Juden in München

‚Löwenfans gegen Rechts‘ erhalten ‚Münchner Bürgerpreis für Demokratie – gegen Vergessen‘

Preisverleihung 2015 der Stiftung ‚Münchner Bürgerpreis für Demokratie – gegen Vergessen‘ an die Initiative ‚Löwenfans gegen Rechts‘ sowie Ehrenpreis-Verleihung an den Münchner Alt-Oberbürgermeister Christian Ude @ NS-Dokumentationszentrum, München, 2015-07-28

„Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
(Bertolt Brecht, Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui, Epilog)

„So if you meet with these historians
I’ll tell you what to say
Tell them that the Nazis
Never really went away
They’re out there burning houses down
And peddling racist lies
And we’ll never rest again…
Until every Nazi dies…“
(Chumbawamba, The Day The Nazi Died)

MÜNCHNER BÜRGERPREIS FÜR DEMOKRATIE - GEGEN VERGESSEN 2015 (14)

Die Initiative ‚Löwenfans gegen Rechts‚ ist mit dem diesjährigen „Münchner Bürgerpreis gegen Vergessen – für Demokratie“ zur Erinnerung an die Herrschaft der Nationalsozialisten und zur Stärkung der Demokratie im Rahmen einer Veranstaltung im NS-Dokumentationszentrum ausgezeichnet worden, der Preis wurde von der ehemaligen FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher gestiftet, er wird in der Regel alle zwei Jahre verleihen und ist mit fünftausend Euro dotiert.

Die ‚Löwenfans gegen Rechts‘ wurden insbesondere für ihr Engagement im Fußballstadion gegen jegliche Art von Diskriminierung, rechtsradikaler Äußerungen, sexueller Diskriminierung, Homophobie, Rassismus und das Vergessen der NS-Verbrechen geehrt, besonders lobend erwähnt wurde ihre Unterstützung für den Münchner Stadtarchivar Anton Löffelmeier bei seiner Arbeit am Buch ‚Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz: Der TSV von 1860 München im Nationalsozialismus‘ (2009, Verlag Die Werkstatt), einem wichtigen Beitrag zur Dokumentation und zur Auseinandersetzung des Vereins mit seiner Rolle im „Dritten Reich“.
In seiner Laudatio verwies der Münchner Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers (‚Bin ein Rot-Weißer…Rot-Weiß Oberhausen!‘) auf das energische Einschreiten der ‚Löwenfans gegen Rechts‘ gegen rechtsradikale Minderheiten im Stadion, auf ihren klaren Standpunkt, dass Diskriminierung beim Sport und insbesondere auf den Stadienrängen nichts zu suchen hat, im Besonderen würdigte er das Engagement der Initiative hinsichtlich der Verankerung dieser Grundsätze in den Vereinsstatuten des TSV 1860. Die Gruppierung veranstaltet darüber hinaus Aufklärungsabende, lädt Zeitzeugen zum „Dritten Reich“ ein, organisiert Ausstellungen, sie nimmt seit vielen Jahren an der Gedenkfeier für die Opfer des rechtsradikal motivierten Oktoberfest-Attentats von 1980 teil, engagiert sich in Demonstrationen gegen Pegida und Ausländer-Hetze, pflegt seit Jahren eine Freundschaft mit einem Fußball-Verein in Gambia und veranstaltet nicht zuletzt den alljährlichen, immer gerne besuchten Neujahrsempfang.
Dr. Küppers dankte der Gruppierung für ihre Aufklärungsarbeit im Sinne einer lebendigen Erinnerungskultur und verwies auf Zahlen einer jüngsten Umfrage, die dieses Engagement unvermindert notwendig machen – nach dieser Umfrage hegt jeder fünfte Münchner Antipathien gegen Muslime, jeder 11. ist fremdenfeindlich eingestellt und 6% der Befragten bekennen sich zum Antisemitismus.
Löwenfan Jonas bedankte sich im Namen der Initiative für die Preisverleihung und merkte an, dass nach wie vor Gegendemonstranten und kritische Journalisten in ihrem Engagement gegen die braune Gefahr von der Polizei behindert und wiederholt verhaftet und im Nachgang mit Verfahren belangt werden.
Der „Münchner Bürgerpreis“ ist nach der Auszeichnung durch den Deutschen Fußball-Bund mit dem renommierten „Julius-Hirsch-Preis“ im Jahr 2009 bereits die zweite bedeutende Ehrung, die die 1860-Fans für ihr Engagement erhalten. Der DFB-Preis ist nach dem ehemaligen deutschen Nationalspieler Julius Hirsch benannt, der 1943 wegen seiner jüdischen Religion in Auschwitz ermordet wurde.

MÜNCHNER BÜRGERPREIS FÜR DEMOKRATIE - GEGEN VERGESSEN 2015 (18)

Mit dem Ehrenpreis der Stiftung wurde in diesem Jahr Schönwetter-Löwenfan und Alt-Oberbürgermeister Christian Ude für sein Engagement für das NS-Dokumentationszentrum und die jüdische Gemeinde in München und seinen Beitrag für die Entwicklung der demokratischen Gesellschaft und ein weltoffenes, buntes München ausgezeichnet.
Die Laudatio auf Ude hielt die Literaturwissenschaftlerin, Journalistin und auf jüdische Literatur spezialisierte Münchner Buchhändlerin und vormalige Preisträgerin Dr. Rachel Salamander, die sein Talent als Redner, seinen Beitrag zur Entfaltung jüdischen Lebens in München und als Integrator von Minderheiten in der Stadt ehrte. In ihrer Rede stellte sie den Bezug Udes zum ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner her, beide gehören in ihren Augen zu den ganz wenigen Politikern, die Kultur und Politik in Einklang brachten.
Zum Schluss ihrer Rede brachte sie ihr Bedauern über die verlorene Landtagswahl Udes im Jahr 2013 zum Ausdruck, ob dies im Saal jeder so sah, sei dahingestellt.
Alt-OB Christian Ude erinnerte in seiner Dankesrede an seine politischen Vorbilder, zu denen neben dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten und Hitler-Gegner Wilhelm Hoegner und seinem Amtsvorgänger Hans-Jochen Vogel auch die Preis-Stifterin und Udes ehemalige Lehrerin Hildegard Hamm-Brücher zählt, die als Münchner Stadträtin und bayerische Landtags-Abgeordnete die Bestrebungen der Stadt hinsichtlich Liberalität und Weltoffenheit stets durch ihr politisches Wirken unterstützte.
Ude betonte die Notwendigkeit, Erinnerungskultur als Bestandteil der Verteidigung der Demokratie zu begreifen. Die Auseinandersetzung mit Schuld und Verantwortung sei nach wie vor notwendig, als Beleg führte er die jüngsten Erhebungen und veröffentlichten Zahlen über rechtsradikal motivierte Morde in der Bundesrepublik in den letzten 25 Jahren ins Feld.
Er erinnerte an ein Interview, das er als ehemaliger Journalist mit dem SPD-Kanzler Willy Brandt führte, dieser betonte im Bezug auf den Nationalsozialismus nicht so sehr die Schuld des Kollektivs als vielmehr die Schuld der Schwäche, wie sie die Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, die akademische Elite und der Juristenstand im Vorfeld der Hitler-Diktatur zeigten.
Ude bezog sich aus aktuellem Anlass auf den derzeit im Münchner Stadtrat vertretenen NPD-Funktionär und schloss seinen Vortrag mit den Worten: „Folgen wir den ‚Löwenfans gegen Rechts‘, rechtzeitig Riegel vorzuschieben gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass!“, womit ihm der lange anhaltende Applaus der Anwesenden gewiss war.

Begleitet wurde der festliche Abend von Jury-Mitglied Lukas Muffler, der die Veranstaltung moderierte sowie von kurzen Begrüßungsworten von Verena Miriam Hamm, die ihre leider erkrankte Mutter Dr. Hildegard Hamm-Brücher vertrat, und von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, der neben den Geehrten Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, die Münchener Stadträtin Beatrix Zureck (SPD und Mitglied im Verwaltungsrat des TSV 1860), die stellvertretende Landtags-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Schulze, Christian Vorländer von der Münchner SPD, den Münchner Grünen-Vorsitzenden Hermann ‚Beppo‘ Brem sowie – zur besonderen Freude der Anwesenden – den hochverehrten Max Mannheimer im Saal des NS-Dokumentationszentrums willkommen hieß, der als Auschwitz-Überlebender seit Jahrzehnten wertvolle Aufklärungsarbeit, vor allem an deutschen Schulen, leistet.

MÜNCHNER BÜRGERPREIS FÜR DEMOKRATIE - GEGEN VERGESSEN 2015 (20)

Musikalisch wurde die Verleihung stimmungs- und eindrucksvoll begleitet vom Duo „Salz & Pfeffer“, die Gitarristin Stefanie Böhm und der Hackbrett-Spieler Komalé Akakpo gaben dem Abend einen würdigen konzertanten Rahmen.

Das Kulturforum gratuliert den ‚Löwenfans gegen Rechts‘ – derzeit die einzige Institution im Umfeld des krisengeschüttelten TSV 1860 München, die für positive Schlagzeilen sorgt – ganz herzlich zur hochverdienten Preisverleihung und bedankt sich bei Stephanie Dilba für die Einladung zu dieser stimmungsvollen Veranstaltung.

Löwenfans gegen Rechts / Homepage

Duo Salz & Pfeffer / Hackbrettspieler.de / Ensembles

Stiftung „Münchner Bürgerpreis für Demokratie – gegen Vergessen“ / Muenchen.de

Sendling – Wo man leben könnte

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Mein ehemaliger Nachbar, der Dokumentar-Filmer und Vorstand des Vereins ‚Kunst in Sendling‘ Reinhold Rühl hat einen wunderschönen, höchst sehenswerten Dokumentarfilm über mein Münchner Viertel Sendling gedreht, von dem viele alteingesessene Einwohner behaupten, der vier U-Bahn-Stationen vom Marienplatz entfernte ehemalige, wesentlich ältere Vorort wäre nicht mehr München, so, wie beispielsweise viele Bewohner von Stadtamhof auf der nördlichen Seite der „Steinernen Brücke“ behaupten, sie wären keine Regensburger.

Die Gentrifizierung des Viertels ist eines der großen Themen des Films, exemplarisch dargestellt am Kampf um den letzten, von Investoren bedrohten Biergarten im Viertel, am Verschwinden des letzten Kunstschmieds Christian Heinecker, der seine Schmiede inzwischen im Landkreis Fürstenfeldbruck betreibt, und an der neuen Nutzung des Stemmerhofs, des letzten Bauernhofs in City-Nähe, der noch bis zur Betriebsaufgabe 1992 quasi mitten in der Stadt Milchwirtschaft betrieb – heute ein Zentrum für Szene-Lokale und Bioläden.

Sendlinger Schmied 169 (1)

Der Historie wird selbstredend gebührend Rechnung getragen, war Sendling im Jahre 1705 mit der Sendlinger Mordweihnacht doch der Schauplatz der ersten europäischen Revolution, der alljährlich an Heiligabend durch einen Fackelzug der Oberländer Gebirgsschützen gedacht wird.
Die in München seltenen, in unserer Stadt nur auf privatem Grund erlaubten Stolpersteine erinnern an ehemalige, im „Dritten Reich“ ermordete jüdische Mitbürger, ihre Verlegung vor dem ehemaligen Kaufhaus Gutmann ist ebenso Thema des Films wie die Erinnerung an Resi Huber, nach der seit 2012 ein eigener Platz in der Nachbarschaft benannt ist, eine Gedenktafel zu Ehren der Widerstandskämpferin scheitert bisher jedoch am Veto der Stadt, da die 2000 verstorbene Nazi-Gegnerin überzeugte Kommunistin war.

Die Neugestaltung des „hässlichsten Platzes Sendlings“, des Harras, kommt in der hervorragenden Dokumentation ebenso zur Sprache wie das rauhe Alltagsleben in der Münchner Großmarkthalle, das Paradies aller Münchner Nackerten, der nahen „Flaucher“ an der Isar ebenso wie das älteste Straßenfest Münchens, das alljährlich in meiner Straße im Sommer stattfindende Daiserstraßen-Fest.

Strassenfest

Von den im Film zu Wort kommenden Zeitzeugen schließt der Zuschauer vor allem die 92-jährige Elisabeth Reichhardt ins Herz, sie lebte in Sendling zeitlebens in der Wohnung, in der sie geboren wurde, die hellwache Rentnerin konnte in ihrer humorigen Art viel zur Alltagsgeschichte des Viertels beitragen. Der Film ist ihrem Andenken gewidmet, 2014 ist Elisabeth Reichardt gestorben und hat somit die Uraufführung dieser dokumentarischen Meisterleistung leider nicht mehr erleben dürfen.

Luftbild Sendlinger Kirche 169

Der Film zeigt den Stadtteil auch aus einer völlig neuen Perspektive: Eine Kameradrohne fliegt über Häuserzeilen und Isarbrücken, zeigt beeindruckende Luftaufnahmen und enthüllt Strukturen dieses urbanen Mikrokosmos.

Die Filmmusik hat meine Nachbarin Michaela Dietl beigesteuert, die schönen Bilder werden mit stimmungsvoller Musik der renommierten Akkordeon-Virtuosin unterlegt. Auch Erwin Rehling, mein Mitkombattant bei „Münchner Künstler bekennen Farbe“ gegen die Flüchtlings-Not, kommt durch eine kurze Sequenz seines Auftritts in der ‚Sendlinger Kulturschmiede‚ mit seinem Spiel auf dem selbst entworfenen Stein-Xylophon zu musikalischen Ehren.    

Lassen wir zum Abschluss Regisseur Reinhold Rühl selbst zu Wort kommen: „Ein Film, der auch in anderen Großstädten gedreht werden könnte. Denn Stadtviertel „wo man leben könnte“ gibt es viele. Die Frage ist nur: Wie lange noch?“

Der Film läuft seit 14. Juni 2015 in ausgewählten Kinos.
Die DVD ist zum Preis von 15 € zzgl. Versand erhältlich bei info@dokumacher.de
Dokumacher Film & Medienproduktion, Thalkirchner Str. 143a, 81371 München
Tel. 089 7255849
www.dokumacher.de

P.S. – Die Knallschote darf natürlich auch nicht fehlen ;-))))))) :

Endstation Seeshaupt

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Der Dokumentarfilmer Walter Steffen erzählt in ruhigen Bildern die Geschichte des Todeszugs, der am 25. April 1945 4000 Häftlinge aus dem KZ-Außenenlager Mühldorf-Mettenheim transportierte und der fünf Tage später in Seeshaupt am Starnberger See sein Ende fand dank der Befreiung der überlebenden Häftlinge durch die amerikanischen Streitkräfte.
Kommentiert wird die Reise von vielen ortsansässigen Zeitzeugen an den jeweiligen Stationen des Zuges und aus erster Hand von den beiden direkt betroffenen, deportierten KZ-Überlebenden Louis Sneh und Max Mannheimer, deren Schilderungen selbstredend besonders eindringlich sind. Kurze Anmerkung am Rande: Max Mannheimer leistet seit vielen Jahren als Ehrenamtlicher wertvolle Aufklärungsarbeit durch seine Vorträge an bayerischen Schulen zum Thema Drittes Reich und Internierung bzw. Vernichtung der Juden.
Der Bezug zur Gegenwart wird über die Dokumentation der Erinnerungsarbeit entlang der Zugstrecke hergestellt, hier kommen Initiatoren für die Errichtung bzw. Installation von Erinnerungsdenkmälern ausführlich zu Wort. Die Stolpersteine unserer Sendlinger Kyreinstraße, über die ich hier vor kurzem einen Blogbeitrag gepostet habe, werden unter anderem ausführlich erwähnt, da die Zugstrecke seinerzeit über den nahegelegenen ehemaligen Südbahnhof in der Nähe der Münchner Großmarkthalle führte. Besonders erwähnenswert finde ich, dass auch das gespaltene Verhältnis der Stadt München – peinlicherweise einmalig in deutschen Städten – zu dieser Stolperstein-Aktion zur Sprache kommt.
Ein wichtiger Film, dem man viele Zuschauer wünscht – und der Pflichtprogramm im Geschichts-Unterricht an deutschen Schulen sein sollte.