Monat: Dezember 2015

Abgerechnet wird zum Schluss: Die Platten des Jahres 2015

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„When I said you’re strange
It was a compliment, you know“
(Langhorne Slim & The Law, Airplane)

Irgendwie ein typisches „Es-war-schon-alles-da-in-der-Musik-darum-schon-wieder-kein-neues-‚Astral-Weeks‘-‚Zen-Arcade‘-‚Exile-On-Main-St‘-Wunderwerk“-Jahr, dafür aber ein Musik-Jahr mit überraschenden Comebacks, würdigen Alterswerken, spannenden Mixturen, ein paar erwarteten und etlichen unerwarteten Highlights, einigen gewichtigen Ausgrabungen aus den Archiven und einem ersten Platz, der das in der Gesamtheit nicht sonderlich rosige Jahr 2015 in seiner Grundstimmung einfängt.

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(01) Steve Von Till – A Life Unto Itself (2015, Neurot)
Das düstere Songwriting des Neurosis-Sängers/-Gitarristen: die Platte des Jahres 2015 im Kulturforum. Der passende Soundtrack für ein Jahr, von dem Bilder/Eindrücke unter anderem von gekenterten Flüchtlings-Booten, dem Terror-Anschlag auf einen Live-Club und allerhand politischen Verwerfungen bleiben werden, leider.

(02) Pops Staples – Don’t Lose This (2015, Anti)
Würdiges Alterswerk der Gospel-/Soul-Ikone, aus Rohfassungen von Tochter Mavis Staples und Wilco-Vorturner Jeff Tweedy behutsam zu einem guten Ende gebracht.

(03) Bang On A Can All-Stars – Field Recordings (2015, Cantaloupe/Naxos)
Im Bereich Experimental/Avantgarde/Klassik das Maß aller Dinge in 2015.

(04) Eleventh Dream Day – Works For Tomorrow (2015, Thrill Jockey/Rough Trade)
Tonträger-Comeback des Jahres. Die Alternative-Rock-Combo um Rick Rizzo und Janet Beveridge Bean aus Chicago/Illinois hat nichts verlernt und kracht wie eh und je.

(05) Bill Fay – Who Is The Sender? (2015, Dead Oceans)
Steht dem Songwriter-Wunderwerk ‚Life Is People‘ (Dead Oceans) von 2012 in nichts nach.

(06) The Unthanks – Mount The Air (2015, Soulfood)
Unthank ist der Welten Lohn, haha. English Folk Masterworks.

(07) Wrekmeister Harmonies – Night Of Your Ascension (2015, Thrill Jockey)
Ambient-Drone-Metal von JR Robinson und seinen Mitstreitern, Jahres-Top-Ten-Dauergast.

(08) James McMurtry – Complicated Game (2015, Blue Rose Records)
James McMurtry hat den Folk für sich entdeckt.

(09) Melbourne Cans – Moonlight Malaise (2014, Lost & Lonesome)
Australische Indie-Perle.

(10) Houndmouth – Little Neon Limelight (2015, Rough Trade)
US-Wohlklang-Pop mit allen guten Zutaten aus den Sixties.

(11) Die Buben im Pelz & Freundinnen – Die Buben im Pelz & Freundinnen (2015, Konkord)
Den Violinen-Drone aus „The Black Angel’s Death Song“ haben sie nicht hingekriegt, sowas bleibt natürlich nur Musikern wie dem Gott-ähnlichen John Cale vorbehalten, ansonsten haben sie wirklich alles richtig gemacht, die Buben im Pelz und ihre Schicksen, mit ihrer Wiener Adaption eines der wichtigsten Alben der Pop-Historie. Total leiwand, eh kloa…

(12) Nathaniel Rateliff – Nathaniel Rateliff & The Night Sweats (2015, Stax / Caroline)
Der ehemalige Alternative-Country-/Folk-Crooner liefert die Soul-Scheibe des Jahres ab. Schade, dass er sich beim Münchner Auftritt hinsichtlich Konzertdauer so geziert hat.

(13) Alela Diane & Ryan Francesconi – Cold Moon (2015, Soulfood)
Atemberaubende Schönheit, in Töne gegossen. Mehr Folk-Wohlklang geht glaub ich nicht.

(14) The Echo Bombs – King Of Uncool (2014, Rubber Brother Records)
Garagen-Trash vom Feinsten aus Phoenix/Arizona. Crypt-Records-Ehrenmedaille, sozusagen.

(15) Yo La Tengo – Stuff Like That There (2015, Matador)
‚Fakebook‘, revisited. Was wäre eine Jahresbesten-Liste ohne Yo La Tengo?

(16) Danny And The Champions Of The World – What Kind Of Love (2015, Loose Music / Rough Trade)
Allein schon wegen „Precious Cargo“ und „This Is Not A Love Song“…

(17) Waves – Stargazer (2015, Waves)
Mit das Interessanteste in Sachen Post-Rock kam heuer aus München. Meine Hardcopy fange ich mir beim Konzert am 14. Januar im Backstage ein und dann folgt auch eine ausführliche Besprechung. Versprochen.

(18) Eric Pfeil – Die Liebe. Der Tod. Die Stadt. Der Fluss (2015, Trikont)
Intelligent-gewitzter deutscher Songwriter-Pop. Gibt’s nicht? Eric Pfeil hören…

(19) The Lonesome Billies – It’s Good To Be Lonesome (2015, Stay Lonesome Records)
Alternative Country aus Oregon, mit Punk-Rock-Hintergrund. Da kann nix schiefgehen.

(20) The Moonband – Back In Time (2015, Millaphon Records / Broken Silence)
Wie bereits im Vorjahr waren die Münchner Vorzeige-Folker sowohl konzertant als auch auf Tonträger eine Bank. Eine Coverversionen-Sammlung vom Feinsten.

(21) Low – Ones And Sixes (2015, Sub Pop)
Bis dato das reifste Werk des Slowcore-Trios.

(22) Duke Garwood – Heavy Love (2015, Heavenly / Rough Trade)
Grandioser Düster-Blues im Geiste von Nick Cave und Hugo Race vom Londoner Duke Garwood.

(23) Langhorne Slim & The Law – The Spirit Moves (2015, Dualtone)
„Airplane“, mehr sag ich nicht…

(24) Binoculers – Adapted To Both Shade And Sun (erscheint im Juni 2015, Insular)
Psychedelischer Indie-Wohlklang aus Hamburg.

(25) A Forest – Grace (2014, Analogsoul / Broken Silence)
Ultra-cooler Elektro-Soul aus dem deutschen Osten. Kam schon letztes Jahr raus, was mir wegen der exzellenten Qualität der Platte herzlich egal ist.

(26) Ryley Walker – Primrose Green (2015, Dead Oceans)
Aus der Zeit gefallener Prog-Folk, der Neues mit alten Meistern wie Tim Buckley und Nick Drake verbindet.

(27) Takaakira ‘Taka’ Goto – Classical Punk And Echoes Under The Beauty (2015, Pelagic / Cargo Records)
Exzellente Neoklassik-Übung des Mono-Gitarristen.

(28) Ralph Stanley & Friends – Man Of Constant Sorrow (2015, Cracker Barrel)
The good Bluegrass-Doctor mit prominenter Unterstützung.

(29) Ty Segall Band – Live In San Francisco (2015, Drag City)
Krachiger US-Indie-Rock der angenehmen Sorte.

(30) Damo Suzuki & Mugstar – Start From Zero (2015, Salted)
Der ehemalige Can-Sänger und die britischen Space-Rocker mit einem hypnotischen Live-Album.

(31) Rhett Miller – The Traveler (2015, ATO Records)
Der Old-97’s-Vorsteher auf Solopfaden als Indie-/Alternative-Country-Grenzgänger.

(32) Joe Crookston – Georgia I’m Here (2014, Milagrito)
1a-Ami-Folk-Album.

(33) Hans Theessink & Terry Evans – True & Blue (2015, Blue Groove / in-akustik)
Der holländische Blues-Gitarrist und der Ry-Cooder-Spezi live in Wien.

(34) Robert Pollard – Faulty Superheroes (2015, Fire Records)
Gibt es überhaupt schlechte Robert-Pollard-/Guided-By-Voices-Platten? Mir ist noch keine untergekommen.

(35) The Rheingans Sisters – Already Home (2015, Rootbeat)
Altertümlicher englisch-französischer Folk und Klassik-Elemente ergeben eine bestechende Mixtur.

(36) The Revolutionary Army Of The Infant Jesus – Beauty Will Save The World (2015, Occulation)
Überraschendes, unerwartetes Experimental-Folk-Comeback.

(37) Warren Haynes feat. Railroad Earth – Ashes & Dust (2015, Mascot / Rough Trade)
Gov’t-Mule- und ex-Allman-Brothers-Ausnahme-Gitarrist Haynes hat zusammen mit der Bluesgrass-Jam-Combo Railroad Earth ein handwerklich perfektes Werk in die Landschaft gestellt.

(38) Robin Williamson – Trusting in the Rising Light (2015, ECM)
Keltischer Experimental-Folk des ex-Incredible-String-Band-Harfenspielers auf höchstem Niveau.

(39) Wire – Wire (2015, Pink Flag / Cargo Records)
Auf die englische Art-Punk-Institution ist auch nach 37 Jahren uneingeschränkt Verlass.

(40) Steph Cameron – Sad-Eyed Lonesome Lady (2014, Pheromone Recordings / Fontana North)
Jack Kerouac als kanadische Folk-Frau. Bereits von 2014 und heuer noch genauso gut wie in 10 Jahren.

***

Außer Konkurrenz – Thematische Sammlungen / Best-Of-Sampler / Aus den Archiven / Wiederveröffentlichtes / „Oldies But Goldies“:

(01) V.A. – Senegal 70: Sonic Gems & Previously Unreleased Recordings From The 70’s (2015, Analog Africa / Groove Attack)
Senegal-Funk-Soul-Juju-Afro-Cuban-Dub-Trance-Jazz-Crossover, die 70er Jahre…

(02) V.A. – Strange & Dangerous Times – New American Roots – Real Music For The 21st Century (2014, Trikont)
Muddy-Roots-Soundtrack, mustergültigst kompiliert von „Shadow Cowboy“ Sebastian Weidenbach.

(03) V.A. – Rastafari: The Dreads Enter Babylon – 1955-83: From Nyabinghi, Burro and Grounation to Roots and Revelation (2015, Soul Jazz Records)
Religious Rastaman Vibration und die jamaikanische Volksmusik, ein weites Feld…

(04) The Dad Horse Experience – Best Of – Seine schönsten Melodien 2008 – 2014 (2015, Sacred Flu Productions)
Die besten Predigten über die Schattenseiten des Lebens von unserem liebsten Reverend Dad Horse Ottn. Kellergospel of the Walking Dad since 2006.

(05) Pere Ubu – Elitism For The People 1975-1978 (2015, Fire Records)
Das Frühwerk der Post-Punk-Avantgarde-Pioniere, wichtiger geht’s eigentlich nicht mehr.

(06) The Velvet Underground – The Complete Matrix Tapes (2015, Polydor)
Nachdem es von ihnen nicht allzu viel brauchbares Live-Material gibt, nimmt man das hier mit Kusshand.

(07) Dead Moon – Tales From The Grease Trap, Vol. 1: Live At Satyricon (2015, Voodoo Doughnut Recordings / Broken Silence)
Aus den Live-Archiven der Garagen-Trash-Götter.

(08) Gil Scott-Heron – Small Talk At 125th And Lenox (Reissue 2015, Ace Records / Soulfood)
Polit-Proto-Rap vom Meister seines Fachs.

(09) Grateful Dead – 30 Trips Around the Sun: The Definitive Live Story 1965-1995 (2015, Rhino)
Live waren sie immer in ihrem Element: Das Motto „Aus jedem Jahr ein Stück“ ergibt eine repräsentative Werkschau, der selbst altgediente Dead-Heads noch einiges abgewinnen können.

(10) Beat Happening – Look Around (2015, Domino)
Best-Of-Werkschau der Indie-Stoiker.

***

Das soll’s gewesen sein von meiner Seite für 2015. Rutscht gut rüber ins neue Jahr, ich wünsche Euch alles Gute, Glück und vor allem Gesundheit für 2016, uns wird es vermutlich auch im neuen Jahr im Großen und Ganzen wieder besser ergehen als 99% vom Rest der Welt, in diesem Sinne, weil Sylvester ist und weil gleich die Böller und Sektkorken knallen, soll das letzte Wort im alten Jahr an dieser Stelle Nathaniel Rateliff gehören: „Son of a Bitch, give me a Drink !!!!“ ;-)

Eine Kerze für John „Brad“ Bradbury

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Photo (c) Sinicroots / Wikipedia

Der englische Musiker John Bradbury ist gestern im Alter von 62 Jahren gestorben. Bradbury war Schlagzeuger der britischen 2-Tone-Ska-Institution The Specials, er ist auf dem von Elvis Costello produzierten Debüt-Meilenstein der Band (1979, 2 Tone Records), auf dem Nachfolger-Album ‚More Specials‘ (1980, 2 Tone Records) sowie auf dem unter dem Bandnamen The Special AKA veröffentlichten ‚In The Studio‘-Album (1984, 2 Tone Records) mit dem Hit „(Free) Nelson Mandela“ zu hören.
Seit 2009 war John Bradbury an der Wiedervereinigung der Specials maßgeblich beteiligt, die Reunion-Tour führte die Band am 21. September 2011 auch ins Münchner Backstage, die Ska-Legende lieferte seinerzeit trotz eines völlig bedröhnten Terry Hall eine grandiose Show mit all ihren Endsiebziger-Hits ab.
”Brad’s drumming was the powerhouse behind The Specials and it was seen as a key part to the Two Tone sound. He was much respected in the world of drumming and his style of reggae and ska was seen as genuinely ground breaking when The Specials first hit the charts in 1979.“

Eine Kerze und einen Drink für Ian Fraser „Lemmy“ Kilmister

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Der englische Kult-Musiker Lemmy Kilmister ist gestern in Los Angeles/Kalifornien an einer Krebserkrankung verstorben, vier Tage nach seinem 70. Geburtstag.
Mit ihm geht eine der markantesten Persönlichkeiten und Ikonen der Rockmusik, der Chef der britischen Metal-Institution Motörhead hat wie man so schön sagt nichts anbrennen lassen, Drinks, Kippen, Frauen, nichts Menschliches war ihm fremd.
Mit Motörhead feierte Kilmister im ablaufenden Jahr das vierzigjährige Bühnenjubiläum, zuvor arbeitete er in den sechziger Jahren als Roadie für die Jimi Hendrix Experience, von 1972 bis 1975 war er Bassist und Sänger der britischen Space-/Psychedelic-/Prog-Band Hawkwind, seinen Rauswurf bei Hawkwind aufgrund seines exzessiven Alkohol- und Drogenkonsums kommentierte er in der Kino-Doku „Lemmy“ (2010) sinngemäß lakonisch mit den Worten: „Aus Rache bin ich zu ihnen heimgefahren und habe ihre Weiber flachgelegt.
Vor einem guten Monat waren Motörhead im Rahmen ihrer Jubiläumstour unter anderem auch für zwei Konzerte in München, Lemmy Kilmister war bereits unübersehbar gesundheitlich angeschlagen.
Was bleibt? Die Erinnerung an intensiv-laute Motörhead-Konzerte, eine Reihe exzellenter Scheiben wie ‚Ace Of Spades‘ (1980), ‚Bomber‘ (1979) oder ‚Overkill‘ (1979, alle Bronze) aus der Frühphase der Band, zahlreiche Legenden um Trinkgelage und Frauen-Geschichten, die in seinem Fall wohl alle der Wahrheit entsprechen – und natürlich seine sagenumwobene Nazi-Memorabilia-Sammlung.
Der Mann hat sein Leben gelebt. R.I.P.

Reingehört (112)

Ampere 2015-02-18 - Alexander Hacke & Danielle de Picciotto (13)
 

Danielle de Picciotto – Tacoma (2015, Moabit)
Nach dem Geburtsort der Künstlerin im US-Bundesstaat Washington betitelte Experimental-Folk-Sammlung. Danielle de Picciotto hat ja schon einiges erlebt/mitgemacht: In West-Berlin die kulturelle Sozialisierung erfahren, seit 2006 mit Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten verheiratet, mit Dr. Motte die erste Berliner Love Parade in Gang gebracht, mit Anita Lane und Nick Cave bei der deutschen Post-Punk-Band Die Haut musiziert, ebenso beim letzten ‚Crime & The City Solution‘-Outfit, da kommt was zusammen an Einflüssen, die sich alle ihren Weg bahnen in den aktuellen Tonträger, der düsteren Experimental-Ambient ebenso bietet wie opulenten Folk-Wohlklang, Wüsten-Drone, Spoken-Word-Poetry inklusive elektronischem Sampling und mit „Es gibt kein Zurück“ tatsächlich so etwas wie die kleine Schwester zum literarisch wertvollen Neubauten-Opus ‚Haus der Lüge‘.
(****)

 

The Unthanks – Archive Treasures (2005-2015) (2015, Dadiz Music / Soulfood)
76 Minuten Rares/Unveröffentlichtes/Konzertmitschnitte/Demos zum zehnjährigen Bandjubiläum als Geschenk an die Fans der nordenglischen Folk-Institution um die singenden Schwestern Becky und Rachel Unthank, erwartet getragen-erhaben und mitunter auch ungewohnt experimentell. Mit „2000 Miles“ erklingt zum Einstieg die aktuelle Weihnachts-Single der Unthanks, daneben jede Menge live eingespielte Titel aus den Archiven der BBC und diversen Konzerten, unter anderem eine neoklassische, fast 10-minütige Interpretation von “ Alifib/Alifie“ vom Robert-Wyatt-Meisterwerk ‚Rock Bottom‘ (1974, Virgin), das seinerzeit beim 2011er-Projekt ‚Diversions, Vol. 1: The Songs of Robert Wyatt and Antony & the Johnsons – Live from the Union Chapel, London‘ (Rough Trade) keine Beachtung fand, sowie als feine Rarität die grandiose Version von „Sexy Sadie“ von der ‚White-Album‘-Tribute-Veröffentlichung des MOJO-Magazins, hier gelingt es den Schwestern mit ihrer sinnlichen Interpretation vorzüglich, dem Songtitel gerecht zu werden, ein Umstand, der dem Original seinerzeit komplett verwehrt blieb.
(**** ½)