Instrumental

Reingehört (552): Zwinkelman

OK, Zugabe, einen hab ich noch, dann ist aber tatsächlich erst mal Sendepause auf diesem Kanal. Wenn man selbst vor Monaten den Pressetext zur Veröffentlichung formuliert hat, kann man’s auch auf der eigenen Seite posten, zum Schaden der Musikanten soll es ja nicht sein.

The other side of Postrock. Alles anders. Keine aufgetürmten Soundwände, nirgends. Keine Lautmalereien, keine krachenden Dissonanzen, kein Spiel mit an- und abschwellender Intensität und tonaler Wucht. Und vor allem: keine Austauschbarkeit und keine ausgetretenen Pfade. Das tonale Abbild der Zerrissenheit und Widersprüche des Lebens sucht man hier vergebens, Gottlob, möchte man ergriffen und auf das Angenehmste angerührt in die stille Andacht rufen. Trotzdem: Postrock. Mit anderen Mitteln. Die beiden Münchner Musiker Josip Pavlov und Dominik Lutter vom Akustik-Gitarren-Duo Zwinkelman beschreiten in der Gesangs-freien Welt des alternativen Progressive-Sounds neue Wege und tummeln sich damit in den Stammes-Revieren der American Primitive Guitar, der Chicago-Schule und den unkonventionellen Klang-Exerzitien des kammermusikalischen Free Folk – nichts könnte den redundanten Stromgitarren-Crescendi ferner liegen, mit denen die Echokammern des landläufig bekannten und etablierten Indie-Postrock seit längerem inflationär geflutet werden.
Multiinstrumentalist Josip Pavlov, der zu anderen Gelegenheiten auch technisch vertrackter und elektronisch verstärkt in permanenter Weiterentwicklung seines Klang-Kosmos unterwegs ist, mit Gitarren-Treatments, Loops und Samples, in seinem solistischen Alter Ego Ippio Payo oder zusammen mit der Band Majmoon, und sein kongenialer Duett-Partner Dominik Lutter vom eigenwillig freigeistigen Experimental-Folk-Outfit Domhans brauchen bei ihrem gemeinsamen Projekt Zwinkelman nicht viel an Equipment: zwei offen gestimmte Akustik-Gitarren, ein paar Stühle und ein wenig Raum für das Zusammenspiel – Kammer-Postrock, der – wie zu ausgewählten Gelegenheiten live demonstriert – auch auf kleinen Bühnen ohne Lautsprecher seine hypnotische Wirkung entfaltet – man muss nur aufmerksam zuhören, die Belohnung dafür folgt auf dem Fuße.
Zwinkelman-Musik ist klar strukturierter Flow, dem alles akademisch Konstruierte fremd ist, ein organischer, steter und ruhiger Fluss, vielleicht als warmer Sommerregen zur klärenden Reinigung der überhitzten Atmosphäre. Ein Fluss, der ab und an die Taktzahl wechselt, den polyrhythmischen Anschlag oder das Ineinander-greifen des melodischen Saiten-Zupfens der beiden Musiker. Innwendige Versenkung in meditativen Kleinoden, denen es trotz kontemplativer Trance-Introvertiertheit nicht an Spannung und überraschenden Elementen fehlt, beispielhaft mit dezenter, perkussiver Electronica-Beigabe als hinterkünftiges Ticken der Uhr im „Zeitgeberblues“ oder im spontan erratischen, disharmonischen Traktieren der Gitarre in der Schluss-Nummer „Bieg ab“.
Nach der Single „Hallo Lullu/GoldWert“ vom Sommer 2017 die erste Volle-Länge-Produktion von Zwinkelman, schlicht mit dem Band-Namen als Titel, ab Mitte Januar 2020 wieder beim Münchner Indie-Label Echokammer.
Tun Sie Ihrem seelischen Wohlbefinden in diesen hektischen Zeiten und den vom Alltags-Lärm traktierten Gehörgängen was Gutes, gehen Sie zum Musikalien-Händler Ihres Vertrauens und beginnen Sie das neue musikalische Jahr in denkbar entspannter Manier.
(*****)

Tonträger-Veröffentlichung am 16. Januar 2020, Release-Konzert am selben Abend wird am 13. Februar im KAP37 nachgeholt, München, Kapuzinerstraße 37. 20.00 Uhr.

Godspeed You! Black Emperor + Mette Rasmussen @ Technikum, München, 2019-11-24

„Luciferian Towers“, endlich auch live in München errichtet: Nachdem Godspeed You! Black Emperor die 2018-Tour zur konzertanten Aufführung ihres jüngsten, bereits vor über zwei Jahren veröffentlichten Meisterwerks großräumig an hiesigen Gefilden vorbeilotsten, konnte das veranstaltende Feierwerk am vergangenen Sonntag im Münchner Technikum ausverkauftes Haus bei der Präsentation der kanadischen Experimental/Postrock-Institution vermelden. Verdientermaßen, darf man anmerken, alles andere wäre einem Affront gegenüber der großartigen Kunst des achtköpfigen Musiker-Kollektivs aus Montreal gleichgekommen. Gitarrist Efrim Menuck begeisterte bereits im vergangenen Sommer zusammen mit Electronica-Duo-Partner John Doria im gemeinsamen Projekt „are SING SINCK, SING“, in der großen Besetzung des Mutterschiffs reihte er sich mannschaftsdienlich ein in die vielstimmige und komplexe Sinfonik des ureigenen GY!BE-Sounds, der in den hundert Minuten des Münchner Auftritts einmal mehr mit doppelter Bass- und Drums-Orchestrierung, Violine und drei Gitarren seine Einzigartigkeit wie die Ausnahmestellung der Band in der weiten Welt des Postrock untermauerte.
Drone, Noise und abstrakte Trance-Rituale überlagerten sich vielschichtig mit vertrautem Progressive-, Experimental- und Kraut-Rock, minimalistischer Neo-Klassik und melodischen Filmmusik-Sequenzen, in einer hypnotischen Klang-Intensität, in der das getragene, traurig-melancholische Element der atmosphärisch-diffusen Klangnebel, experimentelle Ausbrüche, euphorisierende Postrock-Hymnik und treibender Indie-Drive Hand in Hand gehen, in einer tonalen Dichte, wie sie in den Spielarten der instrumentalen Rockmusik nach wie vor ihresgleichen sucht. Dieses Kollektiv braucht keine großen Bühnen-Gesten, keine Applaus-heischenden Ansagen oder solistisches Protzen, um das Publikum völlig in den Bann zu ziehen. Was vor einem Vierteljahrhundert in einer Lagerhalle in Montreal als improvisierte Trio-Nummer startete, ist längst zu einem der renommiertesten, ernsthaftesten, konzeptionell stringentesten, fundamental einzigartigsten Live-Acts des experimentellen Postrock-Genres gereift.
Wie im Jahr zuvor begleitete die norwegische Free-Jazz-Saxophonistin Mette Rasmussen einen Teil der ausladenden „Luciferian Towers“-Nummern, die Band ergänzte das Set mit altbewährten Klassikern wie „The Sad Mafioso“ oder dem eingangs in Überlänge zelebrierten „Hope Drone“. Diverse, zuweilen parallel projizierte Super-8-Filme mit bewegten Bildern von Friedhöfen, brennenden Fabriken und amerikanischen Massendemonstrationen unterstrichen wie in der Vergangenheit zu jedem GY!BE-Auftritt die Dringlichkeit und wortlose, politische Aussage der Kompositionen, gipfelnd in einem minutenlangen, Konzert-beschließenden Feedback-Fade-Out, ein anarchistisches Statement gegen Globalisierung, soziale Gräben, Imperialismus und den militärischen Apparat.
Vermutlich werden Godspeed You! Black Emperor einst in nicht allzu ferner Zukunft als einsamer, leuchtender Turm in der kahlen Wüste der instrumentalen Rockmusik stehen: Wenn alle anderen Bands das immer Gleiche der Laut/Leise-Kontraste bis zum Erbrechen zu Tode geritten haben, wird der Kosmos der Band aus Quebec weiter in einer dunkel funkelnden und faszinierenden Vielfalt erstrahlen, ohne Worte mahnend und warnend vor den finsteren politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen der westlichen Zivilisation.

Eingangs galt es am Sonntagabend, das enervierende Solo-Programm von Mette Rasmussen zu überstehen. Die Norwegerin tobte sich für eine halbe Stunde mit ihrem Saxophon im improvisierten Free Jazz aus, abgehackte Töne in das Auditorium trötend, ein gnadenloses Gelärme, dem selbstredend keinerlei Melodik innewohnte, allenfalls bisweilen ein rudimentär erkennbarer Rhythmus im erratischen Radikalausbruch, Kakophonie, die zu keiner Sekunde nach Gefälligkeit heischen mochte. Dem Geplärr des Holzblasinstruments ließ die Musikerin beizeiten das kurze Geschrei der eigenen Stimme folgen – das Nerven-anspannende, Genuss-freie Gewerk ein bebender, explosiver, gleichwohl erschreckend monotoner Ausbruch und für viele die Art von Gejazze, die den christlichen Radfahrer zum absteigen zwingen, die Skeptiker gewiss nicht für experimentelles Musizieren einnehmen und den gemeinen Jazz-Verächter in all seinen ablehnenden Vorurteilen bestätigen. Weitaus ansprechender, voluminös druckvoller und mehrdimensionaler wurde der Vortrag erst zum Ende hin, als sich zum Noten-freien Gebläse von Mette Rasmussen die GY!BE-Musiker Thierry Amar und Timothy Herzog an Bass und Trommel mit wuchtiger Taktgebung für die letzte Nummer ihres Konzerts in das Klangbild einbrachten, aber da war das Kind bereits im Brunnen und die Trio-Besetzung somit nur noch Rettungsweste gegen das komplette Absaufen dieses höchst überflüssigen Support Acts. Schade, dabei kann die Frau so viel mehr, wie ihr Musizieren im Verbund mit GY!BE an diesem Abend wie auch exemplarisch ihre experimentellen Duo-Aufnahmen mit dem Gitarristen Tashi Dorji unterstreichen.

The Thurston Moore Group + Rattle @ Strom, München, 2019-10-27

Als „The Ultimate Church Of Sound“ beschrieb einst in einem Interview der englische Throbbing-Gristle-/Psychic-TV-Weirdo Genesis P-Orridge die eruptiven Erschütterungen der Jimi Hendrix Experience, was der Gitarrengott aus Seattle für die Rockmusik der späten Sechziger im Alleingang leistete, darf sein Landsmann Thurston Moore zwanzig Jahre später für den No-Wave-, Noise, Experimental- und Alternative Rock vermutlich nicht ausschließlich komplett für sich selbst in Anspruch nehmen, maßgeblich mit stilbildend für den Indie-Sound ab den auslaufenden Achtzigern war er zweifellos mit seinem unverwechselbaren Gitarrenspiel bei der New Yorker Indie-Vorzeigekapelle Sonic Youth, die seinerzeit neben Moore mit Bandkollegen Lee Ranaldo einen weiteren Meister der krachenden sechs Saiten in ihren Reihen hatte.
Seit der Bandauflösung 2011 tummelte sich Thurston Moore in diversen Projekten, zwischenzeitlich mit Chelsea Light Moving in einem neuen, kurzlebigen, vielversprechenden Band-Format, davor und danach zuweilen in experimentellen Kollaborationen, dann wieder in konventionelleren Rock-Songs verhaftet wie auf seinen aktuelleren Alben „Rock n Roll Consciousness“ und „The Best Day“.
Seit Mitte September ist mit dem Tripple-Box-Set „Spirit Counsel“ sein jüngstes Werk in den (virtuellen) Plattenläden zu haben, und mit der Live-Aufführung der beiden ausladenden Instrumental-Nummern „ALICE MOKI JANE“ und „8 Spring Street“ kamen Thurston Moore, seine langjährigen Begleiter, die My-Bloody-Valentine-Bassistin Debbie Googe und der englische Gitarrist James Sedwards, plus ein neuer Mann an den Drums als Steve-Shelley-Ersatz einer experimentellen, modernen Variante der eingangs zitierten ultimativen Sound-Kirche sehr nahe.
Thurston Moore strebte mit dem kollektiven Improvisieren vertrauter wie avantgardistischer Gitarren-Tunes in perkussiver Begleitung einen spirituellen Geisteszustand an – Kontemplation und Energie, die ihre Kraft ungebremst vom Bühnengeschehen in Richtung Auditorium ausstrahlte. In der ersten Nummer würdigte der Noise-Großmeister die Jazz-Größen Alice Coltrane, Moki Cherry und Jayne Cortez, allesamt selbst Klangforscherinnen, die mit ihrer Musik die höheren Bewusstseinszustände anstreben.
„8 Spring Street“ ist die New Yorker Adresse des Apartments, in dem Thurston Moore seinem Mentor Glenn Branca in den späten Siebzigern zum ersten Mal zu einer gemeinsamen Probe begegnete. Der Geist des im vergangenen Jahr verstorbenen Minimal-/Drone-Pioniers schien über dem kompletten Set zu schweben, zuforderst in schier endlosen, minimalistischen, hypnotisch sich permanent wiederholenden Gitarrenriff-Schleifen. Branca, sein „Guitar Orchestra“ und Moores frühe Mitarbeit an den Ensembles des Avantgarde-Komponisiten wurden in einer ausgedehnten Zugabe als maßgeblicher Einfluss auf den späteren Klangkosmos des Sonic-Youth-Gründers gewürdigt.
Ein Klangkosmos, den Thurston Moore in seinen aktuellen, Gesangs-freien konzertanten Aufführungen grandios ergreifend offensichtlich zur Gänze entfaltet. Eingangs ruhige Ambient-Klänge, die sich nach minutenlanger Gitarren-Mediation in Richtung gängige Indie-Rock-Riffs mit dem vertrauten Sonic-Youth-Klirren und -Dröhnen entwickeln, um nach mehreren, wiederholten Improvisations-Mutationen in zwischenzeitlichen, übersteuerten Feedback-Orgasmen zu explodieren. Dazwischen, danach, wiederholt Postrock-artige Crescendi, lärmend-hymnische Soundwände, experimentelles Bleistift-Spreizen zwischen die Gitarren-Saiten zum Erzeugen exotischer, asiatisch angehauchter Drone-Töne. Die schiere Wucht und die Vielfalt der tonalen wie atonalen Ausdrucksformen auf Thurston Moores 12-saitigem Fender-Instrument, der seine Mitmusiker wie das Publikum gebannt konzentriert beiwohnen und folgen, ist mit Worten kaum zu beschreiben, ansatzweise ist es auf dem aktuellen Tonträger erlebbar, den Klang-forschenden Genius und die Kraft der ausladenden Stromgitarren-Kompositionen wird man voll umfänglich nur in der Live-Version erfassen. Wohl denen, die am vergangenen Sonntagabend im Münchner Strom diesem erschütternden Beben beiwohnen durften. Wer Songs erwartete, könnte ein langes Gesicht zur Schau getragen haben, wer weiß. Die mit den offenen Ohren und der unvoreingenommenen Herangehensweise ernteten reichhaltig, pures Gold gar.

The Thurston Moore Group live dieser Tage, dringende Empfehlung: heute Abend in Frankfurt/Main, im Das Bett. Weitere Termine im alten Europa:

31.10.Antwerpen – Filter Festival
01.11.Den Haag – Crossing Border festival
02.11.Nantes – Soy Festival
03.11.Berlin – Festsaal Kreuzberg
09.11.Kortrijk – Sonic City Festival
10.11.Salford – The White Hotel

Bevor Meister Moore und die Seinen zu fortgeschrittener Stunde am Sonntagabend die Bühne des Strom-Clubs beehrten, durften die beiden jungen Engländerinnen Katharine Eira Brown und Theresa Wrigley vom Postpunk-Duo Rattle aus Nottingham für eine knappe, verschwendete halbe Stunde ihre Trommelkünste demonstrieren. Allzuweit war’s damit nicht her, um es kurz zu machen. Eine gemeinsam bespielte, repetitiv-druckvolle Uptempo-Rhythmik an der Grenze zur schnörkellosen Monotonie, zu der die Ladies sich das Hi-Hat teilten und Katharine Brown angelegentlich ihre beschwörenden Gesänge anstimmte. This Heat für Arme, die Beschallung zum rituellen Hypnose-Tanz vollgedröhnter Halbnackter ums Feuer. Da im Saal weder ein Feuer loderte (durch diesen Sound schon mal gar nicht entfacht) noch irgendwelche sedierten Entblößten rumturnten, war’s ein sich schnell abnutzendes Unterfangen – beim dritten Gähnen war der Trommel-Workshop durchgefallen…

Sunn O))) + Caspar Brötzmann @ Backstage, München, 2019-10-07

Dekonstruktion der Harmonien, Zersetzung der gängigen Songstrukturen und das Infrage stellen jeglicher Melodik in zwei experimentellen und vehementen Ansätzen zum Wochenstart in der großen Werk-Halle des Münchner Backstage. Den ersten Akt der lärmenden Klang-Erschütterungen bespielte der Wahl-Berliner Caspar Brötzmann, wer eine wie zu früheren Gelegenheiten zelebrierte, wuchtige Noise-Rock-Eruption in der Powertrio-Besetzung des Caspar Brötzmann Massaker erwartete, sollte sich am Montagabend ge- und bisweilen auch enttäuscht sehen. Statt seine jaulende Fender-Gitarre zu traktieren, angetrieben von massiv polternder Bass/Drums-Begleitung seiner früheren Mitmusiker, irgendwo zwischen ausgelebten, avantgardistisch improvisierten No-Wave/Krach-Phantasien und dem Transport wie der Fortschreibung des Hendrix’schen Genius, gab sich Brötzmann für dieses Mal solistisch die Ehre. Ohne Stromgitarre, mit einem elektrischen Sandberg-Bass, lotete der Musiker die Möglichkeiten der vier Saiten zur dissonanten Klang-Kollage aus, unter dem thematischen Aufhänger seines neuen Ein-Mann-Projekts Bass Totem, benannt nach einer Nummer vom 1992er-Album „Der Abend der schwarzen Folklore“ seiner ehemaligen Band. „Ich spiele aber nicht ganz normal Bass, das ist mir zu langweilig. Der Bass ist für mich eher wie eine Gitarre mit tiefer tönenden Saiten. Damit kann ich tolle Sachen machen“, äußerte sich Brötzmann im vergangenen Sommer in einem Interview mit der Berliner taz. Tolle Sachen hat er tatsächlich gemacht, virtuos und experimentierfreudig im forschenden Geist, mit schwer dröhnenden Sounds, erschüttenden Verzerrungen, verstörenden Feedbacks, in unkonventionellen Saitenanschlägen, mit Hämmern der Fäuste auf Gitarren-Hals und -Kopf. Das erratische Lärmen, Brummen und Rückkoppeln im freigeistigen Fluss zieht naheliegend seine Einflüsse aus dem charakteristischen, energischen Saxophon-Spiel seines Altvorderen Peter Brötzmann, der seit einem halben Jahrhundert unkonventionell „brötzenden“, international renommierten Gallionsfigur des deutschen Free Jazz, wie aus dem harten, psychedelischen Rock der Gitarristen-Helden der Siebziger Jahre, die Caspar Brötzmann beizeiten mit dem Einsatz von aufjaulenden Wah-Wah-Pedals zitierte. Nicht jeder mochte die Tragfähigkeit dieses rumorenden, in tiefen Dröhnungen, intensiv scheppernden Solo-Konzepts über die vollen 40 Minuten zugestehen, etliches an Phrasierungen fand keinen Ausweg aus der Wiederholungsschleife, wer damit im Vorprogramm bereits seine Probleme hatte, sollte beim monotonen Endlos-Flow des Hauptacts kaum Linderung erfahren.
Diejenigen, die das voluminösere Orkan-Wüten des Massakers an diesem Abend vermissten, können sich alternativ an den wiederveröffentlichten Longplayer-Perlen von Brötzmann und seiner Band wie „Black Axis“ oder „The Tribe“ schadlos halten, die Alben sind als remasterte Versionen kürzlich beim amerikanischen Experimental-Metal-Label Southern Lord der beiden Sunn-O)))-Gitarristen Greg Anderson und Stephen O’Malley erschienen, und damit war klar, warum sich der deutsche Ausnahmegitarrist aus Wuppertal als Begleiter für die Tour der US-Drone-Metal-Institution aus Seattle/Washington in hiesigen Landen förmlich aufdrängte.

Die Veranstalter des Münchner Feierwerks verlegten den Auftritt von Sunn O))) im Rahmen der aktuellen Tour in die geräumigeren Örtlichkeiten des Backstage-Areals, nachdem beim letzten rituellen Klangrausch im Herbst 2016 die Halle des Hansa39 hinsichtlich Besucherandrang aus allen Nähten platzte. Durch mehr räumlichen Komfort hielten sich die klaustrophobischen Anwandlungen in der obligatorisch dichten, die Sicht komplett verhüllenden Trockeneis-Suppe zu Beginn des Konzerts etwas in Grenzen – zum erwarteten, vollumfänglichen Angriff auf nahezu alle Sinnesorgane und die Physis als solche geriet die über 90-minütige Wall-Of-Sound-Erschütterung unter dem Motto „Let There Be Drone“ im mystischen Nebel trotzdem einmal mehr.
Spürbare Vibrationen im Vollkörper-Kontakt, unfassbare, berstene Lärm-Erschütterungen im Zeitlupen-Tempo, die das Hörvermögen trotz Ear-Plugs auch Tage später nicht verzeiht, bei gleichzeitiger Kontemplation und meditativer Versenkung in den dröhnenden Klangwellen, damit sieht sich das Konzertvolk gemeinhin konfrontiert, sollte es sich den rituellen Exerzitien der experimentellen Metal-Formation um die beiden Drone-Doom-Größen Greg Anderson und Stephen O’Malley hingeben. Wie stets einheitlich in mittelalterliche Kutten gewandet, geriet der diesjährige Auftritt der Musiker von Sunn O))) zur rein instrumentalen Aufführung, der gelegentlich bei Konzerten begleitende Sänger Attila Csihar war heuer nicht zu Gast.
Stephen O’Malley erging sich im steten Flow über eineinhalb Stunden in zähen, an der Nähe zur Unkenntlichkeit deformierten, dunkel schwärenden Gitarrenriffs, die weder Melodie noch Rhyhtmus erkennen ließen, „Musik“ in völligen Auflösung von Grenzen und Strukturen, seine an berstende Dämme und in sich zusammenfallende Mauern erinnernden Neudefinitionen von atonaler Langsamkeit begleitete Greg Anderson kongenial an seiner Gibson in gleicher Tempo-Reduzierung nahe am Stillstand in gedehnter Feedback-Aussteuerung. Weder auf Tonträgern der Band noch in der konzertanten Katharsis sind konventionelle Songs auch nur annähernd zu erkennen, der Sound der beschwörend gestikulierenden Drone-Mönche ist ein gründlich zermürbender Mahlstrom, eine einzige und vor allem einzigartige Herausforderung an die Hörgewohnheiten, die Negierung von allem, was in der herkömmlichen Rockmusik als konventioneller Standard gilt. Pausen und Tempi-Wechsel gibt es nicht in dieser gedehnten Grenzerfahrung für Leib und Seele, tiefes Bass-Brummen und diverse Ambient-Abtraktionen aus Moog und anderen Synthie-Gerätschaften verleihen dem schwergewichtigen, minimalistischen Gitarren-Mäandern lediglich mehr Volumen, lassen aber keineswegs weitere virtuose Blumen blühen. Die atonale Trance-Erschütterung erfährt erst gegen Ende des Konzerts einen Funken Farbe und Varianz durch gepflegten, gedehnten Doom-Jazz aus der Posaune, der sich – einem jüngsten Gericht gleich – in der finalen Sound-Apokalypse im weißen Rauschen und in übersteuerten Feedbacks auflöst.
Konzert-Enden bergen bei Sunn O))) vor allem etwas von Erlösung in sich, wo zu anderen Gelegenheiten nach Zugaben verlangt wird, hatten die am Montag zusätzlich angehängten zehn Minuten kaum Mehrwert, der reguläre Set reichte beim Publikum völlig zur Erschütterung der mentalen Grundfeste. Dreingabe wird es in diesem Jahr nach der im Frühjahr erschienenen LP „Life Metal“ und der laufenden Tour noch eine weitere geben, mit der zweiten 2019er-Veröffentlichung der Band, das Album „Pyroclasts“ ist für den 25. Oktober angekündigt.

A-Sun Amissa + BaShBozouki´s @ Glockenbachwerkstatt, München, 2019-10-03

Mit dem Etikett „Psychedelische Kunst der Einheit“ als thematischer Aufhänger war das präsentierte Doppel-Konzert in der Münchner Glockenbachwerkstatt am vergangenen Feiertag des 3. Oktober überschrieben. Während das Gros der hiesigen Nachtschwärmer den nationalen Gedenktag auf dem Oktoberfest begoss – oder vielleicht auch mit reichlich Alkoholika verdrängte – fand sich eine überschaubare Schar an Unbeirrbaren im Saal der „Glocke“ zur experimentellen Beschallung ein. Den Abend eröffnete Konzert-Veranstalter Asmir Šabić aka Chaspa Chaspo himself mit seinem Ein-Mann-Projekt BaShBozouki´s. Der Musiker, den man neben seiner jahrelangen Organisations-Arbeit für zahlreiche exzellente, handverlesene Konzerte im Rahmen des Maj Musical Monday, des Noise Mobility Festivals oder in Einzel-Veranstaltungen in Sachen Postrock-, Electronica- und Jazzrock-Crossover im Stadtteiltreff auch als Kollaborateur von Bands wie Majmoon oder D’Aqui Dub kennt und schätzt, bot für gut 40 Minuten in freier Improvisation einen gelungenen Grenzgang zwischen Tradition und Moderne. Šabić ließ den Flow des elektrisch verstärkten Bouzouki-Sounds und seine sporadischen, klagenden, zu Chören gesampelten Gesänge in Anlehnung an Generationen-übergreifende Balkan-Folklore und uralte Südost-europäische Volksweisen auf den geloopten Beat der Synthie-Maschinen, auf pochende Trance-Drones und abstrakte Industrial- und Techno-Elemente treffen. Der Künstler selbst merkt zu seinem Ansatz der konzeptionellen Verbindung aus Vergangenheit und Zukunft, aus jahrhundertealten Volksmusik-Traditionen und futuristischer Electronica-Anreicherung an: „Es ist eine Live-Performance, die Geschichten von bewaldeten Bergketten und wilden Flüssen erzählt. Ein musikalisches Crossover von Melodien, Beats, Gedanken, einer Ästhetik, die von Arbeit, der Fremde, der Heimat und von dem Dazwischen berichtet. Es ist die Musik, die uns hält, die uns die Vielfalt der Welt zeigt; geschrieben, um uns zu fangen, um unsere Seelen zu retten“. Ob die ein oder andere Seele an diesem Abend ihre Rettung erfuhr, bleibt bis auf weiteres ungeklärt, Schaden dürfte an dieser in den Bann ziehenden, höchst erbaulichen Klang-Kollage sicher niemand genommen haben. Über eine geglückte oder misslungene deutsche Einheit streiten bis heute Historiker und Politiker in diesem Land, die gelungene Verschmelzung von Alt und Neu in Sachen experimentelle Balkan-Folk-Electronica ließ am vergangenen Donnerstag-Abend hingegen keine zwei Meinungen zu. In dieser oder ähnlicher Form darf Asmir Šabić in Zukunft gerne jede seiner anberaumten Veranstaltungen eröffnen.

Hinsichtlich hypnotischer Wirkung des Sounds wusste der Hauptact der Veranstaltung für die folgenden fünfzig Minuten die Dosierung nochmals um ein Vielfaches zu steigern. Der englische Multimedia-Künstler Richard Knox ist derzeit auf Konzertreise zur Promotion des neuen Albums „For Burdened And Bright Light“ in unseren Breitengraden unterwegs, der Longplayer seines Kollektivs A-Sun Amissa erschien im vergangenen Monat als Co-Produktion des belgischen Labels Consouling Sounds und Knox‘ eigener Indie-Firma Gizeh Records. Der in zahlreichen weiteren Formationen engagierte Multiinstrumentalist arbeitete in der Vergangenheit bereits mit so profilierten Postrock- und Experimental-Musikern wie der bezaubernden Jo Quail oder Oiseaux-Tempete-Mastermind Frédéric D. Oberland zusammen, auf der aktuellen Tournee wird er von seiner Partnerin Claire Knox begleitet. Das Duo entwarf zu den bewegten Schwarz-Weiß-Bildern vom archaischen, immerwährenden Wogen der Meeres-Gezeiten, von Impressionen aus dem Regenwald-Unterholz und von urzeitlichen Höhlen-Lagerfeuern ein dunkel fließendes, Text-freies Klang-Mäandern, das der Eindringlichkeit der wunderschönen Filmbilder einen bedrohlichen, ins Geheimnisvolle driftenden, bedeutungsschwangeren Unterton verlieh und seine Sog-artige Wirkung zur meditativen Kontemplation entfaltete. Knox selbst entlockte den Maschinen-Gerätschaften finstere, experimentelle Doom-, Kraut- und Electronica-Drones, wob handgemachte Klangfarben mit seinen klar angeschlagenen Gitarrenriffs ein und verfeinerte den Sound mit Samplings von analogen Tapes, die er im Verlauf der schwärenden, raumgreifenden und in den Bann ziehenden Symphonie mehrfach von Hand im Kassetten-Deck austauschte. Das tiefe Brummen der atmosphärischen Düsternis verstärkte Claire Knox mit Bogen-bestrichenen E-Bass-Saiten und gespenstischen, durch den Verzerrer abstrahierten, vokalen Lautmalereien. Die Dimension dieser improvisierten Komposition dehnte sie bisweilen mit Hilfe melancholischer Klarinetten-Phrasierungen in Richtung Free- und Dark-Jazz, in dem Kontext fast ein versöhnliches Element zur Minderung der tonalen Schwermut, wie die gegen Ende des Konzerts eingewobenen, pointierten, wenigen Dur-Töne in den Gitarren-Melodien.
Mit dieser intensiven Klang-Erfahrung zwischen abgründiger Schwere und entrückter Schönheit zeigten Richard und Claire Knox im minimalisitischen Duett, dass der Postrock von A-Sun Amissa keine stilistischen Grenzen kennt: wo die herkömmlichen Bands des Genres kaum den Blick über die Soundwände der E-Gitarren-Crescendi wagen oder – im schlimmsten Fall – irgendwann daran zerschellen mögen, sind diese Kreativitäts-einengenden Barrieren für die Klangreisen des Kollektivs aus Manchester keine Limitierung und kaum mehr als eine Spielart unter vielen.

A-Sun Amissa sind in den kommenden Tagen noch zu folgenden Gelegenheiten live zu sehen, highly recommended:

08.10.Dresden – Zentralwerk
09.10.Hamburg – FSK-HH
10.10.Rotterdam – WORM
11.10.Gent – Herberg Macharius
12.10.Diepenheim – HANS Festival
05.12.Sheffield – Record Junkee – w/ Hundred Year Old Man & E-L-R