Yo La Tengo – There’s A Riot Going On (2018, Matador)
Wenn’s nur eine exemplarische Scheibe von Yo La Tengo im Plattenschrank sein soll oder die, die man auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würde, die jüngst veröffentlichte wär’s wohl eher nicht. Die Band hat sich auf „There’s A Riot Going On“ was getraut, aber nicht alles ist gleich wohlgeraten, mit manchem Titel ging der Wurf nicht ins Ziel. Der instrumentale Einstieg zeugt von einer sanften Kraut-Psychedelic, die in der Form auch jeder Tortoise-Scheibe gut zu Gesicht steht, in diesem anregenden Minimal-/Postrock-/Electronica-Modus ergeht sich das Trio sporadisch noch einige Male im weiteren Verlauf, und dafür gebührt ihm Respekt. Der ein oder andere von Georgia Hubley in betörender, tiefenentspannter YLT-Manier geträllerte Indie-Pop-Song gefällt im sanften Flow in vertrauter Weise wie das von Ira Kaplan als latent dunkel funkelnder, im gemäßigten Uptempo-Shoegazer-Anschlag vorgetragene „For You Too“, und mit der dezent experimentellen und überaus gelungenen Instrumental-Nummer „Above The Sound“ drängt sich die Vermutung auf, dass während der Aufnahmepausen die ein oder andere Sun-Ra-Scheibe im Geiste von „Space Is The Place“ das Studio beschallte und nachdrücklich Eindruck hinterließ, dagegen gibt es nix zu knurren. Gegen das beizeiten erklingende, belanglose, das Album zerklüftende Easy-Listening-Gedudel im Bossa-Nova- oder softem Jazz-Plätschern hingegen schon, ein mit jedem neuen Durchlauf sich unangenehmer gerierendes Geleier, bei dem zu Titeln wie „Let’s Do It Wrong“ ein boshaftes „Yö, den Vorsatz habt Ihr gut hingekriegt!“ durch die Hirnwindungen zuckt. Zwischen gepflegtem Ambient und gähnender Langeweile liegt ein tiefes Tal, dass die altgediente Formation aus Hoboken/New Jersey zu der Gelegenheit erst noch durchschreiten muss. „There’s A Riot Going On“ ist unterm Strich gewiss nicht der Offenbarungseid, den die ein oder andere Combo aus dem Indie-Lager in jüngster Zeit geleistet hat, jedoch weit davon entfernt, Spitzenplätze im mittlerweile fünfzehn-teiligen Kanon der YLT-Longplayer zu beanspruchen.
Und woher dieser krampfhaft sich verrenkende, immer wieder auftauchende Versuch im Rahmen der Platten-Rezensionen kommt, die Querverbindung des Albums zum 1971er-Sly-Stone-Werk fast gleichen Titels herzustellen, muss man nicht verstehen. Protest, Verwerfungen und Unmut sind immer irgendwo am gären, in the US of A allemal. Gibt ja auch jede Menge Leute, die Huber, Maier, Müller oder Schmid heißen (oder Trump), und das sind Gottlob auch nicht alles die gleichen Deppen…
Yo La Tengo spielen am 9. Mai live in München vor bestuhltem Auditorium in den altehrwürdigen Kammerspielen, die eigene Absenz zwecks Reisegepäck-Schnüren und Aufbruch ein paar Stunden später in aller Herrgottsfrüh gen Flandern zwecks dreitägiger, schwer vermutlich weitaus einnehmenderer Postrock-Beschallung ist verschmerzbar…
(****)
Nap Eyes – I’m Bad Now (2018, Jagjaguwar)
Haben 2016 mit dem Vorgängerwerk „Thought Rock Fish Scale“ kaum vom Hocker gerissen, und bringen es mit dem neuen Auswurf noch viel weniger: das kanadische Quartett Nap Eyes übertreibt mit dem Titel des aktuellen Albums „I’m Bad Now“ hinsichtlich Selbsteinschätzung in keinster Weise, müsste aber, um der kompletten Wahrheit die Ehre zu geben, ein „Wir waren auch noch nie richtig dufte“ hinterherschicken. Gefälliger, spätestens nach dem dritten Song austauschbarer und beliebiger Indie-Songwriter-Pop, den bereits vor 30 Jahren Bands wie die geschätzten Go-Betweens oder der seltsame Lawrence und seine englische Combo Felt um Längen spannender, melodischer, emphatischer besungen drauf hatten. Wer braucht im Jahr des Herrn 2018 eine simpel gestrickte, sterbenslangweilige C-Klassen-Kopie vom dritten Velvet-Underground-Album?
(** ½ – ***)
Yo La Tengo – Murder In The Second Degree (2016, Egon Records)
Die Indie-Noise-Pop-LoFi-Institution aus Hoboken/New Jersey mit einer Fortsetzung ihres „Yo La Tengo Is Murdering the Classics“-Albums (2006, Egon Records), 28 Coverversionen, wie bei der Erstauflage auf Zuruf und gegen Spende der Hörer live im Studio des Independent-Radiosenders WFMU eingespielt, dem der finanzielle Reinerlös dieser Fundraising-Aktion zugedacht war.
Heimliche und vielleicht auch ab und an peinliche Lieblingslieder (wer hat die nicht?) wie der relaxt-nonchalant hingeschrammelte Russ-Ballard-Kracher „Back In The New York Groove“, „Bertha“ in weitestgehend gelungener Anlehnung an das Grateful-Dead-Original, „Heart Of Darkness“ in der gebührenden, explodierenden Pere-Ubu-Experimental-Proto-Punk-Weirdness, der instrumentale Synthie-Pop-Klassiker „Popcorn“ von Gershon Kingsley als LoFi-Schwurbel-Melodica-Derivat, die von Georgia Hubley intonierte, in der YLT-Bearbeitung abgestrippte Bee-Gees-Schmachtnummer „To Love Somebody“ und ein psychedelisch vor sich hin halluzinierender Mix aus der Traffic-Nummer „Low Spark Of High-Heeled Boys“ und Neil Young’s „Mr. Soul“ sind die Highlights dieser unterhaltsamen Schepper-Gitarren-Pop-Sammlung an Neubearbeitungen alter Klassiker, dazwischen werden die üblichen Verdächtigen an Songautoren wie Dylan, Jagger/Richards, Lennon, Bowie, Ray Davies, Lee Hazlewood, Willie Nelson, Brian Wilson oder Phil Spector gewürdigt, auch ein paar ausgefallenere Fremdwerke vom Folk-Kauz Michael Hurley und den unvergleichlichen Washingtoner Hardcore-Rastas Bad Brains wurden von der Hörerschaft gewünscht.
Völlig bei sich sind Ira Kaplan, Georgia Hurley und Co. in der Interpretation des Violent-Femmes-Klassikers „Add It Up“, für den artverwandten, schmissigen Folk-Punk der Kollegen mussten sich Yo La Tengo kaum vom ureigenen Klangbild loslösen.
Für Fans als Sammlerstück unerlässlich, für die restliche Indie-Kundschaft ein Laune machendes Gimmick.
(*** – *****)
Communist Daughter – The Cracks That Built The Wall (2016, Communist Daughter)
Sextett aus Saint Paul/Minnesota, haben sich nach einem Song der amerikanischen Psychedelic-Folk-Band Neutral Milk Hotel benannt. Zweiter Longplayer, zwischen melancholischem Folk-Rock-Grundgerüst und verhallten, stimmigen Indie-Gitarren, ergreifend schön ausgestaltet und bereichert von den Eheleuten Molly Moore und Johnny Solomon durch ihren atmosphärisch-getragenen Duettgesang, der in jeder Strophe großen Pop atmet. Das Debütalbum der Band datiert weit zurück ins Jahr 2010, es folgten zwei EPs bis 2012, in der Zwischenzeit musste Bandleader Solomon Dämonen wie Sucht und psychische Erkrankungen bekämpfen, ehe an Aufnahmen mit neuem Material zu denken war.
Communist Daughter drehen den Indie-Rock nicht auf links und erfinden auch dahingehend das Rad nicht neu, aber das hier Erreichte kann man ohne großes Genöle getrost so stehen lassen, zumal’s auch ganz wunderbar als Beschallung zur herbstlichen Stimmung taugt.
(**** – **** ½)
„When I said you’re strange It was a compliment, you know“ (Langhorne Slim & The Law, Airplane)
Irgendwie ein typisches „Es-war-schon-alles-da-in-der-Musik-darum-schon-wieder-kein-neues-‚Astral-Weeks‘-‚Zen-Arcade‘-‚Exile-On-Main-St‘-Wunderwerk“-Jahr, dafür aber ein Musik-Jahr mit überraschenden Comebacks, würdigen Alterswerken, spannenden Mixturen, ein paar erwarteten und etlichen unerwarteten Highlights, einigen gewichtigen Ausgrabungen aus den Archiven und einem ersten Platz, der das in der Gesamtheit nicht sonderlich rosige Jahr 2015 in seiner Grundstimmung einfängt.
(01) Steve Von Till – A Life Unto Itself (2015, Neurot)
Das düstere Songwriting des Neurosis-Sängers/-Gitarristen: die Platte des Jahres 2015 im Kulturforum. Der passende Soundtrack für ein Jahr, von dem Bilder/Eindrücke unter anderem von gekenterten Flüchtlings-Booten, dem Terror-Anschlag auf einen Live-Club und allerhand politischen Verwerfungen bleiben werden, leider.
(02) Pops Staples – Don’t Lose This (2015, Anti)
Würdiges Alterswerk der Gospel-/Soul-Ikone, aus Rohfassungen von Tochter Mavis Staples und Wilco-Vorturner Jeff Tweedy behutsam zu einem guten Ende gebracht.
(11) Die Buben im Pelz & Freundinnen – Die Buben im Pelz & Freundinnen (2015, Konkord)
Den Violinen-Drone aus „The Black Angel’s Death Song“ haben sie nicht hingekriegt, sowas bleibt natürlich nur Musikern wie dem Gott-ähnlichen John Cale vorbehalten, ansonsten haben sie wirklich alles richtig gemacht, die Buben im Pelz und ihre Schicksen, mit ihrer Wiener Adaption eines der wichtigsten Alben der Pop-Historie. Total leiwand, eh kloa…
(17) Waves – Stargazer (2015, Waves)
Mit das Interessanteste in Sachen Post-Rock kam heuer aus München. Meine Hardcopy fange ich mir beim Konzert am 14. Januar im Backstage ein und dann folgt auch eine ausführliche Besprechung. Versprochen.
Das soll’s gewesen sein von meiner Seite für 2015. Rutscht gut rüber ins neue Jahr, ich wünsche Euch alles Gute, Glück und vor allem Gesundheit für 2016, uns wird es vermutlich auch im neuen Jahr im Großen und Ganzen wieder besser ergehen als 99% vom Rest der Welt, in diesem Sinne, weil Sylvester ist und weil gleich die Böller und Sektkorken knallen, soll das letzte Wort im alten Jahr an dieser Stelle Nathaniel Rateliff gehören: „Son of a Bitch, give me a Drink !!!!“ ;-)
The Bevis Frond – Vavona Burr (1999, Flydaddy Records)
Die Londoner Band um Gitarrist und Songwriter Nick Saloman glänzt auf diesem Album – wie auf so vielen anderen – mit ihrer ureigenen melancholisch-melodischen Spielart des Psychedelic-Indie-Rock, der sich hier die Waage hält zwischen getrageneren Balladen und zupackend-euphorischem Song-Material, bei dem Saloman wiederholte Male seine Geistesverwandtschaft zum ausladenden, melodischen Stromgitarren-Genöle von Dinosaur-Jr-Vorsteher J Mascis sowie zum energischen Garagen-Trash der leider inzwischen aufgelösten Seattle-Kapelle Dead Moon um das Ehepaar Toody und Fred Cole erkennen lässt.
Enthält mit „Couldn’t Care Less“ einen der gelungensten, mir bekannten akustischen Stinkefinger in Richtung verflossener Liebschaften aus der wundersamen Welt der Rockmusik.
Beim Durchhören der ollen Kamellen steigert sich die Vorfreude immens auf das anstehende Bevis-Frond-Konzert am 2. Oktober im Münchner Backstage, vielleicht wird dann auch wieder der Ex-Hawkwind-Musiker Adrian Shaw an der Bassgitarre zugange sein…
(**** ½)
The Schramms – Walk To Delphi (1989, Okra / Normal Records)
Der aus Long Island/New York stammende Dave Schramm dürfte den Musikinteressierten am ehesten durch sein Mitwirken bei diversen Yo-La-Tengo-Frühwerken (Ride The Tiger, Fakebook) bekannt sein, 1989 veröffentlichte er mit seiner eigenen Band The Schramms auf dem ‚Walk To Delphi‘-Debüt eine wunderbare Sammlung aus ergreifenden Instrumentals und hochmelodischen Songs, die sich fein ausgewogen im Feld Alternative Country/Americana/Folk Rock bewegen und vor allem durch die sonore Stimme Schramms ihren speziellen Charme entfalten. Es folgten weitere drei Band- und zwei Solo-Alben („Folk und die Folgen“) in den neunziger Jahren, wenngleich ordentliche Produktionen, sollten sie nie mehr die Qualität und den Tiefgang des Erstlings erreichen.
Nach Auflösung der Band, die bei weitem mehr Aufmerksamkeit in Europa als in der Heimat erfuhr, arbeitete Dave Schramm in späteren Jahren als Studiomusiker für die Replacements, Syd Straw, Richard Buckner und Chris Stamey.
Auf der im kommenden Herbst stattfindenden Europatournee von Yo La Tengo wird Dave Schramm die Band erneut begleiten. In unseren Gefilden wird das lediglich in Berlin (27.10. Heimathafen) und Köln (28.10. Kulturkirche) zu bestaunen sein.
(*****)
Yo La Tengo – Stuff Like That There (2015, Matador)
Die Indie-Vorzeigeband aus Hoboken, New Jersey, feiert das dreißigjährige Bandbestehen mit einer Art Remake ihres ‚Fakebook‘-Klassikers (1990, Bar None Records): ruhige, getragene, entspannte, balladenlastige Interpretationen von Fremdmaterial (so unterschiedliche Kandidaten wie Hank Williams, The Cure, Great Plains und die Lovin‘ Spoonful), einige Neuauflagen eigener alter Klassiker von ‚Electr-o-pura‘ (1995), ‚Popular Songs‘ (2009) und ‚I Can Hear The Heart Beating As One‘ (1997, alle: Matador) sowie zwei neue Stücke ergeben die perfekte Spätsommerplatte, die einerseits in ihrer luftigen Leichtigkeit dem Sommer nachspürt und zum anderen mit ihrem wiederholten Abdriften ins latent Melancholische die Schwere des aufziehenden Herbstes erahnen lässt. Kommt am 28. August. Ganz großer Wurf, wieder mal.
(*****)
Watkins Family Hour – Watkins Family Hour (2015, Family Hour Records / Alive)
Feinster Folk, Bluegrass und Vaudeville ist auf dem Debütalbum der Watkins Family Hour geboten, einer prominent besetzten siebenköpfigen Combo aus Kalifornien um die Geschwister Sara und Sean Watkins, die dem ein oder anderen geneigten Hörer von ihrer maßgeblichen Beteiligung beim Bluegrass-Trio Nickel Creek bekannt sein könnten.
Das Unternehmen startete als monatliche Varieté in Los Angeles und wurde zwischenzeitlich von Größen wie Jackson Browne und der Band Dawes unterstützt, für die Einspielung dieses Projekt-Debüts wird das Geschwister-Paar von den renommierten Musikanten Fiona Apple, Greg Leisz, Benmont Tench, Don Heffington und Sebastian Steinberg unterstützt.
Das Song-Material besteht ausschließlich aus Coverversionen und bietet vor allem in Punkto ‚Dylan & The Dead‘ Erfreuliches: Von Bob dem Meister wird eine exzellente Version seines ‚Planet Waves‘-Klassikers „Going, Going, Gone“ zu Gehör gebracht und die Toten sind dankbar für eine mehr als passable Version der Garcia/Hunter-Nummer „Brokedown Palace“.
(*** ½ – ****)
Daniel Romano – If I’ve Only One Time Askin’ (2015, New West Records)
Sehr passabler vierter Longplayer des kanadischen Country-Crooners Daniel Romano aus Welland, Ontario, auf dem er entspannte Americana-Balladen mit reduzierter Instrumentierung und umso mehr Inbrunst und ansprechendem Schmalz in der Stimme zu Gehör trägt und in seinem semi-traditionellen Vortrag an väterliche beziehungsweise großväterliche Freunde wie Alejandro Escovedo und Willie Nelson erinnert.
Neben seiner Tätigkeit als Musiker beschäftigt sich Romano mit bildender Kunst, als „Visual Artist“ hat er in der Vergangenheit unter anderem mit Musiker-Kollegen wie M. Ward und Ben Kweller zusammengearbeitet.
(****)
The Antlers – In London (2015,Pias Coop / Transgressive / Rough Trade)
Live eingespielt am 24. Oktober 2014 im Hackney Empire zu London, die Indie-Combo aus Brooklyn schafft es auch auf dieser Konzert-Konserve, mich zwischen grundsätzlicher Bewunderung für ihre Alternative-Rock-Epen und ihr ausgeprägtes Gespür für große Dramen auf der einen Seite und totalem Angenervt-Sein von diesem phasenweisen unsäglichen, Trompeten-dominierten, angejazzten Getröte andererseits völlig ratlos zurückzulassen.
(** – ****)
Sleaford Mods – Key Markets (2015, Harbinger Sound)
Die beiden Mods Jason Williamson und Andrew Fearn aus Nottingham UK machen mit ihrem Loop-unterstützen Elektropunk-Gerotze/-Gefluche/-Geschimpfe dort weiter, wo sie im letzten Jahr bei ‚Divide And Exit‘ (Harbinger Sound) aufgehört haben. Bissig, boshaft und roh wie der Vorgänger, irgendwann läuft sich’s wahrscheinlich tot, aber momentan taugt es (noch). “Idiots visit submerged villages in 200-pound wellies, spitting out fine cheese made by that tool from Blur/ Even the drummer’s a fuckin’ MP: fuck off, you cunt, sir.”
Love it or leave it.
(****)