„Außerdem“, fuhr Felix fort, „können sie keinen Krieg anfangen. Ich gehe nach Oxford.“
„Oh, das ist natürlich ein Argument. Kaiser Wilhelm wartet bestimmt, bis du deinen Doktor gemacht hast.“
(William Boyd, Der Eiskrem-Krieg, Teil I, Vor dem Krieg, Kapitel 4)
William Boyd – Der Eiskrem-Krieg (2012, Berlin Verlag)
Der Roman „Der Eiskrem-Krieg“ des unter anderem in Afrika aufgewachsenen schottischen Schriftstellers William Boyd wurde das erste Mal in deutscher Übersetzung 1986 im Rowohlt Verlag veröffentlicht, seit 2012 liegt er in einer Neuauflage beim Berlin Verlag auf.
Das Werk behandelt in der Zeit von 1914 bis 1919 die Ereignisse an der deutsch-englischen Ostafrika-Front während des ersten Weltkriegs und erzählt die Geschichte des amerikanischen Farmers Temple Smith, seines deutschen Berufskollegen, dem Kriegsteilnehmer Erich von Bishop, dessen Frau Liesl sowie der beiden großbürgerlichen englischen Brüder Gabriel und Felix Cobb, beide im Verlauf des Romans als Offiziere der britischen Armee im Afrika-Feldzug im Einsatz. Das Buch, ein Mix aus Gesellschafts- und Kriegsroman, glänzt mit Ironie und schwarzem englischen Humor und lässt so dem Leser auch den grausigsten Schilderungen der Kriegs-Episoden noch eine humorige Seite abgewinnen.
Der Amerikaner Smith verliert seine Farm durch deutsche Besatzung, was ihn im weiteren Roman-Verlauf nicht ruhen lässt bezüglich von ihm eingeforderter, in grotesken Dialogen geschilderter Schadensersatzansprüche. Die Geschichte der Gebrüder Cobb beginnt im englischen Kent, schildert die unglückliche Ehe Gabriels mit seiner jüngst angetrauten Frau Charis inklusive diverser verwandtschaftlicher Verwicklungen und Affären. Das junge Glück findet ein jähes Ende durch die Einberufung Gabriels an die afrikanische Front und seine anschließende Gefangennahme durch die deutschen Truppen. Im Internierungslager freundet er sich mit Liesl von Bishop an, deren Mann sich auf deutscher Seite ebenfalls an der Front befindet. Felix Cobb erfährt von der Gefangennahme seines Bruders in Afrika und eilt ihm zur Rettung entgegen in das ferne Ostafrika.
Der Roman schildert brillant die Langeweile, das Warten und das Organisations-Chaos im Kriegsbetrieb, wie man es beispielsweise exzessiv und exemplarisch auch aus dem Film „Jarhead“ über den ersten Irak-Feldzug des englischen Regisseurs Sam Mendes kennt. Auf gesellschaftlicher Ebene setzt er sich mit der Rolle der starken Frau und den Versagensängsten der dadurch verunsicherten Männer am Anfang des 20. Jahrhunderts auseinander.
Der Originaltitel „An Ice-Cream War“ verweist auf die irrige Annahme – zitiert in einem Brief im Prolog – der Krieg sei innerhalb weniger Monate beendet, da die britischen Soldaten wie Eis in der Sonne dahinschmelzen würden.
Ein unangestrengt und unterhaltsam zu lesendes Buch, das für meine Begriffe hinsichtlich Sprachwitz, atmosphärischer Dichte und Spannung nicht ganz an die großen Romane des Autor wie „Einfache Gewitter“, „Ruhelos“, „Die neuen Bekenntnisse“ oder „Eines Menschen Herz“ heranreicht, jedoch für Boyd-Fans gleichwohl Pflichtlektüre sein dürfte.
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„Wie konnte er diese Gefallenen einfach so akzeptieren? Einen fatalistischen Standpunkt konnte er nicht mehr einnehmen, deshalb hatte er sich ja nach Charis‘ Tod erneut freiwillig gemeldet und den Versuch unternommen, Gabriel zu finden… An diesem Punkt gestand er sich eine gewisse Unaufrichtigkeit ein. Da hatten auch noch andere Motive mitgespielt: Angst, Selbsterhaltungstrieb, Kummer, Schuldgefühle. Aber das machte alles nichts aus. Das Wichtigste war, dass man etwas tun, Verantwortung übernehmen und irgendwo Schuld zuweisen musste. Er konnte das einfach nicht so hinnehmen. Aber er hatte ja jetzt seinen Schuldigen. Von Bishop trug die schwere Last seines ganzen Kummers.“
(William Boyd, Der Eiskrem-Krieg, Teil IV, Nach dem Krieg, Kapitel 1)