Top-Forty-Gigs 2019, Culture-Forum-Edition: die erinnerungswürdigsten, am längsten nachhallenden Konzerte des vergangenen Jahres, selbstredend wie immer rein subjektiv gewertet. Unterstützen Sie Ihre lokalen Festival- und Konzertveranstalter, knausern Sie nicht rum, wenn der Hut rumgeht, haben Sie im neuen Jahr 2020 bitte Spaß mit den MusikantInnen Ihres Vertrauens, zur Not auch für über 1000 Taler im VIP-Bereich des Stadions bei einem aufgewärmten Rock’n’Roll-Derivate-Scheißdreck wie Gewehre n‘ Rosen: Jeder nach seiner Fasson, the show must go on…
Post-Metal
Pelican + Slow Crush @ Hansa39, München, 2019-10-09
Unrunder Konzert-Abend zur vergangenen Wochenmitte im leidlich gut besuchten Hansa39-Saal des Münchner Feierwerk. Dabei war die Vorfreude zum Auftritt der US-amerikanischen Postmetal-Band Pelican groß, das Quartett zählt neben Formationen wie Russian Circles, Isis, Neurosis oder Jesu zur Speerspitze der Bewegung. Unvergessen ihr grandioser Auftritt beim belgischen dunk!Festival im Frühsommer 2016, der Gig in Flandern stach seinerzeit qualitativ weit aus dem dreitägigen Programm des alljährlichen Postrock-Gipfeltreffens heraus und veranlasste damit das Veranstalter-eigene Label zur Veröffentlichung des Mitschnitts auf limitiertem Vinyl. Der München-Auftritt 2019 wird hingegen kaum in die großen Momente der Pelican-Analen eingehen, das lautmalende Instrumental-Quartett aus Chicago erwischte im Feierwerk bei weitem nicht die besten Rahmenbedingungen ihrer Karriere für einen gelungenen Gig. Dabei startete die Formation um den entfesselt aufspielenden Gitarristen und Bühnen-Derwisch Trevor de Brauw furios, Nummern wie der Opener „Midnight And Mescaline“ funktionieren live wunderbar – wo das Material vom aktuellen, im vergangenen Sommer veröffentlichten Düster-Werk „Nighttime Stories“ so manche Fragezeichen nach der Sinnhaftigkeit einer weiteren Pelican-LP im immer gleichen Instrumental-Flow aufwirft, zeugte die konzertante Interpretation des fast komplett vorgetragenen neuen Werks von Funken-schlagender Energie und ungebändigter Spielfreude. Leider brachte defektes Equipment die zupackende Mixtur aus offensiven, stramm in den vordersten Fronten angreifenden Postmetal-Riffs, Sanges-freiem, Black-Sabbath-infiziertem Doom und großen Postrock-Dramen nach wenigen Stücken zum zwischenzeitlichen Erlahmen, der für die filigranere Gitarren-Arbeit zuständige Dallas Thomas zeigte sich ungehalten über seinen defekten Amp, das Gerät lieferte nicht das, was der Musiker wollte. Nach minutenlanger Unterbrechung und einem weiteren gescheiterten Versuch mit der defekten Marshall-Gerätschaft wurde mit dem Ersatz-Teil der Vorband improvisiert. Den regulären Set brachte die Band damit im strammen Drive zum glücklichen Ende, das Postmetal-Volk nickte gefällig mit bis zur einsetzenden Halsstarre. Finaler Stimmungstöter nach Bühnen-Abgang mit der Weigerung der Band, zusätzliches Material zur knappen Stunde als Zugabe zu kredenzen. Wo einer wie der gute alte Lou Reed selbst bei völlig verstimmten Saiten nur ein lakonisches „It’s good enough for Rock and Roll!“ knurrt und sein Gewerk zur Erbauung des Auditoriums unbeeindruckt fortsetzt, gaben sich die vier Wasservögel als Technik-Perfektionisten und verweigerten jedes weitere Zutun. Im Saal hätte außer den Musikern selbst wohl kaum jemand den Unterschied in der Wiedergabe des Gitarrenanschlags auf improvisiertem Equipment benennen können, anyway, so fährt man eine Nummer, die trotz widriger Umstände gleichwohl im Wesentlichen funktionierte, endgültig gegen die Wand. Schade.
Bereits zuvor eine durchwachsene Darbietung: Den Auftakt der Veranstaltung bespielte das belgische Quartett Slow Crush um die englische Sängerin und Bassistin Isa Holliday, zur Bewerbung der für den 25. Oktober geplanten Veröffentlichung des neuen Tonträgers „Ease“, im Opener mit einem hymnischen, melodischen, geradezu ergreifenden Hybrid aus Shoegazer-Romantik und Postpunk-Energie, dessen hohes Niveau im weiteren Verlauf des Auftritts bedauerlicherweise kaum gehalten werden konnte. Gegen Ende der guten vierzig Minuten ein weiterer Peak an euphorisierenden, Konzert-beschließenden Postrock- und Noisepop-Ergüssen, dazwischen reichlich, geradezu über Gebühr strapaziertes Shoegazer-Standardprogramm, das die engen Grenzen des Genres einmal mehr deutlich aufzeigte und wie bei vielen anderen Vertretern der Zunft unterstrich, warum das Songmaterial jedweder Combo dieser Spielart des Indie-Rock mit zu den austauschbarsten in der weiten Welt der lärmenden Pop-Musik zählt. Die Lichtshow und die gelegentlich zwischen Noise-Rock und Grunge taumelnden Eruptionen setzten unbedingt gefällige Akzente, das Potential der Band scheint jedoch (bisher) nicht ausgeschöpft, die Reise der vier Musikanten nahm vor zwei Jahren erst ihren Anfang, und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen…
Oh Sees + Aluk Todolo @ Strom, München, 2019-08-30
Am vergangenen Freitagabend schütteten die Münchner Konzertveranstalter vom Clubzwei ein fulminantes Doppelpack an psychedelischen Kubikmetern ins konzertante Sommerloch der Stadt und präsentierten mit dem kalifornischen Hauptact Oh Sees eine der wandlungsfähigsten Combos des US-Indierock im Münchner Strom. Die Band aus San Francisco hat in den vergangenen zwei Dekaden zahlreiche Umbenennungen, Umbesetzungen und stilistische Umorientierungen hinter sich, einzige personelle Konstante über die Jahre ist Multiinstumentalist, Sänger und Label-Betreiber John Dwyer, der im ausverkauften Münchner Indie-Club von den beiden Schlagzeugern Paul Quattrone und Dan Rincon, Basser Tim Hellman und Keyboarder Tomas Dolas begleitet wurde.
Unter Sauna-ähnlichen Bedingungen groovte sich die Band aus dem Soundcheck heraus direkt, ohne Umstände und intensiv aus der Hüfte geschossen in ihren Gig, die erste Druckwelle schwappte postwendend aus dem Auditorium mittels heftigstem Pogo-Eintanzen, Schuhe- und Bierbecher-Schmeißen, Stage-Diven und ausgelassenem Gerempel zurück auf die Bühne. Den hochsommerlichen August-Temperaturen mochte im Saal offensichtlich kaum jemand Tribut zollen, und so gaben sich große Teile des Publikum dem Transpirieren im enthemmten Bewegungsdrang hin, einerlei, ob passend zu schmissigen Garagen-Trash/Punk-Hauern, flott durchgeknallten, melodischen Indie-Psychedelic-Perlen oder weithin deplatzierter zu angejazzten Kraut-Passagen oder den gedehnt ausladenden, von frei fließender Space-Orgel und entrücktem Grateful-Dead-Doppelgetrommel geprägten Progressive- und Sixties-Psychedelia-Jams. Die Combo um den durchtätowierten Bandleader mit der hochgehängten Gitarre stand dem intensiv berstenden Geschehen vor der Bühne in nichts nach und hielt das Energie-Level über neunzig Minuten konstant am oberen Limit. Die Oh Sees erfinden in ihrem von den US-Underground- und Indie-Spielarten der Spät-Sechziger, Mitt-Siebziger und achtziger Jahre stark beeinflussten Stil-Mix das Rad gewiss nicht grundlegend neu, vor allem im minutenlangen Endlosschleifen-Flow findet sich etliches an improvisierten Instrumental-Ergüssen, was woanders schon x-fach in gleicher oder ähnlicher Form zum Vortrag kam, mitunter in spannungsgeladener Diversität, der Reiz der Oh-Sees-Auftritte liegt vor allem im wilden Ritt durch eine Vielfalt an stilistischen Mitteln, in unvermittelten Tempi-Wechseln und dem Aufeinanderprallen von früher unvereinbaren Elementen wie der direkten Energie und dem knappen Format des Punk-Rock mit den ausufernden Improvisations-Auswüchsen der kosmischen Progressive-Sternenfahrt. Die Band zelebrierte den Tanz zwischen den Extremen im Dauer-Rausch ohne Verschnaufpause, und so mochte man es dem Quintett nach schweißtreibenden eineinhalb Stunden nicht verdenken, dass dem lauthals vorgetragenen Begehr nach Zugabe kein Gehör geschenkt wurde.
Gibt Bands, die ziehen auf der permanenten Suche nach entsprechenden Ausdrucksformen zum Freisetzen der überbordenden Ideen und überschüssigen Energie in the spirit of rock’n’roll ihr Ding durch und fertig ist die Laube, siehe oben. Der Großteil im populär-musikalischen Zirkus eben, die einen mit einem Schuss mehr Sendungsbewusstsein, die anderen einfach mit ungebändigtem Spaß am eigenen Tun.
Und daneben gibt’s die, die ihr Gewerk bedeutungsschwanger und konzeptionell mit mystischem Überbau versehen, die Experimental-Metaller Sunn O))) in ihren Mönchskutten oder die rituellen Beschwörungs-Postmetaller von Amenra als herausragende Vertreter der Zunft – in die selbe Kerbe schlugen am Freitagabend die drei Franzosen der Abend-eröffnenden Band Aluk Todolo. Der Name der Formation aus Grenoble ist einer uralten ethnischen Religion aus den Bergregionen Indonesiens entlehnt, das instrumentale Lärmen des klassischen Powertrios versehen die Musiker selbst mit dem Label „Occult Rock“. Unter dem Logo des Buchstabens „Un“ aus dem henochischen Alphabet, das für eine magische Kunst-Sprache im Mittelalter vom englischen Alchemisten und Hofastrologen John Dee entwickelt wurde, loten die drei dunkel Gewandeten die Kräfte ihres finster dröhnenden Trance-Flows aus. Lässt man den mythologischen Firlefanz, die theatralische Lichtbeschwörung von Gitarrist Shantidas Riedacker oder die 2011er-Kollaboration mit der musikalisch ohne Zweifel exzellenten, politisch gleichwohl fragwürdigen österreichischen Kraut-Formation Der Blutharsch And The Infinite Church Of The Leading Hand außen vor, bleibt als bedrohlicher, naturgewaltiger Sound ein erschöpfend in dunklen Gefilden mäanderndes, minimalistisches wie hypnotisches Instrumental-Gebräu aus Black-, Experimental- und Post-Metal, schwerst psychedelischem Kraut-Noise und der von Magma-Drummer Christian Vander definierten Spielart Zeuhl, die sich vor allem im freien, schleppend bis fieberhaft nervös die Becken malträtierenden, obsessiven Spiel vom entrückten Perkussionisten Antoine Hadjioannou offenbart. Der Auftritt von Aluk Todolo wird traditionell nur von einer zentral über der Bühne hängenden Lampe durchflutet, deren flackerndes Leuchten mit der Intensität der verzerrten, mitunter radikal dissonanten, lange nachhallenden Gitarren-Riffs und den einhergehenden Feedback-Erschütterungen der Metal-Drones korrespondiert. Finsterwald-Beschallung für neblige November-Tage und die Filmmusik für jegliche Ausprägungen an seelischen Abgründen, die durch diese Art von Schamanen-Kult kaum Aussicht auf Heilung erfahren, dargereicht in den letzten Tagen des Sonnen-durchfluteten Augusts – gewagte Nummer, für den geneigten Postmetal-Freund nichtsdestotrotz für eine halbe Stunde Erbauung und damit mit dem verdienten Applaus bedacht.