Charlie Parr

Charlie Parr @ Vintage Pub, München, 2018-02-12

Der großartige Charlie Parr stand in der Planungsphase vor einigen Monaten auf der Wunschliste der angedachten Musikanten von Impresario Christian Steidl für das kommende Raut Oak Fest im Juni am schönen Riegsee, die Nummer hat sich dann leider wegen überschneidenden Terminen in den heimatlichen Staaten des begnadeten Country-Blues-Gitarristen schnell zerschlagen, dieser Tage dann die zuerst freudige und sogleich schwerst verwirrende Nachricht, dass Charlie Parr im Rahmen der aktuell laufenden Europa-Tournee seine München-Premiere in einer ominösen Lokalität namens Vintage Pub spielen würde, welche das geneigte Konzertgänger-Volk partout nicht zu verorten wusste.
Da selbst in einer in letzter Zeit kaum für positive Schlagzeilen sorgenden Stadt wie dem Isar-Millionendorf ab und an noch Zeichen und Wunder geschehen, die fraglichen Booker kontaktiert wurden, Steidl & Icedigger ein paar Hebel in Bewegung setzten und Käsealm-Betreiber, Autor und DJ Christian Ertl bereits des Öfteren Erhellendes zum Thema andeutete, sind am Ende doch noch alle Interessierten auf der Gästeliste und am Montag-Abend dann am geheimen Ort des Geschehens gelandet, somewhere in Munich, in einem ehemaligen Ladenlokal, dass mit viel Liebe zum Detail und entsprechender Sammlerleidenschaft von Privat-Veranstalter M. zum stilechten, mit diversesten Raritäten aus der Insel-Gastronomie gespickten Irish Pub ausgestaltet wurde, und um das Glück vollumfänglich zu machen, waren ausgewählte Bier-Spezialitäten und das Nippen an der Whiskey-Hausmarke auch noch im zu entrichtenden Obolus enthalten.
Der perfekte Rahmen für einen wunderbaren Abend mit Charlie Parr, der solistisch in drei ausgedehnten Sets in insgesamt gut 2 Stunden die Bandbreite seiner schwerst beeindruckenden, aus der Zeit gefallenen wie zeitlosen Kunst des Bluegrass, des Country Folk, des Akustik-Blues und der ergreifenden Balladen-Tondichtungen präsentierte, eigenkomponierte Song-Perlen wie „HoBo“ oder das Titelstück „Dog“ seines letztjährigen Albums, „Rocky Racoon“ in einer auch für Beatles-Skeptiker verträglichen Version, Zitate, deren Quellen bis in die Dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückdatieren zu den aufgezeichneten Feldforschungen von Alan Lomax, Verneigungen vor dem großen Huddie „Leadbelly“ Ledbetter und den Piedmont-Blues-Legenden Elizabeth Cotten und Mississippi John Hurt, nicht zu vergessen „Bob Dylan’s Blues“ vom – genau – 2016er-Literaturnobelpreisträger, die Verbindung zum alten Zimmerman-Nöler drängt sich förmlich auf, wenn man wie Parr aus Duluth/Minnesota stammt.
Die stimmige Songauswahl ist ein Teil der Medaille bei einem wie Charlie Parr, darüber hinaus und noch weitaus mehr beeindruckend ist die Perfektion, die der Musiker auf der 12-saitigen Akustik-Gitarre im Picking, im Bottleneck-Slide, im flinken Greifen und filigranen Anschlag demonstrierte, eine Perfektion, die bei so manchem Künstler zu steriler Akrobatik und Angeberei verkommt, bei dem stets latent kauzig und introvertiert wirkenden, bescheidenen wie hochsympathischen Parr in seiner beseelten Ausgestaltung indes nicht einmal den Anflug einer Andeutung in diese Richtung aufkommen lässt.
Man konnte die Uhr danach stellen: immer, wenn man dachte, das hat man so ähnlich schon mal irgendwo im Blues oder Folk gehört, war er da, der besondere Slide-Twang hintenraus, die besondere Finesse, das gewisse Extra, das dem Songmaterial den Edelschliff angedeihen ließ und den versierten und durch unzählige Live-Auftritte erprobten Musiker mit den lebenden Legenden der Slide-Gitarren-Kunst wie etwa Ry Cooder oder David Lindley auf eine Stufe stellt.
Allerspätestens beim Herz-anrührenden, Konzert-beschließenden, unbegleiteten Vokal-Vortrag des Gospel-Traditionals „Ain’t No Grave“ und dem folgenden, lang anhaltenden und dankbaren Applaus im vollbesetzten Geheim-Pub stand ohne Zweifel fest, dass Charlie Parr im Raut-Oak-Lineup 2018 schmerzlich vermisst werden wird – wird anderweitig trotzdem super, versprochen – und die Visionen vom Aufspringen auf fahrende Züge und das Sitzen am Lagerfeuer mit den Hobos, die Geschichten von der Great Depression und dem sich in der eigenen Existenz Verlieren, die Mörder-Balladen und das klagende Blues-Lamentieren woanders herkommen müssen.
Ein Konzertabend, der dank seiner denkwürdigen Americana-Intensität und dargebotenen musikalischen Brillanz noch lange in Erinnerung bleiben wird und der die Vorfreude auf hoffentlich noch viele ähnliche Abende im Hidden-Gig-Modus an geheimem Ort befeuerte.
Gibt so Tage, da bleibt einem einfach nur, der Schöpfung wie selbstredend dem Pfundskerl von einem Veranstalter und nicht zuletzt dem großartigen Musikanten zu danken, dass man dabei sein durfte. Right Time, Right Place, oder wie Martina Schwarzmann immer so schön sagt: Wer Glück hat, kommt…
(***** ½ – ******)

Weitere ausgewählte Konzert-Termine der Solo-Auftritte von Charlie Parr in unseren Breitengraden (Gesamter Tour-Plan: hier):

19.02.Zürich – El Lokal
20.02.Fürth – Kofferfabrik
21.02.Berlin – Betlehemskirche
22.02.Norderstedt – Music Star

Reingehört (357): Charlie Parr

And The Woods Around My Town Have No Ending
Pray For An Old HoBo Who´s Gone Wrong

Charlie Parr – Dog (2017, Red House)

Die Knie wund rutschen müsste man sich, vor Ergriffen- und Dankbarkeit über solche Alben, hallelujah: Der von altvorderen Größen wie Mississippi John Hurt und Reverend Gary Davis geprägte amerikanische Country-Blues-Musiker Charlie Parr, seines Zeichens ausgewiesener Ausnahme-Könner an Banjo-, 12-String- und vor allem National-Resonator-Gitarre, hat vor ein paar Tagen mit „Dog“ seine vielleicht bis dato reifste Arbeit veröffentlicht.
Bereits mit der Eröffnungsnummer über das verkorkste Leben des „HoBo“ macht sich eine wohlige Rührung breit ob dieser wunderbaren Ballade, die von latent resigniert-klagendem, forderndem Gesang und vor allem dem exzellenten, virtuosen und frei fließenden Picking des Musikers auf der National Steel getragen wird.
Hinsichtlich Sangesvortrag ist Charlie Parr im Vergleich zu früheren Werken präsenter, trotz vereinzelter Improvisationsläufe darf man bei „Dog“ von einem klassischen Songwriter-Album sprechen, das neben den Akustik-Blues- und Country-Elementen auch sporadisch die Folk-Variante in den Vordergrund stellt, neben dem eindringlich Balladen-haften, getragenen, erhabenen Grundton vereinzelt auch den schwungvolleren Anschlag zelebrierend und damit seine von der ländlichen Umgebung Minnesotas und der eigenen Arbeiterklassen-Herkunft geprägten Geschichten erzählend über die harten Zeiten und den Schwierigkeiten, um über die Runden zu kommen.
In „Another Dog“ lässt Parr mal eben die Grenzen zwischen Free-Flow-Country-Blues und indischem Raga verschwinden, in der unaufgeregten Beiläufigkeit gelingt Derartiges wohl tatsächlich nur absoluten Ausnahmekönnern – der hörende Laie lässt beeindruckt die Kinnlade runterfallen und erfreut sich bereits an seinem eigenen Staunen, der wunderbare Song ist dahingehend dann nochmal eine andere Hausnummer. Auch hinsichtlich freier Form und Erweiterung der traditionellen Blaugras-Musik das Best-gehörte seit mindestens 328 Tagen, das Eindrücklichste an dieser an imposanten, sich vermengenden und aufschichtenden Elementen und Aspekten nicht eben armen Arbeit dürfte dieses untrügliche Gespür und Verständnis für die uralten amerikanischen Musiktraditionen sein, wie der Umstand, dass Parr diese nicht einfach verwaltet und konserviert, sondern in seinem ureigenen Ansatz weiterentwickelt und in ihren Grenzen ausdehnt und bereichert, ohne je die Wurzeln aus dem Blickfeld zu verlieren. So geht Volksmusik im 21. Jahrhundert.
Soweit die Fakten. Nun zum Wunschkonzert, zum Geplanten, zur noch nicht komplett durchkomponierten Zukunftsmusik: Die Gerüchte verdichten sich, dass Charlie Parr im kommenden Sommer das alte Europa bereisen wird, sollte sich das bewahrheiten, wird er auch im Rahmen des großartigen Raut-Oak Fests am bayerischen Riegsee auftreten und damit dieses herausragende Festival noch einen Tick großartiger machen. So oder so, das Wochenende vom 8. bis 10. Juni 2018 ist im Terminkalender eh schon als nicht mehr disponibel geblockt…
(***** ½)

Massenhaft Live-Aufnahmen von Charlie Parr bei archive.org, kein Wunder, bei bis zu 300 Auftritten pro Jahr kommt was zusammen.