Näher am Puls der Zeit hätte der renommierte Gitarrist, Songwriter und Session-Musiker Marc Ribot mit der Veröffentlichung seiner letztjährigen Sammlung an Protestliedern und Widerstands-Hymnen kaum in Erscheinung treten können, das Album „Songs Of Resistance: 1942 – 2018“ korrespondiert wie wenig andere mit dem aktuellen Zeitgeschehen, in dem die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich, Massen-Proteste in Hong Kong, die radikalen Umwelt-Aktivisten von Extinction Rebellion oder der Greta-Hype die Schlagzeilen der täglichen Nachrichten und die Auseinandersetzung mit den politisch brisanten Themen beherrschen. Wo das Album in einer gefälligen Schnittmenge aus gepflegten Jazz-Noten, erhabenen Alternative-Country-Balladen, nachdenklichen Chansons und modernem, sauber produziertem Soul- und Blues-Groove glänzt, zeigte Ribot am vergangenen Montagabend im Rahmen der laufenden Europa-Tournee in der Münchner Unterfahrt mit Unterstützung seiner vier Mitmusiker in der Live-Präsentation einen weitaus radikaleren und kantigeren Interpretationsansatz des Song-Materials.
Der Gitarrist aus New Jersey, dem in seinen Solo-Alben und aus seiner Jahrzehnte-langen Zusammenarbeit mit herausragenden Künstlern aus der Avantgarde-, Rock- und Jazz-Szene wie John Zorn, Tom Waits, Laurie Anderson, Elvis Costello und zahllosen anderen Solisten und Bands nichts fremd ist an experimentellen Finten, transportierte den Großteil der Soundtracks aus der US-amerikanischen Civil-Rights-Bewegung, dem anti-faschistischen Widerstand gegen Nazi-Deutschland, aus der mexikanischen Opposition oder die aktuellen Aufschreie zum sterbenden Öko-System, gegen den Trump-Clown in Richtung improvisiertes, vehementes Jazz-Crossover, im vielstimmigen Lärmen des Free Jazz, in der lateinamerikanischen, Rhythmus-dominierten Lesart des Genres, in No-Wave-Blues- und Heavy-Soul-Verzweigungen bis hin zu ausufernden Noise-Exzessen. Nummern wie „We’ll Never Turn Back“ aus den bewegten Zeiten der afro-amerikanischen Bürgerrechts-Märsche oder ein Stück aus der Feder der Carter Family transformierten der Ausnahme-Musiker und seine Band zu sperrigen, schrägen Balladen, deren unkonventioneller Charakter vor allem durch die schrammelnden, scheppernden, trocken klirrenden Gitarren-Riffs in der unverkennbaren Handschrift des Meisters und durch seinen Anti-Gesang geprägt wurde, der sich in intensiveren Passagen zum Propaganda-Stakkato im Stile der Beat-Poeten oder in Anlehnung zum Proto-Rap eines Gil Scott-Heron auswuchs. Auf dem Album liefern prominente Sänger wie Steve Earle, Tom Waits oder Meshell Ndegeocello den Vokal-Part, sie alle fehlen selbstverständlich im Tour-Betrieb, dafür darf sich Ribot der Unterstützung der beiden Perkussionisten Reinaldo de Jesus und Ches Smith, des Bassers Brad Jones und des Bläsers Jay Rodriguez gewiss sein, allesamt versierte und virtuose Jazz- und Fusion-Könner, die den freien Flow in der spontanen Improvisation wie das formal strenge Maß im Zusammenspiel als Session-Band mit Herzblut begleiteten und in den Höhenflügen ihres lautmalenden Zusammenwirkens das halb-akustische, abgehackt experimentelle Gitarrenspiel des Bandleaders nicht selten in den Hintergrund drängten.
„If I Can’t Dance To It, It’s Not My Revolution“ mahnte die jüdische Anarchistin Emma Goldman einst an, hätte das Konzert nicht im gediegenen, mit Kaffee-Tischen bestückten Lokal des Münchner Jazz-Clubs in den Kellergewölben des Einstein Kultur stattgefunden, sondern vor einem unbestuhlten Auditorium, wäre das Abhotten zum schwer nach vorne gehenden, den rebellierenden Geist anspornenden Sound des Quintetts ein Selbstläufer gewesen. So bleibt zu hoffen, das der ein oder anderen, in diesen Tagen ohne Zweifel notwendigen und damit legitimen Protestbewegung jene radikale Kraft und Ausdauer innewohnt, die Marc Ribot und seine Mit-Kombattanten an diesem Abend in zwei längeren Sets mit faszinierender Crossover-Vielfalt und ungebremster Spielfreude transportierten und das gebündelte Zusammenwirken damit zu einem anregenden und rundum erfolgreichen Angriff auf die eingefahrenen Hörgewohnheiten gedeihen ließen.
Widerstand
dunk!Festival 2019 @ Zottegem/Velzeke, Belgien, 2019-05-30
Same Procedure As Every Year, James: Traditionell zum Himmelfahrts-Feiertag luden Vater und Sohn Lievens mittlerweile im 15. Jahr für die kommenden Tage zum internationalen Gipfeltreffen in Sachen Postrock, Postmetal und artverwandte Experimente auf das idyllisch von sattem Grün umrankte Vereinsgelände des Basketball-Clubs Helios Zottegem im flandrischen Hinterland nahe Gent. Das belgische dunk!Festival bot auch heuer über 3 Tage verteilt ein sattes Programm für die Freunde (m/w/d) der vorwiegend instrumentalen Rock- und Experimental-Musik – insgesamt 39 Bands, Duette und Solisten, da sollte sich für jeden Geschmack das Passende finden.
Mittlerweile zur guten Tradition scheint sich auch die Eröffnung des Festivals durch eine chilenische Formation zu entwickeln, wie die beiden Jahre zuvor bespielte den Auftakt-Gig eine Band aus Santiago, die beim südamerikansichen Label LeRockPsicophonique veröffentlicht, mit dem chilenischen Indie-Label ist über die Jahre eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den dunk!-Verantwortlichen gewachsen. Das Trio Sistemas Inestables bezeichnet ihre instrumentalen Sound-Trips stilistisch selbst als „AvantRock“ und „PseudoJazz“, beim dunk! boten die Musiker eine gefällige Mixtur aus Synthie-lastigem Krautrock, groovenden Jazz-Vibes und ausgedehnten Electronica-Space-Passagen, die in der Form sicher kein Novum im weiten Feld des progressiven Art-Rock waren, für einen entspannten und unaufgeregten Kick-Off des Festivals aber gewiss nicht die schlechteste Wahl.
Kurz darauf sollten die chilenischen Landsmänner und die Landsfrau von Osorezan mit ihrem Auftritt auf der großen Zeltbühne folgen, über den exakt wie tags zuvor zum vehementen, komplexen Ausbruch im Muziekcentrum Kinky Star zu Gent nur in höchsten Tönen der Lobgesang angestimmt werden kann, siehe ausführlicheren Konzertbericht vom Vortag. Osorezan spielten den selben Set wie bei ihrer Europa-Premiere, die geheimnisvolle Melancholie und der euphorische, sinfonische Bombast-Overflow wurden im großen Rahmen nicht vom multimedialen Schwarz-Weiß-Film begleitet, ersatzweise bot die gigantische Lichtshow im großen Zirkuszelt mit infernalischem Stroboskop-Stakkato das perfekte optische Pendant zum nicht endend wollenden, von jeglichen Konventionen befreiten Noise-Ausbruch als atonale Klimax des exzellenten Postrock/Ambient-Sturms. Ein frühes Festival-Highlight, aber das war nach dem vehementen Auftritt im Kinky Star wenige Stunden zuvor keine wirkliche Überraschung.
Bereits zuvor gab es Erbauliches beim ersten Waldbühnen-Gig des Festivals zu begutachten, das belgische Duo Black Narcissus ist instrumental reduziert mit Drum & Bass zugange, ihre Klangreisen haben selbstredend nichts mit der gleichnamigen Jungle- und Rave-Mutation der Neunziger gemein. Trommler Thomas Wuyts gab den treibenden, straight angeschlagenen Beat als Taktgeber vor, zu dem Jesse Massant satte Bass-Linien als Sound-Layer sampelte und dazu seinen vier Saiten Staunenswertes an geschliffenen Post-Heavy-Riffs und herrlichen, melodramatischen Ennio-Morricone-Melodien für den nächsten Tarantino-Western entlockte – der Mann hat unbestritten Talent und kompositorisches Geschick im Bespielen seines klassischen Rhythmus-Instruments, damit unterstreicht er einmal mehr neben einer Schar berühmter Kollegen die Tatsache, dass ein herausragender Bassist auch immer ein respektabler Solist sein kann. Bei Black Narcissus sind zwei Könner am werken, die es verstehen, mit wenig Materialeinsatz eine massive, beeindruckende Wand an atmosphärischer Postmetal-Herrlichkeit aufzubauen, so geht Effizienz und Ressourcen-Schonung im Wald von Velzeke.
Das Doom- und Sludge-Grummeln im Wald von Welcome To Holyland aus dem belgischen Aalst musste zwecks Nahrungsaufnahme unerhört bleiben. Hæster aus Gent stießen in ein ähnlich lautes Horn, die Band formiert sich aus fünf Veteranen der belgischen Metal-Szene, die ihre Meriten zuvor bereits in diversen anderen Heavy-Formationen verdienten. Obwohl hier altbewährte Kräfte am Walten waren, blieb das geschmiedete Metall im Main-Stage-Auftritt des Quintetts ein erstaunlich stumpfes Schwert, zu austauschbar und ohne eigene herausragende Nuancen geriet das finstere Donnergrollen der Gitarren-Riffs und das kehlige Gegröle des posenden Vorturners Maarten Levecque im konzertanten Vortrag. Sowas geht woanders bei weitem inspirierter und ansprechender, darum war nach einigen Nummern das Bier vor dem Zelt die weitaus genehmere Alternative zum uninspirierten Postmetal-Gelärme der lokalen Helden.
Am Fost La Munte și Mi-a Plăcut ist rumänisch und wird sinngemäß mit „Am Fuß des Berges gefällt es mir gut“ übersetzt, oder so ähnlich, und damit hat die Band aus Bukarest zu ihrem Forest-Stage-Auftritt am Fuß des bewaldeten Berghangs den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen, das junge Postrock-Quartett fühlte sich sichtlich wohl bei ihrem dunk!-Auftritt, mit überbordender Spielfreude und – zurecht – vor Selbstbewusstsein strotzend lieferte die klassisch besetzte Formation in ihrem energiegeladenen Set einen herrlichen, instrumentalen Flow aus dröhenden Gitarren, filigranen Picking-Intermezzi und massiv vorwärts treibender Taktgebung. Die ausgetretenen Postrock/Postmetal-Pfade verließ die Band Spannungs-befördernd beizeiten in Richtung schmissiger Indie-Rock und melodische Shoegazer-Hymnen, womit sie wohltuend variantenreich aus der Masse des (beizeiten auch beim dunk! präsentierten) Postrock-Mainstreams herausragte und damit eine absolute Bereicherung wie erfreuliche Überraschung zum Festival-Line-Up lieferte. Auch dem aus allen Ecken dieser Welt angereisten dunk!-Publikum hat es vergangenen Donnerstag spätnachmittags am Fuß des Berges ausnehmend gut gefallen, beim Freiluft-Konzert der vier jungen Osteuropäer aus der Großen Walachei.
Zur oben erwähnten Masse des Postrock-Mainstreams muss sich das US-Trio Coastlands mit ihrem „Instrumental Sad Rock From Portland“ zählen lassen, zu oft ist dieses Laut-Leise / Ambient-Getragenheit wird von heftigen Post-Rock/Metal-Ausbrüchen erschüttert / Gitarren-Wände bauen und wieder einreißen durch die Anlagen gedrückt worden, als dass es sich groß vom Sound zahlreicher anderer Vertreter des Genres unterscheiden würde. Gewiss, State Of The Art im Postrock, und wenn man auf ein Festival unter diesem thematischen Aufhänger geht, darf es nicht verwundern, wenn ab und an eine Postrock-Formation der reinen Lehre um die Ecke kommt, aufgrund der Austauschbarkeit diverser Bands muss trotzdem die Frage erlaubt sein, ob im verbreiteten Statement vom Tod dieser Spielart nicht ein Funken Wahrheit mitschwingt, analog zum schönen Zappa-Satz „Postrock isn’t dead, it just smells funny“. Gut, lustig war der Sound von Coastlands tatsächlich nicht, zugegeben.
Zuvor bespielten Labirinto aus Sao Paulo die große Zeltbühne, die Brasilianer waren bereits zum dritten Mal beim Festival in Ostflandern zu Gast und bestachen mit breit aufgestellter Instrumentierung und einer exotischen Mixtur aus Ideen-reich lärmendem, dunklem Postmetal und komplexem Space-Rock, die von einem zusätzlichen Perkussionisten mit südamerikanischer Rhythmik unterfüttert wurde und damit diesem orchestralen Progressive-Crossover einen dezenten, unkonventionellen Dreh in Richtung brasilianischer Trommel-Folklore gab. Leidenschaftliches, technisch brillantes, variables und unvorhersehbares Offensiv-Spiel mit vielen gelungenen Abschlüssen und Experimenten, wie die Seleção zu ihren besten Zeiten – oder: like 7:1! Sete a um! @ Estadio Mineirao, Belo Horizonte never happened…
Das US-Trio Staghorn lieferte den Set mit dem aktuellsten Bezug zu den dringlichen Themen des Zeit-Geschehens, wo andere Postrock-Bands dunkle Gewässer, mystische Landschaften oder individuelle Seelen-Zerrissenheit in abstrakter Instrumental-Entrücktheit thematisieren, legen die drei extravagant gewandeten und geschminkten Musiker*Innen mit ihren Aussagen zur Klima-Katastrophe, zu Diversität, Artenschutz und solidarischem Handeln im radikalen DIY/Punk-Ethos den Finger in die brennendsten Wunden einer untergehenden Kultur, die Band aus dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten transportiert ihre Inhalte und Forderungen via gesampelter Spoken-Word-Erzählung, die der Hörerschaft die massive Bedrohung des natürlichen Lebensraums vor Augen hält, die wunderschöne Naturkulisse der dunk!-Waldbühne war dafür wie geschaffen. Musikalisch untermalt die Band ihre apokalytischen Bestandsaufnahmen mit vehementem, hymnischem, melodischem Postrock, sporadischen, heftigen Metal-Ausbrüchen und tieftraurigen Minimal-Ambient-Drones, zu denen mittels indischem Harmonium und durch das Anschlagen diverser Klangschalen und Glocken ein mystischer, bedeutungsschwangerer Unterton mitschwingt. Der Staghorn-Auftritt war einer der herausragendsten der 2019er-dunk!-Auflage, und ganz sicher neben der Headliner-Performance von Efrim Menuck und Kevin Doria am folgenden Tag der konzeptionell stimmigste der gesamten Veranstaltung.
Solide Doom-Kost boten FVNERALS aus Brighton/UK (mit derzeitigem Wohnsitz in Brüssel) – das konzertant von einem Drummer verstärkte, gemischte Doppel wandelt mit seinem finsteren, zähen Drone-Metal-Crossover im Geiste von Bands wie Earth oder Sunn O))) über nebelverhangene Friedhöfe, in geheimnisvollen Wäldern, durch die eigene, inwendige Pein der finsteren Seelen-Nacht, in der es nach F. Scott Fitzgerald immer drei Uhr morgens ist – das Unterholz hinter der Festival-Zentrale war für diese gedehnten Depressiv-Trip zwischen dunklem Postpunk, schwerem Gothic und nachhallendem Metal-Slowcore eigentlich noch viel zu hell, wenn sich auch an dem Tag etliche schwarze Wolken über das Firmament zogen. Sonnenschein und fröhliches Vogelgezwitscher wäre zu dieser massiv erschütternden Dark-Ambient-Nummer auch absolute Vollpanne gewesen. Haben sie sogar dahingehend wieder alles richtig gemacht, die Organisatoren…
Nach Meinung vieler der eigentliche Headliner des ersten Festival-Durchgangs (oder gar der gesamten Veranstaltung) dann zu bester Konzert-Zeit auf der großen Bühne mit der US-amerikanischen Formation This Patch Of Sky. Die Band aus Eugene/Oregon versteht es wie kaum eine andere, Melancholie und entrücktes Hinübergleiten in andere Sphären in eine wunderschöne, erhabene Tonsprache zu übersetzen, mit einem an die moderne Neo-Klassik angelehnten Cello-Part hebt sich das Sextett wohltuend aus der Masse der instrumentalen Postrocker ab, gleichwohl verstehen es die Musiker formvollendet, ihre sphärischen, Ambient-lastigen Gitarren-Elegien und atmosphärisch-cineastischen Breitband-Kompositionen zuweilen in hymnische, wuchtige, geradezu dramatische Attacken ausbrechen zu lassen. Wozu diese Band konzertant fähig ist, hat sie nicht zuletzt in beeindruckender Manier mit ihrem Audiotree-Auftritt im Oktober des vergangenen Jahres angedeutet, live erlebt und in Farbe steigert sich diese aus einem Guss vorgetragene Exzellenz nochmals um ein Vielfaches in Sachen intensiver Klangrausch, erhebende Beschallung und beglückende Erbauungsmomente.
Mit dem Statement „We play music without words to communicate without language“ bringt die Band selbst ihr Konzept simpel wie umfänglich auf den Punkt, am vergangenen Donnerstag ist ihnen dieser Ansatz ohne Zweifel gelungen, der euphorischen Reaktion des Publikums nach zu urteilen. Das dunk!-Team hat sich nach eigenen Worten seit längerem um einen Auftritt von This Patch Of Sky bemüht, nach diesem Auftritt war völlig klar, warum – und diejenigen, die es erlebt haben, dürfen einfach nur dankbar sein, dass es in diesem Jahr geklappt hat.
Celestial Wolves aus der Nachbarschaft in Herzele rockten in der Donnerstagnacht den letzten Waldbühnen-Gig der ersten Runde mit der Wucht dreier Gitarren, die lokalen Helden und Urgesteine des dunk!-Festivals mobilisierten mit geradlinigem, straightem Postrock, brachialem Postmetal und Prog-lastigen Tempi-Wechseln nach mittlerweile 10 Stunden Dauerbeschallung die letzten Reserven für den anstehenden, finalen Gig des italienischen Stoner-Trios Ufomammut. Die Verpflichtung der Band aus dem Piemont als Headliner hat im Vorfeld etliche Diskussionen in den Social-Media-Foren zum Festival ausgelöst. Man kann natürlich lange darüber streiten, ob es für derartigen Stoff nicht genügend andere, passendere Festivals gibt, im Sinne der Diversität konnte ein Durchbrechen der Postrock-Gitarrenwände mit dem langsam, aber gründlich zerfräsenden Doom-Sludge der altgedienten, mittlerweile seit zwei Dekaden werkelnden Psychedelic-Institution durchaus festgefahrene Hörgewohnheiten Horizont-erweiternd und -bereichernd erschüttern. Ufomammut ergingen sich ausladend mäandernd in zäh zelebrierten, dissonanten Gitarren-Riffs, wuchtig dröhnenden Basslinien und straight nach vorne drängendem Powertrio-Drive, in mentaler Anlehnung an die ersten Pink-Floyd-Ergüsse und die Klassiker von Hawkwind, aufgebohrt durch monolithische Metal- und Drone-Wucht, hypnotische Space-Halluzinationen und repetitive, verzerrte Endlos-Lärm-Schleifen. Der Stoff, der von dunkel flackernden Bildern träumen lässt und damit genau das richtige Präparat zum Hinübergleiten in den wohlverdienten Schlaf nach absolviertem Konzert-Marathon.
Bucky Halker @ Vintage Pub, München 2018-06-29
„Every year we waste enough to feed the ones who starve
We built our civilization up and shoot it down with wars“
(Woody Guthrie, Christ For President)
Die Konzerte im Giesinger Vintage Pub von Veranstalter Mike Nagl sind handverlesen, mit Liebe und Sachverstand ausgewählt, rar, exzellent und exklusiv für FreundInnen der handgemachten Musik aus den Sparten Folk, Bluegrass, Alternative Country und Country Blues, hier erstmalig dokumentiert zum dortigen, denkwürdigen Americana-Auftritt von Charlie Parr Anfang des Jahres. Vergangenen Freitag hatte Publican Mike mit dem amerikanischen Folk-Singer Bucky Halker einmal mehr einen besonderen und herausragenden Musiker auf der kleinen Bühne seiner mit viel Liebe und Sammlerleidenschaft eingerichteten irischen Kneipe im Homeland der Münchner „Löwen“ zu Gast.
In the Spirit of Woody Guthrie & John Steinbeck: Clark „Bucky“ Halker ist in Wisconsin am Lake Superior aufgewachsen, in seiner Jugend in den Sixties wurde er wie so viele herausragende Musiker von Nobelpreis-Bob über Jerry Garcia bis Billy Bragg vom Protest-Folk der Songwriter-Ikone Woody Guthrie nachdrücklich geprägt. Inspiriert von den sozialkritischen Statements, Song-Texten und Ideen des berühmten Antifaschisten aus Oklahoma entwickelte Halker mit den Jahren neben der Liebe zur Musik, zum Gitarre-Spiel und zum eigenen Lieder-Schreiben ein ausgeprägtes politisches Interesse für die amerikanische Geschichte, insbesondere für die Historie der Arbeiter-, Gewerkschafts- und Protest-Bewegungen der Vereinigten Staaten, die Verwerfungen der „Great Depression“ in den Dreißigern und die Repressionen der McCarthy-Ära wie die Thematisierung dieser Ereignisse in der Literatur von Autoren wie Steinbeck und Dos Passos und im Songwriting heute noch bekannter Blues- und Folk-Musiker wie längst vergessener oder nur jenseits des großen Teichs geläufiger Namen aus der Tondichter-Gilde der frühen amerikanischen Sub-/Underground-/Working-Class-Kultur.
Bucky Halker engagiert sich seit Jahrzehnten für den Erhalt des musikalischen und geistigen Erbes Woody Guthries, durch eigene Forschungen, im musikalischen Vortrag, als Vorstands-Mitglied der Woody Guthrie Foundation in New York City, der Illinois Labor History Society in Chicago und als Fellow des 2009 verstorbenen Folkloristen Archie Green im American Folklife Center der Library Of Congress. An der University Of Minnesota hat Halker zum Thema „US Labor History“ promoviert. Seit Mitte der achtziger Jahre ist er als College-Lehrer, freier Wissenschaftler und Forscher tätig und nimmt regelmäßig Alben mit eigenen Folk- und Blues-Songs und Coverversionen alter Protest-Lieder auf.
Dass da am Freitag jemand auf der Bühne stand, der seine Nase gründlich in die maßgeblichen Bücher gesteckt hat, den relevanten Kanon des amerikanischen Folk-Protests aus dem Effeff kennt, und dementsprechend weiß, wovon er spricht und singt, wurde schnell offensichtlich im unaufgeregten und äußerst sympathischen Vortrag des Musikers und Historikers aus dem Mittleren Norden der USA, der die Song-Sammlung seiner drei längeren Sets informativ und mit Anekdoten aus dem eigenen wie dem Leben der altvorderen Songwriter-Legenden gespickt, zwischen ernsthafter politischer Auseinandersetzung und geistreichen Anmerkungen mit feinem Humor begleitete, fernab jeglicher mit erhobenem Zeigefinger angedienter, dröger Altlinken-Belehrungen.
Den ausgewählten Guthrie-Stücken wie „Hobo’s Lullaby“ oder „Do Re Mi“ drückte Halker untrüglich einen eigenen Stempel als beseelte, Herz- und Verstand-anrührende Folk-Nummern mit filigranem Wandergitarren-Spiel auf, so auch weiterem exzellent ausgewähltem und gespieltem Fremdwerk wie „Pancho And Lefty“ vom großen Townes Van Zandt, dem Klassiker „Joe Hill“ über den 1915 nach umstrittenem Gerichtsverfahren in Salt Lake City hingerichteten Hobo, Gewerkschafts-Aktivisten und Songwriter Joseph Hillström, dem frühen Dylan-Großwurf „Girl From The North Country“ und Blues-Songs von Ledbelly und J. B. Lenoir, die sich zu einem stimmigen Gesamtkonzept im Kontext der Feldforschungen zur US-Musikgeschichte und der Tradition amerikanischer Folk-, Protest- und Arbeiterlieder formten, nicht zuletzt selbstredend durch eigene Song-Perlen aus der Feder des musizierenden Aktivisten und Wissenschaftlers bereichert und ergänzt, etwa der wunderbar getragenen Ballade über den völlig in Vergessenheit geratenen Country-Preacher T. Texas Tyler – „What a great name for a country musician“, wie Bucky Halker völlig richtig in einer seiner vielen erklärenden Einführungen anmerkte.
In einer der beiden kurzen Pausen ergriff passend zur Thematik des Abends der „Löwen“-Fan, Neffe des legendären 1860-Stürmers Schorsch Metzger und – in dem Rahmen zuvorderst – Neu-MdB Michael Schrodi von der SPD das Wort, und vermittelte erste Eindrücke über die gewonnenen Erfahrungen seiner Bundestags-Arbeit, dabei warnte er eindringlich vor dem anti-demokratischen Agitieren und der völlig destruktiven Parlamentsarbeit der rechts-nationalen AfD, dem geistigen „Asyl für Deppen“, wie Christoph „Stofferl“ Well tags darauf andernorts zu dem Thema noch so treffend anmerken sollte.
Gegen Ende der ausgedehnten, ergiebigen und wiederholte Male schwer ergreifenden Folk/Blues/Country/Swing-, Polit- und Historien-Veranstaltung griff Wirt Mike Nagl zur Mandoline und unterstützte Bucky Halker im Duett bei einer schwungvollen Interpretation der von zahlreichen MusikerInnen gecoverten Woody-Guthrie-Nummer „Ain’t Got No Home“, der Mann weiß nicht nur, wie man erlesene Konzerte organisiert und eben solche Whiskeys kredenzt, er weiß auch, wo sich die richtigen Töne auf den Saiten seines Lauteninstruments verstecken.
Der Künstler sagt gegen Ende des Konzerts gemeinhin gerne „Thanks For Having Me“, bei einem Vintage-Pub-Auftritt in Giesing gilt indes einmal mehr: A Big Thank You an den großartigen Mike Nagl, dass er den großartigen Bucky Halker in einnehmender, familiärer Atmosphäre in seinem feinen Lokal präsentierte, uns dabeihaben mochte, und darüber hinaus mit fester und flüssiger Verköstigung nicht geizte. In diesem Sinne: A Working Class Hero Is Something To Be.
Bucky Halker spielt am 7. Juli auf dem Rudolstadt-Festival für Roots-, Folk- und Welt-Musik, Freiligrathstraße / Straßenmusik-Bühne, 23.00 Uhr.
Soul Family Tree (42): Black & Proud – The Soul Of The Black Panther Era
„The theme song will not be written by Jim Webb or Francis Scott Key
Nor sung by Glen Campbell, Tom Jones, Johnny Cash or Engelbert Humperdinck.“
(Gil Scott-Heron, The Revolution Will Not Be Televised)
Fünfzig Jahre Achtundsechziger. Vor einem halben Jahrhundert: Weltweite Studenten-Proteste gegen den Vietnamkrieg und für ein freieres Leben; der vom Frost des Moskauer Winters im Keim erstickte „Prager Frühling“; das 1966 in China unter dem Euphemismus der „Kulturrevolution“ von Mao losgetretene, anarchistische Morden der Roten Garden kommt zum Stillstand, der große Vorsitzende lässt die in Ungnade gefallene jugendliche Avantgarde zum Tod-Schuften und Verhungern in Landkommunen und Fabriken verschwinden – Das Jahr 1968: dieser Tage in Sonderbeiträgen, im Feuilleton und ausgedehnten Abhandlungen ausgiebigst dokumentiert und hinsichtlich seiner heutigen gesellschaftlichen und kulturellen Relevanz mehr oder weniger bis zum Erbrechen kontrovers durchdiskutiert (Rainald Grebe kam da in seinem vernichtenden Urteil über dieses Jahr mit einem Viereinhalb-Minuten-Song weitaus schneller zum Punkt, das nur am Rande).
1968 ist auch das Jahr der politischen Morde in den USA. Am 4. April wird der schwarze Civil-Rights-Aktivist und Prediger Martin Luther King in Memphis/Tennessee erschossen, wenige Wochen später fällt Robert F. Kennedy einem Attentat in Los Angeles zum Opfer, der demokratische Bewerber um das Präsidentenamt galt aufgrund seiner liberalen Ansichten und seinem Engagement für Bürgerrechte auch bei der afroamerikansichen Bevölkerung als Hoffnungsträger.
Ausgelöst durch den King-Mord werden amerikanische Metropolen wie Chicago, Baltimore, Detroit, New York und Washington D.C. in den folgenden Monaten von Bürgerkriegs-ähnlichen Unruhen erschüttert, eine Welle der Verwüstung und Gewalt ersteckt sich über mehr als 125 US-Städte, zahlreiche Menschen verlieren ihr Leben.
„Grundlage war der zweite Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten, verabschiedet 1791: ‚Das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, darf nicht beeinträchtigt werden.‘ Das sprach Bobby Seale am 2. März 1967 in die TV-Kameras, als er mit dreißig uniformierten und bewaffneten Mitgliedern der Black Panther Party die Stufen des Capitols in Sacramento, Kalifornien, hinaufging, während sich unten auf dem Rasen Gouverneur Ronald Reagan erschreckte, als er gerade eine Rede vor Jugendlichen hielt.“
(Christof Meueler mit Franz Dobler, Die Trikont-Story, Walk Tall!)
Maßgeblich involviert in die Protestaktionen, Demonstrationen und Aufmärsche war die 1966 im Nachgang zur Ermordung an Malcolm X gegründete sozialistische Black Panther Party, die sich den Kampf gegen Rassismus und Imperialismus, für die Rechte der Schwarzen auf die Fahnen geschrieben hatte. „Black Power“ lautete die Devise, die Taktik der Gewaltlosigkeit aus der King-Ära im Kampf für Bürgerrechte und Chancengleichheit war Geschichte, die afroamerikanische Jugend radikalisierte sich und die Panther holten sich ihre Inspiration für den bewaffneten Widerstand durch Studium der revolutionären Schriften aus der Feder von Ernesto „Che“ Guevara, Mao Zedong oder eben Malcolm X.
Zwei Tage nach dem King-Mord wird der Panther-Aktivist Bobby Hutton bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei in Oakland getötet. Hutton wurde als Märtyrer stilisiert, seine Ermordung galt als Beispiel für die Polizei-Brutalität gegen die schwarze Bevölkerung, dabei verschwiegen die Panther, dass ein Duzend ihrer Aktivisten der Polizei in einem Gebäude in West Oakland in einem Hinterhalt auflauerte und an der Schießerei maßgeblich beteiligt war.
Die Gruppierung wurde vom notorisch paranoiden FBI-Direktor J. Edgar Hoover als „the greatest threat to the internal security of the country“ bezeichnet und dementsprechend von US-Bundes-Ermittlungsbehörden bekämpft, verfolgt und unterwandert.
Die Black Panther Party war von 1966 bis 1982 in den Vereinigten Staaten aktiv und hatte zwischenzeitlich Ableger in Algerien und Großbritannien. Während ihrer aktiven Zeit wurden an die 40 Mitglieder in Konflikten mit der Staatsgewalt oder in Partei-internen Auseinandersetzungen getötet. Einige Aktivisten verbüßen bis heute lebenslange Haftstrafen in amerikanischen Gefängnissen. Zu ihren prominentesten Partei-Mitgliedern zählte der Bürgerrechtler Stokely Carmichael, der nach der King-Ermordung zum Guerilla-Kampf in den USA aufrief, die kurzzeitige Panther-Aktivistin, Wissenschaftlerin und KPUSA-Politikerin Angela Davis und die Partei-Gründer/-Führer Huey P. Newton, Eldridge Cleaver und Bobby Seale.
„Das hat mich an Amerika und speziell der schwarzen Kultur immer fasziniert. Bei uns ist alles so eng und festgelegt, in Amerika kannst du dich ständig neu erfinden. Du kannst Sklave und Superboss sein, du kannst wie Sun Ra ins Weltall fliegen oder aus dem Weltall kommen (…) Oder Bobby Seale, der Mitbegründer der Black Panther, einer weltweit anerkannten politischen Bewegung. Der findet nichts dabei, wenn er eine Barbecue-Sauce verkauft und im Fernsehen eine Kochshow hat. Ich möchte mal die RAF-Leute sehen, die im Fernsehen irgendwelche Salate machen und den Leuten erklären, was sie für geile Saucen dazu kaufen können.“
(Jonathan Fischer)
Die Forderungen und Slogans der Black Panther inspirieren seit den späten Sechzigern bis heute unzählige Soul-, Reggae-, Jazz- und Hip-Hop-/Rap-Musiker in den Aussagen ihrer Songs und fanden ihren Widerhall im Selbstbewusstsein Muhammad Alis, der Politik Jesse Jacksons oder aktuell in der „Black Lives Matter“-Bewegung. Den Soundtrack der Bewegung hat – wie sollte es anders sein – Compilation-Spezialist und Soul-Kenner Jonathan Fischer 2002 in den zwei hörenswerten Ausgaben der „Black & Proud – The Soul Of The Black Panther Era“-Sampler für das Münchner Indie-Label Trikont inklusive ausführlichen Booklets mit der Geschichte der radikalen Black-Power-Partei und Würdigung der vorgestellten Musiker zusammengestellt, initiiert durch Interviews, die Fischer in New York mit einigen ehemaligen Aktivisten der Black-Panther-Bewegung führte.
Eine Sammlung von harten Soul-Songs und Funk, Reggae und Jazz mit einer eindeutigen Message, mit politischer Stellungnahme und Unterstützung für die Belange der militanten Bürgerrechtsbewegung, in dem Zusammenhang drängte sich einer wie Gil Scott-Heron förmlich auf, dementsprechend finden sich Beiträge des Spoken-Word-Performers, Soul/Jazz-Lyrikers und politisch wie sozial engagierten Proto-Rappers aus Chicago gleich mehrfach auf den „Black & Proud“-Samplern, der Song „The Revolution Will Not Be Televised“, quasi das inoffizielle Motto der Panther, wurde hier bereits von Stefan im Soul Family Tree 10 vorgestellt. Die „Full Band“-Version des Songs ist auf dem ersten Studio-Album „Pieces Of A Man“ von Scott-Heron aus dem Jahr 1971 enthalten, hier findet sich auch seine Hommage an die Jazz-Größen Billie Holiday und John Coltrane, der Text beleuchtet den Vorzug der Musik, die Menschen von ihren persönlichen Problemen und täglichen Sorgen abzulenken, oder, wie Jonathan Fischer in seinem Begleittext treffend anmerkt: „Geistige Freiheit als Gegengift zur spezifisch amerikanischen Form der Paranoia“.
Sozusagen die Vereinshymne steuert die Formation The Last Poets mit der Nummer „Panther“ vom Album „Time Has Come“ bei. Die Last Poets sind eine bis heute aktive Gruppierung von Dichtern und Musikern, die 1968 im Zuge der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung als radikale Gruppe New Yorker Black Muslims in Harlem zusammenfand. Der Bandname ist einem Gedicht des südafrikanischen Dichters Keorapetse Kgositsile entlehnt. Maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des Hip Hop hatte der Vietnam-Kriegsdienstverweigerer und Poets-Mitbegründer Jalaluddin Mansur Nuriddin mit seiner frühen Form des Sprechgesangs, er wird in der Fachpresse des Öfteren als „The Grandfather Of Rap“ betitelt – „With their politically charged raps, taut rhythms, and dedication to raising African-American consciousness, the Last Poets almost single-handedly laid the groundwork for the emergence of hip-hop“, merkt der Kritiker Jason Ankeny im Allmusic-Portal an. In ihrem Song „Rain Of Terror“ riefen die Last Poets zum Support der Black Panther Party auf, ihre politischen Texte Anfang der Siebziger führten zur zwischenzeitlichen geheimdienstlichen Überwachung des Künstler-Kollektivs durch das FBI. Die Geschichte der Last Poets wäre sicher einen ausführlicheren eigenen Beitrag in der Soul-Family-Tree-Reihe wert.
Eine der herausragendsten Nummern der ersten Ausgabe stammt vom Chor einer Schule aus Rochester/New York, mit dem Song über den Godfather Of Soul „James Brown“ vom Album „Ghetto Reality“, der sich nicht recht zwischen Hommage und angedeuteter Persiflage des Gesangs-Stils der großen Soul-Legende entscheiden kann. Das Stück schaffte es Jahrzehnte später mit Hilfe des Trikont-Samplers auf Platz 1 der Blatt-internen Playlist des renommierten britischen Mojo-Magazins.
Die Formation war ein von der afroamerikanischen Lehrerin Nancy Dupree initiierter Schüler-Chor, die Pädagogin artikulierte mit ihren Kompositionen, welchen Stellenwert die schwarzen Musik-Ikonen für die Gesellschaft hatten und welche charakterlichen Stärken jedes Kind grundsätzlich mit sich bringt („What do I have? Guts…heart…and soul“), mit ihren Texten forderte sie die Bürgerrechte für Schwarze in den USA ein. Das Album „Ghetto Reality“ wurde 1970 von Asch/Folkways veröffentlicht, es blieb Nancy Duprees einziger Musik-Tonträger, daneben erschienen von ihr zwei weitere Alben in den Siebzigern mit Spoken-Word-Aufnahmen ihrer Gedichte.
Mit Sylvester „Syl“ Johnson ist ein altgedienter R&B- und Blues-Musiker aus dem Mississippi-Delta auf dem zweiten Teil der Sammlungen vertreten, „Black & Proud“-Herausgeber Jonathan Fischer wählte die schwer in Richtung Soul driftende Nummer „I’m Talking ‚bout Freedom“ vom 1970er-Album „Is It Because I’m Black?“ des Blues-Gitarristen und Produzenten, der bereits in den fünfziger Jahren in Chicago mit Legenden wie Howlin‘ Wolf, Junior Wells und Jimmy Reed zusammenspielte.
Ab Mitte der Achtziger verabschiedete sich Johnson weitgehend von der Musik und betrieb für etliche Jahre ein Fisch-Restaurant. 1992 wurde sein Song „Different Strikes“ von Public Enemy, Wu-Tang Clan und anderen Rap-Größen gesampelt, was sein eigenes Interesse an einem Comeback befeuerte und ihn wieder Platten aufnehmen und auftreten ließ. Etliche weitere seiner Songs wurden von Hip-Hop-Acts verwendet, Johnson beklagte sich im Nachgang vehement über Copyright-Verletzungen und geistigen Diebstahl.
Neben prominenteren Soul-, Funk- und Reggae-Musikern und -Bands wie Curtis Mayfield, Marvin Gaye, Gil Scott-Heron oder den Staple Singers finden sich auf den beiden Alben auch unbekanntere (Wieder-)Entdeckungen wie der unter dem Namen Darondo auftretende kalifornische Soul-/Funk-Sänger William Daron Pulliam, der mit dem Rare-Grove-Titel „Let My People Go“ an das biblische Gleichnis von Moses erinnert, der sein Volk aus der Gefangenschaft führt.
Der von Soul-Fans hochgeschätzte Musiker soll sich im Nebenerwerb als Zuhälter verdingt haben, was von ihm selbst zu Lebzeiten stets bestritten wurde. In den frühen Siebzigern trat er im Vorprogramm von James Brown und Sly Stone auf, insgesamt waren seine Erfolge im Musik-Business überschaubar. Ende der Achtziger ließ er sich zum Physiotherapeuten ausbilden. Sein Song „Didn’t I“ war in der ersten Staffel der amerikanischen Erfolgs-TV-Serie „Breaking Bad“ zu hören. 2013 ist William Daron Pulliam/Darondo im Alter von 66 Jahren einem Herzinfarkt erlegen.
Die beiden Ausgaben von „Black & Proud – The Soul Of The Black Panther Era“ sind 2002 beim Münchner Indie-Label Trikont erschienen und nach wie vor bei der Plattenfirma selbst oder im gut sortierten Versand-/Fachhandel erhältlich.
Reingehört (299): Gnod
Gnod – Just Say No To The Psycho Right-Wing Capitalist Fascist Industrial Death Machine (2017, Rocket Recordings)
Radical, Dude: Das Musiker-Kollektiv Gnod aus dem nordenglischen Salford setzt sich mit sozialen und politischen Themen der modernen Gesellschaft wie der Zersetzung des Liberalismus durch die Regierenden und den Vertrauensschwund der Bevölkerung in das herrschende System auseinander, die Arbeiten des sozialkritischen amerikanischen Schriftstellers und „The Wire“-Produzenten David Simon oder der deutsche Maler Otto Dix und seine Bilder aus dem Industrie-Zeitalter werden als Einfluss ebenso genannt wie die Stakkato-artigen Endlos-Tiraden eines Mark E. Smith und seiner Postpunk-Kult-Kapelle The Fall, musikalisch bewegt sich das in einem weiten, in sich stimmigen Feld aus hart zupackendem, schwerem Grunge-Rock, circa Ecke Butthole Surfers, inklusive direktem, schneidendem Gitarrenanschlag und schweren Bässen, psychedelischen Kraut-Rock-Ergüssen, Field-Recording-Sampling irgendwo zwischen Dub und Throbbing-Gristle-Industrial-Noise, No-Wave-Attacken, tribalistisch-tranceartiger Kontemplation und lautsprechender Kampfansage im Sangesvortrag. Widerstand gegen den globalisierten Kapitalismus ist das zentrale Thema, nicht weiter überraschend bei diesem Album-Titel.
Gnod bewegen sich dabei inhaltlich wie musikalisch in der Tradition von systemkritischen Establishment-Gegnern und Verfechtern der Sub- und Gegen-Kultur wie den amerikanischen Detroit-Protopunks von MC5 oder, mit aktuellerem Bezug, den britischen Zeitgenossen von Crippled Black Phoenix und den Sleaford Mods und treiben diesen Ansatz vor allem hinsichtlich tonaler wie atonaler Intensiv-Präsentation auf die Spitze, selbstredend eine Herausforderung an die Hörerschaft, Pop-musikalisches Wohlfühl-Geplänkel und Easy Listening sind was komplett anderes.
Independent im besten Sinne: radikal in der musikalischen Umsetzung, unbequem, unnachgiebig, kompromisslos in der Ansage. „Rebel! Rebel! We are many, they are few!“
(**** ½ – *****)