzellenten „Dark Was The Night“-Sampler (2009, 4AD) 1,5 Mio. US-Dollar für die Anti-AIDS-Kampagne eingespielt.

Bevor die Verneigung vor Garcia und Co ihre ganze Pracht über weite Strecken der insgesamt mehr als fünfeinhalb Stunden Musik entfalten kann, geht es holprig los mit einer belanglos vor sich hinplätschernden Indie-Pop-Einspielung von „Touch Of Grey“, dem einzigen Top-Ten-Hit der Dead in 30 Jahren Bandgeschichte, dargereicht von The War On Drugs, aber was will man von einer Mehmet-Scholl-Lieblingskapelle schon groß erwarten?
Einige Interpretationen wagen sich zwar auch hier nicht allzu weit weg vom Original, halten aber so ein mehr als passables Niveau. Das einer wie Jim James auch in der Stimmlage den Garcia perfekt gibt, ist nicht weiter verwunderlich, und dass Wilco als eine den Dead im beseelten konzertanten Vortrag nahekommende Band im Verbund mit Urgestein Bob Weir in der Live-Einspielung von „St. Stephen“ zwar wenig individuelle, gleichwohl aber äußerst befriedigende Arbeit abliefern, überrascht auch nicht weiter. Neben Weir ist Bruce Hornsby als ehemaliges Grateful-Dead-Mitglied zu vernehmen, seine Version von „Black Muddy River“ versieht er mit einem unüberhörbaren Irish-Folk-Touch.

Eine bis dato wenig geschätzte Mainstream-Band wie Mumford & Sons schwingt sich in „Friends Of The Devil“ zu ungeahnten Höhen auf, bei entsprechendem Songmaterial ist der Haufen offensichtlich doch zu gebrauchen.
Stephen Malkmus, Ira Kaplan, Kurt Vile, Bonnie ‚Prince‘ Billy mehrfach und gewohnt sehr gut, The Tallest Man On Earth, sie alle haben ihre Hausaufgaben gemacht hinsichtlich Sichtung des American-Cosmic-Music-Katalogs, grundsolide bis hervorragende Qualität ist dahingehend geboten aus der Ecke der bewährten Indie-Größen.

Bei den subjektiven Lieblingsstücken der amerikanischen Jam-Band-Institution hört man selbstredend genauer hin, es überzeugen The Lone Bellow mit einer beschwingten Prärie-Country-Version von „Me And My Uncle“ und im weiteren Verlauf erneut mit „Dire Wolf“, Tal National mit einer Calypso-angelehnten Indie-Pop-Fassung von „Eyes Of The World“, die den Grund-Groove des Stücks schön herausarbeitet, „Brown Eyed Women“ kommt als funky-entspannter Westcoast-Rocker von Hiss Golden Messenger und „Morning Dew“ klingt, als wäre es schon immer ein The-National-Stück gewesen.

Schwer enttäuschend dagegen Alternative-Country-Grande-Dame Lucinda Williams, ihre stinklangweilige Einspielung von „Going Down The Road Feelin‘ Bad“ sorgt in der Tat für schlechte Gefühle und ist in keinster Weise mit ihren inspirierten, früheren Tribute-Beiträgen (v.a. für Mississippi John Hurt und Blind Willie Johnson) zu vergleichen, neben dem nervtötenden Modern-Jazz-Gewichse der „Truckin“-Version von Marijuana Deathsquads und dem verspulten, unwürdigen Elektronik-Gefrickel der Flaming Lips als „Dark Star“-Derivat mit die schlimmste Themen-Verfehlung des Tribute-Albums.

Bei der Würdigung des Grateful-Dead-Werks darf das Experimentieren im Geiste des psychedelischen Space-Rock nicht zu kurz kommen, zu dem Thema gibt es jede Menge Erbauliches: „Garcia Counterpoint“ von Bryce Dessner ist bestes Minimal-/Ambient-Theater, Tim Hecker verbeugt sich in „Transitive Refraction Axis For John Oswald“ vor der „Greyfolded“-Klangcollagen-Arbeit des kanadischen Komponisten und Soundtüftlers, Tunde Adebimpe von TV On The Radio lässt es zusammen mit dem ex-Sonic-Youth-Mann Lee Ranaldo in „Playing In The Band“ zuerst traditionell-entspannt angehen, bevor die Musiker in einen beherzten, Gitarren-experimentellen Rausch abdriften, „Estimated Prophet“ in der Version der Rileys ist von ähnlicher Güte und das weirde „Aoxomoxoa“-Stück „What’s Become Of The Baby“ wird von einer Formation namens stargaze als indisch angehauchter Hymnen-Drone im Geiste des Originals inszeniert.

Ansonsten erwähnenswert? Dass die Dead in Hardcore funktionieren, hat Henry Rollins bereits vor Jahren mit „Franklin’s Tower“ bewiesen, die Kanadier von Fucked Up kriegen das mit „Cream Puff War“ in einer Elektro-Trash-Variante ebenfalls gut gebacken.
Bela Fleck erinnert mit seinem modernen Bluegrass-Ausflug in „Help On The Way“ weit mehr an Jerry-Garcia-Nebenpfade, die dieser in seinen Country/Bluegrass/Folk-Ausflügen einst zusammen mit David Grisman und Old And In The Way beschritt.
„Till The Morning Comes“ (Luluc with Xylouris White), „And We Bid You Goodnight“ (Sam Amidon) und „Rosemary“ (Mina Tindle) funktionieren als berührende Folk-Balladen, Kate Stables aka This Is The Kit offenbart dahingehend in „Jack-A-Roe“ Fairport-Convention-Qualitäten und der amerikanische Pianist Vijay Iyer trimmt „King Solomon’s Marbles“ in Richtung frei fließender Jazz-Folk im Geiste George Winstons.
Den würdigen Schlusspunkt der Sammlung setzen The National zusammen mit dem Grateful-Dead-Rhythmus-Gitarristen und Ur-Mitglied Bob Weir in einer „I Know You Rider“-Fassung, wie sie auf jeder anständigen Live-Einspielung der legendären amerikanischen Jam-Band enthalten sein könnte.
Do yourself a favour, ist nebenher auch noch für einen guten Zweck – ein Muss für jeden Deadhead und solche, die es noch werden wollen. Ersetzt selbstredend in keinster Weise diverse, vor allem konzertant eingespielte Ton-Konserven der Dead, ist aber ein grundsolider und äußerst hörenswerter zeitgenössischer Interpretationsansatz zur wundersamen musikalischen Welt von Garcia, Hunter, Weir, Lesh und Co.
(**** ½ – *****)

Reingehört (133)

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Sioux Falls – Rot Forever (2016, Broken World Media)
Kommen aus Portland, haben ihre Band vermutlich nach der größten Stadt in South Dakota benannt, die Herren Isaac Eiger, Fred Nixon und Ben Scott, und bringen nach der inzwischen vergriffenen 2014er-LP ‚Lights Off For Danger‘ und einer folgenden Split-EP nun im neuen Jahr ein opulentes Paket in Form eines 72-Minuten-Doppelalbums unter die Leute. Lässt sich gut hören, der euphorische Indie-Rock-Ansatz, der recht angenehm an diesen beherzten Springsteen-/Clash-Geist der ersten beiden Gaslight-Anthem-Alben denken lässt, die oft sechs- bis acht-minütigen Songs sprühen vor Ideen, die Melodien sind griffig, der Gitarrenanschlag ist auf respektablem Built-To-Spill-Niveau, allzu viel Alternative-Rock-Wohlklang wird sporadisch mit brachialem Hardcore-Gebrüll durchpflügt – ein ambitioniertes, in seinen besten Momenten hypnotisierendes und aufwühlendes Album, welches das Rad sicher nicht neu erfindet, aber auch ohne diesen Anspruch ganz munter vor sich hinrollt.
(****)

V.A. – God Don’t Never Change: The Songs Of Blind Willie Johnson (2016, Alligator / in-akustik)
Eine illustere Schar von Tonkünstlern hat sich versammelt, um dem 1945 in Texas im Alter von 48 Jahren dahingeschiedenen musikalischen Ahnherrn Blind Willie Johnson Tribut zu zollen. Der bibelfeste und tiefreligiöse Johnson war im Blues wie in der Gospelmusik gleichermaßen bewandert, in den Jahren 1927 bis 1930 hat er für Columbia Records eine Handvoll Singles eingespielt, die fester Bestandteil des 20er-Jahre-Spirituals-/Country-Blues-Kanons sind, „Dark Was The Night, Cold Was The Ground“ wurde später von Ry Cooder als Vorlage für seinen „Paris,Texas“-Soundtrack verwendet, „John The Revelator“ erfuhr zahlreiche Interpretationen, versierte Musiker wie Nick Cave, Frank Black, Hugo Race oder A. A. Bondy zollten dem Stück auch in jüngster Vergangenheit Tribut.
Auf ‚God Don’t Never Change‘ ist das Niveau der Neueinspielungen auf erfreulich hohem Niveau, die verzichtbaren Anstrengungen von Skinhead O’Connor und der arg zum Soul-Mainstream tendierende Wurf der Blind Boys Of Alabama sind lässliche Sünden, ein gestandener Blues-Gröhler und Erweckungsprediger wie Tom Waits und Alternative-Country-Queen Lucinda Williams dürfen jeweils zweimal ran, beide liefern erwartet solide Klangkunst, Frau Williams hat bereits 2003 auf ihrem Beitrag zum Vanguard-Tribute ‚Avalon Blues‘ für den großartigen Mississippi John Hurt eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass ihr das Material der großen Vorbilder vertraut ist, im vorliegenden Album hinterlässt sie vor allem bei der bekannten Johnson-Nummer „Nobody’s Fault But Mine“ einen exzellenten Eindruck.
Maria McKee und North-Mississippi-Allstar Luther Dickinson liefern solide Kost in Sachen Johnson-Reminiszenz, für die Highlights des Albums sorgen die jeweiligen Interpretation von Susan Tedeschi im Verbund mit ihrem Slide-Gitarren-Göttergatten Derek Trucks, die hier absolut würdevoll und stilistisch formvollendet ein tief empfundenes „Keep Your Lamp Trimmed And Burning“ singt, Rickie Lee Jones mit einer düsteren „Dark Was The Night…“-Version, mit ihrer für den Blues wie geschaffenen, ureigenen Lässigkeit, und die Cowboy Junkies mit einer in Punkto intensiv-brachialem Vortrag völlig positiv-überraschenden Margo Timmins beim Vortrag des Spirituals „Jesus Is Coming Soon“. Produziert hat ein gewisser Jeffrey Gaskill, der hat sich in Sachen Tribute schon mal bei ‚Gotta Serve Somebody: The Gospel Songs Of Bob Dylan‘ (2003, Sony / Columbia) verdient gemacht. Bye And Bye I’m Going To See The King…
(**** ½)

Reingehört (69)

REINGEHÖRT 69
 

Fraser A. Gorman – Slow Gum (2015, House Anxiety / Marathon Artists)
Australier und Spezi der ebenfalls von dort unten stammenden Songwriterin Courtney Barnett mit seinem Debütalbum, auf dem der junge Mann seine tiefe Verbundenheit mit dem Americana-Erbe großer Vorbilder der späten sechziger und frühern siebziger Jahre zeigt, und das macht er hier nachprüfbar sehr gut. “It’s a big old world out there” singt Gorman auf dem Opener, und legt man seinen getragenen, auf altmodisch mit dezentem Hall getrimmten und vor allem sehr gehaltvollen Vortrag zugrunde, liegt nahe, dass er hier auf respektable Alterswerke wie Dylan’s ‚Nashville Skyline‘ oder die tollen Platten von Sixto „Searching For Sugarman“ Rodriguez referenziert. Taugt.
(**** ½ – *****)

V.A. – The Brighter Side: A 25th Anniversary Tribute to Uncle Tupelo’s No Depression (2015, Reimagine Music)
Das Debütalbum der Wilco-/Son-Volt-Vorgängerband Uncle Tupelo, bestehend aus den Songwritern Jeff Tweedy, Jay Farrar und Mike Heidron, hat auch schon wieder 25 Jahre auf dem Buckel und so hat sich eine Schar an Alternative-Country- und Indie-Rock-Musikern gefunden, um dem Wunderwerk Tribut zu zollen, und warum auch nicht, hat die Scheibe doch quasi im Alleingang den Alternative Country in die Welt gesetzt und nebenbei einem exzellenten amerikanischen Musikmagazin den Namen gegeben („The bimonthly Journal surveying the Past, Present and Future of American Music (Whatever that is)“), das im Mai 2015 ankündigte, nach sieben Jahren Abwesenheit vom Blättermarkt wieder in Druck zu gehen.
13 zum Teil recht eigenwillige Interpretationen der Titel des Alt-Country-Klassikers, dargereicht von eher unbekannteren Artisten wie den Peculiar Pretzelmen oder den Smoking Popes, vorab war mir lediglich der kanadische Songwriter Leeroy Stagger durch seine diversen Blue-Rose-Alben geläufig. Der Enthusiasmus über diese Neuinterpretation hält sich in Grenzen, im Zweifel empfehle ich den Griff zum Original.
(*** – *** ½)

White Reaper – White Reaper Does It Again (2015, Polyvinyl Records)
Erste Volle-Länge-Veröffentlichung einer jungen Band aus Louisville, Kentucky, die energischen trash-punkigen Uptempo-Indierock mit viel Pop-/Bubblegum-/Ramones-Appeal runterschrubbt. Wer Jay Reatard, die Thermals oder das flottere Zeug von Ty Segall mag, liegt hier goldrichtig. Das Trio, bestehend aus dem Sänger und Gitarristen Tony Esposito und den Zwillingen Nick und Sam Wilkerson an Schlagzeug bzw. Bass hat hörbar Freude am Musizieren und zum abhotten taugt’s allemal…
(****)

Debashish Bhattacharya – Slide Guitar Ragas from Dusk Till Dawn (2015, Harmonia Mundi)
Bhattacharya gilt als einer der originellsten und versiertesten indischen Roots-Musiker, er hat in jüngster Vergangenheit mit John McLaughlin und Jerry Douglas zusammengearbeitet und präsentiert hier fünf lange Ragas zwischen 8 und 20 Minuten. Traditionelle indische, Tablas-begleitete Lap-Slide-Gitarren-Musik geht Hand in Hand mit einer Art Akustik-Drone, das meditativ-kontemplative Verharren in einem Ton steht im Gegensatz zum bekannteren, weitaus fließenderen, artverwandten Sitar-Spiel Ravi Shankars.
(**** ½)

Stevie Ray Vaughan – Spectrum, Philadelphia 23rd May 1988 (2015, Echoes)
Offizielle Veröffentlichung des remasterten Radiomitschnitts von Washington DC FM eines Konzerts, dass der im August 1990 leider viel zu früh durch einen Helikopter-Absturz dahingeschiedene Bluesrock-Ausnahmegitarrist mit seiner Band Double Trouble im Rahmen einer Robert-Plant-Tournee im Spectrum Philadelphia gab. Von den 12 Stücken sind 9 bereits auf dem 1986 veröffentlichten Konzert-Album ‚Live Alive‘ (Epic) enthalten, darunter Klassiker des SRV-Repertoires wie dem Buddy-Guy-Kracher „Mary Had A Little Lamb“, „Cold Shot“, „Texas Flood“, „Love Struck Baby“ oder der Hendrix-Adaption „Voodoo Chile“. Mit „Couldn’t Stand The Weather“ findet sich eine hervorragende Langfassung des Titelstücks seines 1984er-Albums (Epic / Legacy), mit dem er schwerpunktmäßig im selben Jahr seinen legendären Rockpalast-Loreley-Open-Air-Auftritt bestritt.
Wer von den Konzertaufnahmen Stevie Ray Vaughans noch nichts im Archiv hat, macht mit ‚Spectrum, Philadelphia‘ sicher keinen Fehlgriff, ob der Fan diese Live-Konserve nach der bereits erwähnten ‚Live Alive‘-Scheibe, ‚Live At Carnegie Hall‘ (1997, Epic) oder den 2001 offiziell veröffentlichten Montreux-Aufnahmen (Epic) zusätzlich im Bestand braucht, muss wohl der Geldbeutel und die Sammlerneigung entscheiden.
(**** ½)