Monat: August 2018

Reingehört (479): Pabst

Pabst – Chlorine (2018, Crazysane Records)

Unvermitteltes Antäuschen zum Einstieg mit undefinierbar-beliebigem Psychedelic-Gedudel, die Hörerschaft mag sich auf falscher Fährte kurzfristig in den Untiefen verschwurbelten Flaming-Lips-Geplätschers oder ähnlicher Austauschbarkeiten wähnen, um postwendend in der beschwingten Garagen-Party eines beherzt loslärmenden Bastards aus Indie-Coolness, trashigem Grunge-/Noise-Rock, jugendlicher Punk-Unbeschwertheit, einnehmender Psychedelic-Pop-Melodik, smashigen R&B-Grooves und großmauligen Star-Posen zu landen. Das Berliner Trio Pabst hält sich auf seinem Volle-Länge-Debüt „Chlorine“ beim nachdrücklichen Hauen aufs scheppernde Blech nicht mit belanglosen Nebensächlichkeiten auf und zielt direkt ins Nervenzentrum, die Fuzz-Gitarren jaulen auf berauschendem Niveau, der Beat ist straight forward treibend auf den Punkt getrommelt und damit das Tanzbein wie den Pogo-Sprung anfeuernd, der Gesang reiht sich mit griffigen Refrains und fordernd-offensiver Extrovertiertheit ein in die Garde der großen Pop-Heroen und trifft damit mitten ins Herz. Mit „Waterslide“, der nach der vergangenen Hitzeperiode sicher nicht mehr zutreffenden Befürchtung „Summer Never Came“ und „Perfume“ hat die Band mindestens drei veritable Ohrwürmer am Start, der Rest der zwölf Gassenhauer konveniert nicht minder, würden wir in einer gerechteren Welt leben, müsste mindestens die Nummer, in der die Combo aus der Bundeshauptstadt ein Eau de Parfum aus Dir machen will, die Charts stürmen, so wie sie in belletristischer Form mit dem Süskind-Roman vor über 30 Jahren die Bestseller-Listen eroberte, es darf getrost von großen Bühnen geträumt werden.
Teenager-Dramen und Twenty-Something-Gefühle, kompakt und Hit-verdächtig eingetütet im griffigen Drei-Minuten-Indie-Rock-Format, zu denen auch die älteren Säcke und senilen Deppen wohlwollend mitzucken und dem Stoff einen zeitlose Note zugestehen.
Jack White lunzt hinsichtlich Sanges-Künsten um die Ecke, diverse Glam- und Power-Pop-/Punk-Vögel beim Saiten-Anschlag und Songwriting über die Schulter, der selige Nirvana-Kurtl irrlichtert als Wiedergänger irgendwo zwischen den Noten rum, Pabst wissen, wie man eine ordentliche Rock-and-Roll-Sause feiert, konzertant schwer vermutlich den Intensitäts-Pegel nochmals um ein paar Umdrehungen nach oben geschraubt, zu überprüfen wäre das dann auf der anstehenden Tour der Band in den kommenden September-Tagen, zusammen mit den holländischen Labelmates von The Lumes, unter anderem auch bei uns im schönen München, Tourdaten guckst Du unten.
„Chlorine“ ist seit den Tagen des großen Schweißtreibens über das honorige Berliner Indie-Label Crazysane Records beim Sound-Dealer Eures Vertrauens am Start. Beherztes Zugreifen beim Tonträger wie Konzert-Besuchen beizeiten schwerst angeraten.
(*****)

05.09.Nürnberg – Club Stereo
06.09.München – Feierwerk Orangehouse
07.09.Mainz – Kulturclub Schon Schön
08.09.Saarbrücken – Blau
09.09.Köln – Blue Shell
11.09.Dresden – Ostpol
12.09.Hannover – Lux-Concerts
13.09.Hamburg – Molotow
14.09.Bremen – Kulturzentrum Lagerhaus
15.09.Berlin – Badehaus Berlin-Friedrichshain

Soul Family Tree (50): Harlem Shuffle

Black Friday mit einem Beitrag von Stefan Haase, unter anderem über einen R&B-Klassiker aus den frühen Sechzigern, here we go:

Heute geht es um die Geschichte des Songs „Harlem Shuffle“, und um das Original. Dann gibt es starke Intros zu hören von Yvonne Baker und Sam & Dave. Roy Ayers spielt unplugged seinen größten Hit und die stimmgewaltige Big Maybelle stimmt auf das Wochenende ein. Viel Spaß!

Die meisten kennen den Song „Harlem Shuffle“ in der 1986er Cover-Version der Rolling Stones. Man kann bei dieser Aufnahme Bobby Womack als Background-Sänger hören. Der Song wurde ein Top 10 Hit in den amerikanischen Billboard Charts. Doch machte die Cover-Version auch neugierig auf das Original, was 20 Jahre vorher erschien.

Bobby Byrd und Earl Nelson waren in einer Vokal-Gruppe namens The Hollywood Flames engagiert. Der größte Hit der Flames erschien 1958 mit dem Titel „Buzz Buzz Buzz“. Anfang der 1960er Jahre veröffentlichten Bob und Earl als Duo bei Class Records. Doch ihre Aufnahmen waren nicht erfolgreich. Bobby Byrd machte als Solosänger unter den Namen Bobby Day weiter. Earl Nelson war trotzdem vom Duo-Konzept überzeugt und fand einen neuen Bob. Mit Bobby Relf, bekannt von den Formationen Laurels und Upfronts aus Los Angeles. Interessant: Barry White, der Jahre später als Solo-Sänger berühmt wurde, sang und spielte Klavier bei beiden Bands.

Ein weiterer Sänger aus Los Angeles, Round Robin, veröffentlichte den Song „Slauson Shuffletime“. Das neue Duo Earl Nelson und Bobby Relf adaptierten den Song für ihr „Harlem Shuffle“. Und bei der Produktion war auch wieder Barry White mit dabei. Der Song erschien 1963 bei Marc Records und wurde kein großer Hit. Das spätere Album von Bob & Earl war zwar erfolgreicher, doch Folge-Hits blieben aus. Der besondere Vokal-Sound inspirierte jedoch später den Stil u.a. von Sam & Dave beim Stax-Label.

Ende der 1960er Jahre wurde der Song in England wiederveröffentlicht und er wurde ein Top 10 Hit. Bob & Earl gingen da bereits getrennte Weg. Earl Nelson nahm unter dem Namen Jackie Lee 1965 einen weiteren Hit mit „The Duck“ auf. Als „Harlem Shuffle“ in England die Charts stürmte, tat sich das Duo wieder zusammen und ging auf Reunion-Tournee. In den frühen 1970er Jahren trennten sie sich, wie es heißt im Guten, endgültig.

The Hollywood Flames – Buzz Buzz Buzz → youtube-Link

Round Robin – Slauson Shuffletime → youtube-Link

Bob & Earl – Harlem Shuffle → youtube-Link

The Rolling Stones – Harlem Shuffle → youtube-Link

Kommen wir zu zwei Nummern, die eines gemeinsam haben: ein gutes Intro. Schon nach wenigen Sekunden weiß man… es wird ein guter Song. Yvonne Baker nahm in den 1960er Jahren für verschiedene Labels Songs auf. 1966 nahm sie „You Didn´t Say A Word“ auf, das leider nicht für einen James Bond Film verwendet wurde. Der Titel wurde Ende der 1960er Jahre in England durch die Northern Soul Szene wieder bekannt auf und gilt heute zurecht als Klassiker. Ein Northern Soul Allnighter Classic!

Yvonne Baker – You Didn’t Say A Word → youtube-Link

Sam & Dave, der Name fiel bereits. Sam war Samuel „Sam“ David Moore, und Dave war David „Dave“ Prater. Sie machten den Memphis Soul weltweit bekannt. Über Stax Records wurden viele ihrer Songs berühmt. „Soul Man“ oder „Hold On I´m Coming“ und viele andere Nummern waren große Hits. Sam nahm zusammen mit Lou Reed den Song „Soul Man“ für den gleichnamigen Film neu auf. Denn mit dem Erfolg der Blues Brothers kam auch der Erfolg in den 1980er Jahren zurück. Ich habe eine B-Seite ausgesucht, die ebenfalls ein starkes Intro hat. Kaum zu glauben, das Stax Records diesen Song auf eine B-Seite presste.

Sam & Dave – Wrap It Up → youtube-Link

Über Roy Ayers könnte man ein großes Special schreiben. Der aus Los Angeles stammende Vibraphonist gilt als einer der Großen des Jazzfunks. Er spielte mit vielen anderen Künstlern zusammen und erlebte in den 1980er Jahren im Zusammenhang mit der Acid Jazz Welle in England ein Revival. DJs entdeckten seine alten Platten und spielten sie wieder. Hier eine Unplugged-Version seines bekanntesten Song „Everyboy Loves The Sunshine“. Man achte auf das Funkeln in seinen Augen. Die Aufnahme entstand in den Brownswood Studios in London. Und wann gibt es schon ein Vibraphon zu hören…

Roy Ayers – Everybody Loves The Sunshine → youtube-Link

Der Rausschmeißer kommt von der hier bereits des Öfteren erwähnten Big Maybelle. Aus ihrer erfolgreichen Zeit bei Okeh Records habe ich „I´ve Got A Feeling“ ausgesucht. Einen guten Einstieg wie Überblick über ihre Zeit bei Okeh und Savoy Records bietet das Doppelalbum „The Complete King, Okeh & Savoy Releases 1947-1961“. Es erschien 2016 in England.

Big Maybelle – I’ve Got A Feeling → youtube-Link

Beim nächsten Mal gibt es ein Special über Trojan Records, das Label wurde im Juli 50 Jahre jung. Trojan Records ist nicht einfach ein Plattenlabel in London, sondern ein Lebensgefühl. Und dazu gibt es viel Musik, u.a. vom DJ, Regisseur, Autor und Tausendsassa Don Letts. Er brachte den Reggae zum Punk. Eine spannende Geschichte…

Peace and Soul

Stefan aka Freiraum

Die virtuelle Reste-Schublade (3)

Stay at home, read a book – Daumen-eher-hoch-als-runter-Literatur …und ein beherztes „Reclaim The Game!“ hinterher:

Alex Raack – Alles aus Liebe. Eine Reise ins Herz des Fußballs (2018, Tropen)

Der 1983 in Celle geborene freie Autor Alex Raack war bis 2016 Redakteur beim nach wie vor schwer tauglichen Fußballmagazin 11FREUNDE, ist Verfasser einer Biografie über den für Werder Bremen und die Gladbacher Borussen kickenden und zwischenzeitlich schwer dem Alkohol zugetanen Eisenfuß Uli Borowka, daneben war Raack vor einigen Jahren Mitbegründer der ersten Schiedsrichter-Supporter-Ultras „Brigade Hartmut Strampe“ („You’ll never judge alone!“).
In seinem jüngst erschienenen 170-Seiten-Schmöker „Alles aus Liebe“ widmet er sich in 14 Kapiteln/Geschichten all jenen (inklusive seiner selbst), die zusehends mehr angeödet sind von alljährlich wiederkehrender, Gähn-Attacken-fördernder Meisterschalen-Vergabe an den Großkotzverein vom Steuerhinterzieher und seinen jubelpersernden FCB-Nachläufern, Champagner-schlürfenden Event-VIPs, astronomischen Ablösesummen für weltentrückte, durchtätowierte Kicker-Diven, dubiosen Investoren und der permanent fortschreitenden Entfremdung der Club-Oberen von der Fan-Basis und dem damit einhergehenden Verlust der „street credibility“ des Fußball-Sports und der Anhänger-Kultur – Raack begibt sich auf die Spurensuche nach Fans, die sich trotzdem ihre Liebe zum Fußball erhalten oder mühevoll zurückerobert haben, sei es durch die Segnungen des sportlichen Abstiegs mit damit verbundener Rückkehr in die Heimat des angestammten Stadtviertels, Rückbesinnung auf die eigene Identität und Wiederbelebung der Liebe zwischen Mannschaft, Trainer und Fans wie im Fall der Münchner Löwen im Jahr 2017, sei es durch absurd-groteske wie extrem humorige Aktionen wie dem eingangs erwähnten aktiven Schiedsrichter-Support, der gemeinsamen Auswärtsfahrt zum Groundhopping in die zweite tschechische Liga, der aktiven Teilhabe an der David-gegen-Goliath-Nummer beim DFB-Pokal-Match in der Einkommens-schwachen norddeutschen Provinz oder beim Besuch der Jubiläumsveranstaltung der Stadien-Postkarten-Sammler in einer Berliner Fan-Kneipe – Autor Alex Raack hält etliche lesenswerte Anekdoten parat zum Postulat „Liebe kennt keine Liga“ und den ewig währenden Freundschaften, die nur beim Fußball geschlossen werden, ab und an auch ein paar weniger passende Stories wie die Nummer über den Pseudo-Porno-Dreh im Bochumer Swinger-Club, deren einziger Bezug zum Thema die Beteiligung einer Handvoll durchgeknallter VfL-Fans ist, aber das sind lässliche Sünden in einem Buch, in dem uns Originale vorgestellt werden wie das Essener Urgestein Sandy und seine immerwährende und leidgeprüfte Liebe zum ehemaligen Deutschen Meister und mittlerweile langjährigen Viertligisten RWE, ein West-Vereine verehrender, zu DDR-Zeiten aufgewachsener Dresdner, unser verehrter Wahl-Münchner und KSC-Supporter Holger Britzius in seiner Funktion als Betreiber der weltbesten Fußball-Wohnzimmer-Kult-Kneipe „Stadion an der Schleißheimer Straße“ und – Achtung, festhalten! – ein Bayern-Fan (in dem Fall ohne Anführungszeichen!), der keinen Bock mehr hat auf die ewige, Konkurrenz-lose Gewinnerei seines Geld-Vereins – sowas soll’s auch geben, es besteht noch Hoffnung für die Menschheit…
Literarisch ist „Alles aus Liebe“ nicht die ganz große Weltmeisterschaft, aber mit solchen Arbeiten will man auch keine Nobelpreise oder die Champions League gewinnen, und Fußball ist schließlich „ein einfacher und massentauglicher Sport, der sich hervorragend dafür eignet, in großen Gruppen Emotionen auszuleben“, wie der „ProFans“-Sprecher Sig Zelt in einem Interview im Buch ganz richtig anmerkt, und in diesem Geiste taugen auch die allermeisten Kurzgeschichten des Buches zur locker-vergnüglichen Lektüre zwischen dem Heim-Kick gegen die Sportfreunde Lotte und der nächsten Zitterpartie in Osnabrück. Football is coming home. Mit dieser Stoffsammlung von Alex Raack allemal…

„Ich hoffe, dass sich im Fußball bald etwas ändert. Dass wir nicht noch viele weitere Jahre ertragen müssen, dass der Fußball so zynisch und versaut geworden ist. Dass er sich so sehr von seinen Idealen entfernt hat.“
(Alex Raack, Alles aus Liebe, Vorwort)

Reingehört – Short Cuts:

Gargle – Wading In Shallow Waters (2018, Fluttery Records)

Instrumental-Duo aus Tokyo mit neun filigranen Arbeiten zwischen cineastischer Neoklassik und Balladen-haftem Postrock. Gitarre und Akkordeon, zwischen melancholischer Ambient-Entschleunigung und einer sporadischen orchestralen Opulenz, die bei Bedarf mittels Piano und Electronica-Effekten fabriziert wird. Der Opener „Morphine“ ist vom Rezitieren eines Gedichts aus Feder des befreundeten Musikers Sean Fujimoto begleitet und notiert Dostojewskijs Novelle „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ als Inspirationsquelle, allein der Bezug lässt den entsprechenden Tiefgang in der Nummer mitschwingen. Japanischer Präzisions-Wohlklang, dem ein paar scharfe Kanten an der ein oder anderen Stelle und ein paar vehemente Postrock-Eruptionen zur Spannungs-Befeuerung nicht geschadet hätten, ansonsten aber sehr geschmeidig kammermusikalisch und ohne größere Beanstandungen ins Ohr geht.
„Wading In Shallow Waters“ ist Anfang August beim kalifornischen Indie-Label Fluttery Records erschienen.
(**** – **** ½)

Summer Effect – Reverie (2018, Fluttery Records)

Der Summer Effect hierzulande zeigte sich in den vergangenen Wochen in kollabierenden/dehydrierten Menschen, brennenden Wäldern und Dürre-bedingten Missernten, auf der indonesischen Insel Java dagegen als wunderbarer state-of-the-art-Postrock auf dem vierten Album „Reverie“ des Duos Aroel und Ibo aus der Großstadt Bekasi City, mit allen beglückenden Inhaltsstoffen des Gesangs-freien Genres von innehaltender, kontemplativer Sound-Meditation bis hin zu pompöser Streicher-Untermalung und euphorisierender Gitarren-Heftigkeit inklusive mustergültiger Crescendi und vehementer Bausteine-Aufschichtung zur Errichtung der in dem Zusammenhang immer wieder gern ins Feld geführten Klangwand-Metapher. Atmosphärisch, praktisch, gut. Auch auf Fluttery Records, seit Ende Juli.
(**** ½ – *****)

Der King ist vor 41 Jahren gegangen, aber er ist nach wie vor nicht forgotten. Remember the great Elvis Aaron Presley. The King will walk on Tupelo!

Zurück zur Werbung – und zum Fußball:

Das Spiel gedreht: Der in München ansässige Grafiker Hias Schaschko hat bei Trikont schöne CDs herausgegeben und für das gepriesene Indie-Label schöne Platten-Cover gestaltet, als Entwerfer schöner Postkarten kennt und schätzt man ihn gleichwohl in der Stadt wie darüber hinaus, und in der Funktion beglückt er seit Kurzem alle Münchner Löwenfans mit einer Papp-Version der legendären Anzeigentafel aus dem Grünwalder Stadion, inklusive weiß-blauer Kordel zum An-die-Wand-hängen und verstellbarer Ergebnis-Drehscheibe, selbstredend nur für die Heim-Mannschaft, denn der Gegner muss torlos bleiben: Damit kann man dann an Spieltagen das jeweilige Wunsch-Ergebnis einstellen, das herrliche Teil vielleicht sogar für Voodoo-Zwecke einsetzen und damit dazu beitragen, dass beim Klassenerhalt in Liga 3 nix anbrennt.
Ist für fünf Öre über die Homepage www.schaschko.de zu haben und geht in ausgewählten Super Stores wie dem feinen Mono-Plattenladen von Günter Seewald oder dem Giesinger Lieblingswohnzimmer Café Schau Ma Moi über den Tresen.
Für die anderen gibt’s dann demnächst das Handbuch „Schmieren, Schmuggeln, Steuern – Die Experten-Tipps“ vom Ghostwriter-Trio Uli, Franz & Kalle, oder wahlweise das Merkblatt „Wie organisiere ich eine stimmungsvolle Meisterfeier?“

Reingehört (478): G.Rag Y Los Hermanos Patchekos

G.Rag Y Los Hermanos Patchekos – How Sweet The Sound (2018, Gutfeeling Records)

Mit dem Interpretieren von Fremdkompositionen aus dem Fundus musikalischer Extremisten ist das so eine Sache, sowas kann durch fehlendes Gespür für das Werk und mangelnde eigene musikalische Fertigkeiten schnell ins Auge gehen, die Regale der Pop-Historie sind voll von schwerst misslungenen Zappa- oder Beefheart-Covern. Einer, an dessen Œuvre sich gewiss auch nicht jeder Hamperer rantrauen sollte, ist der geniale Experimental-Space-Jazzer Sun Ra. Das galaktische Feeling für die Kunst des außerirdischen Organisten und seines Arkestras ist nur den Großen der Zunft gegeben, der leider bereits vor über zwanzig Jahren viel zu früh dahingeschiedene Schützenvereins-Vorstand und Desert-Blues/Cowpunk-Obercharismatiker Jeffrey Lee Pierce for example hat das seinerzeit am 25. November im Jahr des Herrn 1986 bei der Eröffnung eines Konzerts seines Gun Clubs in der Unterföhringer Theaterfabrik formvollendet hingekriegt, nachdem er bizarr anmutend eine Ananas-Frucht auf der Bühne deponierte und im Anschluss nicht minder eigenwillig eine Piano-Jazz-Version von Sun Ras bekanntester Nummer „Nuclear War“ zum Besten gab, dem Violent-Femmes-Basser Brian Ritchie ist das Kunststück mit einer eingedeutschten Fassung dieses Klassikers auf seinem Solo-Debüt „The Blend“ ein Jahr später erneut gelungen, jetzt reihen sich aktuell unser geschätzter Münchner Kapellmeister Andreas Staebler aka G.Rag und seine nicht weniger geachteten Hermanos Patchekos auf dem jüngst erschienenen Album „How Sweet The Sound“ ein in die überschaubare Schar der befähigten Interpretierer des kosmischen Exzentrikers, mit einer exzellenten Fassung der Nummer „Rocket No. 9“, im Original als kurzes, kakophones Sternengelichter auf der auch sehr exzellenten Sun-Ra-Scheibe „Space Is The Place“ aus dem Jahr 1973 zu finden, und in der scheppernden G.Rag-Spielart ein herrlich LoFi-groovendes Crossover-Glanzstück zwischen Sciene-Fiction-B-Movie-Beschallung (circa Preisklasse „Raumschiff Orion“, Sie wissen schon, die Dietmar-Schönherr-Nummer aus den Sechzigern mit den Bügeleisengriffen als Raumschiff-Armaturen), lakonischer Worldbeat-Rhythmik und tiefen-entspanntem Cosmic-Jazz-Gerumpel.
In den ersten Live-Aufführungen hat es sich bereits angedeutet, dass es auf „How Sweet The Sound“ haufenweise weitere große, neue G.Rag-Würfe zu feiern geben wird, der Eindruck trog nicht, neben der Verneigung vor dem großen Jazz-Avantgardisten aus Birmingham/Alabama finden sich auf dem Tonträger wunderschöne Cumbia-Rhythmen vom Malecón des Münchner Glockenbachs, windschiefe Polka-Stomper, folkloristisch geerdete Texas Bohemia und herrlich angeschrägte Instrumental-Desert-Country-Seligkeiten, die direktemang den Weg vom Ohr ins Herz und Tanzbein der Hörerschaft finden und die „Rain Dogs“ vom guten alten Tom aus dem tiefen, dunklen Tal der Traurigkeit holen. Mit „Moissoneur“ wartet der Tonträger mit einer würzigen Cajun-Nummer reinsten Wassers auf, so wie die subtropischen, luftfeuchten Sümpfe Louisianas eben rein sein können, und mit der zweiten Fremdkomposition „Bye & Bye“ erklingt ein Erlösung herbeisehnender Uralt-Gospel-Blues, der unter anderem von Blind Willie Johnson unter dem Titel „Bye And Bye I’m Goin‘ To See The King“ oder der Carter Family und Mississippi Fred McDowell als „Wouldn’t Mind Dying“ weit zurückliegend im letzten Jahrhundert aufgenommen wurde, ein Old-Time-Klassiker, der in der beseelten G.Rag-Version auch auf der berühmten „Anthology Of American Folk Music“ von Harry Smith seinen Platz gefunden hätte, und der seine zeitlose Pracht auch dann noch entfalten wird, wenn wir mit Rakete Nummer neun längst wieder entschwunden sind und die Nachgeborenen mit unseren ausgebleichten Gebeinen die Birnen und Äpfel von den Bäumen schmeißen.
Allen Stücken gemeinsam ist das ausgeprägte Demokratie-Verständnis der musizierenden Zusammenkunft, im Patchekos-Big-Band-Gefüge drängt sich keine Stimme und kein Instrument in den Vordergrund, keine dominierenden Bläsersätze, Perkussions-Ergüsse oder Sanges-Arien, und doch kommt jeder Ton im Verbund zu seinem Recht und seiner gebührenden Entfaltung – so geht Sammelbewegung, Volksfront und Democracy Now!…
Mixen Sie sich was Strammes zusammen, lecker Schnäpse plus frisch gepressten Fruchtsaft-Beihau, zünden sie sich eine würzige handgewickelte Kubanische dazu an und geben Sie sich den „Sweet Sound“ als Beschallung zum entspannten Sinnieren und Mitwippen mit Blick auf den Sonnenuntergang auf die Lauscher, bessere Begleitmusik zu der Gelegenheit wird Ihnen heuer selten über den Weg laufen.
Zu dieser Platte gibt es nur eines zu beanstanden: ihre run-time ist bei Weitem zu kurz ausgefallen. Mit gut 26 Minuten Spieldauer sind die neun Gusto-Stücke viel zu schnell durchgelaufen, ein Jammer, denn es könnte in dem Takt ohne Zweifel ewig so weiter gehen…
(***** – ***** ½)

Der großartige Kollektiv-Crossover-Sound aller guten, wahren, schönen und schrägen Musik-Stile von G.Rag Y Los Hermanos Patchekos konzertant demnächst zu folgenden Gelegenheiten, grooven Sie sich bitte beizeiten ein:

22.09.Mehring – Schacherbauerhof – Hoffest 2018
23.11.München – Milla – G.Rag Y Los Hermanos Patchekos Weekender
24.11.München – Milla – G.Rag Y Los Hermanos Patchekos Weekender

G.Rag Y Los Hermanos Patchekos – Cumbia Kairo → youtube-Link

Reingehört (477): Petrolio

Petrolio – Intramoenia: Noises For Angela (2018, Low Noise Productions)

Das Noise-Projekt Petrolio ist ein Kind des Soundtüftlers Enrico Cerrato, der Musiker und Mixer aus der Piemont-Stadt Asti war/ist in diversen weiteren, vor allem im italienischen Musik-DIY-Underground bekannten Metal-, Industrial- und Jazz-Noise-Formationen wie Infection Code, Gabbiainferno und Moksa engagiert, umfängliche Erfahrungen, die er in die drei experimentellen Elektro-Noise-Entwürfe der EP „Intramoenia: Noises For Angela“ einfließen lässt, einer gut 18-minütigen klanglichen Untermalung für avantgardistische Theateraufführungen der Performerin Angela Teodorowsky.
Pochende Industrial-Kälte, verfremdete, verhallte, semi-melodische Synthie-Kraut-Mixturen, Sprach-Samplings, rudimentäre, vom Noise verdeckte Elektro-Pop-Elemente und synthetischer Trance-Flow greifen ineinander und verflechten sich zu einer komplexen Mixtur, die ein weites Klangfeld aufspannt von abstrakten Krach-Interferenzen und Strukturen-auflösenden Lärm-Soundwänden über den Ohren-schmeichelnden Wohlklang der italienischen Sprache in Spoken-Word-Beimischungen bis hin zu tanzbaren, mindestens zum Mitzucken animierenden Techno-/Industrial-Beats.
Trotz aller Künstlichkeit der abstrahierten Soundgebilde wirkt der Verbund der drei experimentellen Arbeiten wie ein natürlicher Organismus, der permanent mutiert und in der Weiterentwickelung immer neue Evolutionsformen annimmt. Die drei mittellangen Nummern funktionieren als stand-alone-Klanginstallation ordentlich und entfalten ihren ganzen Reiz vermutlich erst im multimedialen Kontext als Soundtrack zur zugedachten Bühnen-Performance der in der Widmung bedachten Angela.
(**** ½ – *****)