Strom

The Thurston Moore Group + Rattle @ Strom, München, 2019-10-27

Als „The Ultimate Church Of Sound“ beschrieb einst in einem Interview der englische Throbbing-Gristle-/Psychic-TV-Weirdo Genesis P-Orridge die eruptiven Erschütterungen der Jimi Hendrix Experience, was der Gitarrengott aus Seattle für die Rockmusik der späten Sechziger im Alleingang leistete, darf sein Landsmann Thurston Moore zwanzig Jahre später für den No-Wave-, Noise, Experimental- und Alternative Rock vermutlich nicht ausschließlich komplett für sich selbst in Anspruch nehmen, maßgeblich mit stilbildend für den Indie-Sound ab den auslaufenden Achtzigern war er zweifellos mit seinem unverwechselbaren Gitarrenspiel bei der New Yorker Indie-Vorzeigekapelle Sonic Youth, die seinerzeit neben Moore mit Bandkollegen Lee Ranaldo einen weiteren Meister der krachenden sechs Saiten in ihren Reihen hatte.
Seit der Bandauflösung 2011 tummelte sich Thurston Moore in diversen Projekten, zwischenzeitlich mit Chelsea Light Moving in einem neuen, kurzlebigen, vielversprechenden Band-Format, davor und danach zuweilen in experimentellen Kollaborationen, dann wieder in konventionelleren Rock-Songs verhaftet wie auf seinen aktuelleren Alben „Rock n Roll Consciousness“ und „The Best Day“.
Seit Mitte September ist mit dem Tripple-Box-Set „Spirit Counsel“ sein jüngstes Werk in den (virtuellen) Plattenläden zu haben, und mit der Live-Aufführung der beiden ausladenden Instrumental-Nummern „ALICE MOKI JANE“ und „8 Spring Street“ kamen Thurston Moore, seine langjährigen Begleiter, die My-Bloody-Valentine-Bassistin Debbie Googe und der englische Gitarrist James Sedwards, plus ein neuer Mann an den Drums als Steve-Shelley-Ersatz einer experimentellen, modernen Variante der eingangs zitierten ultimativen Sound-Kirche sehr nahe.
Thurston Moore strebte mit dem kollektiven Improvisieren vertrauter wie avantgardistischer Gitarren-Tunes in perkussiver Begleitung einen spirituellen Geisteszustand an – Kontemplation und Energie, die ihre Kraft ungebremst vom Bühnengeschehen in Richtung Auditorium ausstrahlte. In der ersten Nummer würdigte der Noise-Großmeister die Jazz-Größen Alice Coltrane, Moki Cherry und Jayne Cortez, allesamt selbst Klangforscherinnen, die mit ihrer Musik die höheren Bewusstseinszustände anstreben.
„8 Spring Street“ ist die New Yorker Adresse des Apartments, in dem Thurston Moore seinem Mentor Glenn Branca in den späten Siebzigern zum ersten Mal zu einer gemeinsamen Probe begegnete. Der Geist des im vergangenen Jahr verstorbenen Minimal-/Drone-Pioniers schien über dem kompletten Set zu schweben, zuforderst in schier endlosen, minimalistischen, hypnotisch sich permanent wiederholenden Gitarrenriff-Schleifen. Branca, sein „Guitar Orchestra“ und Moores frühe Mitarbeit an den Ensembles des Avantgarde-Komponisiten wurden in einer ausgedehnten Zugabe als maßgeblicher Einfluss auf den späteren Klangkosmos des Sonic-Youth-Gründers gewürdigt.
Ein Klangkosmos, den Thurston Moore in seinen aktuellen, Gesangs-freien konzertanten Aufführungen grandios ergreifend offensichtlich zur Gänze entfaltet. Eingangs ruhige Ambient-Klänge, die sich nach minutenlanger Gitarren-Mediation in Richtung gängige Indie-Rock-Riffs mit dem vertrauten Sonic-Youth-Klirren und -Dröhnen entwickeln, um nach mehreren, wiederholten Improvisations-Mutationen in zwischenzeitlichen, übersteuerten Feedback-Orgasmen zu explodieren. Dazwischen, danach, wiederholt Postrock-artige Crescendi, lärmend-hymnische Soundwände, experimentelles Bleistift-Spreizen zwischen die Gitarren-Saiten zum Erzeugen exotischer, asiatisch angehauchter Drone-Töne. Die schiere Wucht und die Vielfalt der tonalen wie atonalen Ausdrucksformen auf Thurston Moores 12-saitigem Fender-Instrument, der seine Mitmusiker wie das Publikum gebannt konzentriert beiwohnen und folgen, ist mit Worten kaum zu beschreiben, ansatzweise ist es auf dem aktuellen Tonträger erlebbar, den Klang-forschenden Genius und die Kraft der ausladenden Stromgitarren-Kompositionen wird man voll umfänglich nur in der Live-Version erfassen. Wohl denen, die am vergangenen Sonntagabend im Münchner Strom diesem erschütternden Beben beiwohnen durften. Wer Songs erwartete, könnte ein langes Gesicht zur Schau getragen haben, wer weiß. Die mit den offenen Ohren und der unvoreingenommenen Herangehensweise ernteten reichhaltig, pures Gold gar.

The Thurston Moore Group live dieser Tage, dringende Empfehlung: heute Abend in Frankfurt/Main, im Das Bett. Weitere Termine im alten Europa:

31.10.Antwerpen – Filter Festival
01.11.Den Haag – Crossing Border festival
02.11.Nantes – Soy Festival
03.11.Berlin – Festsaal Kreuzberg
09.11.Kortrijk – Sonic City Festival
10.11.Salford – The White Hotel

Bevor Meister Moore und die Seinen zu fortgeschrittener Stunde am Sonntagabend die Bühne des Strom-Clubs beehrten, durften die beiden jungen Engländerinnen Katharine Eira Brown und Theresa Wrigley vom Postpunk-Duo Rattle aus Nottingham für eine knappe, verschwendete halbe Stunde ihre Trommelkünste demonstrieren. Allzuweit war’s damit nicht her, um es kurz zu machen. Eine gemeinsam bespielte, repetitiv-druckvolle Uptempo-Rhythmik an der Grenze zur schnörkellosen Monotonie, zu der die Ladies sich das Hi-Hat teilten und Katharine Brown angelegentlich ihre beschwörenden Gesänge anstimmte. This Heat für Arme, die Beschallung zum rituellen Hypnose-Tanz vollgedröhnter Halbnackter ums Feuer. Da im Saal weder ein Feuer loderte (durch diesen Sound schon mal gar nicht entfacht) noch irgendwelche sedierten Entblößten rumturnten, war’s ein sich schnell abnutzendes Unterfangen – beim dritten Gähnen war der Trommel-Workshop durchgefallen…

Mono, Årabrot, Jo Quail @ Strom, München, 2019-04-29

Die japanischen Postrock-Götter Mono als Headliner im Rahmen eines Dreier-Packs am Montagabend im Münchner Strom-Club, eine gern genommene Kombi, zuletzt auf den Tag genau vor zweieinhalb Jahren an selbem Ort präsentiert, wie seinerzeit im Vorprogramm mit einem Solo-Auftritt und einer Combo, die nicht recht in den Kontext der rein instrumentalen Musik passen mochte.

Überpünktlich noch vor offiziellem Konzertbeginn stand die fesche Engländerin Jo Quail mit ihrer Solo-Performance am elektrisch verstärkten Cello auf der Bühne, für drei ausgedehnte Instrumental-Nummern tauchte die klassisch ausgebildete Musikerin aus London den Strom-Saal in dunkle Klangfarben. Quail erwies sich wie bereits zu früheren Gelegenheiten als versierte Grenzgängerin zwischen minimalistischer Neo-Klassik und experimenteller Electronica. Die Rhythmik eingangs gesampelt über das Klopfen des Takts auf die Saiten des Streichinstruments, loopte die Musikerin den so erzeugten Beat und ließ ihn in Endlosschleifen zu finsterem Industrial-Pochen aus den Tiefen der geheimnisvollen Maschine mutieren, darüber legte sie in bewährter Manier ihre getragenen, filigranen, zu Teilen auch dissonanten Cello-Drones, die als organisches Element Kontrapunkt zum synthetisch generierten Trance-Loop setzten.
Wo die ersten beiden Instrumentals „White Salt Stag“ und „Gold“ geheimnisvoll in düsteren Stimmungslagen schwelgten und damit unheilvoll, hypnotisch dräuend in den Bann zogen, zeigte die letzte Nummer „Mandrel Cantus“ vom aktuellen Album „Exsolve“ eine etwas heiterere Seite aus dem Werk der Musikerin, deren notorisch schwarze Gewandung sowieso in völligem Kontrast zu ihrem freundlichen Wesen steht. Mit zusätzlichem Klatschen und perkussivem Trommeln auf der Bespannung ihres Instruments gestaltete sie das ausgiebig zelebrierte Stück zu einer nahezu tanzbaren Nummer mit abschließender, rein in der Neoklassik gehaltenen Coda. Eine weitere höchst erbauliche und erneut viel zu kurz gehaltene Solo-Aufführung der faszinierenden Soundscapes aus der Feder der jungen englischen Komponistin, Trost für Quail-Fans hielt der Abend gleichwohl bereit: Die Cellisitn sollte sich zum heimlichen Star des Abends mausern, mit ihren sporadischen Beiträgen zu den folgenden Auftritten war die Frau omnipräsent, avancierte damit quasi zum personifizierten rote Faden der Veranstaltung.

Der Mittelteil der dreiteiligen Aufführung gehörte dem norwegischen Trio Årabrot: Zu Klängen von Klaus Nomi enterte die Combo die Bühne, im Folgenden geriet die Beschallung im konzertanten Vortrag um etliche Grade derber. Årabrot und vor allem ihr Frontmann Kjetil Nernes haben etliches aus der Historie des Postpunk – hier schwer vermutlich vor allem die ersten PiL-Alben – des Noiserock, Gothic und Grunge und aus diversen krachenden Metal-Spielarten aufgesogen, halbgar verdaut speien sie das Zitierte der Hörerschaft mit Vehemenz vor die Füße. Sänger/Gitarrist Nernes trägt scheint’s die von Großvatern ererbte Mormonen-Gewandung auf und dominiert den Sound mit einer satt dröhnenden Glam-Gitarre, die selbst ein Mick Ronson zu Zeiten von „Ziggy“-Bowie nicht vollmundiger krachen ließ, dazu schwadroniert, rumort und marodiert er im Stile der großen britischen Punk-Krakeeler aus den Spät-Siebzigern auf dem soliden Gerüst seiner beiden Rhythmus-Begleiter. Mit der Nummer „Sinnerman“ durchbrach die Band das ergiebig präsentierte Noise-Schema, Jo Quail begleitete hier am Cello, das Stück mutete wie eine von Nick Cave komponierte Piraten-Ballade an, gesungen von Ober-Sister Andrew Eldritch oder einem extrem schlecht gelaunten Michael Gira – oder war es doch Helge Schneider, wie ein geschätzter Konzert-Begleiter sarkastisch anmerkte? Zum Ende hin riss die Combo das Ruder noch einmal herum und zelebrierte ein exzessiv abrockendes, ausgelebtes Lärmen als finalen Abgesang, zu dem der eingebrachte klassische Streicher-Satz der weiterhin involvierten schönen Jo keine zusätzlichen Akzente setzen konnte und letztendlich vergebene Liebesmüh blieb, zu dominierend war da das Feedback-geprägte Krachen der drei skandinavischen Berserker.
Irgendwas muss am eklektizistischen Gewerk von Årabrot dran sein, selbst der große Steve Albini hat bereits seine helfende Hand beim Platten-Produzieren angelegt, am Montagabend fielen die wertenden Meinungen der Hörerschaft über die vierzig-minütige Brachial-Beschallung hingegen alles andere als eindeutig aus – aber eine gepflegte Kontroverse hat der Wahrheitsfindung noch nie geschadet.

Business as usual aus dem Hause Mono, und das ist bei dem gewohnt hohen Niveau ihrer Konzerte alles andere als ein abfälliges Urteil – selbst der Amerikaner Dahm Majuri Cipolla fügte sich nahtlos und ohne Abstriche mit wuchtigem Anschlag in den zwischenzeitlich vakanten Platz hinter den Trommeln, nachdem der langjährige Drummer Yasunori Takada Ende 2017 zu neuen Ufern aufbrach.
Die japanische Postrock-Institution ist derzeit zur Promotion des aktuellen Tonträgers „Nowhere Now Here“ im Lande unterwegs, das Quartett aus Tokyo versteht nach wie vor wie kaum eine zweite Formation des Genres das austarierte Spiel zwischen getragenen, meditativen Ambient-Momenten in melancholischer Versunkenheit und dem unvermittelten Aufrichten der intensiv lauten, überbordenden Gitarren-Soundwände als monolithische Prachtbauten in den Sphären ihrer Klanglandschaften. Mono zählen damit weiterhin unangefochten zur internationalen Speerspitze des Genres, die das emotionale Wechselbad der lauten und leisen Töne in Perfektion beherrscht, das Vereinen von neoklassischen Kompositions-Elementen mit ihren wunderschönen, melodiösen, bis zur fühlbaren Glückseligkeit anschwellenden Gitarren-Crescendi und den finalen, in ihrer alles zersetzenden Radikalität explodierenden Noise-Drones. Am eindrucksvollsten demonstrierten Mono das am Montagabend mit den beiden letzten Nummern des regulären Sets, dem eingangs meditativ getragenen „Halcyon“ und dem Live-Klassiker „Ashes In The Snow“, ersteres kongenial von Jo Quail bereichert und an das Album „Hymns To the Immortal Wind“ erinnernd, zu dem Mono orchestral von einem kompletten Klassik-Orchester begleitet wurden, letzteres als sich langsam anbahnender Sound-Tsunami, in dem der laute Part des Mono-Klangkosmos zu einer alles mitreißenden Feedback-Flutwelle kulminierte.
„Breathe“ fiel mit dem ätherischen Gesang von Bassistin Tamaki Kunishi aus dem gewohnten, rein instrumentalen Rahmen, blieb leider jedoch im Live-Vortrag wie auch in der Studio-Version seltsam blass und austauschbar im gefälligen Wohlklang-Flow, letztendlich aber die einzige Passage, zu der sich die Begeisterung über dieses Konzert bedeckt hielt.
Mit der einzigen Zugabe „Com(?)“ zuletzt ein Werk aus der Frühphase der Band, in der das Quartett noch einmal alle Register ihrer Laut-Leise-Dramatik zog, beide Gitarristen so zum ersten Mal erlebt ihr Gewerk im Stehen verrichteten und Derwisch „Taka“ Goto gar in der Konzert-ausklingenden, atonalen Super-Nova seine Saiten wie einst Hendrix selig mit den Zähnen bearbeitete, bevor er die Komposition durch massives Einwirken auf Regler, Wah-Wahs und andere Effekt-Geräte im atonalen Klangrausch vernichtete.
Mono liefern nach wie vor den hochdramatischen Soundtrack für den Martial-Arts-Eastern, in dem der grausame Rächer mit seinem Hattori-Hanzō-Schwert eigenhändig dem ärgsten Feind die Rübe abhackst…