La Bestia de Gevaudan – Kintsukuroi (2019, [Fe]Ral)
Die Bestie des Gévaudan war ein Untier, das Mitte des 18. Jahrhunderts in der gleichnamigen Provinz im französischen Zentralmassiv sein Unwesen trieb und in einem Zeitraum von 3 Jahren über 100 Menschen den Garaus machte. Ob es sich bei dem Raubtier wie über die Jahrhunderte kolportiert um einen mutierten Wolf, eine Schabracken-Hyäne, einen entlaufenen Löwen oder gar ein seltenes Fabelwesen handelte, darüber waren und sind sich damalige Zeitzeugen und Historiker bis heute uneins.
Auch beim chilenischen Trio La Bestia de Gevaudan, das sich offensichtlich nach diesem mysteriösen Killer-Vieh benannte, ist eine eindeutige stilistische Kategorisierung nicht die leichteste Übung, die Formation aus Santiago packt eine reichhaltige Vielfalt an Einflüssen und Ideen aus diversen Dekaden der alternativen und experimentellen Rockmusik in ihr dichtes Gewerk.
Wo zum Europa-Debüt und Auftakt-Konzert der Band beim letztjährigen dunk!Festival im belgischen Zottegem die Stoßrichtung mit energischem Postrock/Postmetal-Grenzgang inklusive vehementer Brüll-Attacken aus den Kriseninterventionsräumen des Doom und Sludge eine klar abgesteckte war, experimentiert die Bestie aus Südamerika auf ihrem jüngst erschienenen neuen Tonträger „Kintsukuroi“ mit einer weiter gefassten Palette an tonalen Ausdrucksformen. Angelegentliches Groll-Geplärr und vor allem massiv aufgetürmte Gitarrenwände, die das Material zum Bau einer kompletten Großstadt liefern, finden sich auch hier zuhauf, daneben lassen entschleunigte, gefällig ins Ohr driftende Ambient-Sequenzen, digitaler Synthie-Space und Anleihen bei kalt-dunklen New-Wave-/Industrial-Mustern aus den Achtzigern die ausladenden Nummern aus dem Einheitsbrei der zusehends austauschbarer klingenden Postrock-Kapellen herausragen – die eingehende Beschäftigung mit den Sound-manipulierenden Möglichkeiten der elektronischen Gerätschaften neben dem Ausleben handelsüblicher Gitarren-Crescendo-Exzesse trägt hier ergiebig Früchte im massiven Crossover-Komplex.
Die Beiträge des großartigen kanadischen Experimental-Gitarristen Eric Quach aka thisquitarmy, von Rosetta-Sänger Michael Armine und die Unterstützung eines gewissen Oliver Melville aus dem südenglischen Metal-Underground bringen das ihre in die vielschichtige Collage ein, wie die tonale Umsetzung der Titel-gebenden, aus dem Zen-Buddhismus stammenden Kintsukuroi-Kunst, einer traditionellen japanischen Reparatur-Methode für Keramik, in der gebrochene Teile unter Verwendung von Kitt, Lack, Pulvergold und Metallen wie Silber und Platin neu zusammengefügt werden. Nicht der schlechteste Ansatz zur Wiederbelebung des von vielen bereits mindestens im Koma gewähnten Postrock-Genres: Zerschlagung der Laut/Leise- und Getragen/Lebhaft-Muster, um sie mit anderen Mitteln zu neuen Klanggebilden zu formen. Postrock isn’t dead, it just needs a Kulturrevolution…
(**** ½ – *****)