House And Land – Across The Field (2019, Thrill Jockey Records)
Nachdem im Chicagoer Indie-Haus Thrill Jockey Records in jüngster Vergangenheit mit Veröffentlichungen von Bands wie Aseethe, Dommengang oder Oozing Wound ausgiebigst Gelärme, ordentliches Gedröhne und damit entsprechende Wallung am Schiff geboten war, veröffentlicht das US-Label mit dem neuen Album „Across The Field“ vom Folk-Frauen-Duo House And Land aus Asheville/North Carolina demnächst zwecks Diversifikation was Erbauliches für die besinnlichen Stunden.
House And Land ist das gemeinsame Projekt der Multi-Instrumentalistin Sarah Louise und der Fiddle- und Banjo-Spielerin Sally Anne Morgan, letztere in Fachkreisen bekannt durch ihr Mitwirken bei den Black Twig Pickers, die auf ihren Alben unter anderem bereits mit Folk- und Blues-Größen wie Steve Gunn und Charlie Parr zusammenarbeiteten.
Auf „Across The Field“ bringen die beiden virtuos, formvollendet und ergreifend schön aufspielenden Ladies ihre feministische Weltsicht und die Verbundenheit mit dem ländlichen Umfeld mit uralten Song-Texten und einer höchst individuellen Interpretation von Bluegrass und Old Time Folk zusammen, mit den über die Jahrhunderte gewachsenen Musiktraditionen der Appalachen, der Ozark Highlands und des britischen Motherlands. Diese Form von Feminismus sollte auch ohne ausgedehnte Diskussionen selbst den grobschlächtigsten, übelsten Macho-Rüpeln das Herz erweichen und die Tränen der Freude in die blutunterlaufenen Glotzer treiben, Louise und Morgan beeindrucken auf dem neuen Werk mit erhabenen, zuweilen fast sakralen Duett-Gesängen und exzellenter Könnerschaft an diversen akustischen Streich- und Zupf-Instrumenten, die organische Klangkunst taugt wohl zum Verweilen und Innehalten nach verrichtetem Tagwerk am heimischen Herd genauso wie für Herz-weitende Erbauungs-Momente in der sonntäglichen Kirchengemeinde. Dabei ist dieses Balladen-Songwriting aus einer anderen, längst vergangenen Zeit nicht ausschließlich in der Tradition verhaftet, in dezentem Crossover verweben die beiden Musikerinnen die althergebrachten Interpretationen von Bluegrass und regionalen nordamerikanischen Volksweisen mit zeitloseren, reicheren Ausdrucksformen, mit Polyrhythmik, mit psychedelischen Elementen, mit Streicher-Sätzen, die sich im entrückten Drone-Trance verlieren. Das eindrücklichste Beispiel hierfür ist die etwas aus dem Rahmen des Album-Konzepts gefallene, umso herausragendere Instrumental-Nummer „Carolina Lady“, in der ein satt klingender, simpel gehaltener E-Gitarren-Flow auf getragene Geigen-Melodik trifft – so einfach kann musikalisches Experimentieren gelingen: der hypnotische, geheimnisvolle Desert-Blues eines Chris Forsyth oder der Cosmic-American-Rock von Steve Gunn treffen auf nahezu kammermusikalische, Neoklassik-durchwirkte Folklore.
House And Land bringen mit ausgeprägtem instrumentalem Können, untrüglichem Gespür und einer sicheren Hand für neue Ideen Tradition und Moderne in der amerikanischen Volksmusik zusammen, man darf wohl jetzt schon gespannt sein, welche Eindrücke und Anregungen Sarah Louise von ihren diesjährigen gemeinsamen USA-Konzertreisen mit den Psychedelic-Bands Wooden Shjips und Kikagaku Moyo 幾何学模様 künftig in ihre Kompositionen einfließen lässt. „Across The Field“ von House And Land erscheint am 14. Juni bei Thrill Jockey Records.
(***** – ***** ½)
Der großartige amerikanische Folk-Songwriter Tom Brosseau trat am Donnerstag-Abend auf Einladung des geschätzten Clubzwei-Konzertveranstalters Ivi Vukelic im Kellergewölbe der feinen Haidhauser Polka Bar auf, eine Dreier-Kombi aus Künstler, Veranstalter und Austragungsort, die die Tauben nicht schöner hätten zusammentragen können. Brosseau eilt aufgrund wunderbarer Alben wie „North Dakota Impressions“, „Perfect Abandon“ oder dem zuletzt veröffentlichten „Treasures Untold“ und zahlreich bespielter, unter anderem mehrmals auch in München absolvierter Auftritte ein exzellenter Ruf als Solo-Entertainer in seiner ureigenen Folk-Liga voraus, die Presseinfo liefert etwas wacklige Vergleiche wie „erinnert mehr an Jeff Buckley als an Iron & Wine“, immerhin hat das Musizieren des hageren Mannes aus Grand Forks/North Dakota tatsächlich und Gottlob wenig gemein mit dem Output des zumeist stinklangweilig daherkommenden Herrn Beam.
Tom Brosseau versteht es meisterlich, seine zeitlosen Songs als Ragtime- und Bluegrass-Reminiszenzen, Old-Time-Folk-Kleinode, spröde Country-Miniaturen und American-Primitive-Guitar-Nummern zu präsentieren, die vordergründig einfach und simpel gestrickt scheinen, dabei aber immer wieder unversehens beseelten Tiefgang, eine kaum zu greifende Strahlkraft entfalten und von einem völlig individuellen Charakter zeugen. Brosseau ist ein absolut in sich ruhender Musiker, der sein Cross-Picking und die filigranen Folk-Akkorde unaufgeregt, unprätentiös und ohne jegliches technische Protzen und Effekte-Haschen auf der akustischen Wander-Gitarre zelebriert, vermutlich wirkt sein Musizieren gerade deswegen so unkompliziert und locker aus der Hüfte geschwungen, bei eingehender Würdigung zeugt es indes nicht selten von hoher Finesse. Seine Nummern erzählen erratische, aus dem Leben gegriffene kleine Geschichten, die der Songwriter mit angenehmer Singstimme in den mittleren bis höheren Tonlagen vorträgt. Die an dem Abend vorwiegend neuen Stücke wie etwa „Jingle Bells Help Me Get Drunk“ zaubern bereits mit dem Titel-Refrain ein breites, beglücktes Grinsen ins Gesicht, dazu erweist sich der Songwriter als über die Maßen angenehmer Moderator des Abends, der trotz offensichtlicher Abstammung aus einer Franzosen-Linie mit ausgesucht britischer Höflichkeit und charmanter Nonchalance Anekdoten über sein Faible für youtube-Interview-Videos mit dem Schauspieler Peter O’Toole und Beach Boy Brian Wilson zum Besten gibt, Anmerkungen über seltene Singvögel aus der Fauna seiner Heimat North Dakota oder die Verwandtschaftsverhältnisse der Carter Family, deren „Where The Silvery Colorado Wends Its Way“ als Coverversion gegen Ende des Konzerts zum Vortrag kommt.
Tom Brosseau wirkt in seinem ruhigen, geerdeten Auftreten zuweilen wie die tiefenentspannte, hellwache und vor allem nüchterne Ausgabe des großen Folk-Alkoholikers Townes Van Zandt, nicht von ungefähr erzählt Brosseau davon, wie er einst in Nashville im Auto hauste und auf eine Auftrittsmöglichkeit im Bluebird Café wartete, jenem Live-Club, in dem sich die oft angetrunkene Songwriter-Ikone TVZ nicht selten auf die Bühne schleppte für seine grandiosen Klassiker und die nicht enden wollenden Monologe über Gott und die Welt.
Man hat diese leisen, eindringlichen Akustik-Konzerte oft erlebt, zu denen ein Teil der Hörerschaft regelmäßig hart an der Grenze zur körperlichen Züchtigung entlang schrammt, aufgrund lärmender, extrem störender Geschwätzigkeit während des Vortrags oder enervierender Zuprosterei, am Donnerstagabend in der Polka hingegen: nichts davon, zu keiner Sekunde. Das Publikum lauschte der Musik und den Geschichten des Barden von der ersten Minute an mit gebührender, gebannter Andacht, selbst während der Trinkpausen des Künstlers und dem Anlegen der Bluesharp-Bügel-Halterung wäre das Fallen einer Stecknadel als schallendes Krachen im Club zu hören gewesen, derart still genießend und hingebungsvoll war das Konzert-Volk dem Musiker zugewandt – das spricht für die einzigartige Magie dieses Auftritts und, selten genug, für ein aufmerksames und fachkundiges Münchner Auditorium: höchsten Respekt.
Stringent strukturierte, extrem relaxte und erhebende Auftritte wie die des hochsympathischen Musikers aus dem mittleren Westen der USA bräuchte es in diesen hektischen Zeiten weitaus öfter, Konzerte dieser erlesenen Güte sind nichts weniger als Seelen-Massage, mentale Labsal und ausgezeichnete Gelegenheit zum partiellen Ausblenden des alltäglichen Irrsinns. Thänx a lot Tom Brosseau, Ivi Vukelic, Daniel Kappla!
Wolf Haas – Junger Mann (2018, Hoffmann und Campe)
„Nett ist der kleine Bruder von scheiße“ sagt ein derbes Sprichwort. Der Österreicher Wolf Haas hat mit „Junger Mann“ ein nettes Buch über eine Dreiecks-Beziehung geschrieben, vordergründig und unter anderem. Und in dem Fall geht es ohne den Fäkal-Zusatz, denn an dem dünnen 240-Seiten-Schmöker gibt’s einschränkend nichts zu mäkeln, punktum. Alles nett, mittels unaufgeregtem Dahinplätschern und hinsichtlich Banalität auf die Spitze getriebener Dialoge: Wortwitz meets Weltschmerz-Blues in einer Coming-Of-Age-Biografie, schwer vermutlich mit wie auch immer gewichteten Anteilen aus der Vita vom Herrn Haas selbst, dazu veritables Weight-Watchers-Drama, literarisches Roadmovie und eingehende Auseinandersetzung mit der Seelenpein der platonischen Liebe, der Tristesse an der Tankstelle und den Eigenheiten der österreichischen Psychiatrie. „Im Gegenteil. Du wirst es mir nicht glauben, aber ich bin gern hier.“ Da ist er, exemplarisch auf Seite 93, ein typischer Haas-Satz. In seinen Brenner-Romanen hätte er ihn anders formuliert, direkte Anrede des Lesers Hilfsausdruck. Ansonsten: alles leiwand und lakonisch unterhaltsam. Falls Ihr keinen Bock oder keine Zeit zum selber lesen habt – was ein schweres Versäumnis wäre – der Autor übernimmt das gern für Euch, unter anderem nach überstandener Weihnachts-Völlerei am 28. und 29. Dezember im Münchner Volkstheater, jeweils 20.00 Uhr.
Reingehört, auf die Schnelle, zu spät, zu laut, zu leise, zu kurz, was auch immer:
The Bevis Frond – We’re Your Friends, Man (2018, Fire Records)
90 Minuten The Bevis Frond vom Feinsten, und das nach über dreißig Jahren on the road und unzähligen Tonträger-Veröffentlichungen, wer hätte gedacht, dass sich Nick Saloman und die Seinen nochmal zu solchen Höhen aufschwingen? Zu den Schlechten war die Londoner Indie-Psychedelic-Institution nie zu zählen, aber was hier an umfänglicher, erschöpfender Neo-Spacerock-Seligkeit, gewichtiger Progressive-Schwere und ausladender Psych-Folk-Melodik durch die Beschallungs-Anlagen gewuchtet wird, nötigt doch nochmal eine gehörige Portion mehr als üblich an Respekt ab. „Enjoy“ fällt als furioser Opener gefangen nehmend und rundum beglückend mit der Tür ins Haus und macht das Genießen zu einer der leichtesten Übungen, so wie in vergangenen Zeiten wunderbar erhebende Nummern vom Schlag eines „Coming Round“ oder „Johnny Kwango“ die Indie-Psychedelic-Messen eröffneten, und damit ist das qualitative Level der folgenden neunzehn Nummern an ausladenden Prog-Rockern und melancholischen Mid-Tempo-Folkrock-Balladen auf „We’re Your Friends, Man“ im Kern umrissen. Wer weiterhin dem Irrglauben aufsitzt, Dinosaur-Jr-Grunge-Grummler J Mascis hätte das exzessive Ausweiden von Weltschmerz, Melodie, Saiten-Gegniedel und Suhlen in süffigen, endlosen Moll-Akkorden in seinen beherzt-ausufernd dahinjaulenden Gitarren-Soli erfunden, lasse sich bitte von jeder beliebigen Bevis-Frond-Scheibe eines Besseren belehren, der aktuelle Tonträger bietet dahingehend beileibe nicht das schlechteste Anschauungs- oder vielmehr Anhörungs-Material zur nachhaltigen Korrektur.
(*****)
Ry Cooder – The Prodigal Son (2018, Caroline / Universal Music)
Klarer Fall von Schublade: Release zur Kenntnis genommen und dann postwendend in der Versenkung verschwinden lassen. Sowas geht heutzutage tatsächlich virtuell: Spotify-Download angeschmissen und dann monatelang nicht reingehört, schändlicher Weise und in dem Fall geradezu unverzeihlich. Dabei hat der alte Cooder im fortgeschrittenen Alter nichts verlernt und glänzt als profilierter Roots-Music-Veteran wie eh und je, weit entfernt von Geschmacks-beleidigenden Grausamkeiten seiner Rentner-Kohorte, den ungenießbaren Sinatra-Peinlichkeiten von der Nobelpreis-Bob-Müllhalde etwa, oder sterilem, glatt- und tot-produziertem Plastik-Ramsch, wie ihn der mittlerweile unsägliche Ungustl Van Morrison dieser Tage einmal mehr absondert. „The Prodigal Son“ bietet alles, was die großartigen, ersten fünf Cooder-Alben aus den Siebzigern vom selbstbetitelten 1970er-Debüt bis zum fantastischen Americana/Tex-Mex/Blues-Crossover „Chicken Skin Music“ auszeichnete: Beseelten Swamp-Groove, zeitlosen Country-Blues, Appalachen-Bluegrass, Protest-Folk und spirituellen Gospel, Bottleneck-Trance, lässige Little-Village-Entspanntheit, kongeniales Fremd- wie Eigenwerk mit politischer Brisanz, sogar der verehrte, inzwischen leider im vergangenen Januar verstorbene Terry Evans ist als Gast-Sänger noch mit von der Partie, hier bleiben keine Wünsche für Cooder-Fans offen.
Schlechte Platten hat Ry Cooder sowieso seltenst abgeliefert, ein paar zu vernachlässigende Soundtracks mitunter, „The Prodigal Son“ dürfte mit zu seinen größten Würfen und rundum gelungensten Alben seit Jahrzehnten zählen. Schöner und gleichsam zeitgemäßer kann man den alten amerikanischen Volksmusik- und Protestsänger-Traditionen nicht nachspüren. Aber das wissen schätzungsweise mittlerweile eh schon alle, die es interessiert, die Scheibe gibt es bereits seit gut einem halben Jahr zu erwerben, und sie ist andernorts – shame on me! – nicht in der Schublade, sondern sofort und verdientermaßen im Soundsystem gelandet…
(*****)
Paulinchen Brennt – Wie Salz 7″ (2018, 30 Kilo Fieber Records / Different Records)
Paulinchen wird wohl eine Nette sein, oder gewesen sein, kommt drauf an, wie weit die Verbrennungsgrade fortgeschritten sind und ihre verheerende Wirkung taten. Jedenfalls eine Nette, sonst wäre ihr Name wohl kaum so putzig verniedlicht worden. Und dass sie dann wer anzündete, verstört schon ungemein. Befremdlich wie der Sound der gleichnamigen, dreiköpfigen Ost-West-Connection aus Leipzig und Nürnberg, im Mindesten für die Hörerschaft, die sich nicht ab und an eine gepflegte Prise Core, Metal und Noise reinpfeift.
Screamo meets Uptempo-Struktur, durchaus mit Anspruch und Provokations-Potential. Der als „Sänger“ agierende Brüller gibt in jedem Fall alles, was zu der Gelegenheit nicht wenig ist, knüppelhartes Core- und Metal-Gepolter, mit Verve, Herzblut und gezielten Breaks vorgetragen, und vor allem mit einer unverkennbaren eigenen Note gepfeffert. Schön auch der bluesige Unterton der längeren (nun gut, jedenfalls in diesem Kontext) Gitarren-Passagen.
(**** – **** ½)
Noise Raid – Trebellum EP (2018, Noise Raid)
Im Eigenverlag produzierte 3-Stücke-EP des Münchner Postmetal-Quartetts Noise Raid. Der Opener „Black Fog“ offenbart: Da ist Substanz in der musikalischen Vision der Instrumental-Combo. Druckvoller Losgeh-Indie mit dezenten Math-Rock-Einfärbungen inklusive nervöser, flirrender Gitarren-Breaks und vehement antreibender Rhythmik, not bad. Der Rest vom Schützenfest, sprich die beiden anderen Nummern: gefälliger State-of-the-Art-Postrock der härteren Gangart, schneidende Heavy-Riffs, die ganze gängige Palette des instrumentalen Polterns. „Würgegriff“ presst zuweilen den Achtziger-Hardrock aus den Verstärkern, Rainbow ohne Dio, quasi. Man könnte boshafter Weise fragen, wer braucht im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert noch den Heavy-Sound der alten Garde, aber die fast ausverkaufte Münchner Olympiahallen-Show von Ritchie Blackmore und seiner Deep-Purple-Nachfolgeorganisation im Juni 2019 spricht da offensichtlich eine andere Sprache.
Unbrauchbare Vergleiche beiseite: Live sollen Noise Raid dem Vernehmen nach bereits auf sehr ordentlichem Intensiv-Niveau unterwegs sein, insofern: da kommt in Zukunft noch was angerauscht, aus heimischen Gefilden…
(**** – **** ½)
Wohlig-wärmender Americana-Sound für Herz und Gemüt bei frostigen Außentemperaturen, von Trikont Recording Artist Philip Bradatsch und seiner Band beim Winter-Tollwood präsentiert, am vergangenen Mittwoch-Spätnachmittag. Die alternative Weihnachtsmarkt-Zeltstadt an der Münchner Theresienwiese war in vergangenen Zeiten nicht unbedingt der place to be, wenn’s um anregendes konzertantes Entertainment ging, dahingehend hat sich auch in der 2018er-Ausgabe nicht allzu viel geändert, umso schöner, dass mit Bradatsch – und der Donkeyhonk Company am 17. Dezember – zwei sehens- und hörenswerte Ausnahme-Acts auf dem heurigen Programm-Zettel des „Hexenkessel“-Zelts zu finden sind, wenn auch die Anstoß-Zeit mit 16.30 Uhr eine gewöhnungsbedürftige bleibt und vermutlich den ein oder anderen Interessenten vom Besuch zwecks anderweitiger Verpflichtungen abhält.
Den Musikern war’s offensichtlich einerlei, das Quartett war vom Start weg bereits zur Nachmittags-Matinee auf Betriebstemperatur beim gelungenen Opener mit dem finster dräuenden Desert-Rocker „Shadowland“, mit dem sich vorneweg andeutete, dass Philip Bradatsch zu der Gelegenheit bestens aufgelegt war hinsichtlich Fingerfertigkeit am Griffbrett seines Instruments und damit eine verbindliche Dringlichkeit in seiner Interpretation von süffigen, satten Southern-Rock-Ergüssen und den ausladenden, schwerst beseelten und inspirierten Gitarren-Soli im klassischen Folk-Rock-Geist an den Tag legte. Eingebettet in das begleitende Sound-Gerüst seiner grundsolide arbeitenden Band widmete sich der vielbeschäftigte Roots-Musiker aus dem Allgäu vor allem dem Material seiner jüngst beim Münchner Trikont-Label erschienenen Song-Sammlung „Ghost On A String“, in gedehnten, opulenten Versionen, die den exzellenten Studio-Einspielungen im Live-Vortrag noch ein gehöriges Maß an Intensität hinzuzufügen wussten. Wo der Tonträger bereits in feinster Americana-Songwriter-Kunst ohne Abstriche zu überzeugen weiß, ist die konzertante Umsetzung der Werke schlichtweg grandios, die Band nutzte am Mittwoch-Nachmittag das komfortable Zeitfenster zur gründlichen wie massiv abrockenden Ausformulierung ihrer aktuellen Nummern.
Im kurzen Intermezzo erinnerte sich Bradatsch solistisch seiner Bluegrass-/Country-Folk-Wurzeln und begleitete sich an der Wandergitarre zu seelenvollen Balladen in der Titelnummer seines Debüt-Albums „When I’m Cruel“ und dem dort enthaltenen Paradestück „This Time Around“, trotz reduzierter Instrumentierung gelingt es dem Musiker völlig unangestrengt, die Songs dank seiner ausgewiesenen Fähigkeiten als Gitarren-Virtuose vollmundig und fern jeglichen herkömmlichen folkloristischen Lagerfeuer-Geschrammels zum Vortrag zu bringen.
Die flockige, wunderbar leichtfüßig dahingleitende Folk-Psychedelic in „Supernova“ konnte das Konzert-Publikum nicht verstören, wie es Bradatsch in einer seiner lakonischen Song-Ankündigungen als Absicht formulierte, eine schwer für sich einnehmende Free-Flow-Nummer, die zu gefallen wusste, wie auch einmal mehr seine deutsche Bearbeitung des Dylan-Frühwerks „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“, hier ist Philip Bradatsch ganz Protestsänger im ureigenen Sinn, „Der einsame Tod des Ben Ahmad“ ist aufgrund der herrschenden Abschiebe-Praktiken von Asyl-Suchenden, die ein schändlicherweise immer noch in seinem Amt sitzender, untragbarer Bundesinnenminister zu verantworten hat, von einer aktuellen Brisanz, die der Songwriter in seiner Eindringlichkeit ungefiltert zu vermitteln weiß. Song des Jahres, keine Frage, und das mit einer Nummer, die bis dato noch nicht offiziell auf Tonträger erschienen ist.
Um irgendwelche Vergleiche mit Dylan, Old Neil Young oder anderen Granden des US-amerikanischen Folk- und Country-Rock muss sich Bradatsch nicht mehr kümmern, die hat er alle unüberhörbar irgendwann im Laufe des dahinschwindenden Jahres irgendwo auf einem imaginären Highway mit zügiger Überholung links liegen gelassen, und der bessere Sänger war er im Zweifel sowieso schon immer.
Sollte sich mal zufällig die Gelegenheit ergeben, kann man sich ja wie einst Steve Earle auf den Kaffeetisch vom Literaturnobelpreis-Bob stellen und der Welt verkünden, dass man da einen weitaus talentierteren Songwriter als den alten Nöler aus Duluth/Minnesota kennt.
Blood is pumping Hundred miles an hour (The Bones Of J.R. Jones, Hearts Racing)
Dichtes Gedränge am Dienstagabend im Münchner Innenstadt-Club Unter Deck, Hut ab vor Veranstalter Jörg Dahl, der Mann und seine helfenden Hände vom Event-Büro Still Or Sparkling? haben da mehr als ordentliche Arbeit geleistet zur Bewerbung und Präsentation der München-Premiere von Jonathon Linaberry aka The Bones Of J.R. Jones, voller Saal für die großartige One-Man-Band aus Brooklyn, so muss es sein.
Löblich hervorzuheben in dem Zusammenhang auch das zusätzlich installierte, erhöhte Podest zum Bühnenaufbau, so dürften auch die hinteren Reihen im ausverkauften Auditorium noch in den optischen Konzert-Genuss gekommen sein, die Haltungsnoten für die Organisation könnten somit zu der Veranstaltung nicht besser ausfallen.
Bevor der Hauptact die Bühne enterte, eröffnete der Berliner Songwriter Sebastian Dega den Abend mit einem kurzen und prägnanten solistischen Set, mit einer überschaubaren Handvoll an Nummern wusste der sympathische Akustik-Gitarrist schnell und zeitlich knapp bemessen für seinen Vortrag einzunehmen. Eine mild-rauchige Stimme, ausgewiesene Picker- und anderweitige ausgeprägte technische Fertigkeiten auf den sechs Saiten zeichneten das geerdete Musizieren des Barden aus. Mit einer stilistischen Bandbreite an klassischem, drängendem Folk, stimmungsvollen Alternative-Country-Anleihen und einer Old-Time-Rückschau auf relaxten Western-Swing und Ragtime-Blues zeigte sich Dega in bester Spiellaune, die auch vom lauten Geschwätz des schändlich unaufmerksamen Besucher-Anteils nicht getrübt werden konnte. Angenehmer erster Eindruck vom Schaffen des Berliner Nachwuchs-Roots-Musikers, gerne bei Gelegenheit wieder, auch in ausgedehnterer Form zur umfänglicheren Würdigung.
Beim Privatkonzert von The Bones Of J.R. Jonessomewhere out of Rosenheim Anfang 2017 hat seinerzeit schwer vermutlich die obstinate Nachbarin dafür gesorgt, dass der Gig im Wohnzimmer der Oma von Gastgeber Mark Icedigger zu einem beseelten Folk-Konzert der tendenziell eher leiseren und filigranen Töne geriet, was der herausragenden Qualität des Vortrags bei einem Könner wie Jonathon Linaberry selbstredend keinen Abbruch tat, am Dienstag im Unter Deck präsentierte sich der New Yorker dann in full flight bei seinem allerersten Münchner Gastspiel, die Zuhörerschaft im proppenvollen Souterrain-Club ging von Minute eins an nicht mehr von Bord resp. von der Leine beim beherzten Aufspielen der One-Man-Kapelle von Jones/Linaberry, der Americana-Spezialist zeigte zu der Gelegenheit im zuforderst rohen, intensiven Stomp-Blues-Anschlag eindrucksvoll, dass er sich vor herausragenden Ausnahme-KünstlerInnen des Deep-Blues-/Muddy-Roots-Genres wie der geschätzten Molly Gene und ihrer One Whoaman Band oder dem ebenso hochverehrten Reverend Deadeye keinesfalls verstecken muss, die noch jungen Knochen des J.R. Jones barsten an diesem Abend vor Energie, wirbelten über Basstrommel und Hi-Hat des rudimentären Schlagwerks und ließen den Bottleneck scharf über die Saiten der halbakustischen Resonator-Gitarre schrammen, dazu loopte Linaberry die Riffs und stimmte seine erschüttenden Klagelaute im Gedenken uralter Blues-Howler an. Das Publikum fand sich zuweilen unvermittelt in der Trash-Garage wieder, in der sich zahllose Geister und Dämonen der endlosen amerikanischen Highways und Prärien tummelten, ihre unheimlichen Southern-Gothic-Geschichten von verblassten Hoffnungen, finsteren Geheimnissen und unwirtlichen (Seelen-)Landschaften erzählten und sich den Träumen von längst verfallenen Whiskey-Kaschemmen und Blues-Scheunen aus Zeiten der Prohibition hingaben. The Bones Of J.R. Jones wusste mit dieser rohen Gangart – die sich auf Stücken wie „The Drop“ vom aktuellen Tonträger „Ones To Keep Close“ bereits andeutete – zu überzeugen wie auch durchaus zu überraschen, wer das ureigene, von den ersten Tonträgern gewohnte Downtempo-Crossover aus Alternative-Country-Grübeln, Appalachen-Bluegrass-Finessen und inbrünstiger, kantiger Gospel-/Roots-Blues-Emotion erwartete, fand sich nur punktuell wieder im sporadisch angespielten, Herz- und Gemüts-anrührenden Liedgut und in den leiseren Tönen, etwa mit der nachdenklichen Ausnahme-Ballade „Hearts Racing“, der glänzend gelaunte Linaberry wollte an diesem Abend in erster Linie den mitreißenden Publikums-Anheizer geben, und das ist ihm – den euphorischen Reaktionen auf der Tanzfläche und dem überschwänglichen Applaudieren nach zu schließen – auch bestens geglückt.
Der amerikanische Indie-Songwriter spielte am Dienstagabend neben seinen nachweislich herausragenden musikalischen und kompositorischen Talenten einmal mehr alle seine Trümpfe als fescher und schwer für sich einnehmender Entertainer aus, auf der Bühne wie später beim individuellen Austausch am Merch-Stand, das dürfte auch den überdurchschnittlichen Anteil an schönen Frauen im Publikum an diesem Abend erklären, man mag sich das Bild gar nicht ausmalen, in dem sich der Mann in einer anderen Welt als Mainstream-Crooner vor ein-zweideutigen Angeboten nicht mehr retten kann, Gottlob ist er mit seinem Musizieren nach wie vor unbeirrbar auf der richtigen Seite des East River unterwegs, vom Meister selbst in der letzten Zugabe mit einer Verneigung vor dem großen Delta-Blues-Urahnen Son House unterstrichen.
Jonathon Linaberry hat in den vergangenen zwei Jahren vom Wohnzimmer der Icedigger-Oma einen Riesen-Sprung auf das Podium mit dem Anker im Unter Deck in Sachen Bühnenpräsenz und offensiver, extrovertierter Garagen-Blues-Vehemenz getan, und sollten ihn seine Wege dereinst doch noch auf die großen Konzerthallen- und Stadien-Bühnen führen, so bleibt uns zwar nicht immer Paris, so wie einst Frau Bergman und Herrn Bogart, aber doch diese jeweils auf ihre eigene Art großartigen Oberbayern-Abstecher nach München und Rosenheim in der noch jungen Karriere von The Bones Of J.R. Jones…
Jonathon Linaberry / The Bones Of J.R. Jones ist im näheren und weiteren Umland im Rahmen seiner Europa-Tournee noch zu folgenden Gelegenheiten live zu genießen, do yourself a favour: