Alternative Rock

Steve Wynn & Chris Cacavas @ Unter Deck, München, 2019-12-01

Lange war auf dem Tourflyer mit den boxenden Bären nichts von einem München-Termin zu lesen, zum Ende der Europa-Tour fand sich doch noch Gelegenheit für einen gemeinsamen Gig der befreundeten Musiker Steve Wynn und Chris Cacavas auf der kleinen Bühne im Innenstadt-Club Unter Deck, ein frühes Weihnachtsgeschenk für alle Fans der altgedienten US-Heroen des Alternative- und Desert-Rock, der gepflegten Indie-Folk-Ballade und der Spielarten des psychedelischen Paisley Underground.
Zum letzten Auftritt der Konzertreise der beiden Altstars im Duett war die Stimmung der Musikanten eine ausnehmend entspannt-gelöste, den Abend der Indie-Nostalgie eröffnete der seit Jahren in Deutschland ansässige Songwriter Chris Cacacas mit einer überschaubaren Handvoll seiner charakteristisch klagenden Balladen: Bewährte, zur Akustik-Gitarre vorgetragene Kleinode in bester Folk-Manier, eine empathisches Geschichten-Erzählen von vergangenen Liebschaften und zerbrochenen Lebensträumen, mit einer Stimme vorgetragen, die der Eindringlichkeit eines Neil Young in nichts nachsteht – ein betroffenes, mitunter wehmütiges Reflektieren in Moll. Die Nummer „Pale Blond Hell“ über die falschen Abzweigungen im Leben verliert auch in der akustischen Version nichts von seiner ergreifenden Intensität, das Gitarren-lärmende Titelstück seines 1994er-Longplayers mit der Band Junkyard Love würde noch heute jeden besseren Crazy-Horse-Tonträger qualitativ aufwerten, in Zeiten von höchst mittelmäßigem, letztlich obsoletem Neil-Young-Output wie dem aktuellen „Colorado“-Album allemal. Zum Ende seines kurzen Eröffnungs-Sets gibt sich Cacavas experimentell an Keyboard-Tasten und Regler-Schrauben, was nach seinen eigenen Worten selten glückt, sympathisches Understatement letztendlich, die Nummer mit hoch melodischem Krautrock-Touch und etwas holpriger Electronica-Behandlung hatte Unterhaltungswert und bot keinen Anlass zur Beanstandung.
Steve Wynn bestreitet den ersten Teil seines Vortrags gleichsam alleine und gräbt an diesem Abend tief in der eigenen Vergangenheit, in der Setlist finden sich zahlreiche Perlen aus den Achtzigern, aus seiner Zeit als Bandleader und Songwriter des stilbildenden kalifornischen, mittlerweile reformierten Alternative-Rock-Quartetts The Dream Syndicate. Ein beseeltes „Out Of The Grey“ bereits zur Eröffnung, Garagen-Punk als solisitische Trash-Übung mit „The Days Of Wine And Roses“, herrliche Versionen der Klassiker „Tell Me When It’s Over“, „That’s What You Always Say“ oder ein nach wie vor loderndes „Burn“, eine hypnotisch-gespenstische Interpretation vom Großwurf „Boston“ hintenraus im Zugaben-Block, garniert mit einer Auswahl aus dem Spätwerk der zahlreichen Solo-Aufnahmen des Wahl-New-Yorkers wie „Cindy, It Was Always You“, „Southern California Line“ oder „What Comes After“, die altgediente Anhängerschaft durften ausgiebig in Erinnerungen an die Hochzeiten des damals aufkommenden Indie-Rock schwelgen, in der Reminiszenz an eine Version der Achtziger, die mit synthetischen, nach wie vor im Mainstream-Radio überstrapazierten Pop-Unsäglichkeiten und abgehobenen Stadien-Superstars vom Schlage Bono und Konsorten absolut nichts gemein hatte. Damit nicht genug, stellte der Meister in einer seiner launigen Ansprachen für das kommende Jahr ein Dream-Syndicate-Touren in hiesigen Landen der 2012 reanimierten Kult-Combo in Aussicht.
Den dritten Teil des Konzert-Abends bespielten die beiden Freunde im Duett, Cacavas am Keyboard begleitend, Wynn die Freiheiten der hart schrammenden Rhythmus-Gitarre auslebend, sich gegenseitig die Bälle wie ein altes, hoch sympathisches, aufeinander eingespieltes Ehepaar zuspielend.
Konzerte der beiden Althelden waren in früheren Zeiten in der Regel einmal jährlich im örtlichen Touren-Kalender zu finden, in jüngster Vergangenheit machten sich die Musiker rar mit München-Besuchen, nach den gut hundert Minuten am Sonntagabend war klar, dass ein Stelldichein auf hiesigen Bühnenbrettern längst wieder überfällig war, mit einer Auswahl an zeitlosem Liedgut, das hinsichtlich zupackendem Songwriting, persönlichen Texten, ergreifend-melodischen Finessen und der beherzten Aufbruch-Stimmung der alternativen Rockmusik vor über drei Dekaden nichts an Stellenwert verloren hat – unkaputtbare Dauerbrenner als solide Denkmäler in Zeiten von permanentem Wandel und kurzlebigen Zeitgeist-Moden. Schöner, beseelter wird’s in Sachen Tradition zum Weihnachtsfest vermutlich auch nicht mehr funkeln…

Konzert-Vormerker: Steve Wynn & Chris Cacavas

Legenden des amerikanischen Alternative Rock im Doppelpack am kommenden Sonntag im Münchner Unter Deck: Der Live-Club im Herzen der Innenstadt präsentiert den Duo-Auftritt von Steve Wynn und Chris Cacavas als letzten Deutschland-Gig im Rahmen der laufenden Europa-Tournee der seit Jahren befreundeten Musiker.

Die beiden Songwriter waren mit ihren Veröffentlichungen ab den Achtzigern stilbildend für die Entwicklungen im Indie-, Folk- und Desert-Rock. Steve Wynn prägte mit seinen Bands The Dream Syndicate und Danny & Dusty wie kaum ein anderer die Spielart des psychedelischen Paisley Underground, der im Folgenden den Sound von allseits bekannten Formationen wie R.E.M., den Bangles oder das Songwriting der neuseeländischen Gitarren-Combos aus der Dunedin-Szene maßgeblich beeinflusste. Daneben veröffentlichte er zahlreiche Solo-Aufnahmen, formierte die kurzlebige Indie-Supergroup Gutterball und das sporadisch mit Konzept-Alben aufwartende Baseball Project. Chris Cacavas wird seit Jahrzehnten für die Veröffentlichungen und Shows mit der Combo Junkyard Love und sein Engagement bei den Tucson/Arizona-Institutionen Green On Red und Giant Sand geschätzt.

Wer bereits in den vergangenen Days Of Wine And Roses Auftritten der beiden US-Indie-Größen beiwohnen durfte, weiß, was am kommenden Sonntagabend zu erwarten ist: Eine Auswahl an exzellentem, zeitlosem Songmaterial aus einem reichhaltigen Œuvre, vorgetragen von zwei herausragenden wie hoch sympathischen Musikern, garniert mit der ein oder anderen humorigen Anekdote aus dem prallen Leben im Auftrag des Rock and Roll.

Steve Wynn & Chris Cacavas
Unter Deck, Oberanger 26, München
1. Dezember 2019, 20.30 Uhr.

The Thurston Moore Group + Rattle @ Strom, München, 2019-10-27

Als „The Ultimate Church Of Sound“ beschrieb einst in einem Interview der englische Throbbing-Gristle-/Psychic-TV-Weirdo Genesis P-Orridge die eruptiven Erschütterungen der Jimi Hendrix Experience, was der Gitarrengott aus Seattle für die Rockmusik der späten Sechziger im Alleingang leistete, darf sein Landsmann Thurston Moore zwanzig Jahre später für den No-Wave-, Noise, Experimental- und Alternative Rock vermutlich nicht ausschließlich komplett für sich selbst in Anspruch nehmen, maßgeblich mit stilbildend für den Indie-Sound ab den auslaufenden Achtzigern war er zweifellos mit seinem unverwechselbaren Gitarrenspiel bei der New Yorker Indie-Vorzeigekapelle Sonic Youth, die seinerzeit neben Moore mit Bandkollegen Lee Ranaldo einen weiteren Meister der krachenden sechs Saiten in ihren Reihen hatte.
Seit der Bandauflösung 2011 tummelte sich Thurston Moore in diversen Projekten, zwischenzeitlich mit Chelsea Light Moving in einem neuen, kurzlebigen, vielversprechenden Band-Format, davor und danach zuweilen in experimentellen Kollaborationen, dann wieder in konventionelleren Rock-Songs verhaftet wie auf seinen aktuelleren Alben „Rock n Roll Consciousness“ und „The Best Day“.
Seit Mitte September ist mit dem Tripple-Box-Set „Spirit Counsel“ sein jüngstes Werk in den (virtuellen) Plattenläden zu haben, und mit der Live-Aufführung der beiden ausladenden Instrumental-Nummern „ALICE MOKI JANE“ und „8 Spring Street“ kamen Thurston Moore, seine langjährigen Begleiter, die My-Bloody-Valentine-Bassistin Debbie Googe und der englische Gitarrist James Sedwards, plus ein neuer Mann an den Drums als Steve-Shelley-Ersatz einer experimentellen, modernen Variante der eingangs zitierten ultimativen Sound-Kirche sehr nahe.
Thurston Moore strebte mit dem kollektiven Improvisieren vertrauter wie avantgardistischer Gitarren-Tunes in perkussiver Begleitung einen spirituellen Geisteszustand an – Kontemplation und Energie, die ihre Kraft ungebremst vom Bühnengeschehen in Richtung Auditorium ausstrahlte. In der ersten Nummer würdigte der Noise-Großmeister die Jazz-Größen Alice Coltrane, Moki Cherry und Jayne Cortez, allesamt selbst Klangforscherinnen, die mit ihrer Musik die höheren Bewusstseinszustände anstreben.
„8 Spring Street“ ist die New Yorker Adresse des Apartments, in dem Thurston Moore seinem Mentor Glenn Branca in den späten Siebzigern zum ersten Mal zu einer gemeinsamen Probe begegnete. Der Geist des im vergangenen Jahr verstorbenen Minimal-/Drone-Pioniers schien über dem kompletten Set zu schweben, zuforderst in schier endlosen, minimalistischen, hypnotisch sich permanent wiederholenden Gitarrenriff-Schleifen. Branca, sein „Guitar Orchestra“ und Moores frühe Mitarbeit an den Ensembles des Avantgarde-Komponisiten wurden in einer ausgedehnten Zugabe als maßgeblicher Einfluss auf den späteren Klangkosmos des Sonic-Youth-Gründers gewürdigt.
Ein Klangkosmos, den Thurston Moore in seinen aktuellen, Gesangs-freien konzertanten Aufführungen grandios ergreifend offensichtlich zur Gänze entfaltet. Eingangs ruhige Ambient-Klänge, die sich nach minutenlanger Gitarren-Mediation in Richtung gängige Indie-Rock-Riffs mit dem vertrauten Sonic-Youth-Klirren und -Dröhnen entwickeln, um nach mehreren, wiederholten Improvisations-Mutationen in zwischenzeitlichen, übersteuerten Feedback-Orgasmen zu explodieren. Dazwischen, danach, wiederholt Postrock-artige Crescendi, lärmend-hymnische Soundwände, experimentelles Bleistift-Spreizen zwischen die Gitarren-Saiten zum Erzeugen exotischer, asiatisch angehauchter Drone-Töne. Die schiere Wucht und die Vielfalt der tonalen wie atonalen Ausdrucksformen auf Thurston Moores 12-saitigem Fender-Instrument, der seine Mitmusiker wie das Publikum gebannt konzentriert beiwohnen und folgen, ist mit Worten kaum zu beschreiben, ansatzweise ist es auf dem aktuellen Tonträger erlebbar, den Klang-forschenden Genius und die Kraft der ausladenden Stromgitarren-Kompositionen wird man voll umfänglich nur in der Live-Version erfassen. Wohl denen, die am vergangenen Sonntagabend im Münchner Strom diesem erschütternden Beben beiwohnen durften. Wer Songs erwartete, könnte ein langes Gesicht zur Schau getragen haben, wer weiß. Die mit den offenen Ohren und der unvoreingenommenen Herangehensweise ernteten reichhaltig, pures Gold gar.

The Thurston Moore Group live dieser Tage, dringende Empfehlung: heute Abend in Frankfurt/Main, im Das Bett. Weitere Termine im alten Europa:

31.10.Antwerpen – Filter Festival
01.11.Den Haag – Crossing Border festival
02.11.Nantes – Soy Festival
03.11.Berlin – Festsaal Kreuzberg
09.11.Kortrijk – Sonic City Festival
10.11.Salford – The White Hotel

Bevor Meister Moore und die Seinen zu fortgeschrittener Stunde am Sonntagabend die Bühne des Strom-Clubs beehrten, durften die beiden jungen Engländerinnen Katharine Eira Brown und Theresa Wrigley vom Postpunk-Duo Rattle aus Nottingham für eine knappe, verschwendete halbe Stunde ihre Trommelkünste demonstrieren. Allzuweit war’s damit nicht her, um es kurz zu machen. Eine gemeinsam bespielte, repetitiv-druckvolle Uptempo-Rhythmik an der Grenze zur schnörkellosen Monotonie, zu der die Ladies sich das Hi-Hat teilten und Katharine Brown angelegentlich ihre beschwörenden Gesänge anstimmte. This Heat für Arme, die Beschallung zum rituellen Hypnose-Tanz vollgedröhnter Halbnackter ums Feuer. Da im Saal weder ein Feuer loderte (durch diesen Sound schon mal gar nicht entfacht) noch irgendwelche sedierten Entblößten rumturnten, war’s ein sich schnell abnutzendes Unterfangen – beim dritten Gähnen war der Trommel-Workshop durchgefallen…

Reingehört (542): Ed Fraser

Ed Fraser – Ghost Gums (2019, This Charming Man Records)

Ed Fraser geht fremd. Vielleicht lag es an der feschen Bassistin mit dem schönen Namen Rosa Mercedes, wer weiß? Ein nachvollziehbarer Grund wär’s allemal. Und Zählbares ist auch dabei rumgekommen. Der seit gut fünf Jahren in Berlin ansässige Australier nimmt Auszeit vom angestammten Noise/Postpunk-Trio HEADS. und wandelt auf Solopfaden mit Unterstützung von erwähnter Frau Mercedes, dem Drummer Spike Rogers und einer Handvoll Musiker des Postmetal-Kollektivs The Ocean. Wo’s bei der Stammformation oft um einige Härtegrade massiver im Anschlag und in der Stimmungslage zappenduster zugeht, lässt Fraser im Songwriter-Postpunk seiner sechs Solo-Arbeiten bisweilen einen Funken Licht scheinen, wenn der bedeutungsschwangere Indie-Sound gleichwohl längst nicht die Beschallung für den nächsten feucht-fröhlichen Umtrunk liefert. Die illusionslose Realität und kalte Romantik der Großstadt-Betonwüsten in nachhallenden Desert-Gitarren und voluminösem Mid/Downtempo-Rhythmus eingefangen, dunkel und atmosphärisch dem Geist vom dahingegangenen Jeffrey Lee Pierce und dem Neo-Blues der Beasts Of Bourbon oder anderer sinisterer australischer Landsmänner wie Hugo Race oder dem großen Cave im Hier und Jetzt nachgespürt, mit den Mitteln des alternativen, rauen Noise-Rock, das mag als beschreibende Wegmarke dienen.
In unerschöpflichen Themen wie der Auseinandersetzung mit dem Verlust und den unergründlichen Wendungen der Liebe (die Bassistin?) zeigt sich Ed Fraser von seiner persönlichen Seite, die er im Verbund mit den beiden etatmäßigen Mitmusikern von HEADS. offenbar nicht ausleben kann, die gute halbe Stunde von „Ghost Gums“ als individueller kompositorischer und lyrischer Darkroom, sozusagen. Es gibt in der Historie der populären Musik nicht wenige Verirrungen, in denen das eigenständige Rudern im Beiboot fernab des Mutterschiffs jäh an den rauen Klippen der kritischen Würdigung zerschellte, siehe etwa unsägliche Auswürfe an Sondermüll von Größen wie Jagger und Richards, das pure Grauen der Keith-Moon-Solo-Scheibe, freudlose Ergüsse aus dem Hause Pink Floyd oder die neuesten Thom-Yorke-Belanglosigkeiten, die Beispiele für derart überflüssige Ressourcen-Verschwendung sind Legion – Ed Fraser muss sich dagegen mit seinem ersten Alleingang nicht einreihen in die Liga der solistischen Rohrkrepierer, alles im grünen Bereich beim Wahlberliner.
„Ghost Gums“ erscheint am 13. September beim deutschen Indie-Label This Charming Man Records in Münster, vielleicht gibt’s vorab noch das ein oder andere ausgedehntere Ton-Beispiel, we’ll keep you informed.
(*****)

Raut-Oak Fest 2019 @ Riegsee, 2019-06-29

Der Samstag/Tag 2 des Raut Oak am Riegsee eröffnete mit einem heimischen Beitrag aus dem Münchner Hause Gutfeeling Records: Wo Kapellmeister Andreas Staebler aka G.Rag im vergangenen Jahr mit seinen Hermanos Patchekos das gute Gefühl beim sonntäglichen Faulenzen und den Genuss beim Blicke-Schweifen über das herrliche Bergpanorama im Grünen zusätzlich mit opulenten wie wunderbar schrägen Big-Band-Sounds beförderte, war heuer die schmale Trio-Besetzung der G.Rag/Zelig Implosion Deluxxe angezeigt. Zusammen mit Drummer Mikel „Mr. Zelig“ Jack und Electronica-Tüftler Fritz Fritzmann lieferte Gitarrist/Sänger Staebler den scheppernden Weckruf für die 2. Festival-Runde am frühen Nachmittag mit einem grundsoliden wie unkonventionellen Einstieg in das Konzert-Programm. Weit ab von rauem Blues und artverwandten Variationen bespielte die Band ihr hochgeschätztes Potpourri aus stoisch reduzierten No-Wave- und Postpunk-Perlen, elektronisch veredelten Cumbia-Rhythmen und experimentellen Ausflügen in die Drone- und Space-Welt des Geräte-schraubenden Synthie-Tüftelns, die Sänger G.Rag zuweilen mit verzerrter Singstimme und dadaistisch-minimalistischer Lyrik bedachte. Mindestens die vor der Bühne versammelten Lokalpatrioten wussten wie zu vielen anderen Gelegenheiten in der Vergangenheit den ewig jungen und frischen Punk/Wave-Swing der Münchner Indie-Institution schwerst zu goutieren und starteten den 2. ROF-Tag im Blauen Land mit einem – genau! – Gutfeeling.

Die nächste Runde gehörte den vier Ladies von The Darts aus Phoenix/Arizona, dort ist es nach Ansage von Sängerin Nicole Laurenne regelmäßig noch wesentlich heißer als am hochsommerlichen Riegsee, mehr als knappe Textilien im Bühnen-Outfit haben die Mädels trotzdem nicht aufgetragen für ihre Bad-Taste-Show im Geiste des Sixties-Trash und der Psychedelic-Garage. Krawalliges Uptempo-Gepolter mit Glam-Appeal, Punk-Drive, Horror-B-Movie-Potential und exzessivem Malträtieren der Weltraum-Orgel. Die Band ist beim Alternative-Tentacles-Label von Jello Biafra am Start und präsentierte am Samstag vorwiegend das Material des Ende Mai erschienenen aktuellen Longplayers „I Like You But Not Like That“. Wer’s braucht, war vorn am Bühnenrand, alle anderen im Schatten unter der Eiche oder am Bierstand. Lux Interior hätte sich bei der Wahl zwischen Weibsen oder Drinks wohl zerreißen müssen, aber dieses Dilemma ist ja eine altbekannte Geschichte…

Gritty Tails of the Essex Underworld: Feinsten britischen Pub-Rock zelebrierten Eight Rounds Rapid aus dem südenglischen Southend On Sea. Wer sich spontan an die schneidigen Gitarren-Riffs von Dr. Feelgood’s Wilko Johnson erinnert fühlte, lag goldrichtig und musste nicht lange nach den Wurzeln suchen: ERR-Gitarrist Simon Johnson ist als Sohn des einflussreichen Musikers familiär geprägt vom englischen Prä-Punk der Siebziger und hat sich dabei unverkennbar den ein oder anderen Griff vom Altvorderen abgeschaut. Die Band lieferte im feinen Zwirn bei brütender Hitze ein vollmundiges Gebräu aus der harten Rhythm’n’Blues-Mutation der englischen Kaschemmen und Reminiszenzen an die Aufbruch-Jahre des Punk-Rock auf der Insel vor gut vier Dekaden, mit Verweisen auf die Mod-Nummern des frühen Paul Weller mit The Jam, auf die ungestüme Energie der Pistols bis hin zum fortgeschriebenen PiL-Kapitel. Speziell die stilistische Nähe zu den Johnny-Rotten-Kapellen war durch den schneidenden, fordernden Vokal-Vortrag von Sänger David Alexander offenkundig. Exzellenter erster Eindruck einer bis dato in unseren Breitengraden weithin unbekannten Band, allein dafür ein großes Dankeschön an Organisator Christian Steidl für die Ausgrabung und Präsentation derartiger Perlen.

Großes Staunen und Kinnladen-Runterfallen beim Auftritt von Bones Shake aus Manchester. Sänger David Brennan hat bereits am Vortag mit seinem energischen Auftritt zusammen mit der Combo The Dee Vees mächtigen Eindruck hinterlassen, am Samstag legte er am Spätnachmittag noch eine ordentliche Portion an Bühnenpräsenz und beinhartem Rock’n’Roll-Entertainment drauf. Der rohe, harte und überdrehte Fuzz-Trash und Primitiv-Blues-Rock dröhnte rudimentär und reichlich dissonant mit Gitarre und Drums der Sheffield-Brüder Andy und David aus den Tiefen einer versifften Garage, aus der Brennan in seiner Rolle als sich völlig verausgabender Frontmann wie der sprichwörtliche Springteufel herauskrakeelte, schrie, jaulte und heulte, als seien die letzten Tage und das jüngste Gericht angebrochen. Ein Verrenken, Wälzen auf den Bühnenbrettern und manisches Predigen, das die ohnehin schon völlig kompromisslose Bühnenshow des australischen Bruders im Geiste und Beasts-Of-Bourbon-Vorturners Tex Perkins in seinen besten Zeiten um ein Vielfaches steigerte und auf die Spitze trieb. Mehr Intensität und frenetisches Fiebern beim Grenzen-niederreißenden Herauskehren der inneren Dämonen und wütenden Entladen der Energie ist kaum vorstellbar. Großes Underground-Blues-Kino und damit selbstredend einer der exzellentesten Momente der ROF-2019-Ausgabe. Das jüngst bei Abattoir Blues Record, dem Label von Bandleader David Brennan erschienene Vinyl „Sermons“ ist auch ein sehr feines Teil für alle Freunde der raueren Gangart des Blues.

Zum Auftritt von Repetitor darf das Kulturforum zur Abwechslung mal ganz unbescheiden aufs Blech hauen: Dezenten Hinweis auf das Glockenbachwerkstatt-Konzert der serbischen Postpunk-Granaten im vergangenen Herbst an ROF-Mastermind Christian Steidl gesteckt, der fand Gefallen und hat postwendend mit dem Vertrag gewedelt, das Publikum am Samstag war nicht minder angetan vom Auftritt des gemischten Trios aus Belgrad, alles paletti. Die furios aufspielenden Rhythmus-Musikerinnen Milena Milutinović und Ana-Marija Cupin und ihr in Sachen Intensität in nichts nachstehender Band-Kollege Boris Vlastelica an Gitarre und Gesang zündeten ein Feuerwerk an Postpunk-Vehemenz und progressiven Ideen im Uptempo-Drive ihrer ureigenen Interpretation des harten, lauten und schnellen Alternative-Rock. Virtuos treibende Bass-Linien, entfesseltes Getrommel, schwergewichtige Gitarren-Attacken und verzweifeltes Herausschreien in offensiver Bühnen-Präsentation versetzen große Teile des Publikums in euphorische Ekstase, für nicht wenige war der scharfe Balkan-Noise einer der herausragenden Sets des Festivals. Wer die Band bereits bei früheren Gigs erleben durfte, war nicht wirklich überrascht vom schwer für sich einnehmenden Auftreten der entfesselt aufspielenden Formation, die drei jungen Musiker_Innen haben im Postpunk und seinen zahlreichen Nebensträngen eine eigene Sprache gefunden, die frontal und mit überbordendem Spielwitz zum Vortrag kommt. Der exzellent abgemischte Sound tat das Seine zum herzerfrischenden, frenetisch beklatschten Repetitor-Orkan, zu dem selbst die gröbsten Feedback-Dissonanzen noch glasklar und differenziert vernehmbar waren. Mit derart beherztem Herangehen schreibt man wohl Raut-Oak-Geschichte. Nächstes Jahr gerne wieder.

Die Brüder Aled und Brenning Clifford aus Wales beeindruckten als klassisches Gitarren/Drums-Duo Henry’s Funeral Shoe durch erdigen Heavy-Blues, wuchtige Soul-Grooves und lärmenden Rock’n’Roll, die Mixtur zeigte in der Form auf dem Festival gewiss keine neuen Perspektiven des Genres im Raut-Oak-Standardformat auf, wurde aber energisch, im satten Anschlag und mit Herzblut durch das fein abgemischte Equipment gerockt und ist damit selbstredend eine lobende Erwähnung wert. Slide-Gitarrist Aled Clifford hat sein Handwerk vom langjährigen Van-Morrison-Musiker Ned Edwards erlernt, da ist unzweifelhaft so manche Unterrichtsstunde auf fruchtbaren Boden gefallen. Dieser Umstand und seine raue, voluminöse Bluesmänner-Stimme wie der druckvolle Trommelanschlag seines jüngeren Bruders Brenning sorgten allemal für ein breites Grinsen bei den Freunden ausladender E-Gitarren-Soli und grundsolider, harter Bluesrock-Kost.

In den Abendstunden des Samstags stand der bei weitem kontroverseste Auftritt beim diesjährigen Raut Oak an: Am durchgeknallten Gig des deutschen Duos Dÿse schieden sich die Geister, wo es zu vielen exzellenten Festival-Auftritten keine zweite Meinung gab, war zum Gewerk der Herren Dietrich und van Gohl dahingehend reichhaltige Diversität bei der Konsumenten-Schar geboten. Rammstein für Harzer? Helge Schneider goes Noise-Rock? Schwer erträgliches Blöd-Geblubber, wo man bekloppt von wird, einhergehend mit durchaus ansprechendem, lärmendem Rockmusik-Gewerk – oder tatsächlich genial-spontaner Dadaismus, mit schmissigem, schwerst gefälligem und brachial nach vorne abgehendem Trash-Metal orchestriert? Bis zur abschließenden Klärung dieser Fragen und dem Ausräumen aller etwaigen Unklarheiten: Sag einfach Hans zu mir… (Indifferent-Achselzuck und ab).

Mittlerweile Dauergäste beim Raut Oak sind Left Lane Cruiser aus Fort Wayne/Indiana, fortwährend gebucht und hochwillkommen wie der großartige Orgel-Wizard James Leg, der am kommenden Tag seinen großen Auftritt haben sollte, gehört das Trailerpark-Hardblues-Duo mittlerweile zum festen Inventar der Veranstaltung – und doch war nicht alles beim Alten zum 2019er-Gig: Fredrick „Joe“ Evans IV hat sich extra fein gemacht und war beim Bader („Barber Shop“ heißt der Friseur heutzutage bei den Rauschebart-Hipstern im Glockenbachviertel, in Williamsburg und allen anderen tot gentrifizierten Nachbarschaften), und eine Handvoll neue Songs wie einen neuen Trommler hatte er auch im Schlepptau. Pete Dio kümmert sich daheim in den Staaten um den Nachwuchs, dafür durfte Johnny Revers als Ersatz die Stöcke schwingen, weitaus defensiver und zurückgenommener als sein Vorgänger, was dem rauen und unverblümt aus der Hüfte geschossenen, hart und unverdaut vor die Front gerotzten Slide-Riffs und den Einsichten aus der prekären Welt der „Abgehängten“ im Mittleren Westen der US of A von Gitarrist/Sänger Evans etwas die schneidende Schärfe nahm. Als singender, Soul-infizierter Drummer im Geiste eines Levon Helm macht der Mann mit dem imposanten Bartwuchs in einer Handvoll an Nummern obendrein eine gute Figur. Evans der Vierte sorgte mit seinem permanenten „Fucking-dies-und-fucking-das“-Gefluche, polternden Knurren und Zuprosten zwischen den beinharten Trash- und Punk-Blues-Ausbrüchen dafür, dass es nicht allzu gemütlich wurde. Die hochgefahrene Lautstärke intensivierte den wie seit eh und je überwältigenden Auftritt der Blues-Berserker, eine schweißtreibende und herzerfrischende Angelegenheit, aber damit erzählt man der Raut-Oak-Gemeinde weiß Gott nichts grundlegend Neues, und das ist in dem Fall auch gut so.

Zu den Klängen von Radio Moscow ging es in Richtung heimatliche Gefilde, um Mitternacht war nach nahezu zehn Stunden konzertanter Beschallung, anregenden Gesprächen in den Umbaupausen und einem kurzen Abstecher an die Tiki-Bar der Almost Boheme die Aufnahmefähigkeit am Tiefpunkt, über die Psychedelic-Combo aus Iowa stand an dieser Stelle im Rahmen der Platten-Besprechung zum letzten Werk „New Beginnings“ folgendes zu lesen: „Bandgründer, Sänger und Multiinstumentalist Parker Griggs und die beiden anderen Langhaarigen hören sich auch auf dem fünften Radio-Moscow-Album so an, wie die Optik der Band mit dem ersten Gedanken spontan vermuten lässt: nach Heavy-Sound, Marshall-Boxen-Türmen, ausladenden Gitarren-Soli, rausgerotzten Rock’n’Roller-Weisheiten, säuerlichen Alkohol-Ausdünstungen am Tag danach, eingefangen in Biker-Garagen-Atmosphäre, die Luft geschwängert vom Motorenöl-Duft, Rauchwaren-Schwaden und dem Aroma von verschüttetem Bier“ – in der vernommenen ersten halben Stunde des ROF-Gigs des Power-Trios hat sich das nicht viel anders ausgenommen, die Band ist in den längst vergangenen Zeiten des Siebziger-Blues-Rock verhaftet, im ausgedehnten Ausleben der Gitarren-Exzesse zwischen Wah-Wah-Verzerrungen, psychedelischen Sound-Trips und endlosem Flow, getrieben vom wummernden Rickenbacker-Bass und einer latent zu schnellen, ausladenden Drum-Rhythmik, die das aus der Zeit gefallene Retro-Gebräu in Richtung Stoner-Härte drängt.
Zum Konzert des jungen spanischen Trash/Psychobilly-Duos Yo Diablo lassen sich mangels Anwesenheit nur die Zeugen vor Ort zitieren, es herrschte wohl einhellige Meinung, dass die Band mit ihrem zum orientalischen Swing neigenden Desert-Blues-Geschrammel völlig zu überzeugen wusste und damit jede/r das abrupte Ende des Auftritts um 3 Uhr morgens zwecks verordneter Nachtruhe schwerst bedauerte. Zweite Chance im nächsten Jahr, vielleicht?

ROF 2019 / Day 3 – coming soon…