We Stood Like Kings

We Stood Like Kings @ Kinocafé, Taufkirchen/Vils, 2018-10-07

Mit dem Attribut „cineastisch“ wird der Postrock mitunter gemeinhin gerne versehen, wenn den Schreiberlingen nichts weiteres mehr einfällt zur Schilderung der erhebenden Stimmungen, die die Soundwände und Klanggebilde der instrumentalen Indie-Musik dann und wann bei der Hörerschaft auslösen, am vergangenen Sonntagabend im heimeligen Vorführraum des Kinocafés der Kleinstadt Taufkirchen/Vils nahe Erding war diese Bezeichnung allerdings in der Tat passend wie selten sonst für ein konzertantes Ereignis, der Dorfener Konzertveranstalter 4NDREAS Greinsberger lud zu einem Konzert mit der belgischen Postrock/Neoklassik-Band We Stood Like Kings, die Formation aus Brüssel startete ihre kurze Herbst-Europatournee in der oberbayerischen Provinz mit der Live-Aufführung ihrer Konzept-Arbeit „USA 1982“, dem im vergangenen Jahr veröffentlichten Alternativ-Soundtrack zum Experimental-Film „Koyaanisqatsi“ des US-amerikanischen Regisseurs Godfrey Reggio, begleitend zur Vorführung des avantgardistischen Kino-Meisterwerks auf Großbild-Leinwand.
Der Film, der auf einer Prophezeiung der amerikanischen Hopi-Ureinwohner basiert, hat leider aufgrund der aktuellen Einschätzungen zur rasant fortschreitenden globalen Umwelt-Verschmutzung, zur Erderwärmung, zu steigenden Meeresspiegeln und zum Artensterben, auf den Punkt gebracht zum desolaten Zustand des Planeten, seines Öko-Systems und einer seit Dekaden aus dem Gleichgewicht gekommenen menschlichen Daseinsform seit der Premiere in der New Yorker Radio City Music Hall vor 36 Jahren nichts von seiner alarmierenden Brisanz eingebüßt.
Die in Bilder gefasste Zivilisationskritik wurde von der belgischen Band kongenial wie seinerzeit vom originalen Soundtrack von Philip Glass begleitet, wo der New Yorker Neue-Musik-Pionier seine repetitiven Minimal-Music-Schleifen vor allem dem Tempo der Zeitlupen- und Zeitraffer-Aufnahmen anpasste, spielten We Stood Like Kings weit mehr mit dem an- und abschwellenden Laut-Leise-Mustern und den unterschiedlichsten Intensitäts-Ausprägungen des Postrock, um die gezeigten Filmbilder zu untermalen und in ihrer Aussage zu verstärken. So dominierte zu Beginn herausragend das hingebungsvolle Klavierspiel von Judith Hoorens, die klassisch ausgebildete Pianistin und Keyboarderin fand eine einfühlsame, adäquate Klangsprache mit ihrem elegischen, neoklassischen Tastenanschlag für die eingangs gezeigten, wunderschönen Naturbilder von nordamerikanischen Canyons, unberührten See-Landschaften und sattem Grün.
Der stete Klavier-Flow erfuhr zusehends Kontrapunkt und eine breitere, intensivere Klangfläche durch den Post- und Progressive-Rock der Bandkollegen Philip Bolten, Colin Delloye und Mathieu Waterkeyn, die mit variantenreichen, inspirierten, energischen Gitarren-Riffs, wuchtigen, fundierten Bass-Attacken und austariertem, virtuosem Trommeln die mit fortschreitender Dramaturgie des Films dokumentierten Vergewaltigungen durch Menschenhand der natürlichen Lebensräume auf das Nachdrücklichste unterstrichen. Die bereits für sich sprechenden, schwer in die Kino-Sessel drückenden und vor allem schwer nachdenklich stimmenden Bilder von Ameisen-artiger Überbevölkerung in den Großstädten, der Blick der Kamera in die Gesichter abgestumpfter Werktätiger, die Film-Meditationen über abgewrackte Wohn-Silos, die beschleunigten Aufnahmen vom steten Fluss der Blech-Karossen auf unübersehbaren Stadt-Autobahn-Meilen, kurzum, die filmisch festgehaltenen Ausgeburten der westlichen Zivilisation wurden mit den ernsthaften, absolut einnehmenden und komplexen, kontemplativen wie eruptiven „USA 1982“-Kompositionen von We Stood Like Kings in ihrer verstörenden Wucht potenziert und mit gesteigertem Nachdruck vermittelt. Schroff angeschlagene Gitarren-Saiten, mit zupackender Bestimmtheit bespieltes Schlagwerk, irrlichternde Space-Keyboards und dröhnende Bässe verfehlten ihre unterstreichende Wirkung mittels instrumentalem Post/Prog/Neoklassik-Crossover hinsichtlich der gezeigten Bilder auf der Leinwand nicht. Schwergewichtige Siebziger-Art-Rock-Psychedelic fügte sich zu Aufnahmen aus dem militärisch-industriellen Komplex wie der melancholische, getragene Downtempo-Abgesang am Piano zum finalen Zeitlupen-Fallen explodierter, brennender Flugkörper-Teile, der Film-beschließenden Metapher für eine sich im permanenten Sink-Flug befindlichen Zivilisation.
Allerspätestens nach den knapp neunzig Minuten Beschallung der bewegten und gleichsam bewegenden Bilder war offensichtlich, dass die vielschichtigen Kompositionen aus „USA 1982“ eine in jedem Ton ebenbürtige Alternative zum Glass-Original-Soundtrack liefern.
We Stood Like Kings sind nach eigenen Aussagen notorische Zugaben-Verweigerer, diesen Modus kennt man beispielsweise seit Jahrzehnten auch von David Gedge und seiner nordenglischen Indierock-Institution The Wedding Present, ein abgestimmtes Programm wird mit Leidenschaft und absoluter Konzentration durchgespielt, fertig ist die Laube. Am vergangenen Sonntag machten die vier Belgier aufgrund des langanhaltenden und selbstredend hochverdienten Applauses eine Ausnahme, mit einer beschwingten Prog-Rock-Bearbeitung von Beethovens Mondscheinsonate gab die Band einen ersten Ausblick auf ein neues, derzeit in Arbeit befindliches Projekt – wem hierzu Emerson, Lake & Palmer und ihre Interpretationen aus der Welt der Klassik von Bartók, Mussorgsky oder Copland in den Sinn kamen, wandelte gewiss nicht völlig abseitig auf dem sprichwörtlichen Holzweg. Wer weiß, vielleicht kommt demnächst eine neue Vertonung zu „Clockwork Orange“, Tollschock-Alex und seine Droogs waren ja immerhin ausgewiesene Fans vom guten alten Ludwig Van – gespannt darf man in jedem Fall auf das kommende Werk von We Stood Like Kings sein…

Der Postrock-Crossover von We Stood Like Kings und der „Koyaanisqatsi“-Film sind live dieser Tage zu folgenden Gelegenheiten zu sehen und hören, highly recommended:

09.10.Salzburg – Das Kino
10.10.Winterthur – Gaswerk / Kino Nische
11.10.Lyon – Le Farmer
13.10.Paris – Le Gambetta Club

Die nächste 4NDREAS-Veranstaltung ist das Doppelkonzert der beiden Münchner Bands Verstärker (Post/Progressive-Rock) und Noise Raid (Postmetal) am 23. November im Johannis Café, Dorfen, Johannisplatz 4. 19.30 Uhr. Eintritt frei / auf Spenden-Basis.

Konzert-Vormerker: We Stood Like Kings

Zur Beschreibung gewisser Spielarten des instrumentalen Postrock wird gerne das Attribut „Cineastisch“ ins Feld geführt, bei kaum einer Musik passt diese Eigenschaft besser zur Charakterisierung als beim Werk des belgischen Quartetts We Stood Like Kings: Die Formation aus Brüssel um die klassisch geschulte Pianistin Judith Hoorens hat in den letzten Jahren neue Scores zum experimentellen Dokumentarfilm „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ aus dem Jahr 1927 von Walther Ruttmann und zum Stummfilm „Шестая часть мира / A Sixth Part Of The World“ (1926) des sowjetischen Dokumentarfilm-Pioniers Dziga Vertov komponiert, 2017 wagten sich We Stood Like Kings mit dem Projekt „USA 1982“ an die Neuvertonung des Dokufilm-Klassikers „Koyaanisqatsi“, ein durchaus riskantes Unterfangen, immerhin gibt es mit der gelungenen Minimal-Music-Arbeit von Philip Glass bereits einen exzellenten Soundtrack zu den rasanten, zivilisationskritischen Bildern über die westliche Lebensweise und die einhergehende Zerstörung der Natur.
Das Wagnis hat sich mehr als gelohnt, das im September des Vorjahrs bei Kapitän Platte veröffentlichte Album „USA 1982“ überzeugte über die Maßen als alternative Filmmusik zu „Koyaanisqatsi“, eingehende Würdigung seinerzeit hier an dieser Stelle.

Nun dürfen sich dank Veranstalter Andreas Greinsberger endlich auch die Ober- und Niederbayern über eine Filmvorführung von „Koyaanisqatsi“ mit der begleitenden konzertanten Musik von „USA 1982“ freuen, der 4NDREAS-facebook-Blogger, Postrock-Experte und Konzertveranstalter aus Dorfen präsentiert We Stood Like Kings als Live-Act wie es sich in diesem Fall ziemt stilgerecht in einem Kino – Neoklassik trifft Postrock trifft Movie Soundtrack, mit Popkorn-Tüte oder einem Bier in der Hand, im bequemen Kino-Sessel vor professioneller Großbild-Leinwand.

4NDREAS präsentiert: We Stood Like Kings – USA 1982. A New Live Soundtrack For The Movie Koyaanisqatsi. Kinocafe Taufkirchen (Vils), 7. Oktober 2018. 19.00 Uhr. Vorverkaufs-/Reservierungs-Infos: hier.

Weitere Konzert- und Film-Aufführungen von We Stood Like Kings im näheren Umland:

08.10.Regensburg – Ostentor
09.10.Salzburg – Das Kino
10.10.Winterthur – Gaswerk / Kino Nische

Die virtuelle Reste-Schublade (1)

Kennt man wahrscheins aus dem heimischen Haushalt: Die Schublade, in der alles landet, was andernorts nirgends hinsichtlich Größe oder thematischer Zuordnung reinpasst oder keinen sinnvolleren, geordneten Aufbewahrungsort finden mag. Hier also in Zukunft sporadisch als neue Rubrik die virtuelle Schublade für „Irgendwas mit Medien“, Kulturgut-Fundstücke, Bücher, Musik, besonders schöne oder besonders hässliche Artefakte, et cetera pp – für den Rest vom Schützenfest eben, für den eine ausführliche Besprechung sich zeitlich nicht ausgeht, der thematisch keinen eigenen Beitrag hergibt oder was auch immer, jedenfalls zum Wegschmeißen/Unerwähnt-bleiben einfach eine Spur zu schade ist.

Im Bayerischen heißt „Die Schublade“ im übrigen „Der Schubladen“, männlicher/weiblicher Artikel, Ihr wisst schon. Aber Outside-Bavarians, obacht, die richtige Artikelverwendung gibt noch lange keine/n unserer schönen Landessprache Mächtige/n, wie der große Kabarettist, Hiesigen-Versteher und Namensvetter Gerhard Polt in seiner Auftakt-Nummer „Der Konservator“ der 2006er-Bühnennummern-Sammlung „Eine menschliche Sau“ (Kein & Aber Records) anschaulich erläutert, das nämliche Thema explizit ab circa Minute acht: guckst Du → youtube-Link

Stay at home, read a book – Daumen-hoch-Literatur:

John Steinbeck – Die Reise mit Charley. Auf der Suche nach Amerika (2007, dtv)

Der amerikanische Autor und spätere Literaturnobelpreis-Träger John Steinbeck beschleicht Anfang der 1960er das ungute Gefühl, dass ihm Verständnis und Gespür für sein eigenes Land abhanden kommen, begibt sich mit Luxus-Wohnmobil und Pudel-Hundsviech Charly auf eine Rundfahrt quer durch das Land von US-amerikanischer Ost- zur West-Küste und wieder zurück und findet Menschen mit politischen Einstellungen, liberalen wie reaktionären Ansichten, ausgeprägten Rassismus speziell in den Südstaaten und andere Eigenheiten des vielschichtigen sozialen Geflechts der Vereinigten Staaten, die sich von den aktuellen nach wie vor nicht groß zu unterscheiden scheinen, insofern: zeitlose Lektüre. Exzellente Reisebeschreibung wie kritische Auseinandersetzung mit der amerikanischen Gesellschaft: Steinbecks Schilderungen der Dialoge seiner Begegnungen, seine Reflexionen zur US-Geschichte, seine besorgten Anmerkungen zu Politik und gesellschaftlichen Tendenzen, die Beschreibung landschaftlicher Eigenheiten und Anmerkungen zur zeitgenössischen wie klassischen Literatur lesen sich auch weit über fünfzig Jahre nach Erstveröffentlichung im Jahr 1962 noch spannend wie erhellend. Damals bekam man den Nobelpreis eben noch nicht für eine Handvoll passable Protest-Liedlein und ein paar hingekrächtzte Sinatra-Interpretationen nachgeschmissen, da war noch herausragendes schriftstellerisches Handwerk und vom Genius durchwehte Fabulierkunst gefragt.

Joe R. Lansdale – Das Dickicht (2016, Heyne Verlag / Heyne Hardcore)

How the West was won: Texas-Trash-Schwergewicht Joe R. Lansdale mit einem Hardcore-Western zu Zeiten der amerikanischen Pocken-Epidemie kurz nach Anbruch des 20. Jahrhunderts. Der junge Jack Parker verliert seine Eltern an die Seuche und den Großvater als Erziehungsberechtigten in einer tödlichen Auseinandersetzung mit einer Handvoll hartgesottener Galgenvögel, die zur Krönung  auch noch seine Schwester verschleppen. Der vom Schicksal geschüttelte Jugendliche heuert zur Befreiung der nächsten Verwandtschaft Eustace Cox, einen farbiger Kopfgeldjäger mit einem Haustier-Eber und den Cox-Freund Shorty an, einen philosophierenden wie hart zupackenden Liliputaner; die Blut-getränkte, von roher Gewalt begleitete Suche führt die seltsame Truppe in Bordelle, zweifelhafte Kaschemmen, zu unwilligen Gesetzeshütern und eben ins Dickicht, dort, wo die Räuber hausen, zum finalen Showdown. Hauptprotagonist Jack durchläuft in kürzester Zeit die Entwicklung zum Mann, ungeschönt, in absurdesten Situationen schräg-niveauvoll mit satirischem Gespür gewohnt unterhaltsam von Lansdale geschildert. Und allgemein gültige Lebensweisheiten haut sowieso keiner unvermittelter und unzweideutiger raus als der gute Joe.

Joe R. Lansdale – Kahlschlag (2013, Suhrkamp)

Der Spätwestern zur #MeToo-Debatte vom Krimi/Horror/Southern-Gothic-Trash-Großmeister. Ost-Texas, Dreißiger Jahre: Constable Pete hurt sich lustig durch die Bordelle, vergewaltigt und prügelt daheim hingegen übellaunigst die eigene Angetraute Sunset, die die Faxen irgendwann dicke hat und folgerichtig dem Ungustl-Gatten den finalen Sonnenuntergang mittels Kugel aus der Dienstwaffe beschert. Schwiegermuttern schlägt sich auf ihre Seite, schmeißt den eigenen Alten raus und sorgt dafür, dass Frau Sunset mit Notwehr davonkommt und darüberhinaus auch noch den Gesetzeshüter-Job des hingeschiedenen Ehemanns erbt. Die junge Frau darf sich im Fortgang der flott und unterhaltsam geschriebenen Pulp Fiction mit etlichen Morden, Polizei-Korruption, krummen Immobilien-Geschäften, vagabundierenden Schwerenötern und schizophrenen Folterknechten in einer von Rassismus, Dummheit, Eifersucht und vor allem von eruptiver Gewalt dominierten Männerwelt rumschlagen. Es liegt auf der Hand: der Roman hätte auch viele Dekaden später in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts spielen können.

Go to concerts, to the pub, to the match, to church, have a fuck, whatever, mach was Du willst, aber lass bitte die Finger von diesen Druckerzeugnissen:

„Wo warst Du heut Nacht, Jack Kerouac, ich habe dich gesucht,
würd gern wissen, wie es damals wirklich war,
Siebenundvierzig, Achtundvierzig, Neunundvierzig,
in Amerikaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!“
(Sportfreunde Stiller, Unterwegs)

Anthony McCarten – Jack (2018, Diogenes)

Eine hanebüchene, urfad erzählte Geschichte über Beat-Literatur-Papst Jack Kerouac als sich totsaufendes Wrack in seinen letzten Zügen, der in seinem Alkohol-durchtränkten Elend von einer Studenten-Göre heimgesucht wird, die vordergründig seine Biografie schreiben will und ihn im eigentlichen Ansinnen als seine uneheliche Tochter mit seiner Vaterschaft konfrontiert.
Die Story ist das eine, maximalst erschwerend kommt hinzu: der Schreibstil ist das pure Grauen, farblos, ohne eigenen Charakter, austauschbar, das kriegt jeder halbwegs talentierte Oberstufen-Leistungskurs-Deutsch-Gymnasiast aus dem Stegreif um Längen besser hin, zu allem Überdruss garniert Autor McCarten die Chose mit Dialogen, die an Plattheit und nichtssagendem Geschwätz kaum mehr zu unterbieten sind – gegen dieses klatschhafte, erbärmlich unausgegorene Machwerk ist selbst die „Bunte“ gehobene Literatur. Gut, dass der alte Jack das nicht mehr erleben musste. Und das in einem Verlag, der Dürrenmatt, Andersch, Highsmith, Irving, Chandler zu seinen jahrzehntelangen Zugpferden zählt – o tempora, o mores

Sportfreunde Stiller – „Unterwegs“ → youtube-Link

10.000 Maniacs – „Hey Jack Kerouac“ → youtube-Link

Philip Kerr – Die Berlin-Trilogie (2007, Rowohlt Taschenbuch Verlag)

Der im vergangenen März mit 62 Jahren früh verstorbene schottische Autor Philip Kerr hat sich ein gebührendes Renommee in der Spannungsliteratur-Szene erschrieben, unter anderem mit unkonventionellen Krimis wie der SciFi-Utopie „Das Wittgensteinprogramm“ über zukünftige Fahndungs-Methoden und philosophierende Sereienmörder, oder „Der Tag X“, einem Verschwörungs-theoretischen Thriller über den Mordanschlag auf US-Präsident Kennedy. Mit der Serie über den im Berlin der Dreißiger Jahre ermittelnden Privat-Detektiv Bernie Gunther mag hingegen keine rechte Freude aufkommen. Den machthabenden Nazis ist man in jenen Jahren wohl kaum mit schnoddrig-zynischem Sarkasmus und Lonesome-Wolf-Gebaren a la Chandler/Hammett beigekommen, wie auch der geübten Krimi-Leserschaft nicht mit permanent bemühten, bildhaften Vergleichen in einem Erzählstil, der literarisch kaum höheren Ansprüchen genügt, mit Plots, Wendungen, konstruierten Zusammenhängen und Spannungsbögen, die in vielen anderen, oft weitaus inspirierter geschriebenen Sex-and-Crime-Schmonzetten auch zu finden sind. Dass die braune Brut ein widerliches Verbrecher-Pack war, dürfte bereits vorher bekannt gewesen sein, dafür muss man sich nicht durch tausende von Seiten einer auf elf Teile ausgewachsenen, mittelprächtigen Historien-Krimi-Reihe plagen.

Dean Koontz – Der Geblendete (2003, Heyne Verlag)

Der eigentliche Horror in diesem ellenlangen Schriftstück ist nicht die Geschichte vom Psychopathen, der an seiner schieren Mordlust zusehends mehr Gefallen findet, und seinem Widerpart, dem blinden Jungen mit den paranormalen Fähigkeiten, der wahre Horror sind der Zuckerguss-artige Kitsch und die Ami-Klischees, die aus fast jeder der langatmigen 880 Seiten triefen. Was den Horror-King betrifft, darf der gute alte Stephen nach wie vor sein Schwert in Highlander-Manier protzig gen Himmel recken und ein beherztes „Es kann nur einen geben!“ unwidersprochen in die Runde schmettern…

„Bei Euch läuft doch heut der Film wo der Charles Bronson alle Gammler derschiaßt???!!!!??“

Zweimal herausragende Solo-Auftritte, letztens im Kino: Einmal Marie Bäumer im Schwarz-Weiß-Streifen „3 Tage in Quiberon“ der deutsch-französisch-iranischen Regisseurin Emily Atef, als bis zur Schmerzgrenze (und darüber hinaus) Seelen-strippende Romy Schneider, in diversen Interview-Sitzungen und Suff-Exzessen mit einem Stern-Reporter während eines Kur-Aufenthalts an der bretonischen Küste. Achtung Zigaretten-Abstinenzler: Man bekommt allein vom Zuschauen mindestens schwersten Raucherhusten, wenn nicht weitaus Schlimmeres. Daneben in weiteren Hauptrollen, auch sehr glänzend: Birgit Minichmayr, Charly Hübner und Robert Gwisdek.

Filmtrailer „3 Tage in Quiberon“ → youtube-Link

Und der großartige Steve Buscemi als Nikita Chruschtschow in der Polit-Satire „The Death Of Stalin“ von Armando Iannucci, ein sehenswertes, das Lachen des Öfteren im Hals verklemmendes Ränke-Spiel des sowjetischen Politbüros nach Ableben von Uncle Joe, in dem der ausgebuffte Niki den NKWD-Schlächter Beria, die Herrschaften Molotow, Malenkow und das ganze andere Gesindel mustergültig ausmanövriert, permanent mit einem zur Schau getragenen, unnachahmlichen Buscemi-eigenen Mimik-Mix aus Besorgnis, Angewidert-sein und notorischem Sodbrennen. Der Film ist in den ex-Sowjet-Republiken Russland, Weißrussland, Kasachstan und Kirgisistan verboten – wie es halt so läuft bei „lupenreinen Demokraten“ und Konsorten im Post-Stalinismus.

Filmtrailer „The Death Of Stalin“ → youtube-Link

Zu guter Letzt: Zurück zur Werbung!

Molly Gene One Whoaman Band – „Amazing Grace“ → youtube-Link

We Stood Like Kings – „Live Session“ → youtube-Link