Wesley Willis

Soul Family Tree (34): Can You Dig It? – The Music And Politics Of Black Action Films 1968-75

„After we go to the movies, ok?“ – Die 14-tägige Black-Friday-Serie geht heute Filme schauen:

Vor 1968 waren Afro-Amerikaner im US-Kino vornehmlich in Nebenrollen als Butler, Haushalts-Hilfen, Farm-Arbeiter oder Gärtner zu sehen, in zentralen Rollen war das schwarze Amerika kaum mehr als in Auftritten bekannter Stars wie Louis Armstrong oder Sammy Davis Jr und vor allem mit Oskar-Preisträger Sidney Potier auf den Leinwänden der Lichtspieltheater präsent. Ab Ende der sechziger Jahre spielte Black America in Hollywood erstmals eine gewichtigere Rolle, das unter dem Begriff „Blaxploitation“ bekannt gewordene Actionfilm-Genre war geprägt von schwarzen Regisseuren, Drehbuchschreibern, Kameraleuten und Schauspieler_Innen wie der herausragenden Charakter-Darstellerin Pam Grier, dem Musiker Isaac Hayes, Karate-Champion und Martial-Arts-Star Jim Kelly oder den ehemaligen American-Football-Profis Jim Brown und Fred Williamson – und nicht zuletzt durch Black-Music-dominierte Soundtracks, die zum Teil eigens für diese Filme von Motown- und Stax-Stars wie Martha Reeves, Marvin Gaye, Quincy Jones und Solomon Burke komponiert und aufgenommen wurden.
Letztendlich dürfte der Aufstieg des afro-amerikanischen Kino weniger den gesellschaftlichen Strömungen in den USA wie dem Civil Rights Movement der fünfziger und sechziger Jahre oder dem Agitieren radikalerer Bewegungen wie der Black Panther Party zu verdanken sein als vielmehr knallharten wirtschaftlichen Überlegungen der Filmindustrie, die in der schwarzen Bevölkerung der US-Großstädte schlichtweg ein Riesen-Potential an zahlungswilligen Kinogängern sah.

Die 2009 beim Londoner Label Soul Jazz Records erschienene Sammlung „Can You Dig It? The Music And Politics Of Black Action Films 1968-75“ dokumentiert auf zwei CDs ausführlich die wichtigsten Film-Songs dieser Kino-Ära und gibt in einem beigelegten, fein aufgemachten 98-Seiten-Taschenbuch einen reich bebilderten Überblick über die relevanten Filme, thematischen Schwerpunkte, wichtigsten Schauspieler und Regisseure sowie die Rolle der führenden Black-Music-Plattenfirmen dieser Black-Cinema-Hochphase.

Eine der bekanntesten Nummern des Samplers ist das großartige „Across 110th Street“, der Titeltrack der NYPD-Krimi-Verfilmung von Barry Shear aus dem Jahr 1972 mit dem späteren „Homicide“-Serienstar Yaphet Kotto und Kalkleiste Anthony Quinn in den Hauptrollen. Der Song über die informelle Grenzlinie in Harlem stammt aus der Feder von Soul-Performer/Songwriter/Produzent Bobby Womack und Jazz-Posaunist J. J. Johnson, er kam später im Soundtrack von „Bobby Brown“ erneut zu cineastischen Ehren, die Tarantino-Verfilmung des Elmore-Leonard-Krimis „Rum Punch“ war 1997 eine gelungene Verneigung des Quent-Man vor dem Blaxploitation-Genre, formvollendet in Szene gesetzt mit der Black-Movie-Ikone Pam Grier in der Titelrolle.

Der Stax-Records-Songwriter und Soul-Musiker Isaac Hayes komponierte 1971 die Filmmusik zum Blaxploitation-Actionkrimi „Shaft“, für die berühmt gewordene Titelmelodie „Theme From Shaft“ erntete er im selben Jahr den Oscar für den besten Original-Song. 1974 stand er selbst zweimal in Hauptrollen vor der Kamera, im Kopfgeldjäger-Thriller „Truck Turner“, den die unter anderem auf „Black Action Films“ spezialisierte Produktionsfirma American International Pictures (AIP) im Double-Feature mit dem Pam-Grier-Streifen „Foxy Brown“ auf den Markt brachte, und in der Produktion „Three Tough Guys“, zusammen mit Lino Ventura und Fred Williamson, für beide Filme hat Isaac Hayes auch den Soundtrack geschrieben und eingespielt, aus „Truck Turner“ hier die neun-minütige Instrumental-Nummer „Pursuit Of The Pimpmobile“:

B-Movie-Autor Larry Cohen wollte sich mit „Black Caesar“ 1973 an den „Paten“-Erfolg von Francis Ford Coppola hängen und adaptierte den Stoff des Hollywood-Klassikers „Little Caesar“ aus dem Jahr 1931 für einen zeitgenössischen Harlem-Mafia-Thriller. Die Titelrolle spielte der ehemalige American-Football-Defense-Back Fred „The Hammer“ Williamson, der bis heute in aktuellen amerikanischen Filmen und Fernseh-Serien zu sehen ist, weithin bekannt ist unter anderem sein Auftritt als „Frost“ im Rodriguez-/Tarantino-Vampir-Trash-Streifen „From Dusk Till Dawn“.
Den Soundtrack für „Black Caesar“ arrangierte „The Godfather Of Soul“ James Brown unter maßgeblicher Mitarbeit seines Bandleaders Wesley Willis, daraus das opulente Stück „Down And Out In New York City“:

Weißbrot durfte beim Filmmusik-Produzieren für das Black-Movie-Kino auch ab und an mitmischen, so zum Beispiel R&B-Gitarrist Dennis Coffey, der als Studiomusiker auf zahlreichen Sixties-Motown-Aufnahmen zu hören ist, 1971 war er bei den Aufnahmen zum Nummer-1-Hit „War“ von Edwin Starr beteiligt, im gleichen Jahr landeten Coffey und seine Detroit Guitar Band mit der Instrumental-Nummer „Scorpio“ einen Billboard-Top-10-Hit. 1970 entdeckte er zusammen mit dem Musiker Mike Theodore den Folkrock-Songwriter Sixto Rodriguez, dem Regisseur Malik Bendjelloul mit dem Oscar-prämierten Dokumentarfilm „Searching For Sugar Man“ ein cineastisches Denkmal setzte.
1974 schrieb Dennis Coffey das Titelstück für den Karate-Film „Black Belt Jones“ mit Kampfsport-Champion Jim Kelly in der Hauptrolle. Hier eine Live-Version der Nummer, die der renommierte Gitarrist zusammen mit der Don Was Detroit All-Star Revue einspielte:

Der Horror-Film trieb in der Blaxploitation-Hochphase bunte oder vielmehr schwarze Blüten, neben Perlen wie „Blackenstein“ und „Dr Black, Mr Hyde“ finden sich mit „Blacula“ aus dem Jahr 1972 und der „Scream, Blacula, Scream“-Fortsetzung die afro-amerikanischen Anlehnungen an den klassischen Bram-Stoker-Stoff, der mit Größen wie den Four Tops, Marvin Gaye, Cher oder den Temptations arbeitende Komponist und Produzent Gene Page zeichnete für die Filmmusik zum schwarzen Vampir-Trash verantwortlich, der immerhin mit Top-Performern wie Shakespeare-Schauspieler William Marshall und der wunderbaren Pam Grier besetzt war. Die Original-LP zum „Blacula“-Score ist heute im Übrigen ein gesuchtes Sammlerobjekt unter Vinyl-Jägern.

„Can You Dig It? The Music And Politics Of Black Action Films 1969-75“ ist nach wie vor im gut sortierten Fachhandel erhältlich. Dig it, Soul Brothers and Sisters…

Werbung

Soul Family Tree (9): Big Chief, Wesley Willis, Urge Overkill

wesley_willis

Black Friday, my dudes, neunte Ausgabe, heute mal wieder ein eigener Beitrag mit einem Special zum Thema „Soul und Artverwandtes im Grunge und Alternative Rock“, mit drei Beispielen, wie sich Soul-, Gospel-, Funk- und Disco-Elemente in ausgewählten Krachmusikanten-Nummern der Neunziger eingeschlichen haben:

Den Auftakt macht die Sub-Pop-Band Big Chief aus Ann Arbor/Michigan, sie haben auf ihren wenigen Alben Anfang bis Mitte der Neunziger die Schwere des Motown-/Detroit-Grooves mit der Härte des Grunge in Einklang gebracht, Einflüsse waren bei Big Chief sowohl bei Funkadelic und Parliament als auch bei den Stooges oder MC5 auszumachen. Big Chief hatten von Beginn an Angebote von Major Labels, blieben aber ihrem Arbeiterklassen-Ethos treu, die Band um den Hardcore-Punk-Sänger Barry Henssler (ex-Necros) und Mike Danner, dem ehemaligen Drummer der Noise-Blues-Combo Laughing Hyenas, unterschrieb ihren ersten Platten-Deal beim Grunge-Heimatlabel Sub Pop in Seattle.
Nach Veröffentlichung ihrer Debüt-LP „Face“ im Jahr 1991 tourten sie ausgiebig mit den Beastie Boys in den Staaten, Nirvana schöpfte währenddessen im Grunge mit „Nevermind“ den großen Rahm ab.
Mit der Blaxploitation-Hommage „Mack Avenue Skullgame“ – einem Soundtrack-Album zu einem nicht existierenden Film – gelang ihnen in der Folge 1993 ihr bestes und gewagtestes Album, leider blieb dem musikalisch großen Wurf der kommerzielle Erfolg verwehrt, die Band erhoffte sich ähnliche Promotion, wie sie zuvor Sub Pop der Cobain-Kapelle zuteil werden ließ, als diese ausblieb, heuerte die enttäuschte Band bei Capitol Records an, lieferte mit „Platinum Jive“ ihr drittes und letztes Album ab, auch beim neuen Label fehlte der Verkaufs-Support, die Band löste sich 1996 frustriert auf und hinterließ der Nachwelt drei zumindest in Fan-Kreisen hochgeschätzte Alben.
Hier erklingt „One Born Every Minute (Doc’s Theme)“ aus dem Album „Mack Avenue Skullgame“ mit der Detroiter Soul-Lady Thornetta Davis als Gastsängerin:

„Rock over London, Rock on Chicago, the world is getting round“: Wesley Willis war ein wilder Hund, einer, ohne den die Geschichte der Independent-Musik um einiges langweiliger wäre. 1963 in Chicago geboren, im musikalischen Punk- und Outsider-Umfeld solo und mit seiner Band Wesley Willis Fiasco unterwegs, daneben Zeichner und Maler, befreundet mit Musikern von Ministry und Lard. 1989 wurde bei ihm Schizophrenie diagnostiziert. Auch hinsichtlich Arbeitsfleiß und Output ein absoluter Maniac, in manchen Jahren veröffentlichte Willis bis zu 12 Tapes und Alben im Eigenvertrieb. 1995 platzierte Dead-Kennedys-Vorturner und Willis-Fan Jello Biafra das Album „Greatest Hits“ beim hauseigenen Alternative-Tentacles-Label, seitdem genoss Willis Kult-Status in Underground-Kreisen. Im selben Jahr nahm ihn das von Rick Rubin gegründete American-Recordings-Label unter Vertrag, wo er zwei Alben produzierte.
In seinen oft sehr kurzen Stücken gelang ihm eine ureigene Mixtur aus Punk und Rap-artigem Gesang, sein Song „Jesus Is The Answer“ ist ein schönes Beispiel für seine ultraschräge Gospel-Kunst. 2003 ist Wesley Willis im Alter von 40 Jahren an den Folgen einer chronischen Leukämie gestorben, die wundersame Welt der Popmusik war um ein Original ärmer.

Und gleich nochmal Chicago: die dort ansässige Indie-Rock-Combo Urge Overkill ist einem weiteren Hörerkreis vor allem durch ihre Interpretation des Songs „Girl, You’ll Be A Woman Soon“ aus der Feder des New Yorker Schmalz-Barden Neil Diamond für den Soundtrack des Tarantino-Filmklassikers „Pulp Fiction“ bekannt geworden, bereits einige Jahre vorher haben sie beim Verarbeiten von Fremdmaterial eine glückliche Hand bewiesen, für ihr 1991er-Touch-And-Go-Album „The Supersonic Storybook“ haben sie sich bei der Hot-Chocolate-Soulnummer „Emmaline“ (aka „Emma“) aus der Feder von Errol Brown und Tony Wilson bedient, ein Song, der im Original 1974 in den Hitparaden des US-Billboard und in der Hot-Chocolate-Heimat UK für Furore sorgte.